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Geopfert - Thriller

Wrath James White

 

Verlag Festa Verlag, 2019

ISBN 9783865527608 , 212 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

Unter den donnernden Trommelklängen um sie herum hielt Delilah die riesige Kobra über ihren Kopf. Verzückte Anhänger taumelten vom Loa besessen in fieberhaftem Jubel herum. In einem leiernden Sprechgesang sagten sie römisch-katholische Gebete auf, während sie sich krümmten und schüttelten, sich kratzten und zu Boden fielen, als hätten sie Krämpfe.

Der Hinterhof des weitläufigen Anwesens war von großen immergrünen Bäumen und einer drei Meter hohen Ziegelmauer umgeben, die extra dort errichtet worden war, um ihre Rituale vor neugierigen Nachbarn zu verbergen. Mit 24 Jahren war Delilah noch recht jung für eine Mambo. Ein Ehrentitel, den sie nie gewollt hatte. Ihr Fluch hatte ihn mit sich gebracht … und ihre Macht.

Delilah rezitierte Gebete auf Latein, Französisch und Yoruba. Sie sang katholische Choräle auf Latein. Ihre eindringliche, ätherische Stimme war über den Gebeten und Schreien der anderen Anhänger kaum zu hören. Ihr Herzschlag beschleunigte, um sich dem Tempo der Trommeln anzupassen. Sie spürte, wie der Dämon in ihr erwachte. Sie fühlte seine Erregung in Erwartung der bevorstehenden Opferung.

Ihrer war kein gewöhnlicher Loa. Kein Rada Loa. Die grausame Macht, die während der Zeremonien Besitz von ihr ergriff, war ein Petro, ein böser Geist. Für ihn gab es keinen römisch-katholischen Namen. Er entsprach weder irgendeinem Heiligen noch einem Engel. Delilah kannte seinen wahren Namen, wagte ihn aber nicht auszusprechen. Er war etwas, das direkt aus der Hölle stammte. Aber das kümmerte hier niemanden. Sie wollten nur seine Macht.

Ihr üppiger zimtbrauner Körper bewegte sich in die Schatten, die der Kreis von flackernden Fackeln warf, in dem die Feierlichkeiten stattfanden, und wieder heraus. Ihre langen Dreadlocks zeichneten sich vor dem Mondlicht und dem Fackelschein ab wie die Mähne eines Hengstes in vollem Galopp. Ihr Körper verkrampfte sich, zuckte und krümmte sich in einem sonderbaren, hemmungslosen Tanz. Ihre muskulösen Gliedmaßen und der Torso wanden und verrenkten sich in schmerzhaften Winkeln, während die Musik ihr Fleisch davontrug und der Dämon sich langsam in ihrem Verstand ausbreitete.

Sie hörte den Dämon seine verführerischen Lügen in die stillen Räume zwischen ihren Gedanken spucken und wiederholte sie gehorsam für ihre Jünger, wechselte vom Französischen ins Englische, als sie sie lockte, ihre Schuld und ihren Zorn zu offenbaren, ihre Ängste und ihre Reue, ihr Blut. Ihr Magen revoltierte und in ihrer Kehle stieg die Galle hoch. Sie hasste dieses Wesen, mit dem sie ihren Körper teilte, hasste das Wissen, dass es selbst ihre geheimsten Empfindungen spüren konnte, dass es ihre intimsten Gedanken hören, sie beherrschen konnte. Aber sie war von der Macht und Kontrolle abhängig, die es ihr über ihre Anhänger gab, sie war auf das Geld angewiesen, das sie ihr im Austausch gegen die Freude brachten, die sie ihnen schenken konnte.

Sie war erst zwölf gewesen, als sie den Dämon während einer der Feierlichkeiten in sich eingeladen hatte. Eigentlich war es ein Unfall gewesen. Sie war bei der Zeremonie nur Zuschauerin gewesen, hatte beobachtet, wie ihre Mutter, der Vater und ihre älteste Schwester den Loa hereinbaten und anfingen zu tanzen, zu fluchen und am Boden um sich zu schlagen. Delilah fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, so besessen zu sein wie sie, und genau da hatte er sie sich geschnappt, noch ehe sich der Gedanke vollständig in ihrem Verstand geformt hatte. Augenblicklich spürte sie seine Macht, hörte seine Gedanken, fühlte, wie er versuchte, die Kontrolle über ihren Geist zu übernehmen. Er hatte ihr einen Mordsschrecken eingejagt. Sie bat den Houngan, den Loa von ihr zu nehmen. Das war der Moment, in dem sie entdeckte, dass das kein gewöhnlicher Loa war, sondern etwas anderes. Damals hatten ihre Eltern den Wert ihrer neuen Fähigkeiten erkannt, das Geld und Prestige, das er ihnen einbringen konnte.

Sosehr sie sie auch anflehte, sie weigerten sich zu erlauben, dass der Voodoo-Priester den Dämon austrieb.

Als der Dämon die Führung übernahm, weiteten sich Delilahs Pupillen so stark, dass sie vollkommen schwarz wirkten, wie zwei sonnenlose Gruben, die in ihren Schädel gebohrt waren. Ein breites, zähnefletschendes Grinsen von einem Ohr zum anderen entstellte ihr Gesicht. Sie fuhr mit der Klinge über die Kehle der Schlange und säbelte hin und her, bis sie den Kopf vom Körper abgetrennt hatte. Blut regnete auf ihr nach oben gewandtes Gesicht herab und tröpfelte von ihrer Stirn, den Hals entlang, überschwemmte ihre Brüste.

Überall um sie herum zuckten und wirbelten nackte Gestalten im Rhythmus der Congas. Als der letzte Tropfen Blut verspritzt war, nahm ihr jemand die Schlange ab. Sie führten sie zu einer Ziege, die vor den Trommlern an einen Pfahl gekettet war. Das Tier zitterte und stampfte mit den Hufen, während Männer und Frauen im Alter zwischen 25 und 60 Jahren Fackeln schwenkend um es herumtanzten. Delilah kniete sich mit ihrem Dolch davor und schnitt ihm flink die Kehle durch. Mehr als ein Dutzend Hände streckten sich aus, um das Blut des Tieres aufzufangen, als es in einer roten Fontäne herausschoss.

Etwas in Delilah preschte vor, brüllte und griff an. Sie ließ das Messer fallen, als der Dämon in ihrem Inneren die Ziege packte und zerfetzte, mit ihren Fingernägeln große Brocken von triefendem, rotem Fleisch von den Knochen zerrte und in ihren Mund schaufelte.

Die Trommelschläge wurden langsamer, sanfter, weniger leidenschaftlich. Delilah kniete im Dreck, den abgerissenen Kopf der Ziege im Schoß. Einer nach dem anderen schnitten sich die Jünger mit Delilahs Dolch die Handgelenke auf und boten ihr ihr Blut an. Und Delilah trank vom Fleisch jedes Einzelnen, nahm ihren Hass und ihre Furcht in sich auf und ließ sie leer zurück; glücklich, mit sich im Reinen.

Als sie die letzte ihrer Sünden in sich aufsaugte, erbebte ihr Körper unter der Gewalt der Gefühle. Schreiend brach sie im Dreck zusammen. Schwitzend und zitternd zog sie die Knie an die Brust und umklammerte sie, rollte sich zu einem fötusartigen Klumpen zusammen. Ihre Züge verzerrten sich zu einer Grimasse unerträglicher Höllenqual. Tränen strömten aus ihren zugekniffenen Augen, vermischten sich mit dem Blut und bildeten rosa Rinnsale, die ihre Wangen hinunterliefen. All dieser Schmerz, die Wut und Verderbtheit wühlten ihre Gedärme auf, brannten in ihren Eingeweiden. Die Fäulnis der anderen strahlte in Schockwellen weißglühender Schmerzen in ihre Muskeln, Gelenke und inneren Organe aus. Sie sengte sich ihren Weg bis ins Mark ihrer Knochen.

Bunte Flecken tanzten vor Delilahs Augen. Sie spürte, wie sich der Dämon aus ihr zurückzog, sie mit ihrer Qual allein zurückließ. Als zwei ihrer Anhänger, ein übergewichtiges Paar mittleren Alters mit fahler, faltiger Haut und ergrauendem Haar, mit ihrer großäugigen halbwüchsigen Tochter im Schlepptau auf sie zukamen, zwang sie sich, die Augen aufzumachen. Das Mädchen hatte rote Haare, Zöpfe und Pickel. Es sah zutiefst entsetzt aus. Delilah hatte Mitleid mit ihm, aber der Schmerz war einfach zu groß. Sie packte das Kind und riss ihm brutal den Mund auf.

»Tut mir leid«, sagte sie, als all das Elend und Leid, das sie in sich aufgenommen hatte, aus ihrem Bauch heraufbrodelte und durch ihren Mund in den des bezopften Mädchens sprudelte. Keuchend und würgend sank das Mädchen auf die Knie.

Delilah fühlte sich beinahe augenblicklich besser. Sie wischte sich mit dem Arm den Mund ab, dann streckte sie die Hand aus und half dem jungen Mädchen auf die Füße. Das Mädchen wich zurück, stieß einen Schrei aus und versuchte von Delilah wegzukriechen.

»Jetzt sei schon still. Ich hab dir doch gar nicht wehgetan. Du kommst wieder in Ordnung, aber du musst mir zuhören, okay?«

»Mommyyyyy«, heulte das Mädchen.

»Du musst auf mich hören, wenn du am Leben bleiben willst.«

Das Mädchen schaute zu seinen Eltern auf, die eng umschlungen über ihnen standen. Sie wirkten verängstigt, aber glücklich. Delilah starrte sie finster an und drehte das Mädchen dann um, sodass es sie ansehen musste.

»Du musst es sofort loswerden«, beharrte Delilah. »Kannst du es in dir fühlen? Das Böse? Du musst dich davon befreien, bevor es ausbricht. Verstehst du? Du darfst nicht zulassen, dass es ausbricht, sonst passiert was Schlimmes.«

Das Mädchen weinte immer noch, nickte aber. Seine Mutter wollte es in den Arm nehmen, doch Delilah stieß sie weg. »Keiner fasst sie an. Du weißt, was sonst geschieht.«

Unvermittelt erschrocken zog die Mutter des Mädchens die Hände zurück und schlug sie um ihre Brust. Delilah musterte die Frau und ihren Ehemann, dann die anderen. Alle hatten aufgehört zu tanzen. Sogar die Trommeln waren verstummt. Ihre treuen Jünger fingen an, ihre Kleidung einzusammeln, als würden sie eben aus einem Traum oder einer langen Nacht voll Alkohol und Drogen erwachen. Hastig zogen sie sich an, wurden einmal mehr zu den Ärzten, Anwälten, Bankern, Investoren, Unternehmern, Generaldirektoren und Politikern, die sie waren. Sogar beim Ankleiden blieben ihre Augen auf Delilah und das kleine Mädchen mit den Zöpfen geheftet.

Delilah tat ihr Bestes, um die Abscheu zu verbergen, die sie für sie empfand. Wie können sie ihren eigenen Kindern das nur antun? Ist es das wert? Fühlt es sich wirklich so gut an?, fragte sie sich, aber sie würde es nie erfahren. Nie ihre Erleichterung spüren. Alles, was sie je spüren würde, war ihr Schmerz.

»Mommy? Daddy?«, kreischte das Mädchen und streckte die Hand nach seinen Eltern...