dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

The Silence - Die Romanvorlage zum Film

Tim Lebbon

 

Verlag Buchheim Verlag, 2019

ISBN 9783946330172 , 408 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

5,99 EUR


 

2

Bei einem Unfall während einer Höhlenexpedition im Norden von Moldawien soll es Berichten nach mehrere Todesfälle gegeben haben. Der Discovery Channel strahlte eine Live-Übertragung aus, als sich der Unfall ereignete. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich Mitarbeiter des Discovery Channel unter den Todesopfern befinden. Die Umstände des Unfalls sind derzeit unklar, und Behauptungen, nach denen »Kreaturen« beim Auftauchen aus der Höhle gesichtet worden sein sollen, bedürfen einer unabhängigen Überprüfung. Dr. Kyrylo Orlyk (Staatliche Universität Moldawien, Chişinău), der das angeblich vom Ort des Geschehens gesendete Material untersucht hat, erklärte: »Es hat eindeutig den Anschein, als wäre eine wissenschaftliche Expedition oder womöglich die Berichterstattung über diese Expedition von sensationslüsternen Individuen für ein bis dato unbekanntes Medienspektakel missbraucht worden.«

Reuters, Freitag, 15. November 2019

Ich tauchte aus einem jener Albträume auf, die den Schlafenden bis in die Wirklichkeit verfolgen. Als der Schlaf schwand und mein gesamtes Leben um mich Gestalt annahm – mich an den Menschen erinnerte, der ich war, während mein Geist sich einmal mehr aus der endlosen Leere rettete, in die Träume sich verwandeln können –, waren die Monster noch immer da. Für gewöhnlich konnte ich sie nicht identifizieren, und genauso wenig hätte ich beschreiben können, wie sie aussahen. Sie waren einfach vorhanden, eine Bedrohung im Hintergrund, ein Gewicht hinter jedem wachen Augenblick, und mit ihnen kam das Geräusch, das meine Albträume grundsätzlich begleitete: das Kreischen von Bremsen.

Das Kreischen schrillte weiter und hielt an, wie so oft, wenn ich einen Albtraum hatte. Es spielte keine Rolle, worum es in diesen schlimmen Träumen ging. Im Kern drehte es sich immer um den Unfall.

Dieses Mal war es anders. Ich versuchte die Augen zu öffnen, blinzelte gegen das Sonnenlicht der Morgendämmerung an, das durch einen Spalt zwischen den Vorhängen drang, und sah eine dieser seltsamen fliegenden Gestalten, die die zerfallende Landschaft meiner Träume umkreiste. Ihr Maul stand offen. Sie stieß ein endloses Kreischen aus, das klang wie der verzweifelte Bremsversuch eines Autos. Endlich zwang ich mich zu erwachen, um dem unvermeidlichen Aufprall zu entrinnen.

Hastig setzte ich mich im Bett auf, und die Stille brachte die Überreste meines Traums zum Verstummen. Es war so unfair, dass ich nur dann hören konnte, wenn ich mich in der Umklammerung meiner schlimmsten Träume befand.

Ich sah mich in meinem Zimmer um. Neben dem Bett lag mein iPad, das mich mit der Welt verband. Mein kleiner Schreibtisch war übersät von Zeichnungen, Notizen, aufgeschlagenen Schulbüchern und allem möglichen anderen Krimskrams. An den Wänden klebten mehrere Poster – von einer atemberaubenden kanadischen Landschaftsaufnahme bis zu einem Comic über die Olympischen Sommerspiele in Rio. Meine Gitarre stand auf einem Ständer in der Ecke; Kleidungsstücke lagen vor dem Schrank auf dem Boden verstreut, und in einer Ecke häufte sich das gesammelte Chaos, das meinen ständig wechselnden sportlichen Leidenschaften entstammte – ein Hockeyschläger, meine Laufschuhe, ein Basketball. Ich seufzte und versuchte, die schlimmen Träume mit meinen Atemzügen zu verscheuchen. Nur ein Albtraum, dachte ich. Weiter nichts.

Als ich den Bildschirm des Tablets berührte, tauchten ein paar Nachrichten von Freunden auf. Eine von ihnen leuchtete in Rot – ich hatte diese Schriftfarbe einem bestimmten Namen zugeordnet – und ich spürte, wie meine Wangen dieselbe Farbe annahmen. Rob hatte mir während der Nacht eine Nachricht geschickt. Er war vielleicht nicht der beste Freund, den ich hatte, aber mein bester männlicher Freund. Mein Vater machte sich darüber lustig. Aber mehr war er wirklich nicht, nur ein Kumpel, und in gewisser Weise ein ganz besonderer. Abgesehen von meiner besten Freundin Lucy war er der einzige Schüler meiner Schule, der Zeichensprache beherrschte.

Ich las Robs Nachricht.

Frag mich bloß nie, ob ich mit dir eine Höhle erforschen will.

Ich runzelte die Stirn, und auf einen Schlag war alles wieder da. Also doch kein Traum, dachte ich und erinnerte mich an all die Ängste und Zweifel, die mich in der vergangenen Nacht heimgesucht hatten. Die merkwürdige, verworrene Nachrichtensendung zu sehen, war schon schlimm genug gewesen. Es gab kaum Einzelheiten, und der kurze Filmausschnitt, den sie wieder und wieder zeigten, war nicht im Mindesten so detailliert und erschreckend wie das, was ich live im Discovery Channel gesehen hatte. Es war, als würden die Nachrichten zwar berichten, was geschehen war, als hätten die Verantwortlichen jedoch einen Großteil des Filmmaterials aussortiert, weil es zu traumatisierend gewesen wäre, es zu zeigen.

Doch zu alledem kam die beunruhigende Atmosphäre zwischen Mum und Lynne. Die beiden Frauen hatten dicht beieinandergesessen, und die Spannung, die ich zwischen ihnen gespürt hatte, als ich ins Zimmer trat, hatte sich nicht gelegt. Ich war sehr empfänglich für Atmosphären und Stimmungen geworden. Manchmal sagte Mum, das müsse an meiner Taubheit liegen, aber ich war ganz und gar nicht der Ansicht, dass das der Grund war. Ja, vielleicht kompensierte ich damit etwas, aber über Empathie und die Fähigkeit, das emotionale Gewicht einer Situation zu erspüren, hatte ich immer verfügt.

Gestern Abend hatte ich meine Mutter irgendwann gefragt, was los sei, aber sie hatte lediglich den Kopf geschüttelt und mir einen Gutenachtkuss gegeben.

Ich wischte über den Bildschirm und rief die Homepage der BBC News auf. Die Tatsache, dass sich die Schlagzeile quer über die Seite zog, machte mir klar, dass es um etwas Ernstes ging, noch ehe ich zu lesen begonnen hatte.

Die Einzelheiten trugen nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühlte.

In einem Landstrich in Moldawien ging irgendetwas vor sich. Niemand schien zu wissen, was. Es gab Vermutungen über verschüttete Chemikalien, einen Terroranschlag und sogar eine Hornissenplage. Ein paar mit dem Handy aufgenommene Filmausschnitte zeigten zwei Szenen, die mich mehr erschreckten, als es allein aufgrund des Inhalts angemessen war: Ein Auto war auf einer Brücke stehen geblieben, und neben der geöffneten Fahrertür lag ein Bündel Kleidungsstücke. In der zweiten Szene flatterten irgendwelche Dinger wie riesige aufgescheuchte Motten durch die Schatten unter den Bäumen, dann schwenkte die Kamera und zeigte zwei erstarrte Gesichter. Eine Reihe von Todesfällen wurde erwähnt. Russland hatte seine Grenzen geschlossen. Die UN verfolgten die Ereignisse. Es war eine Nachricht, die keine richtige Neuigkeit bekannt gab, sondern lediglich die Tatsache, dass etwas geschehen war.

Noch einmal überflog ich den Bericht, und erst beim zweiten Lesen entdeckte ich eine Erwähnung der Höhlenexpedition. Es war tatsächlich nicht mehr als eine flüchtige Erwähnung, als hätten die beiden Ereignisse nichts miteinander zu tun.

Aber jeder, der die Übertragung des Discovery Channel gesehen hatte, musste doch beides miteinander in Verbindung bringen!

Der Premierminister hat eine Sondersitzung von Cobra einberufen …

Vom Präsidenten der Russischen Föderation liegt derzeit keine Stellungnahme vor …

Die Vereinten Nationen erklärten

Ich nahm das Tablet und ging los, um Mum zu wecken. Das Haus war still, und als ich die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern öffnete, sah ich auf die Uhr. Es war früher, als ich angenommen hatte, noch nicht einmal sechs.

»Mum?«, fragte ich.

Meine Mutter öffnete ein Auge, sie wirkte noch müde, ihr Haar war zerzaust, doch sie war auf der Stelle hellwach.

»Was ist passiert?«

Sie hörte nie auf, sich Sorgen zu machen, das wusste ich. Seit dem Unfall war sie ständig auf der Hut und schlief unruhig. Manchmal gestand sie mir, dass sie stets mit dem Schlimmsten rechnete. Auch wenn ich ihr erklärte, dass ich noch Glück gehabt hatte – der Unfall, der meine Großeltern väterlicherseits getötet hatte, hätte auch mich das Leben kosten können –, fiel es meiner Mutter schwer, in dem, was geschehen war, Glück zu erkennen. Jedenfalls kein Glück im eigentlichen Sinn. Der Unfall hatte meine ganze Familie verändert, und ich versuchte unentwegt mein Bestes, um dieser Veränderung etwas Gutes abzugewinnen.

»Da ist etwas …«, begann ich, doch dann bemerkte ich das pulsierende blaue Licht am Telefon, das auf dem Nachttisch lag.

Ich griff danach und las den Namen auf dem Bildschirm: Huw. Dann gab ich das Gerät meiner Mutter.

»Hallo, Schatz«, sagte Huw und kam sich plötzlich wie ein Idiot vor, weil er Kelly wegen einer Sache anrief, die sich so weit von ihnen entfernt abspielte. Fernsehnachrichten hatten eine Art, die Dinge aufzubauschen, und manchmal ließ die ständige Berieselung mit wiederholten Informationen Ereignisse größer und bedeutender erscheinen, als sie tatsächlich waren. Mache ich mich gerade zum Trottel?, fragte er sich. Vielleicht war sein Heimweh stärker als gedacht. Er hatte hier nur noch einen Tag und eine Nacht vor sich, ehe er sich auf den Heimweg machen würde, aber er war mit einem Gefühl der Wehmut aufgewacht.

»Hallo«, sagte Kelly verschlafen. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Mir geht es gut, alles okay, es ist nur … hast du die Nachrichten gesehen?«

»Warte mal«, erwiderte Kelly und Huw hörte das Geraschel des Bettzeugs....