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Rendezvous mit Lou - Roman

Fabienne Brouillard

 

Verlag Diana Verlag, 2019

ISBN 9783641235710 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2

Der Rache süßes Lied

Sie war über die Fensterbrüstung geklettert. Ein kurzes Rascheln in der Glyzinie, und weg war sie. Ich jedoch starrte an diesem Abend noch lange aus dem Fenster und dachte über diese Laune des Schicksals nach, die mir ausgerechnet dieses Mädchen in die Hände gespielt hatte. Lou Derisbourg. Jacques Derisbourgs Tochter.

»Lou Derisbourg«, flüsterte ich. »La vengeance est un plat qui se mange froid. Rache lässt sich am besten kalt genießen. Und wenn das Opfer so reizend ist wie sie, dann macht die Rache auch noch Spaß.«

»Möchten Sie einen Kaffee, bevor die Sitzung beginnt?«

Die Frage riss mich aus meinen Gedanken. Nach dem Mittagessen gönnte ich mir immer eine halbe Stunde Pause. Meistens verbrachte ich sie bei einem Spaziergang, aber heute war ich gleich ins Büro zurückgekehrt. Mademoiselle Régnier schaute mich über den Rand ihrer Designerbrille hinweg fragend an. In ihrem Kostüm mit dem akkuraten schwarz-weißen Muster sah sie wieder einmal aus wie aus dem Ei gepellt. Ich tippte auf Chanel und überlegte, ob ich sie wirklich so gut bezahlte, dass sie sich solche Outfits leisten konnte. Wie schaffte sie es, den ganzen Tag lang so auszusehen, als käme sie gerade frisch ausstaffiert aus einem Schönheitssalon? Nicht einmal eine Haarsträhne wagte es, in ihrer perfekt gestylten Frisur aus der Reihe zu tanzen. Einen Augenblick lang stellte ich mir vor, wie sie nachts im Sitzen schlief, um ihre Frisur nicht durcheinanderzubringen, und unterdrückte mit Mühe ein Grinsen.

»Ja bitte.«

Ich hatte es vor Jahren aufgegeben, diese Frage zu verneinen. Mademoiselle Régnier hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, für mein Wohl zu sorgen, und schien der unerschütterlichen Überzeugung zu sein, dass Kaffee dafür das unverzichtbare Allheilmittel sei. Wurde es mir zu viel, kippte ich einfach das Gebräu in die Topfpflanze, die angeblich die Aufgabe hatte, in meinem perfekt klimatisierten Büro für bessere Luftverhältnisse zu sorgen. Die Pflanze schien Kaffee zu mögen, denn seitdem wuchs und gedieh sie, eine Leistung, die Mademoiselle Régnier selbstverständlich ihrer eigenen Kompetenz zuschrieb.

Der Kaffee kam. Schwarz und heiß. Und gar nicht so schlecht. Ich hatte ebenfalls längst die Gelegenheit verpasst, meiner Sekretärin schonend beizubringen, dass ich eigentlich Teetrinker war. Und so trank ich nun ergeben einen Schluck, bevor ich mich wieder meinem Laptop zuwandte. Mademoiselle Régnier lächelte zufrieden und wandte sich zum Gehen, sodass meine Worte sie sozusagen in den Rücken trafen:

»Bitte geben Sie dem Team Bescheid, dass die Sitzung eine Stunde später anfangen wird.«

Sie erstarrte mit der Hand auf der Türklinke.

Dann drehte sie sich langsam um und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Die Sitzung verschieben? Um eine ganze Stunde?«

Herrgott noch mal! Diese Frau würde mich eines Tages noch in den Wahnsinn treiben! Der Eiffelturm war ein Muster an Flexibilität im Vergleich zu ihr.

»Sie haben richtig gehört. Um eine ganze Stunde. Ich bin mir sicher, dass der Weltfrieden davon nicht tangiert werden wird. Wenn Sie also bitte so freundlich sein würden …«

Sie hielt kurz die Luft an, warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und entgegnete schmallippig: »Aber selbstverständlich.«

Das Klicken ihrer hohen Absätze entfernte sich, und ich atmete unwillkürlich auf. Eines Tages würde ich ein Buch über die Tyrannei weiblicher Angestellter schreiben. Géraldine Régnier war da ein Fallbeispiel. Irgendwie schienen Frauen zu glauben, immer alles besser zu wissen. Zumindest besser als ein Mann. Höchstens hörten sie auf ihre Mutter oder ihre Großtante Léontine, aber niemals auf einen männlichen Vorgesetzten. Dieser Gedanke veranlasste mich dazu, lieber auf Nummer sicher zu gehen.

Ich griff nach dem Telefon und rief meinen Partner Maxime Brémont an: »Max? Mir ist etwas dazwischengekommen. Die Sitzung fängt heute erst um drei an. Bitte sei so nett und benachrichtige das Team.«

Mademoiselle Régnier würde sich nun zwar noch mehr in ihrer Ehre gekränkt fühlen, aber ich hatte gerade andere Sorgen. Der Deal mit den Amerikanern war noch nicht in trockenen Tüchern, und nun hatte ich zusätzlich diese kleine Schnüfflerin am Hals. Ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass Henley & Sons ihre Meinung nicht in letzter Sekunde revidieren würden, schaltete mein Telefon aus, um Ruhe zu haben, und vertiefte mich wieder in meine Recherchen. Es dauerte keine fünfzehn Minuten, um sich in den Server des IFJ zu hacken und Lou Derisbourgs Akte aufzurufen.

Lou Charlotte Félicité. Dreiundzwanzig Jahre jung. Geboren am 7. April. Sieben war meine Glückszahl. Fügung oder Ironie des Schicksals? Wie es aussah, war sie eine richtige Streberin: Abitur mit Eins-Komma-eins gefolgt von den Vorbereitungsklassen der elitären École normale supérieure. Mit dreiundzwanzig hatte sie bereits einen Master in Anglistik in der Tasche, stand kurz vor dem Abschluss als Journalistin, und ihr Notenspiegel am IFJ war brillant. Auch wenn das letzte Halbjahr einen deutlichen Leistungsabfall erkennen ließ. Ob die Affäre mit Olivier Joubert die süße Lou vom Studium abgelenkt hatte? Eine Notiz mit der Überschrift »Disziplinarmaßnahme« erregte meine Aufmerksamkeit: Lou Derisbourg war für die Dauer von zwei Wochen mit Auflage vom Unterricht suspendiert worden. Mit Auflage. Das bin also ich, dachte ich amüsiert. Und die coquine hatte geschwindelt: zwei Wochen, nicht eine! Ich ließ die Ereignisse der letzten Nacht Revue passieren. War sie wirklich so ahnungslos, wie sie sich gab, oder war das eine weitere Masche? Aber eine Masche wofür? Wenn sie wusste, was ihren Vater mit mir verband, warum sollte sie dann den Kontakt zu mir suchen? Das ergab keinen Sinn. Als sie beteuert hatte, dass dieses Interview nicht ihre Idee, sondern die ihrer Hochschulleiterin gewesen sei, hatte das ehrlich geklungen. Die Notiz in ihrer Studentenakte bestätigte ihre Aussage. Aber wenn das Ganze Zufall war, dann war das Leben wahrlich verrückt!

Weitere fünfzehn Minuten, und ich hatte außerdem Lous sämtliche Accounts geknackt: E-Mail, Facebook, Twitter, Instagram … Bald wusste ich alles, was sie dem Netz jemals anvertraut hatte, auch das, was nur für engste Freunde zugänglich war. Sie mochte die japanische Küche und hatte eine Vorliebe fürs Theater und für Gruselfilme. Ihre Hobbys waren Lesen, Tangotanzen und Klettern (daher die gestrige, zugegebenermaßen beeindruckende Kletternummer). Und sie gab auf ihrer Facebook-Seite zu, eine heimliche Leidenschaft für Karaoke-Abende zu hegen. Ich ertappte mich dabei, wie ich minutenlang ein Foto der als Geisha verkleideten fünfjährigen Lou anstarrte. Sie war schon als Kind eine Schönheit gewesen. Und hatte bereits damals diesen gebieterischen Blick draufgehabt. Niedlich. Vor meinem inneren Auge wurde das kindliche Gesicht von dessen erwachsener Ausgabe verdrängt, und ich stellte erstaunt fest, dass ich mich an jedes Detail erinnerte: die sinnlichen und schön gezeichneten Lippen, die energische Linie des Kinns mit dem süßen Grübchen in der Mitte, die riesengroßen Augen, die die Farbe flüssiger Bitterschokolade hatten und von langen, dichten Wimpern umrandet waren. Eine echte Schönheit in der Tat. Ich ermahnte mich zu mehr Sachlichkeit und forschte weiter. Ihrem Facebook-Fotoarchiv nach zu urteilen, hatte Lou Derisbourg vor Olivier Joubert nur zwei Freunde gehabt, und keine dieser Liebschaften hatte länger als anderthalb Jahre angedauert. Umso besser. Ich jagte gerne auf kaum erforschtem Gebiet. Es war schier unglaublich, wie mitteilsam die jüngere Generation war. In dreißig Minuten hatte ich jetzt eine Fülle an Informationen über Lou gewonnen. Mitteilsam, aber nicht dumm, das wenigstens musste ich ihr lassen. Das Mädchen hatte für jedes Konto ein anderes Passwort und dabei viel Kreativität bewiesen, denn diese wimmelten nur so von Sonderzeichen. Diese Vorsicht erstreckte sich jedoch nicht auf ihren Laptop. Als ich mich am Morgen in ihren Computer eingehackt hatte, hatte mir die Webcam einen ungehinderten Blick in Lous Wohnung gewährt. Völlig ahnungslos und nur mit Unterwäsche bekleidet war Lou plötzlich in mein Blickfeld gerückt. Selbstverständlich hatte ich mich sofort wieder ausgeloggt. Seitdem kämpfte ich jedoch mit dem flüchtigen Bild von Lou in sehr sexy Dessous aus violetter Spitze. Und mit der Erinnerung an einen schlanken Körper, der dezent nach Jasmin, Rosenblättern und irgendetwas Fruchtigem gerochen und sich fest und weich zugleich angefühlt hatte. Durchtrainiert, ohne ein Gramm Fett, aber mit sehr ansprechenden Rundungen an den richtigen Stellen. Mir wurde jedes Mal heiß bei dem Gedanken. Die Vorstellung, dass irgendwelche perverse Typen Lou beim Ausziehen beobachten könnten, verpasste mir einen Adrenalinstoß. Sollte ich sie warnen?

»Na, du bist da keinen Deut besser!«, meldete sich mein Gewissen. »Aber ich habe mich gleich wieder ausgeloggt«, versuchte ich mich zu rechtfertigen. Außerdem … Außerdem was? Ich schnalzte ungeduldig mit der Zunge. Diese Gedankenspur wollte ich lieber nicht weiterverfolgen. Sie war Jacques Derisbourgs Tochter, und damit war ihr Schicksal besiegelt. Alles andere war reine Chemie. Ich war ein Mann. Sie war eine Frau. Sexuell war ich seit zwei Jahren auf Entzug (na gut, wenn meine Gelegenheitstreffen mit ein paar Geschäftspartnerinnen zählten, dann sagen wir auf relativem Entzug), und gestern hatte ich die Wirkung eines vitalen weiblichen Körpers auf meine ausgehungerte Männlichkeit unterschätzt. Aber es war eine rein körperliche Reaktion gewesen, die nichts, aber auch rein gar...