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In die Sonne schauen - Wie man die Angst vor dem Tod überwindet

Irvin D. Yalom

 

Verlag btb, 2009

ISBN 9783641025434 , 272 Seiten

Format ePUB

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9,99 EUR

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Kapitel 1
Die Wunde der Sterblichkeit
Trauer ergreift mein Herz.

Ich fürchte mich vor dem Tod.
GILGAMESCH
 

 

 

 

Selbstbewusstheit ist eine hohe Gabe, ein Schatz, so wertvoll wie das Leben. Sie macht uns menschlich, doch hat sie einen hohen Preis: die Wunde der Sterblichkeit. Unsere Existenz ist für immer von dem Wissen überschattet, dass wir wachsen, gedeihen und unausweichlich welken und sterben werden.
Die Sterblichkeit hat uns seit Anbeginn der Geschichte verfolgt. Vor viertausend Jahren reflektierte der babylonische Held Gilgamesch den Tod seines Freundes Enkidu folgendermaßen: »Du bist dunkel geworden und kannst mich nicht hören. Werde ich nicht wie Enkidu sein, wenn ich sterbe? Trauer ergreift mein Herz. Ich fürchte mich vor dem Tod.«
Gilgamesch spricht für uns alle. Wie er den Tod fürchtete, so fürchten auch wir ihn – jeder Mann, jede Frau, jedes Kind. Für einige von uns manifestiert sich die Furcht vor dem Tod nur indirekt, entweder als allgemeine Beunruhigung oder als sonstiges psychologisches Symptom verkleidet; andere Menschen erleben die Angst vor dem Tod sehr deutlich und bewusst; und bei manchen von uns bricht sich die Furcht vor dem Tod Bahn in einer panischen Angst, die jedes Glück und jede Erfüllung zunichte macht.
Seit ewigen Zeiten haben grübelnde Philosophen versucht, die Wunde der Sterblichkeit zu bedecken und uns zu helfen, ein Leben in Harmonie und Frieden zu führen. Als Psychotherapeut, der viele Personen behandelt, die an Todesfurcht leiden, habe ich festgestellt, dass die alten Weisheitslehren, vor allem die der antiken griechischen Philosophen, heutzutage nach wie vor relevant sind.
Tatsächlich begreife ich in meiner Arbeit als Therapeut nicht so sehr die großen Psychiater und Psychologen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts – Pinel, Freud, Jung, Pawlow, Rorschach und Skinner – als meine intellektuellen Vorfahren, sondern eher die klassischen griechischen Philosophen, speziell Epikur. Je mehr ich über diesen außergewöhnlichen Athener Denker lerne, desto stärker erkenne ich in ihm den proto-existenziellen Psychotherapeuten, und ich werde mich im vorliegenden Werk seiner Gedanken bedienen.
Er wurde im Jahre 341 v. Chr., sechs Jahre nach Platos Tod, geboren und starb 270 v. Chr. Die meisten Leute sind mit seinem Namen durch das Wort Epikureer oder epikureisch vertraut, das eine Person bezeichnet, die sich verfeinertem Sinnengenuss verschrieben hat (speziell gutem Essen und Trinken). Doch in der historischen Wirklichkeit plädierte Epikur nicht für sinnenfreudiges Vergnügen – es ging ihm weitaus mehr um die Erlangung der Seelenruhe, der Ataraxie.
Epikur praktizierte »medizinische Philosophie« und beharrte darauf, dass der Philosoph, gleich dem Arzt, der den Körper behandelt, die Seele behandeln muss. In seinen Augen gab es nur ein wirkliches Ziel von Philosophie: das menschliche Leid zu lindern. Und die Grundwurzel des Elends? Epikur glaubte, dass es unsere allgegenwärtige Furcht vor dem Tod sei. Die erschreckende Vision des unausweichlichen Todes, so sagte er, störe die Lebensfreude und lasse keine Freude ungetrübt. Um die Furcht vor dem Tod zu lindern, entwickelte er einige wirksame Gedankenexperimente, die mir persönlich geholfen haben, mich mit der Todesfurcht auseinanderzusetzen, und die das Handwerkszeug liefern, das ich benutze, um meinen Patienten zu helfen. Im Folgenden beziehe ich mich häufig auf diese wertvollen Ideen.
Meine persönliche Erfahrung und meine klinische Arbeit haben mich gelehrt, dass die Furcht vor dem Sterben im Laufe des Lebenszyklus schwankt. Bereits im frühen Kindheitsalter können wir nicht umhin, die Anzeichen von Sterblichkeit zu bemerken, die uns umgeben – tote Blätter, Insekten und Haustiere, Großeltern, die verschwinden, trauernde Eltern, endlos große Friedhöfe mit Grabsteinen. Kinder mögen das einfach beobachten, sich fragen und, dem Beispiel ihrer Eltern folgend, Stillschweigen bewahren. Wenn sie ihrer Angst offen Ausdruck verleihen, ist das ihren Eltern spürbar unangenehm, und sie beeilen sich natürlich, Trost zu spenden. Manchmal versuchen die Erwachsenen, besänftigende Worte zu finden, die ganze Sache in eine ferne Zukunft zu transportieren oder die Angst des Kindes mit Geschichten von Wiederauferstehung, ewigem Leben und einem Wiedersehen im Himmel zu besänftigen, alles Dinge, die den Tod negieren.
Die Furcht vor dem Tod begibt sich normalerweise im Alter von sechs Jahren bis zur Pubertät in den Untergrund, es sind jene Jahre, die Freud die Periode der latenten Sexualität nannte. Danach, in der Jugend, bricht die Furcht vor dem Tod gewaltsam aus: Teenager sind oft extrem mit dem Tod beschäftigt, einige denken an Selbstmord. Viele Heranwachsende heute reagieren auf die Todesfurcht, indem sie sich in ihrem virtuellen Leben – in ihrem zweiten Leben -, etwa in gewalttätigen Videospielen, zu Meistern über den Tod machen. Andere trotzen dem Tod mit Galgenhumor und todesverachtenden Liedern oder indem sie Horrorfilme mit Freunden anschauen. In meiner frühen Jugend ging ich zweimal in der Woche in ein kleines Kino, das in der Nähe des Ladens meines Vaters lag, wo ich mich zusammen mit meinen Freunden durch Horrorfilme schrie und die endlosen Filme, die die Barbarei des Zweiten Weltkriegs darstellten, begaffte. Ich erinnere mich, wie ich still erschauerte angesichts des schieren Zufalls, 1931 geboren worden zu sein und nicht vier Jahre zuvor wie mein Cousin Harry, der dem Gemetzel bei der Invasion der Normandie zum Opfer fiel.
Manche Jugendliche trotzen dem Tod, indem sie waghalsige Risiken eingehen. Einer meiner männlichen Patienten – der mehrere Phobien und eine alles durchdringende Angst hatte, jeden Moment könne eine Katastrophe passieren – erzählte mir, dass er mit sechzehn mit dem Fallschirmspringen begonnen hatte und Dutzende Male abgesprungen war. Nun, mit Blick zurück, meinte er, dass es eine Form war, mit seiner anhaltenden Angst vor der eigenen Sterblichkeit umzugehen.
Im Laufe der Jahre werden die jugendlichen Todesängste von den zwei Hauptaufgaben des jungen Erwachsenenlebens beiseite geschoben: Karriere machen und eine Familie gründen. Drei Jahrzehnte später, wenn die Kinder das Haus verlassen und das Berufsleben sich seinem Ende zuneigt, ereilt uns die Midlife-Crisis, und die Furcht vor dem Tod bricht erneut mit aller Macht aus. Wenn wir den Gipfel des Lebens erreichen und den Pfad vor uns betrachten, begreifen wir, dass der Pfad nicht länger ansteigt, sondern nach unten geht und sich seinem Ende nähert. Von diesem Punkt an sind die Gedanken an den Tod niemals fern.
Es ist nicht leicht, jeden Augenblick in vollem Bewusstsein des Todes zu leben. Das ist so, als versuche man, der Sonne ins Gesicht zu schauen, was sich nur begrenzt aushalten lässt. Da wir vor Angst gelähmt nicht leben können, entwickeln wir Methoden, den Schrecken des Todes abzumildern. Wir projizieren uns durch unsere Kinder in die Zukunft; wir werden reich, berühmt, wachsen sogar an Umfang; wir entwickeln zwanghafte Schutzrituale oder machen uns einen unumstößlichen Glauben an den ultimativen Retter zu Eigen.
Manche Menschen – höchst überzeugt von ihrer Immunität – leben heldenhaft, oft ohne Rücksicht auf andere oder auf sich selbst. Andere sind bemüht, die schmerzhafte Isoliertheit des Todes durch Verschmelzung zu überwinden – mit einer geliebten Person, einer Sache, einer Gemeinschaft, einem göttlichen Wesen. Todesfurcht ist die Mutter aller Religionen, die auf die eine oder andere Weise versuchen, die Pein unserer Endlichkeit in Schranken zu halten. Gott, überkulturell formuliert, mildert häufig nicht nur den Schmerz der Sterblichkeit durch irgendeine Vision von ewigem Leben, sondern lindert auch die furchterregende Isolation durch die Option einer ewigen Präsenz und liefert einen klaren Plan für ein sinnvolles Leben.
Doch trotz der standhaftesten, ehrenwertesten Abwehrmaßnahmen können wir die Furcht vor dem Tod niemals völlig bändigen: Sie ist immer da und lauert in irgendeiner versteckten Spalte des Verstandes. Vielleicht können wir, wie Plato sagt, den tiefsten Teil unseres Selbst nicht belügen.
Wäre ich ein Bürger des alten Athen um 300 v. Chr. gewesen (oft das Goldene Zeitalter der Philosophie genannt) und von Todespanik oder einem Alptraum heimgesucht worden, an wen hätte ich mich gewandt, um meinen Geist aus dem Netz der Angst zu befreien? Höchstwahrscheinlich wäre ich zur Agora getrottet, einem Teil des antiken Athen, wo viele wichtige Philosophieschulen ihren Sitz hatten. Ich wäre an der Akademie vorbeigegangen, die, von Plato gegründet, nun von seinem Neffen Speusippos geleitet wurde, und auch am Lyzeum, der Schule des Aristoteles, einst Platos Schüler, doch philosophisch zu abweichend, um zu seinem Nachfolger ernannt zu werden. Ich hätte die Schulen der Stoiker und der Zyniker passiert und jeden Wanderphilosophen auf der Suche nach Schülern ignoriert. Schließlich hätte ich den Garten Epikurs erreicht, und dort, denke ich, hätte ich Hilfe gefunden.
Wohin wenden sich Menschen mit unkontrollierbarer Todesfurcht heutzutage? Manche suchen bei ihrer Familie und ihren Freunden Hilfe, andere wenden sich an ihre Kirche oder an Therapeuten, und wieder andere konsultieren vielleicht ein Buch wie dieses. Ich habe eine Vielzahl von Personen behandelt, die der Tod in Angst und Schrecken versetzte. Ich glaube, dass die Beobachtungen, Reflexionen und Maßnahmen, die ich in lebenslanger therapeutischer Arbeit entwickelt habe, denjenigen bedeutende Hilfe und...