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Drei Bethanys - Thriller

Jeff Abbott

 

Verlag Festa Verlag, 2020

ISBN 9783865528018 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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5,99 EUR


 

2

Eine Stunde später wurden Mariah und ihr Dad von einem Taxi an der Einfahrt ihres bescheidenen Heims nicht weit von der Lakehaven High School abgesetzt. Es war ein in den 60er-Jahren erbautes Ranchhaus auf einem Hügel, die Sorte Haus, die in diesem Teil von Lakehaven immer häufiger abgerissen und durch wesentlich protzigere, auf das Grundstück gequetschte Fertigvillen ersetzt wurde. Manchmal, wenn Mariah nach Hause kam, sah sie ihren Vater am Fenster stehen und hinausschauen, ob vor irgendeinem Nachbarhaus hier am Bobtail Drive ein neues ZU VERKAUFEN-Schild stand. In den letzten Jahren hatte es einige davon gegeben. Leute, die aus der Nachbarschaft der Dunnings flohen und aus dem Renovierungshype Profit schlugen. Mariah fragte sich, ob ihr Vater sich Sorgen über eine neue Abrisswelle und eine Erhöhung seiner Grundsteuer machte oder ob er lediglich auf neue Nachbarn hoffte, solche, die nichts vom Verschwinden seiner Frau wussten. Nachbarn, die ihn nicht mit diesem schmallippigen Lächeln ansahen, das zu fragen schien: Wie hast du es getan, Craig? Wie hast du die Leiche entsorgt? Der Klatsch schien immer mit dem Haus weiterverkauft zu werden; die neuen Nachbarn sagten nie Hallo, wenn Mariah oder ihr Vater draußen vor dem Haus war oder in der Einfahrt ein paar Körbe warf.

Heute hatte sie es geschafft, ihn aus dem Haus zu locken, zum ersten Mal seit Wochen, und es war gründlich in die Hose gegangen.

Mariah war gleich nach dem Verschwinden ihrer Mutter wieder nach Hause gezogen, und ihr war klar, dass sie sich eigentlich eine eigene Wohnung suchen sollte, aber sie konnte nicht. Sie fühlte sich noch nicht bereit, Dad zu verlassen – ihn allein zu lassen. Ihren Abschluss in Informatik an der University of Texas hatte sie so schnell sie konnte über die Bühne gebracht; sie überließ Dad nicht gern sich selbst, auch nicht, um Seminare und Vorlesungen zu besuchen. Ihre Professoren hatten ihr gestattet, Gruppenaufgaben allein zu erledigen, was zwar schwieriger war, aber so musste sie ihn nicht in seiner privaten Finsternis versauern lassen.

Mariah und ihr Dad standen allein gegen die Polizei und den Rest der Welt. Und Partys und gemeinnützige Projekte und all die anderen lebenslauftauglichen und spaßigen Aktivitäten des Studiums interessierten Mariah nicht mehr, hatten durch das Verschwinden ihrer Mutter jeden Reiz verloren. Es war zu schwierig, es Leuten mit einer unbefleckten Vergangenheit und einer strahlenden Zukunft zu erklären: Na ja, weißt du, meine Mom ist spurlos verschwunden und nein, wir wissen nicht, ob sie ermordet oder entführt wurde oder ob sie einfach abgehauen ist, und mein Dad war der Hauptverdächtige für ihr Verschwinden, aber ihm konnte nichts nachgewiesen werden, deshalb leben wir quasi in einem Schwebezustand. Was ist dein Hauptfach?

Und jetzt spürte Mariah, wie sich heiße Scham in ihrem ganzen Körper ausbreitete und ihr Gesicht rot anlief. Sie hatte die Kontrolle verloren. Die Kontrolle, die sie so mühsam für die Augen der Welt aufrechterhalten hatte. Und jetzt wusste Dad es. Die Sachen im Kofferraum, die Schachtel mit den Zeitungsausschnitten über ihre Mutter, die Waffen und der Polizeischlagstock und der Elektroschocker, der Laptop mit Software zum Aufspüren und Finden von Menschen. Sie hatte es alles der Polizei erklären müssen, vor den Augen ihres Vaters, nachdem er ebenfalls aufs Revier gebracht worden war. Sie hätte argumentieren können, dass sie eigentlich gar nichts erklären musste. Aber indem sie den Polizisten alles erzählte, erregte sie deren Mitleid, und man hatte sie ohne formelle Anklage gehen lassen. Einer der Polizisten hatte ihren Vater die ganze Zeit angestarrt: Oh, sie alle kannten Craig Dunning.

In ihren Augen war er schuldig. Der Mann, der mit einem Mord davongekommen war.

Dad holte einen Krug Eistee aus dem Kühlschrank, mit schlurfenden Schritten, er ging wie ein Mann, der eine zu schwere Last trägt. Craig Dunning war früher Footballspieler an der Lakehaven High School gewesen und später als Stipendiat am Rhodes College oben in Memphis. Er war ein breitschultriger blonder Mann mit blauen Augen und einem markanten Gesicht. Auf dem College hatte er sich ein paar Dollar als Model für einige Versandhäuser für Südstaatenmode verdient; Mom hatte eine Mappe mit Fotos von ihm aus der Zeit aufbewahrt, was ihm zutiefst peinlich gewesen war und Mariah aufs Köstlichste amüsierte. Sie tat gerne so, als wäre sie entsetzt von den Aufnahmen, auf denen er in züchtiger Badebekleidung und Anzügen und Pullovern mit Zopfmustern posierte, und immer wenn sie eins seiner Modelfotos sah, achtete sie darauf, auch ja so etwas zu sagen wie: Uäh, ich dachte, es geht darum, die Sachen zu verkaufen?! Denn natürlich wusste er, dass sie ihn nur aufziehen wollte. Ihr schöner Dad.

Es hatte kein Interesse seitens der Talentsucher der Profifootballteams bestanden, und so hatte er seine Pokale und Enttäuschungen auf ein Regal verbannt und einen Abschluss in Buchhaltung gemacht und sich zum Teilhaber einer landesweit tätigen Steuerberatungsfirma hochgearbeitet. Jetzt arbeitete er in ›beratender Tätigkeit‹, was bedeutete, dass er nicht mehr in das Büro im Zentrum von Austin ging oder einen Anzug trug, und dass die Firma ihm Arbeiten übertrug, die er größtenteils von zu Hause aus erledigen konnte. Manchmal riss er sich gut genug zusammen, um zu einer Besprechung oder einem Meeting zu gehen; aber er nahm nicht mehr an den Betriebsfeiern des Unternehmens teil oder dem Picknick am 4. Juli. Heute war er abgemagert, seine Wangen eingefallen, sein Haar von aschgrauen Strähnen durchzogen. Er hatte nur eine einzige Frau in seinem Leben geliebt, und ihr Verlust hatte sich auch körperlich bemerkbar gemacht. Er war noch immer ein gut aussehender Mann; aber die innere Freude, die einst sein hervorstechendstes körperliches Merkmal, sein Lächeln, so sehr belebt hatte, war verschwunden. Mariah kam er vor wie ein Gemälde, das man betrachtete und sagte, ja, die Striche sind alle richtig proportioniert, die Farben stimmen, aber irgendetwas fehlt.

»Du hattest Glück, dass Broussard keine Anzeige erstattet hat«, sagte Craig. Der Polizeichef von Lakehaven, Dennis Broussard, hatte sich Craigs Schilderung von Mariahs ›Verwirrung‹ mit eisernem Schweigen angehört.

Ja, wir werden zusehen, dass sie wieder eine Therapie macht. Nein, sie hat sich zuvor noch nie eingebildet, ihre Mutter zu sehen. Es ist nur der Stress.

Dabei ignorierte Dad die Blicke der Polizisten, die in ihm einen möglichen Mörder sahen. Und hier saß seine Tochter, mit einem Kofferraum voller Waffen und Ausrüstung, als würde sie einen Raubüberfall planen oder einen Bankraub.

Sind Sie damit einverstanden, dass wir Ihren Wagen durchsuchen?, hatte die Polizei gefragt, und Mariah hatte Ja gesagt. Was hätte sie auch sonst sagen sollen? Ein Abschleppdienst hatte bereits ihren Ford und den Streifenwagen abgeholt.

»Du hättest ihnen nicht die Erlaubnis geben sollen, deinen Wagen zu filzen«, sagte Craig, als könnte er ihre Gedanken lesen. »Es gibt überhaupt keinen Grund dafür. Sie könnten dir Drogen unterschieben oder so etwas.«

»Dad. So was werden die nicht machen. Sei realistisch.«

»Sie hassen uns. Oder mich, besser gesagt.«

»Ich hatte keine Wahl. Es war meine Schuld, Dad.«

»Du … du brauchst diese ganzen Waffen und die anderen Sachen nicht. Und dann sagst du auch noch, dass die dafür da sind, Moms Entführer zur Strecke zu bringen! So was sagt man der Polizei nicht. Die mögen es nicht, wenn man versucht, ihren Job zu erledigen. Es ist gefährlich, Mariah. Wundert mich, dass sie dich nicht verhaftet haben.«

»Die Polizei mag uns so oder so nicht.«

»Sie mag mich nicht«, korrigierte Craig. »Mit dir haben sie Mitleid. Vor allem Broussard.«

Ein paarmal hatte Mariah gesehen, wie Broussard in seinem Privatwagen langsam an ihrem Haus vorbeigefahren war. Als wäre er gerne hereingekommen. Oder als wollte er nur ihren Vater im Auge behalten. Es war Broussard gewesen, der – von einem der Polizisten an den Ort des Geschehens gerufen, weil die Dunnings beteiligt waren und Mariah behauptet hatte, auf der Suche nach ihrer vermissten Mutter zu sein – beim Einkaufszentrum angehalten hatte, um den gestrandeten Craig einzusammeln und zum Revier zu bringen. Mariah konnte sich vorstellen, dass es für die beiden Männer ein paar unbehagliche Minuten gewesen sein mussten, gemeinsam in dem Fahrzeug. Ihr Vater hatte nichts darüber gesagt.

Craig goss für sie beide Eistee ein und Mariah nahm ihr Glas mit zitternder Hand. Sie musste fragen. »Hast du sie gesehen?« Sie hoffte, dass er sagte: Ja, sie sah ein bisschen aus wie Mom. Ich kann verstehen, warum du dachtest, dass sie es ist.

»Nein, Liebling, ich habe sie nicht gesehen.« Craig klang müde. Nicht verärgert. Nicht genervt. Nur erschöpft.

»Hast du den blauen Honda gesehen?«

»Die Polizisten sagten, sie hätten ihn gesehen, aber nicht den Fahrer.« Craigs Stimme wurde sanfter. »Wahrscheinlich war es nur eine unschuldige Frau, die in Panik geriet, als du hinter ihr her ranntest.«

Es war Mom, wollte Mariah sagen, aber sie tat es nicht. Er glaubte ihr nicht. Niemand glaubte ihr. Eine Minute lang saßen sie schweigend da.

»Ich frage mich, ob es am Parkplatz des Einkaufszentrums wohl Überwachungskameras gibt.« Mariah hatte sich beruhigt, war nachdenklicher geworden. »Ich könnte mal nachfragen.«

Craig holte tief Luft.

»Mariah, hör auf. Du wirst...