dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Liebesnacht mit einem Mörder - Roman

J.D. Robb

 

Verlag Blanvalet, 2009

ISBN 9783641028305 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

1
Sie träumte vom Tod.
Das schmutzig-rote Licht des Neonschildes pulsierte wie ein zornbebendes Herz hinter dem verschmierten Fenster. Sein Blinken ließ den blutbefleckten Boden wechselweise hell und dunkel schimmern und zeigte in steter Regelmäßigkeit die Konturen des schmuddeligen kleinen Zimmers, ehe es wieder in totaler Finsternis versank.
Das magere kleine Mädchen mit dem wirren braunen Haar und den großen Augen in der Farbe des Whiskey, den er, wenn er ihn sich leisten konnte, allzu gerne trank, kauerte in einer Ecke. Schmerz und Schock hatten die Augen glasig werden lassen, und sie hatte eine totengleiche wächserngraue Haut. Hypnotisiert von dem blinkenden Licht, starrte sie auf die Wände, auf den Boden und immer wieder auf ihn.
Ihn, der in seinem eigenen Blut auf dem verkratzten Boden lag.
Aus ihrer Kehle drang ein leises Wimmern.
Und in der Hand hielt sie das bis zum Griff mit Blut getränkte Messer.
Er war tot. Sie wusste, er war tot. Der faulige Gestank der Eingeweide dieses Mannes vergiftete die Luft. Sie war ein Kind, ein kleines Kind, doch das Tier in ihrem Innern erkannte den Geruch, und er rief gleichermaßen Angst wie stumme Freude in ihr wach.
Sie spürte das Stechen ihres von ihm gebrochenen Arms und das Brennen zwischen ihren Beinen, das die Folge seiner letzten Vergewaltigung des eigenen Kindes war. Nicht alles Blut stammte von ihm.
Doch er war tot. Es war vorbei. Endlich war sie befreit.
Da drehte er langsam, wie eine Marionette, seinen Kopf, und das Grauen verdrängte ihren Schmerz.
Er glotzte sie an, während sie sich mit einem leisen Aufschrei tiefer in die Ecke drückte, um aus seiner Reichweite zu gelangen, und verzog den toten Mund zu einem widerlichen Grinsen.
Du wirst mir nie entkommen, kleines Mädchen. Ich bin ein Teil von dir. Für immer. Tief in deinem Inneren. Und das für alle Zeiten. So, und jetzt muss Daddy dich bestrafen.
Er stemmte sich mit den Händen und den Knien vom Boden ab. Blut troff in dicken Tropfen von seinem Gesicht, seinen Hals entlang, glitt obszön über seine Arme auf die Erde. Als er auf die Füße kam und anfing, durch das Blut auf seine Tochter zuzuwaten, schrie sie in nacktem Entsetzen auf.
Und wurde davon wach.
Sie verbarg das Gesicht zwischen den Händen, hielt sich, um den Schrei zu unterdrücken, der brennend aus ihrer Kehle drängte, fest den Mund zu und zuckte bei jedem Atemzug qualvoll zusammen.
Die Angst verfolgte sie, blies ihr eisig in den Nacken, doch sie kämpfte dagegen an. Sie war nicht mehr das hilflose Kind von damals. Sie war eine erwachsene Frau, eine Polizistin, die wusste, wie man schützte und verteidigte. Auch wenn sie selbst das Opfer war.
Sie war nicht allein in irgendeinem grässlichen, mickrigen Zimmer, sondern in ihrem eigenen Haus. Roarkes Haus. Roarke.
Indem sie sich auf diesen Namen konzentrierte, schaffte sie es, sich allmählich zu beruhigen.
Da er unterwegs war, hatte sie den Liegesessel in ihrem Arbeitszimmer als Schlafstätte gewählt. In ihrer beider Bett konnte sie nur schlafen, wenn er bei ihr war. Die Träume kamen so gut wie nie, wenn er neben ihr schlief. Wenn sie jedoch allein war, peinigten sie sie mit fürchterlicher Konstanz.
Sie hasste diese Abhängigkeit fast genauso wie sie diesen Menschen liebte.
Sie richtete sich auf und zog den äußerst gut genährten grauen Kater, der sie aus halb geöffneten, zweifarbigen Augen anblinzelte, Trost suchend an ihre Brust. Galahad war zwar ihre Alpträume gewöhnt, doch behagte es ihm gar nicht, wenn sie ihn deshalb um vier Uhr morgens weckte.
»Tut mir Leid«, murmelte sie und schmiegte ihr Gesicht in sein seidig weiches Fell. »Es ist wirklich dämlich. Er ist tot und kommt garantiert nicht zurück. Tote kehren nicht zurück.« Seufzend starrte sie ins Dunkel. »Das sollte mir allmählich klar sein.«
Sie lebte mit dem Tod, arbeitete mit ihm, watete Tag für Tag und Nacht für Nacht hindurch. Sie befanden sich in den letzten Wochen des Jahres 2058, und Schusswaffen waren schon lange verboten. Die Medizin hatte außerdem Methoden entwickelt, um das Leben weit über die Hundert-Jahres-Grenze zu verlängern.
Trotzdem brachten die Menschen einander hartnäckig weiter um.
Und es war ihr Job, für die Toten einzutreten.
Statt einen erneuten Alptraum zu riskieren, schaltete sie das Licht ein und kletterte entschieden aus dem Sessel. Sie stand sicher auf den Beinen, ihr Puls schlug fast wieder normal, und das Kopfweh und die Übelkeit, die die normale Folge ihrer Träume waren, würden sich, wie sie aus Erfahrung wusste, in wenigen Minuten legen.
In der Hoffnung auf ein vorgezogenes Frühstück sprang auch Galahad von seinem Platz und strich, als sie in die Küchenecke ging, schmeichelnd um ihre Beine.
»Ich zuerst, Kumpel.« Sie programmierte ihren Autochef auf starken, schwarzen Kaffee, stellte eine Schale mit Katzenfutter auf den Boden, und während sie müde aus dem Fenster blinzelte, begann das kleine Fellmonster mit einer Gier zu fressen, als würde man es ihm gleich klauen.
Statt auf die Straße blickte sie auf eine ausgedehnte Rasenfläche, und am Himmel herrschte keinerlei Verkehr. Es war, als wäre sie völlig alleine auf der Welt. Roarke hatte diese Abgeschiedenheit und Ruhe mit seinem Geld erkauft. Hinter der hohen Steinmauer jedoch, außerhalb des wunderbaren Grundstücks, pulsierte Tag und Nacht das Leben. Dicht gefolgt vom Tod.
Das war ihre Welt, dachte sie, während sie an dem starken Kaffee nippte und die noch nicht völlig verheilte Schulter, um die Steifheit daraus zu vertreiben, langsam kreisen ließ. Heimtückische Morde, hochfliegende Pläne, schmutzige Geschäfte und schreiende Verzweiflung. Sie kannte sich mit diesen Dingen besser aus als mit dem farbenfrohen Reichtum und der Macht, von der ihr Mann umgeben war.
In Momenten wie diesem, wenn sie allein und deprimiert war, fragte sie sich, wie sie beide einander je gefunden hatten – die gradlinige Polizistin, die an Gesetz und Ordnung glaubte, und der gerissene Ire, der diese Gesetze ständig übertrat.
Sie waren zwei verlorene Seelen, die entgegengesetzte Wege eingeschlagen hatten, um zu überleben. Und entgegen jeder Logik und jeglicher Vernunft hatte ein Mordfall sie nicht nur zusammenkommen lassen, sondern regelrecht miteinander verschweißt.
»Himmel, ich vermisse ihn. Das ist einfach absurd.« Wütend auf sich selbst, drehte sie sich, in der Absicht zu duschen und sich anzuziehen, entschlossen um, sah das Blinken ihres Tele-Links und lief, da sie wusste, wer sie um diese Uhrzeit anrief, rasch an den Apparat.
Sofort tauchte Roarkes Gesicht auf dem kleinen Bildschirm auf. Was für ein Gesicht, dachte sie, als er eine seiner dunklen Brauen hochzog. Er hatte lange, dichte, schwarze Haare, einen perfekt geformten Mund, fein gemeißelte Knochen und durchdringende, leuchtend blaue Augen.
Sie kannte ihn seit beinahe einem Jahr, und trotzdem weckte bereits der Anblick seines umwerfend attraktiven Gesichts heißes Verlangen in ihr.
»Meine liebste Eve.« Seine rauchig-weiche Stimme klang wie teurer, irischer Whiskey, auf dem ein Sahnehäubchen schwamm. »Warum schläfst du nicht?«
»Weil ich wach bin.«
Sie wusste, was er sah, als er sie eingehend studierte. Sie konnte nichts vor ihm verbergen. Er sah die Schatten unter ihren Augen und die Bleiche ihrer Haut. Unbehaglich zuckte sie mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand durch das kurz geschnittene, zerzauste Haar. »Ich fahre heute etwas früher auf die Wache. Ich muss noch jede Menge Papierkram erledigen.«
Er sah mehr, als sie ahnte. Sah Stärke, Mut und Schmerz sowie eine Schönheit – in den hervortretenden Wangenknochen, dem vollen Mund und den brandyfarbenen Augen -, derer sie sich nicht annähernd bewusst war. Da jedoch auch ihre Erschöpfung ihm nicht verborgen blieb, änderte er spontan seine Pläne.
»Ich komme heute Abend heim.«
»Ich dachte, du bräuchtest noch ein paar Tage.«
»Ich komme heute Abend«, wiederholte er und betrachtete sie lächelnd. »Du fehlst mir, Lieutenant.«
»Ach ja?« Auch wenn sie die warme Freude, die diese Worte in ihr verursachten, eher idiotisch fand, grinste sie breit. »Ich schätze, dann muss ich mir ein bisschen Zeit für dich nehmen, oder?«
»Tu das.«
»Ist das der Grund, aus dem du angerufen hast – um mich wissen zu lassen, dass du früher als geplant wieder da bist?«
Eigentlich hatte er sie dazu bewegen wollen, ihn übers Wochenende im Olympus Resort zu besuchen, weil er erst ein, zwei Tage später hatte zurückkehren wollen. Nun jedoch erklärte er ihr lächelnd: »Ich wollte meine Frau lediglich über jeden meiner Schritte informieren. Du solltest noch ein wenig schlafen, Eve.«
»Ja, eventuell.« Doch sie beide wussten, dass der gut gemeinte Ratschlag ihres Gatten absolut vergeblich war. »Wir sehen uns dann heute Abend. Äh,...