dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Gnadenlos - Thriller

Tom Clancy

 

Verlag Heyne, 2017

ISBN 9783641226640 , 896 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Prolog:


Treffpunkte


November

 

Camille war entweder der stärkste Hurrikan oder der mächtigste Tornado der Weltgeschichte gewesen. Auf jeden Fall hatte er bei dieser Bohrinsel ganze Arbeit geleistet, dachte Kelly, während er sich die Sauerstoffflaschen für seinen letzten Tauchgang im Golf von Mexiko auf den Rücken schnallte. Die Aufbauten waren nur noch ein Trümmerhaufen, die vier wuchtigen Stelzen allesamt ramponiert – verbogen wie das kaputte Spielzeug eines Riesenbabys. Alles, was sich noch entfernen ließ, war bereits abmontiert und mit dem Kran auf die Barkasse verladen worden, die den Tauchern auch als Stützpunkt diente. Übrig blieb nur das Skelett der Plattform, das den Fischen bald einen hervorragenden Unterschlupf bieten würde, dachte Kelly, als er das Beiboot bestieg, das ihn hinüberbringen sollte. Zum Team gehörten noch zwei weitere Taucher, aber Kelly hatte das Kommando. Während sie ihre üblichen Vorbereitungen trafen, umkreiste sie ein Küstenwachboot in hektischen Bahnen, damit die Fischer vor Ort nicht zu nahe herankamen. Ganz schön dumm von ihnen, herzukommen – während der nächsten paar Stunden würde es hier sowieso nichts zu angeln geben –, aber solche Ereignisse zogen eben Neugierige an. Und schließlich wird ihnen hier ja auch was geboten, dachte Kelly mit einem Grinsen, als er sich rücklings ins Wasser fallen ließ.

Unter Wasser war es unheimlich, das war immer so, aber irgendwie auch behaglich. Sonnenstrahlen drangen durch die gekräuselte Oberfläche, bildeten sich ständig verändernde Lichtvorhänge, die um die Stelzen der Plattform schwebten. Das ermöglichte eine gute Sicht. Die C4-Ladungen, acht Zentimeter dicke Blöcke mit einem Durchmesser von gut 15 Zentimetern, waren bereits an ihrem Platz, mit Draht fest an den Stahl gebunden, und die Zündung so angebracht, daß sie nach innen detonierten. Kelly überprüfte jeden Block gründlich, beginnend mit der ersten Reihe, die drei Meter über dem Boden angebracht war. Er arbeitete dennoch rasch, weil er nicht länger als nötig hier unten bleiben wollte, genausowenig wie die anderen. Die Männer hinter ihm spulten die Zündleitung ab, die sie fest um die Blöcke wickelten. Beide waren erfahrene UDT-Männer aus der Gegend, beinahe ebenso gut ausgebildet wie Kelly. Er überwachte ihre Arbeit, und sie überwachten seine, denn Männer von diesem Schlag zeichneten sich durch Vorsicht und Gründlichkeit aus. Die untere Ebene erledigten sie in zwanzig Minuten und stiegen dann langsam zur oberen Reihe auf, die sich gerade drei Meter unter der Wasseroberfläche befand. Hier wiederholten sie gründlich und sorgfältig die gleiche Prozedur. Wer mit Sprengstoff umging, ließ sich Zeit und ging kein Risiko ein.

 

Colonel Robin Zacharias konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Aufgabe. Gleich hinter dem nächsten Bergrücken befand sich eine SA-2-Stellung. Von dort waren bereits drei Raketen abgefeuert worden. Sie suchten nach den Kampfbombern, zu deren Schutz er hier war. Auf dem Rücksitz seiner F-105G Thunderchief, der Thud, saß Jack Tait, sein »Bär«, ein Lieutenant Colonel und Abwehrexperte. Die beiden Männer hatten die Taktik mit entwickelt, nach der sie gerade vorgingen. Er steuerte den Wild-Weasel-Jäger, zeigte sich, bot sich als Ziel an, tauchte dann weg und hielt auf die Raketenstellung zu. Es war ein tückisches, tödliches Spiel, nicht das von Jäger und Gejagtem, sondern von Jäger und Jäger – der eine klein, beweglich und empfindlich, der andere wuchtig, in fester Position und verschanzt. Diese Stellung hatte die Männer seines Geschwaders schon halb zur Verzweiflung getrieben. Der Kommandant war einfach zu gut mit seinem Radar, wußte genau, wann er ihn einschalten und wann er wieder ausschalten mußte. Wer dieses kleine Scheusal auch war, er hatte in der vorigen Woche zwei Weasels aus Robins Kommando abgeschossen. Deshalb hatte der Colonel den Auftrag selbst übernommen, als der Befehl kam, dieses Gebiet erneut zu beschießen. Darin war er Experte: Luftabwehr aufspüren, durchbrechen und zerstören – ein gewaltiges, schnelles, dreidimensionales Spiel. Dem Gewinner winkte das Überleben.

Zacharias donnerte im Tiefflug dahin; er ging nie höher als 200 Meter. Seine Finger betätigten halb automatisch den Steuerknüppel, während seine Augen die karstigen Berggipfel überflogen und seine Ohren den Worten vom Rücksitz lauschten.

»Er ist bei unserer Neun«, sagte ihm Jack. »Sucht noch, aber er hat uns nicht. Kreiselt hübsch herein.«

Wir werden ihm keine Shrike verpassen, dachte Zacharias. Das haben sie das letzte Mal probiert, und er hat sie irgendwie ausgetrickst. Dieser Irrtum hatte ihn einen Major, einen Captain und ein Flugzeug gekostet … der eine, Al Wallace … wie er aus Salt Lake City … sie waren seit Jahren miteinander befreundet gewesen … verdammt noch mal! Er schüttelte den Gedanken ab, tadelte sich nicht einmal für seine gotteslästerliche Ausdrucksweise.

»Werde ihm mal was anderes zu schmecken geben«, sagte Zacharias, während er den Knüppel nach hinten zog. Die Thud zog höher in den Radarbereich der Stellung und blieb dann in Wartestellung. Der Kommandant da unten war wahrscheinlich von den Russen ausgebildet. Sie wußten nicht genau, wie viele Flugzeuge der Mann abgeschossen hatte – nur daß es mehr als genug gewesen waren –, aber er mußte deswegen ganz schön stolz auf sich sein, und Stolz war in diesem Geschäft tödlich.

»Er hat abgefeuert … zweimal, zwei Raketen, Robin«, warnte Tait von hinten.

»Bloß zwei?« fragte der Pilot.

»Vielleicht muß er sie selbst bezahlen«, meinte Tait kühl. »Ich hab sie auf neun. Zeit für etwas Pilotenzauber, Rob.«

»So etwa?« Zacharias kippte nach links, um die Stellung im Gesichtsfeld zu halten, hielt auf sie zu und tauchte dann in Spiralen wieder ab. Er hatte es gut geplant, denn er konnte sich hinter einen Bergrücken verziehen. Er fing sich erst gefährlich tief wieder ab, aber die SA-2-Lenkraketen rasten wie zwei wildgewordene Hummeln 1500 Meter über seinen Kopf hinweg ins Leere.

»Ich denke, es ist Zeit«, sagte Tait.

»Da hast du wohl recht.« Zacharias zog hart nach links, machte seine Splitterbomben abschußbereit. Die F-105 strich über den Bergrücken, sank wieder tiefer, und gleichzeitig taxierte Zacharias mit den Augen den nächsten Rücken, zwei Kilometer und 50 Sekunden entfernt.

»Sein Radar hat uns noch im Visier«, berichtete Tait. »Er weiß, daß wir kommen.«

»Aber er hat nur noch eine übrig.« Außer, seine Geschützmannschaft ist heute extrem gut drauf. Sei’s drum, man kann nicht alles bedenken.

»Etwas leichte Flak auf zehn Uhr.« Sie war zu weit weg, um sich Sorgen darüber zu machen, wenn es ihm auch sagte, welchen Kurs er nicht nehmen durfte. »Da ist das Plateau.«

Vielleicht konnten sie ihn sehen, vielleicht auch nicht. Möglicherweise war er bloß ein beweglicher Lichtpunkt auf einem übervollen Bildschirm, den ein Radarbeobachter zu enträtseln versuchte. Die Thud bewegte sich im Tiefflug schneller als alles, was je gebaut worden war, und der Tarnanstrich auf den Außenflächen erfüllte seinen Zweck. Wahrscheinlich blickten sie nach oben. Da war jetzt eine Mauer aus Störsignalen, Teil des Plans, den er für den anderen Weasel-Vogel ausgeheckt hatte. Die normale amerikanische Taktik sah einen Anflug auf mittlerer Höhe mit anschließendem Sturzflug vor. Aber das hatten sie schon zweimal vergeblich versucht, und so hatte sich Zacharias für eine geänderte Vorgehensweise entschieden. Er würde die Stelle im Tiefflug mit Rockeyes belegen, dann würde die andere Weasel den Rest erledigen. Seine Aufgabe bestand darin, das Kommandofahrzeug und den Kommandeur zu töten. Er wich mit der Thud nach links und rechts, nach oben und unten aus, um den Schützen am Boden keine Ziellinie zu bieten. Es konnten ja noch Gewehre in Stellung sein.

»Da haben wir den Stern!« sagte Robin. Das russische SA-6-Handbuch schrieb sechs Startrampen um einen Kontrollpunkt in der Mitte vor. Mit all den Verbindungsgängen sah die typische Lenkraketenabschußbasis genau wie ein Davidstern aus, was dem Colonel ziemlich gotteslästerlich vorkam. Doch dieser Gedanke berührte ihn nicht weiter, als er das Kommandofahrzeug auf seinem Zielradar ins Visier nahm.

»Rockeye bereit«, sagte er laut, um sich selber die Durchführung zu bestätigen. Die letzten zehn Sekunden hielt er das Flugzeug felsenfest auf Kurs. »Sieht gut aus … Abschuß … jetzt!«

Vier der eindeutig nicht aerodynamischen Kanister fielen aus den Luken des Jägers, platzten noch in der Luft auf und verstreuten Tausende von kleinen Splittergeschossen über das Zielgebiet. Bevor sie auftrafen, war Zacharias schon weit von dem Gelände entfernt. Er sah niemanden in die Schützengräben rennen, blieb aber tief, bremste die Thud in eine enge Linkskurve und sah hoch, um sich zu vergewissern, daß er die Stellung ein für allemal erledigt hatte. Aus den Augenwinkeln konnte er eine gewaltige Rauchwolke im Mittelpunkt des Sterns erkennen.

Das ist für Al: Diesen Gedanken gestattete er sich. Keine Rolle mit dem Bomber zum Zeichen des Sieges. Es war nur ein Gedanke, als er wieder in die Waagerechte ging und sich die günstigste Stelle zum Ausbüxen suchte. Die Kampftruppen konnten jetzt kommen, diese Luftabwehrstellung war außer Gefecht gesetzt. Okay. Er wählte einen Einschnitt im Bergrücken aus und raste knapp unter Mach-1 darauf zu, direkt und gerade, nun, da die Gefahr hinter ihm lag. Weihnachten zu Hause.

Die roten Leuchtspurgeschosse, die vom engen Paß aufstiegen, verblüfften ihn. Die sollten nicht...