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Bevor der Abend kommt - Roman

Joy Fielding

 

Verlag Goldmann, 2009

ISBN 9783641028091 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1
 

 

Der Morgen begann wie so oft mit einem Streit. Als es später wichtig wurde, sich an den genauen Ablauf der Ereignisse zu erinnern und daran, wie alles so mühelos außer Kontrolle geraten war, sollte Cindy angestrengt versuchen, sich zu vergegenwärtigen, worüber genau sie und ihre ältere Tochter gestritten hatten. Den Hund, die Dusche, die bevorstehende Hochzeit ihrer Nichte – alles würde völlig belanglos klingen, nicht wert, dass man laut wurde und erhöhten Blutdruck bekam. Ein Schwall von Worten, der über ihre Köpfe hinwegwehte wie ein plötzlicher Sturm, Schäden verursachte, die Fundamente aber intakt ließ. Jedenfalls bestimmt nichts Außergewöhnliches. Der Beginn eines normalen Tages. Zumindest hatte es da noch so ausgesehen.
(Regieanweisung: Cindy in dem schmuddeligen grünblauen Frottébademantel, den sie sich gekauft hatte, kurz nachdem Tom gegangen war, kommt aus ihrem Schlafzimmer und trocknet sich ihr kinnlanges, braunes Haar ab; Julia am anderen Ende des Flures im ersten Stock, ein gelb-weiß gestreiftes Handtuch um den Körper gewickelt, läuft vor der Badezimmertür zwischen ihrem Zimmer und dem ihrer Schwester auf und ab, Ungeduld brodelt aus ihrem gertenschlanken, ein Meter achtzig langen Körper wie Lava aus einem Vulkan; Elvis, der permanent struppige, apricotfarbene Wheaten-Terrier, den Julia bei ihrem Wiedereinzug zu Hause vor knapp einem Jahr mitgebracht hat, bellt und hüpft in die Luft schnappend neben ihr hoch.)
»Heather, was in Gottes Namen machst du da drinnen?« Julia hämmerte an die Badezimmertür, erhielt keine Antwort und hämmerte erneut.
»Hört sich an, als würde sie duschen«, bemerkte Cindy und bereute noch im selben Moment, sich überhaupt eingemischt zu haben.
Julia starrte ihre Munter unter dem Mob ihrer aschblonden Haare hinweg an, die sie jeden Morgen mühsam glatt föhnte, um jede Andeutung ihrer natürlichen Locken zu tilgen. »Offensichtlich.«
Cindy staunte, dass ein Wort so viel Gehässigkeit transportieren, so viel Verachtung mitteilen konnte. »Ich bin sicher, sie ist gleich fertig.«
»Sie ist schon seit einer halben Stunde da drinnen. Und für mich ist dann kein heißes Wasser mehr übrig.«
»Es ist bestimmt noch jede Menge heißes Wasser da.«
Julia schlug mit der Faust ein drittes Mal gegen die Badezimmertür.
»Hör auf, Julia. Wenn du nicht aufpasst, machst du sie noch kaputt.«
»Ja, klar. Als ob ich eine Tür einschlagen könnte.« Wie zum Beweis hämmerte sie erneut gegen die Tür.
»Julia …«
»Mutter …«
Patt, dachte Cindy. Wie üblich. So war es zwischen ihnen beiden gewesen, seit Julia zwei Jahre alt war und sich gesträubt hatte, das weiße Rüschenkleid anzuziehen, dass Cindy ihr zum Geburtstag gekauft hatte. Selbst nachdem Cindy ihre Niederlage eingestanden und ihr erklärt hatte, sie könne anziehen, was sie wolle, hatte die störrische Kleine sich geweigert, an ihrer eigenen Party teilzunehmen.
Mittlerweile waren neunzehn Jahre vergangen, Julia war einundzwanzig, und nichts hatte sich geändert.
»Bist du mit dem Hund draußen gewesen?«, fragte Cindy.
»Wann hätte ich denn das machen sollen?«
Cindy gab sich Mühe, den sarkastischen Unterton in der Stimme ihrer Tochter zu überhören. »Nach dem Aufstehen, so wie es sich gehört.«
Julia verdrehte ihre großen grünen Augen zur Decke.
»Wir hatten eine Abmachung«, erinnerte Cindy sie.
»Ich gehe später mit ihm raus.«
»Er ist schon die ganze Nacht hier drinnen eingesperrt. Wahrscheinlich muss er dringend raus.«
»Er kommt schon klar.«
»Ich will keine weiteren Unfälle.«
»Dann geh du doch mit ihm«, fauchte Julia. »Ich bin nicht gerade passend gekleidet für einen Spaziergang.«
»Sei nicht so stur.«
»Sei nicht so anal.«
»Julia …«
»Mutter …«
Patt.
Julia schlug mit der flachen Hand gegen die Badezimmertür. »Okay, Schluss jetzt. Alle raus aus dem Becken.«
Cindy empfand die Schwingung von Julias Hand auf der Tür wie eine Ohrfeige. Sie fasste sich an die Wange und spürte das Brennen. »Das reicht, Julia. Sie kann dich nicht hören.«
»Das macht sie absichtlich. Sie weiß, dass ich heute ein wichtiges Casting habe.«
»Du hast ein Casting.«
»Für Michael Kinsolvings neuen Film. Er ist wegen des Filmfestivals in der Stadt und hat sich zu einem Casting für junge Talente aus der Gegend bereit erklärt.«
»Das ist ja toll.«
»Dad hat es arrangiert.«
Cindy zwang sich zu einem Lächeln mit zusammengebissenen Zähnen.
»Du machst es schon wieder.« Julia imitierte den gequälten Gesichtsausdruck ihrer Mutter. »Wenn du jedes Mal einen Anfall kriegst, wenn ich Dad erwähne …«
»Ich kriege keinen Anfall.«
»Die Scheidung ist jetzt sieben Jahre her, Mom. Komm drüber weg.«
»Ich versichere dir, dass ich gründlich über deinen Vater weg bin.«
Julia zog eine ihrer dünnen, sorgfältig gezupften Augenbrauen hoch. »Wie auch immer, sie suchen eine Unbekannte, was wahrscheinlich heißt, dass jedes Mädchen in Nordamerika die Rolle haben will. Heather, Herrgott noch mal«, brüllte Julia, während die Dusche stotternd versiegte. »Du bist nicht die Einzige, die hier wohnt!«
Cindy starrte auf den dicken cremefarbenen Läufer. Es war noch nicht ganz ein Jahr her, dass Julia beschlossen hatte, nach sieben Jahren Zusammenleben mit ihrem Vater, zu ihrer Mutter und ihrer Schwester heimzukehren, und das auch nur, weil die neue Frau ihres Vaters zu verstehen gegeben hatte, dass das 450-Quadratmeter-Penthouse mit Seeblick für drei Personen zu klein war. Julia hatte ihrer Mutter ebenso deutlich gemacht, dass sie nur vorübergehend und aus finanzieller Notwendigkeit wieder zu Hause eingezogen war und sich eine eigene Wohnung nehmen würde, sobald ihre geplante Schauspielkarriere begonnen hatte. Cindy hatte ihre Tochter dankbar mit offenen Armen aufgenommen, um die verpasste Zeit, all die verlorenen Jahre wettzumachen, dass sogar der Anblick von Julias widerspenstigem, auf den Wohnzimmerteppich pinkelndem Hund ihre anfängliche Begeisterung nicht dämpfen konnte.
Die Tür zu Heathers Zimmer ging auf, und ein Teenager in einem knielangen lila Nachthemd mit kleinen rosa Herzchen blinzelte verschlafen in den Flur. Zarte lange Finger schoben ungebändigte Locken aus dem schmalen Botticelli-Gesicht und rieben die sommersprossengesprenkelte Stupsnase. »Was ist denn das für ein Lärm?«, fragte das Mädchen, während Elvis hochsprang, um ihr Kinn abzulecken.
»Oh, verdammt noch mal«, murmelte Julia wütend, als sie ihre Schwester sah, und trat mit dem nackten Fuß gegen die Badezimmertür. »Duncan, beweg deinen knochigen Arsch da raus.«
»Julia …«
»Mutter …«
»Duncans Arsch ist nicht knochig«, meinte Heather.
»Ich kann nicht glauben, dass ich zu spät zu meinem Casting komme, weil der schwachsinnige Freund meiner Schwester meine Dusche benutzt.«
»Es ist nicht deine Dusche, er ist nicht schwachsinnig, und er wohnt schon länger hier als du«, protestierte Heather.
»Ein Riesenfehler«, sagte Julia und sah ihre Mutter vorwurfsvoll an.
»Sagt wer?«
»Dad.«
Cindys Lippen verzogen sich mechanisch zu dem künstlichen Lächeln, mit dem sie jede Erwähnung ihres Ex-Mannes kommentierte. »Damit fangen wir jetzt lieber nicht an.«
»Fiona findet das auch«, beharrte Julia. »Sie sagt, sie kann nicht verstehen, was dich geritten hat, ihn hier einziehen zu lassen.«
»Ich hoffe, du hast dem dämlichen Spatzenhirn gesagt, sie soll sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.« Die wütenden Worte drängten förmlich über Cindys Lippen, selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sie sie nicht zurückhalten können.
»Mom!« Heather riss entsetzt ihre dunkelblauen Augen auf.
»Also wirklich, Mutter«, sagte Julia und verdrehte ihre grünen Augen erneut zur Decke.
Es war das »wirklich«, was Cindy den Rest gab. Es traf sie wie ein Pfeil ins Herz, und sie musste sich an der Wand abstützen. Und als wollte auch er noch dringend seinen Kommentar abgeben, hob Elvis ein Bein und pinkelte gegen die Badezimmertür.
»Oh nein!«
Cindy starrte ihre ältere Tochter wütend an.
»Guck mich nicht so an. Du warst schließlich diejenige, die geflucht und ihn damit so aufgeregt hat.«
»Mach es einfach weg.«
»Ich habe keine Zeit, es wegzumachen. Mein Vorsprechtermin ist um elf Uhr.«
»Es ist halb neun!«
»Du hast ein Casting?«, fragte Heather ihre Schwester.
»Michael Kinsolving ist zum Filmfestival in der Stadt und hat beschlossen, ein paar Schauspielerinnen von hier für seinen neuen Film zu casten. Dad hat es arrangiert.«
»Cool«, meinte Heather, und erneut verzogen sich Cindys Lippen zu einem frostigen Lächeln.
Die Badezimmertür ging auf und entließ eine Dampfwolke in den Flur, gefolgt von der großen, schlanken Gestalt Duncan Rossis. Seine dunkle Haare fielen ihm in die verschmitzen braunen Augen, und er trug nichts weiter als ein kleines weißgelbes Handtuch um die Hüften und ein schräges Lächeln im Gesicht. Rasch verschwand er in dem Zimmer, das er sich seit beinahe zwei Jahren mit Cindys jüngerer Tochter teilte. Die ursprüngliche Verabredung war natürlich gewesen, dass er einen leeren Raum im Keller bezog, ein...