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Fischermord - Ein Rügen-Krimi

Katharina Peters

 

Verlag Aufbau Verlag, 2019

ISBN 9783841216120 , 336 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1


Durch das offene Fenster hörte sie ein paar aufgeregte Möwen kreischen, die Sonne war gerade aufgegangen. Romy war seit wenigen Minuten wach. Jan schnarchte leise. Einen Moment betrachtete sie sein entspanntes Gesicht und das eigenwillige Kinn und strich ihm über die Wange. Seit mehr als zwei Wochen verheiratet, und es fühlt sich immer noch richtig gut an, dachte sie und lächelte. Sie schob die Bettdecke zurück und stand auf. Sie zog sich an, trank ein Glas Saft und machte sich auf den Weg zum Strand. Um sechs Uhr früh hatte sie ihn fast für sich alleine, zumindest im Mai, außerhalb der Ferienzeit. Ein Jogger lief Richtung Thiessow, zwei Fischerboote schaukelten bei minimalem Wellengang behäbig die Küste hinauf. Sie versank einen langen Moment in der Betrachtung des Morgenhimmels und lief dann am Strand entlang, jeden Schritt auskostend.

Ihre Hochzeitsreise hatte sie quer durch Italien bis runter nach Sizilien geführt, und es war wunderschön gewesen, keine Frage. Das Aber, das mitschwang, war immer das gleiche – es war nicht Rügen. Ende. Sie wollte gerade ihre Schuhe ausziehen und weiter durchs Wasser waten, als ihr Smartphone vibrierte. Fines Konterfei strahlte ihr vom Display entgegen. Die gute Seele des Innendienstes kümmerte sich seit dreißig Jahren auf ihre ganz eigene forsche Art um die Geschicke im Bergener Kriminalkommissariat. Mit ihr war nicht gut Kirschen essen, ihre dröhnende Stimme war legendär, und wen sie mochte, durfte sich glücklich schätzen. Wer sich ihren Missmut zuzog, dem standen schwere Zeiten bevor, von dauerhafter Antipathie einmal ganz zu schweigen.

Ein Anruf um diese Zeit war kein gutes Zeichen. Romy stellte die Verbindung her. »Moin. Habe ich dich geweckt?«

»Nein. Ich bin am Strand unterwegs und …«

»Gut. Ich schätze, du kannst dein Touri-Programm beenden und dir den Sand aus den Zehen pulen. Wir haben eine Leiche – oben in Wittow. Ich informiere gleich noch die anderen. Deinen Mann musst du schon selbst aus dem Bett schmeißen.«

»Okay, das kriege ich hin, ich …«

»Bis dann.«

»Warte, Fine! Wie wäre es mit ein paar Stichworten?«

»Ach ja, hätte ich fast vergessen. Torsten Fischer, fünfundfünfzig. Wurde erhängt im Stall gefunden. Sieht nach Suizid aus, aber genauer anschauen solltet ihr es euch trotzdem. Alles Weitere haben die Kollegen aus Altenkirchen dann für euch, und Buhl dürfte auch schon unterwegs sein.«

Kriminaltechniker Marco Buhl war der Leiter der Kriminaltechnik; Romy konnte sich an keinen Fall erinnern, dessen Lösung sie nicht auch seiner zuverlässigen und gründlichen Arbeitsweise verdankten. »Gut. Ich beeile mich.«

Als sie zu Hause eintraf, war Jan gerade aufgestanden und kochte Kaffee. Abgesehen von knapp sitzenden schwarzen Shorts, in denen er eine ausgesprochen gute Figur machte, trug er nichts. Er sah sie an, lächelte und runzelte dann die Stirn. »Arbeit?«

»Ja. Fine hat gerade angerufen. Könnte sich um einen Suizid handeln, oben in Wittow.«

Er sah auf die Uhr. Romy wusste, dass er dringend in der Polizeiinspektion Stralsund erwartet wurde.

»Ich denke, ich kann mir das zunächst mal alleine ansehen.«

»Okay. Zeit für ein kleines Frühstück?«

»Ich fürchte, nicht.« Sie trat näher, küsste ihn auf die kratzende Wange und legte einen Arm um seine Hüfte. »Sag mal, seit wann bist du eigentlich schon so früh derart munter?«

»Ich weiß nicht, worauf du anspielst.«

Sie knuffte ihn in die Seite. Jan war der Inbegriff des Morgenmuffels, und es war äußerst selten, dass er bereits kurz nach dem Aufstehen gesprächig und fröhlich war. In den Flitterwochen hatte sie sich allerdings nur selten beklagen können. »Bis dann.«

Sie griff nach einem Stück Brot, trank einen Espresso und machte sich wenig später auf den Weg.

Torsten Fischer war in der Nacht zu seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag gestorben. Der gebürtige Greifswalder war gelernter Pferdewirt und hatte sich als erfolgreicher Züchter im Pferdesport auch über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht; vor einiger Zeit hatte er seine Ambitionen erweitert und eine kleine Alpakaherde angeschafft. Der aufwendig sanierte Hof war nahezu schuldenfrei, lediglich für den Ausbau geplanter Ferienunterkünfte hatte Fischer kürzlich einen Kredit aufgenommen – so viel hatte Max bereits auf die Schnelle recherchiert. Als Romy eine gute Stunde später auf dem idyllisch gelegenen Hof an der nördlichen Küste der Insel eintraf, hatten Buhls Leute bereits mit der Arbeit angefangen. Ein Kollege aus Altenkirchen informierte sie, dass der Notruf gegen sechs Uhr früh von Fischers Ehefrau Eva getätigt worden war. Sie hatte ihren Mann im Stall gefunden und sofort die Polizei gerufen. Zur selben Zeit habe ich am Strand von Lobbe über die See geblickt und den Morgen begrüßt, dachte Romy.

»Frau Fischer wartet im Haus – mit den Kindern.«

»Danke.«

Romy ging über den Innenhof zum Stall. Eine Gruppe von Leuten in derben Arbeitsklamotten – wahrscheinlich Angestellte, die darauf warteten, dass sie die Tiere versorgen konnten – warf ihr stumme Blicke zu. Die Tür war verschlossen, was sehr wahrscheinlich bedeutete, dass die Position des Toten noch nicht verändert worden war. Romy atmete tief durch und drückte die Klinke herunter. Warmer Stallgeruch strömte ihr entgegen, das Schaben von Hufen, leises Schnauben und Wiehern. Ein Sonnenstrahl erfasste die hängende Leiche. Einer von Buhls Männern fotografierte, ein Assistent der Rechtsmedizin stieg gerade auf eine Leiter, begutachtete die Gesichtsverfärbungen und sah sich die Hände des Toten an. Buhl kam ihr entgegen und nickte nur knapp.

»Tod durch Erhängen. Er ist qualvoll erstickt«, meinte er leise, aber in gewohnt sachlichem Ton. »Ein Genickbruch war ihm nicht vergönnt, meint Möllers Assistent. Dazu hätte er anders vorgehen müssen.«

Romy räusperte sich. »Die Schlinge müsste anders liegen?«

»Ja. Außerdem sollte man mit Schwung … na, du weißt schon.«

»Ich kann es mir vorstellen. Dein erster Eindruck?«

Buhl wies mit einer kurzen Handbewegung auf einen abseits liegenden Hocker. »Im Moment sieht es nach Suizid aus. Er hat sich auf den Hocker gestellt und ihn später beiseitegetreten. Keine typischen Abwehrverletzungen oder andere Ausschlusskriterien, was die Auffindesituation angeht, aber Details gibt es natürlich erst, wenn Doktor Möller den Mann persönlich auf dem Tisch hatte. Und den Stall durchforsten wir natürlich auch noch sehr gründlich.«

»Klar.«

Romy sah zu, wie Möllers Assistent den Leichnam schließlich mit Hilfe von zwei Technikern zu Boden sinken ließ und behutsam auf eine Plane legte. Sie trat näher. »Kann man schon etwas Genaueres zum Todeszeitpunkt sagen?«

»Nein. Irgendwann am späten Abend oder auch in den Nachtstunden«, gab der Mann einsilbig zurück.

»Okay, danke.« Romy scheute sich normalerweise nicht, Tote genauer in Augenschein zu nehmen, aber der Tod durch Erhängen und langsames Ersticken hinterließ grausame Spuren und veränderte das Gesicht auf schreckliche Weise. Der Mann auf der Plane hatte nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Foto, das Max ihr aufs Smartphone geschickt hatte. Noch vor wenigen Stunden war Torsten Fischer ein attraktiver Mann mit gewinnendem Lächeln gewesen, Vater von drei Kindern, erfolgreicher Züchter und Geschäftsmann. Auf den ersten Blick hatte er ein erfülltes und zufriedenes Leben geführt, noch dazu an einem der schönsten Plätze der Welt, zumindest nach Romys Ansicht.

Sie verließ den Stall und trat in die Sonne. Ihr eigenes Glück war gerade vollkommen, und es schien bizarr, über Tod und Suizid zu sprechen. Das ist mein Job, dachte sie, egal, ob ich gerade glücklich oder mies drauf bin, das Leben genieße oder Probleme habe. Sie schloss kurz die Augen, dann drehte sie sich um und ging zum Wohnhaus der Fischers – ein wuchtiges, reetgedecktes Haus mit ausreichend Platz für ein Dutzend Menschen. Romy wollte gerade klopfen, als die Tür geöffnet wurde. Vor ihr stand ein schätzungsweise sechzehn-, siebzehnjähriger schlaksiger Teenager, der dem Foto seines Vaters auffallend ähnlich sah – unverkennbar Fischers Sohn. Im Augenblick war er allerdings ziemlich blass. »Sind Sie die Kommissarin?«

»Ja. Mein Name ist Ramona Beccare vom Kriminalkommissariat in Bergen.«

Der Junge musterte sie mit unruhigen Augen. »Ich bin Steffen. Kommen Sie herein.«

Steffen führte sie durch eine weitläufige Diele in ein Wohnzimmer. Großformatige Pferde- und Landschaftsbilder sowie dunkles Mobiliar beherrschten den Raum. Die schmale Gestalt der Witwe versank fast in einem breiten Ledersessel. Eva Fischer erhob sich kurz, reichte Romy die Hand und wies mit einladender Geste auf den Sessel ihr gegenüber, während sie sich wieder setzte.

»Frau Fischer, es tut mir leid, was geschehen ist«, ergriff Romy das Wort. »Wie Ihnen meine Kollegen sicher bereits erläutert haben, müssen wir das Geschehen untersuchen und …«

»Warum eigentlich?«, warf der Sohn ein, während er sich aufs Sofa fallen ließ. Er hob das Kinn. »Er hat sich …«

»Steffen«, fiel ihm seine Mutter ins Wort. Ihre Stimme klang erstaunlich energisch. »Kommissarin Beccare macht nur ihren Job.«

Romy nickte. »So ist es.«

Eva Fischer war bleich und wirkte erschüttert, aber sie hatte keineswegs die Kontrolle verloren und bemühte sich um Haltung. Das konnte man in...