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Niemand hört dich schreien - Psychothriller

Mary Burton

 

Verlag beTHRILLED, 2019

ISBN 9783732575572 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Dienstag, 8. Januar, 8:10 Uhr

Detective Jacob Warwick vom Morddezernat beugte und streckte die Finger der rechten Hand, um die Steifheit in den Gelenken loszuwerden, während er über den gefrorenen Boden auf die blinkenden Blaulichter zuging. Die fünf Polizeiwagen parkten auf einem Feld am Ufer des James River. Der Schneesturm vom Freitag hatte die Landschaft in ein grelles Weiß getaucht, ihr jegliche Farbe und alles Leben genommen. Morgendlicher Dunst lag über dem südlichen Flussufer und dem größten Teil des ruhig fließenden Wassers.

Die Temperaturen bewegten sich um den Gefrierpunkt, doch durch den kalten Wind, der seine Lederjacke durchdrang, als wäre sie aus dünnem Baumwollstoff, erschienen sie Jacob weitaus niedriger.

Die Kälte setzte seinen mitgenommenen Fingerknöcheln zu, und er bedauerte, dass er die Handschuhe zu Hause gelassen hatte. Er schlug den Kragen seiner abgetragenen Jacke hoch und schob die Fäuste in die Taschen. Eine Mütze bedeckte sein militärisch kurz geschnittenes Haar, und ein schwarzer Schal hielt seinen Hals warm.

Noch vor einer Stunde war Jacob im Sportstudio gewesen und hatte seinen freien Tag genutzt, um sich am Sandsack auszutoben. Die körperliche Anstrengung ließ reichlich Endorphine durch sein Gehirn fließen und linderte für eine kleine Weile die hartnäckige Anspannung, die ihm zusetzte.

Mitten im Training hatte sein Handy geklingelt. Mit einem derben Fluch hatte er den wild schaukelnden Sandsack angehalten, sich den Schweiß aus dem Gesicht gewischt und sein Telefon aus der Sporttasche geangelt.

Sein Partner, Detective Kier, hatte ihm die nüchternen Fakten durchgegeben. Weibliches Mordopfer, Mitte dreißig, weiß. Die Leiche war am Ufer des James River abgelegt, und zwar auf der Alderson-Baustelle, die etwa zwanzig Kilometer hinter dem Flughafen im Osten des Countys lag. Unter der Dusche hatte Jacob sein Gesicht in den heißen Strahl gehalten und bedauert, dass er nicht länger bleiben konnte.

Ein eisiger Windstoß aus Richtung des Flusses ließ Jacob noch ein wenig tiefer in seiner Jacke versinken. Das Land hier bestand aus unbestellten Feldern mit dürren Zypressen dazwischen, doch wenn er dem Schild, an dem er unterwegs vorbeigekommen war, Glauben schenken konnte, würde die Alderson-Baugesellschaft das alles in einen weitläufigen Golfplatz verwandeln, umgeben von Backsteinhäusern mit perfekt angelegten Blumenbeeten und wohlplatzierten Bäumen. Neben dem ebenfalls vorgesehenen Klubhaus waren Tennisplätze und ein beheizter Swimmingpool geplant.

Ab 900 000 Dollar. Die glänzenden Reklametafeln versprachen den künftigen Käufern der am Fluss gelegenen Häuser nicht nur die denkbar beste Ausstattung, sondern auch gleich den richtigen Status und ein glückliches Leben als Bilderbuchfamilie. Jacob hatte das Leben beigebracht, dass es keine Garantien gab. Und in den dreizehn Jahren bei der Polizei hatte er gelernt, dass das Elend in Prachtvillen wie in Bruchbuden gleichermaßen zu finden war.

Vor einem schlammbedeckten schwarzen Geländewagen erblickte Jacob ein paar zerlumpt wirkende Männer in Overalls und Tarnjacken. Es war der Vermessungstrupp der Alderson Company, und das hier war ihre Baustelle. Gleich nach Sonnenaufgang waren sie hergekommen, um das Nordufer des James River zu vermessen, und sie waren es gewesen, die die Leiche gefunden hatten.

»Hey, wann lassen Sie uns weiterarbeiten oder nach Hause gehen?«, rief ihm einer der Landvermesser zu. Aus dem Kaffeebecher in seiner Hand stieg Dampf auf.

»Kann ich nicht sagen«, antwortete Jacob. »Aber bleiben Sie vor Ort.«

Jacob ging zu einem älteren Polizeibeamten mit Stoppelhaarschnitt und mürrischem Gesicht hinüber. Der Polizist stampfte mit den Füßen und rieb die behandschuhten Hände aneinander. »Kalt, was? Meine Knochen haben langsam genug von diesem verdammten Frost.«

Jacob tat vom Boxkampf der letzten Woche immer noch alles weh. »Meine auch.«

»Was beschweren Sie sich? Ich bin schon eine Stunde hier.«

Jacob lächelte. »Sie sind härter im Nehmen als ich.«

»Meine Güte.« Watson warf einen Blick auf Jacobs Gesicht, und seine Augen verengten sich. »Sind das die Überreste von einem Veilchen?«

»Ja. Der andere Kerl hatte einen ziemlich fiesen rechten Haken.« Doch das hatte Jacob nicht daran gehindert, den Boxkampf der Wohltätigkeitsveranstaltung zu gewinnen.

Watson betrachtete ihn eingehend. »Wie alt sind Sie jetzt? Vierunddreißig, fünfunddreißig?«

»So ungefähr.«

Watson schüttelte den Kopf. »Sie werden langsam zu alt für solche Mätzchen. Sie sind keine achtzehn mehr, sie sollten aufhören, solange noch alles an Ihnen dran ist.«

Sechsunddreißig war eigentlich kein Alter, aber für einen Boxer war es uralt. In der Army hatte Jacob bei den Golden-Gloves-Meisterschaften geboxt. Seither war er immer Freizeitboxer gewesen. Boxen bedeutete für ihn Nervenkitzel, es bewies ihm, dass er es immer noch draufhatte. Was auch immer es war.

Doch der Sport forderte seinen Tribut. Jacob kam inzwischen nicht mehr so schnell auf die Beine wie früher. In den letzten Monaten hatte er so viele Hiebe eingesteckt, dass es kaum einen Tag gab, an dem ihm nicht alles wehtat. Watson hatte recht. Er erholte sich nicht mehr so gut wie mit zwanzig. »Ich lass es mir durch den Kopf gehen.«

Watson musterte ihn. »Blödsinn. Sie hören ja doch nicht auf.«

Damit entlockte er Jacob ein schuldbewusstes Grinsen.

Die meisten Außenstehenden – Leute, die nicht bei der Polizei waren – verstanden nicht, wie man im Angesicht des Todes über Alltägliches plaudern und so locker sein konnte. Doch diese Art Geplänkel, selbst der Humor, war ein Mittel, Dampf abzulassen, der Anspannung die Spitze zu nehmen und nicht durchzudrehen.

Jacob zog Gummihandschuhe aus der Jackentasche. »Ist die Spurensicherung noch nicht da?«

»Hing noch an einem anderen Tatort fest, soll jede Minute hier sein.«

»Gut.« Er tauchte unter dem gelben Absperrband durch und schlenderte zu seinem Partner Zack Kier hinüber.

Zack hatte das Gesicht dem eisigen Fluss zugewandt. Er war groß, breitschultrig und von schlanker Statur, die bestens zu dem von ihm so geliebten Triathlon passte. Seine Haut war für die Jahreszeit ungewöhnlich stark gebräunt, ein Souvenir von seinem Karibikurlaub, den zweiten Flitterwochen mit seiner Frau Lindsay. Sein schwarzer Mantel reichte ihm bis zu den Knien, und er trug Plastikhandschuhe über den schwarzen Fäustlingen.

»Also, was haben wir?«, fragte Jacob und zog sich die Handschuhe über.

Beim Klang von Jacobs Stimme drehte Zack sich um und nickte in Richtung des vereisten Flussufers. »Sieh es dir selbst an.«

Jacob folgte Zack die Böschung zum Fluss hinunter. Wo Wasser und Land aufeinandertrafen, lag bäuchlings eine Frau. Sie trug einen kamelfarbenen Mantel, Handschuhe und Schal, eine dunkelblaue Hose und flache Schuhe. Ihre Kleidung war völlig durchnässt. Ihre Arme waren seitlich ausgestreckt, eine behandschuhte Hand lag im Wasser, die andere an Land. Das Gesicht der Frau war dem Fluss zugewandt, und das lange, braune Haar fiel ihr wie ein dunkler Vorhang über die Wange. Kleine Wellen schwappten gegen ihren Körper.

Jacob ging auf die Leiche zu, blieb aber in drei Meter Entfernung stehen. Er wollte den Tatort nicht unnötig verändern, bevor das Team der Spurensicherung eintraf. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, der in der eisigen Luft gefror. »Wissen wir, wer sie ist?«

Zack schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. In keiner ihrer Taschen war ein Ausweis. Und eine Handtasche haben wir auch nicht gefunden.«

Jacob ging in die Hocke. Er schaute in ihr Gesicht, das größtenteils von dem dichten braunen Haar verdeckt wurde. Wie kam eine sorgfältig gekleidete Angehörige der Mittelschicht hierher? »Flussabwärts gibt es ein paar Brücken und jede Menge Docks. Selbstmord?«

Zack machte ein finsteres Gesicht. »Das dachte der erste Beamte vor Ort auch.«

Jacob runzelte die Stirn. »Und?«

»Als er ankam, hat er ihren Puls gefühlt, dazu musste er die Haare zur Seite schieben.« Zack spannte seine Kiefermuskulatur an. »Um ihren Hals sind dunkle Abdrücke.«

»Erwürgt.«

»Er hat auch an den Handgelenken Male gefunden. Sehen aus wie Scheuerwunden von einem Seil.«

Jacobs Blick wanderte zum Saum ihres Mantelärmels. Gerne hätte er den nassen Stoff hochgeschoben, um die Scheuermale selbst zu sehen, doch er würde auf die Spurensicherung warten. »Hat der Beamte die Tote sonst irgendwo angefasst?«

»Nein. Nur am Hals und am Handgelenk, um den Puls zu fühlen.«

Die Spurensicherung brauchte eine genaue Aufstellung über jeden, der die Leiche berührt hatte. »Gut.«

Jacob betrachtete das Handgelenk des Opfers. »Wer auch immer das getan hat, hat sie gefangen gehalten, bevor er sie getötet hat.«

»Das denke ich auch.«

Das Opfer war vollständig bekleidet, bis hin zu Schal und Handschuhen. Dennoch konnte es sein, dass sie ausgezogen und vergewaltigt worden war. Es kam öfters vor, dass Mörder, besonders beim ersten Mal, dem Opfer gegenüber Reue empfanden. Der Täter könnte versucht haben, ihre Würde zu wahren, indem er sie wieder anzog. »Wir müssen sichergehen, dass der Pathologe sie auf Vergewaltigung hin untersucht.«

»Ist schon veranlasst.«

Jacob beugte und streckte die rechte Hand, um die Steifheit daraus zu vertreiben. Eingehend musterte er das, was vom Gesicht des Opfers zu...