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Bevor ich sterbe - Roman

Jenny Downham

 

Verlag C. Bertelsmann, 2009

ISBN 9783641030926 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

ZWEI
Zoey klopft nicht mal, kommt einfach rein und lässt sich auf das Fußende von meinem Bett fallen. Sie sieht mich so komisch an, als hätte sie nicht erwartet, mich hier anzutreffen.
»Was machst du?«, fragt sie.
»Warum?«
»Gehst du nicht mehr runter?«
»Hat mein Dad dich angerufen?«
»Hast du Schmerzen?«
»Nein.«
Sie mustert mich argwöhnisch, steht dann auf und zieht ihren Mantel aus. Darunter trägt sie ein sehr kurzes rotes Kleid. Es passt zu der Handtasche, die sie auf meinen Boden gepfeffert hat.
»Gehst du aus?«, frage ich sie. »Hast du ein Date?«
Schulterzuckend geht sie zum Fenster und guckt in den Garten runter. Während sie mit einem Finger Kreise auf die Scheibe malt, sagt sie: »Vielleicht solltest du versuchen, an Gott zu glauben.«
»Ach ja?«
»Na ja, vielleicht sollten wir das alle. Die ganze Menschheit.«
»Das finde ich nicht. Womöglich ist er ja tot.«
Sie dreht sich um und sieht mich an. Ihr Gesicht ist blass wie der Winter. Hinter ihrer Schulter blinkt ein Flugzeug durch den Himmel.
Sie fragt: »Was hast du da an die Wand geschrieben?«
Ich weiß nicht, warum ich sie es lesen lasse. Wahrscheinlich will ich, dass was passiert. Es ist schwarze Tinte. Während Zoey sich das ansieht, krabbeln die Wörter rum wie Spinnen. Sie liest es immer wieder. Ich kann’s nicht ab, wie sie mich manchmal bemitleidet.
Sie redet sehr sanft. »Disneyland ist das nicht gerade, was?«
»Hab ich das behauptet?«
»Ich hab gedacht, das wär die Absicht.«
»Nicht meine.«
»Dein Dad erwartet wohl eher, dass du dir ein Pony wünschst, keinen Freund.«
Es klingt so irre, wenn wir beide lachen. Obwohl es wehtut, liebe ich es. Mit Zoey lachen ist so ziemlich das Beste, weil ich weiß, dass wir beide dieselben schrägen Bilder im Kopf haben. Sie braucht bloß zu sagen: »Ein Zuchthengst wär vielleicht die Lösung«, und schon prusten wir beide los.
Zoey fragt: »Weinst du?«
Ich weiß nicht genau. Vielleicht schon. Ich hör mich an wie diese Frauen im Fernsehen, die gerade ihre ganze Familie verloren haben. Wie ein Tier, das sich die eigene Pfote abbeißt. Alles strömt zugleich auf mich ein – zum Beispiel dass meine Finger nur Haut und Knochen sind und meine Haut praktisch durchsichtig. In meinem linken Lungenflügel spüre ich, wie sich die Zellen teilen, sich aufschichten wie Asche, die nach und nach eine Urne füllt. Bald werde ich nicht mehr atmen können.
»Geht schon in Ordnung, wenn du Angst hast«, sagt Zoey.
»Gar nicht.«
»O doch, natürlich. Alles, was du fühlst, ist in Ordnung.«
»Stell dir das vor, Zoey – die ganze Zeit in Panik zu sein.«
»Kann ich.«
Aber das kann sie nicht. Wie auch, wo sie doch noch ihr ganzes Leben vor sich hat. Ich verstecke mich wieder unter meinem Hut, nur ganz kurz, weil mir das Atmen fehlen wird. Und das Reden. Und Fenster. Kuchen wird mir fehlen. Und Fische. Ich mag ihre kleinen Mäuler, wenn die so auf- und zu- und wieder aufgehen.
Und wo ich hingehe, kann man gar nichts mitnehmen.
Zoey sieht zu, wie ich mir mit dem Federbettzipfel die Augen wische.
»Mach’s mit mir«, sage ich.
Sie sieht erschrocken aus. »Was?«
»Es steht überall kreuz und quer auf Zettelchen. Ich schreib’s richtig auf, und du kannst mich dazu bringen, es zu tun.«
»Was denn? Das, was du an die Wand geschrieben hast?«
»Auch noch anderes, aber das mit dem Jungen zuerst. Du hattest schon tausendmal Sex, Zoey, und ich bin noch nicht mal geküsst worden.«
Ich sehe zu, wie meine Worte bei ihr ankommen. Sie landen sehr tief.
»So oft nun auch wieder nicht«, sagt sie schließlich.
»Bitte, Zoey. Und wenn ich dich anbettle, es zu lassen, und wenn ich noch so eklig zu dir bin, du musst mich dazu anspornen. Ich hab eine ganz lange Liste mit Sachen, die ich machen will.«
Als sie »okay« sagt, hört es sich bei ihr ganz einfach an, so als hätte ich sie nur gebeten, mich öfter zu besuchen.
»Ehrlich?«
»Hab ich doch gesagt, oder?«
Ich frage mich, ob sie weiß, auf was sie sich einlässt.
Ich setze mich im Bett auf und seh zu, wie sie hinten in meinem Schrank rumkramt. Bestimmt hat sie einen Plan. Das ist das Gute an Zoey. Aber sie sollte sich besser ein bisschen beeilen, weil ich anfange, an Sachen wie Möhren zu denken. Und Luft. Und Enten. Und Birnbäume. Samt und Seide. Seen. Eis auf zugefrorenen Seen wird mir fehlen. Und das Sofa. Und das Wohnzimmer. Und wie gern Cal Zauberkunststücke mag. Und Weißes – Milch, Schnee, Schwäne.
Aus den Tiefen des Schranks zerrt Zoey das Wickelkleid, das Dad mir letzten Monat gekauft hat. Das Preisschild hängt noch dran.
»Ich trag das hier«, sagt sie. »Du kannst meins anziehen.« Und schon knöpft sie ihr Kleid auf.
»Gehst du mit mir aus?«
»Es ist Samstagabend, Tess. Schon mal von gehört?«
Natürlich. Klar doch.
Ich war seit Stunden nicht mehr in der Senkrechten. Ich komm mir ein bisschen komisch vor, irgendwie leer und durchsichtig. Zoey in Unterwäsche hilft mir, in das rote Kleid zu schlüpfen. Es riecht nach ihr. Der weiche Stoff klebt an meinem Körper.
»Warum soll ich das hier anziehen?«
»Kommt manchmal gut, sich wie jemand andres zu fühlen.«
»Jemand wie du?«
Darüber denkt sie nach. »Vielleicht«, sagt sie dann. »Vielleicht jemand wie ich.«
Als ich in den Spiegel schaue, ist es toll, wie anders ich aussehe – großäugig, gefährlich. Aufregend ist das, so als wäre alles möglich. Sogar meine Haare sehen gut aus, eher theatralisch kurz geschoren als frisch nachgewachsen. Wir betrachten uns, nebeneinander, ehe sie mich vom Spiegel wegführt und aufs Bett setzt. Dann holt sie mein Make-up-Körbchen vom Schminktisch und setzt sich neben mich. Ich konzentriere mich auf ihr Gesicht, während sie sich Grundierung auf den Finger schmiert und mir auf die Wangen tupft. Sie ist sehr blass und sehr blond und sieht mit ihrer Akne irgendwie wild aus. Ich hatte noch nie im Leben einen Pickel. Was bin ich doch für ein Glückspilz.
Sie umrandet meinen Mund mit Lipliner und malt ihn mit Lippenstift aus, findet Wimperntusche und sagt mir, dass ich sie ansehen soll. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl sein mag, sie zu sein. Das mach ich oft, aber ich krieg es nie richtig in den Kopf rein. Als sie mich wieder vor den Spiegel stellt, glitzre ich. Ein bisschen wie sie.
»Wo willst du hin?«, fragt sie.
Es gibt so viele Möglichkeiten. Der Pub. Ein Club. Eine Party. Ich will einen großen dunklen Raum, in dem man sich kaum bewegen kann, so eng reiben sich Leiber aneinander. Ich will tausend Songs wahnsinnig laut gespielt hören. Ich will tanzen, und zwar so schnell, dass meine Haare lang genug wachsen, um draufzutreten. Ich will, dass meine Stimme das Bassdröhnen wie Donnerhall übertönt. Mir soll so heiß werden, dass ich im Mund auf Eis rumbeißen muss.
»Gehen wir tanzen«, sage ich. »Los, komm, wir reißen Jungs zum Vernaschen auf.«
»Geht klar.« Zoey hebt ihre Handtasche auf und führt mich aus meinem Zimmer.
Dad kommt aus dem Wohnzimmer und halb die Treppe hoch. Er tut, als wäre er auf dem Weg zum Klo, und stellt sich ganz überrascht, uns zu sehen.
»Du bist auf!«, sagt er. »Ein Wunder ist geschehen!« Widerstrebend zollt er Zoey Anerkennung. »Wie hast du das geschafft?«
Zoey lächelt den Fußboden an. »Sie hatte nur einen kleinen Anreiz nötig.«
»Und der wäre?«
Ich lehne mich auf eine Hüfte und sehe ihm in die Augen. »Zoey geht mit mir Pole Dancing.«
»Sehr komisch«, sagt er.
»Nein, echt.«
Er schüttelt den Kopf und reibt sich mit einer Hand in Kreisen über den Bauch. In seiner Hilflosigkeit tut er mir leid.
»Na gut«, sage ich, »wir gehen tanzen.«
Er schaut auf seine Uhr, als ob die ihm was Neues verraten würde.
»Ich pass auf sie auf«, sagt Zoey. Sie hört sich so liebenswürdig und vernünftig an, dass ich ihr beinahe glauben könnte.
»Nein«, sagt er. »Sie muss sich ausruhen. Clubs sind doch laut und verraucht.«
»Wenn sie sich ausruhen muss, warum haben Sie mich dann angerufen?«
»Ich wollte, dass du mit ihr sprichst, sie...