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Alien Earth - Phase 2 - Roman

Frank Borsch

 

Verlag Heyne, 2009

ISBN 9783641030476 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

KAPITEL 1
Mahmuts Inszenierung war perfekt. Was sonst?
510 Gäste hatte Mahmut al-Shalik in sein Stadthaus auf der Nil-Insel Zamalek eingeladen, zehn für jedes ruhmreiche Jahr der Union, das es an diesem 4. Juli 2066 zu feiern galt. Eine kluge Zahl, die selbst den engstirnigsten unter den unvermeidlichen Militärs auf der Gästeliste auf den ersten Blick einleuchten musste. Eine bescheidene Größe im Vergleich zu den 50-Jahr-Feiern und doch weit genug jenseits seiner gewöhnlichen Prachtentfaltung angesiedelt, um keinen Zweifel daran zu lassen, dass Mahmut al-Shalik der Prächtige den Ernst des Anlasses zu würdigen wusste.
Selbst Reden wurden gehalten.
Rainer Hegen hatte seinen Gönner in den Monaten, die er in Kairo verbracht hatte, gut genug kennengelernt, um zu wissen, wie gering Mahmut Reden schätzte. Mahmut betrachtete sich als Mann der Tat, jemand, der nach vorn blickte. Reden blickten unweigerlich zurück, selbst wenn sie das Gegenteil vorgaben. Doch am 51. Jahrestag der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika und Arabien kam selbst Mahmut al-Shalik, dessen Familie Anteile an jedem einzelnen der zahllosen Nildämme zwischen Kairo und dem Albertsee besaß, nicht um Reden herum. Die Reden waren unvermeidlich, ein Ärgernis, und Mahmut ging die Angelegenheit an, wie er alle Ärgernisse des Lebens anging: frontal.
Kaum hatten sich die Gäste vollständig eingefunden, schwang sich Mahmut auf die Bühne. »Ich danke Ihnen für Ihr zahlreiches Kommen«, sagte er. Er war immer schon ein stattlicher Mann gewesen. Während seiner Universitätszeit im amerikanischen Teil der Union hatte er dem American-Football-Team angehört, bevor er zum Zehnkampf gewechselt hatte. Hinter ihm hingen riesige Fahnen von der Decke und bildeten einen Vorhang: links die Stars und Stripes der ehemaligen USA, rechts der Halbmond auf Grün der ehemaligen Arabischen Liga und in der Mitte Halbmond und Sterne vereint auf einer Flagge, verbunden durch das weltumspannende Band der Arterie, die Flagge der USAA.
»Mein bescheidenes Heim hat nur selten die Ehre, Gäste zu willkommen zu heißen.« Mahmut al-Shalik verneigte sich. Sein maßgeschneiderter Kunstseidenanzug zeigte keine einzige Falte, als er sich wieder aufrichtete. »Bitte, betrachten Sie es als das Ihre. Meine Diener sind angewiesen, Ihnen jeden Wunsch zu erfüllen. Doch bevor wir uns dem Zauber der Nacht hingeben«, Mahmut hob die Hand mit dem Glas, »bitte ich Sie, mit mir zusammen jenen Männern und Frauen Respekt zu zollen, denen das Schicksal nicht vergönnt hat, heute unter uns zu sein. Jenen, die ihr Leben gegeben haben, um das großartigste Gemeinwesen ins Leben zu rufen und zu erhalten, das es in der Geschichte der Menschheit jemals gegeben hat: die Vereinigten Staaten von Amerika und Arabien!«
Mahmut schloss die Augen, setzte das Glas an die Lippen und trank. Die Gäste taten es ihm gleich. Der Rotwein, ein Erzeugnis der Weinberge, die Mahmuts Großvater in den letzten Jahren seines Lebens in kluger Vorausahnung freizügigerer Zeiten an den Hängen des Akasha-Stausees hatte anlegen lassen, schmeckte fruchtig und leicht. Er war der Hitze des Landes angepasst – und dem Temperament seiner tugendhaften Hitzköpfe, die nicht auszurotten waren. Der Alkoholgehalt des Weines war so gering, dass der Alkohol bereits in der Mundhöhle verdunstete und dort eine desinfizierende Wirkung entfaltete, wie Mahmut al-Shalik nicht müde wurde zu betonen. Der Wein war mithin Medizin, wie Dutzende unabhängiger Studien belegten.
Mahmut öffnete die Augen wieder, überblickte die Hundertschaften seiner Gäste, die von ebenso zahlreichen Hundertschaften Dienern umschwärmt wurden. »Und nun, bevor ich die Bühne für die von Ihnen allen mit Ungeduld erwarteten Reden freigebe, möchte ich mir eine persönliche Anmerkung erlauben.« Er lächelte, sein Oberlippenbart beschrieb einen Doppelbogen.
Rainer kannte dieses Lächeln. Mahmut lachte es, wenn das Kind mit ihm durchging. In dem Land, aus dem Rainer kam, hätte man es »diebisch« genannt.
»Meine Hingabe an die Ideale der USAA ist so vollkommen, dass es mir nicht genügt, nur in der Einzahl den Rednern zu lauschen, die in wenigen Minuten in einer Eloquenz, die mir für immer verwehrt bleiben wird, unsere gemeinsamen Tugenden beschwören werden. Ich habe mir deshalb die Freiheit genommen, für den heutigen Abend meine Anwesenheit zu verzwanzigfachen.« Mahmut klatschte in die Hände, und die großen Türen, die zu den Themengärten und den Nilterrassen führten, öffneten sich. Hunderte von Köpfen wandten sich um, darunter der Rainers. Zwanzig Männer traten ein und verneigten sich. Jeder von ihnen war ein Riese mit Oberlippenbart, trug einen exquisiten Kunstseidenanzug und war – unverwechselbar und einzigartig – Mahmut, der Prächtige.
»Natürlich ist nur einer von ihnen der wahre Mahmut al-Shalik«, fuhr Mahmut fort. Die Köpfe wandten sich wieder der Bühne zu. Sie war verlassen. Verwirrt sahen sich die Gäste um, nicht wenige von ihnen ungehalten darüber, dass der gro ße Mahmut al-Shalik wieder einen seiner Scherze mit ihnen trieb. »Helfen Sie mir, ihn zu finden«, drang Mahmuts Stimme aus dem Soundsystem des Ballsaals. »Derjenige, der heute um Mitternacht den wahren Mahmut al-Shalik benennt – und seine Wahl stichhaltig begründen kann -, soll mit einer lebenslangen Apanage belohnt werden!«
Die zwanzig Mahmuts traten in den Saal und mischten sich Hände schüttelnd und lächelnd unter die Gäste.
»Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!«, rief der unsichtbare Mahmut, »und begrüße William Harry Dickerson VI., Konteradmiral der Nil-Flottille, der ein Grußwort der US Navy übermitteln wird. Ich bitte um Applaus!«
Die Gäste klatschten. Der Admiral betrat die Bühne. Er war ein Mann in den 50ern, kerzengerade, mit einem scharfen, von tiefen Furchen gezeichneten Gesicht. Ein Mann, der es gewohnt war, dass man seinem Wort Gehör schenkte. Nach dem virtuosen, lebenslustigen Mahmut wirkte er hölzern und fehl am Platz.
»Meine Damen, meine Herren …«, begann er – und das war alles, was Rainer Hegen von dem Konteradmiral wahrnahm, dem Herrn über eine kampfstarke Flotte, die ohne die regelmäßige Belieferung durch Mahmut al-Shaliks Firmen innerhalb von Tagen ihrer Einsatzbereitschaft verlustig gehen würde. Rainer wandte sich ab und suchte Zuflucht am Buffet, wo die aufgeregten Gespräche mit den 20 Mahmuts und über sie die Rede im Saal übertönten. Rainer konnte Reden ebenso wenig ausstehen wie sein Gönner.
Beinahe sieben Monate hielt er sich nun in Kairo auf. Manchmal kam es ihm so vor, als ob es bereits sieben Jahre wären – und er sich nicht mehr auf der Erde, sondern auf einem anderen Planeten befände. Kairo, die 17-Millionen-Stadt und Kultur- und Geistesmetropole des Watan, des arabischen Teils der Union, aber auch die Gastfreundschaft Mahmut al-Shaliks muteten wie ein Traum an. Rainer Hegen genoss die sauberen Straßen der Stadt, ihre märchenhafte Sicherheit, die es gestattete, zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit die Parks aufzusuchen, die ambientisierten Untergrundviertel, die sich im inzwischen 50 Jahre anhaltenden Post-Vereinigungsboom viele Kilometer weit in den Wüstenboden vorgearbeitet hatten. Ja selbst den motorisierten Verkehr, der einen flüchtigen Beobachter an Wahnwitz erinnern musste, bei dem es sich in Wirklichkeit jedoch um ein von einem Rechnerverbund sorgfältig choreographiertes Ballett handelte.
Und da war Mahmut al-Shalik selbst, der Spross dieser prächtigen Stadt. Mahmut hatte Rainer die Ausreise aus Europa ermöglicht, als das Fluchtgeld, das Rainer von Wolf erhalten hatte, zur Neige gegangen war. Er hatte ihn in seinem Haus aufgenommen, ihn eingekleidet und ausgestattet, ihm einen persönlichen Arabisch- und Englischlehrer zur Seite gestellt und eine Forschungsstelle an der American University verschafft. Vor allem aber hatte er sich etwas von seiner unschätzbar wertvollen Zeit für ihn genommen, den abgerissenen Flüchtling aus dem verarmten, zurückgebliebenen Europa, um sich seine Geschichte in aller Ausführlichkeit anzuhören. Fassungslos hatte er den Kopf geschüttelt: »Furchtbar! Wie kann man Menschen so etwas nur antun? Sie Überschussmenschen zu nennen, sie in Züge zu sperren und darauf zu warten, dass sie einander umbringen? Ist die Tünche der Zivilisation tatsächlich so dünn? Sind wir denn Tiere?«
Rainer Hegens Namensschild vibrierte, als er sich der Menschentraube näherte, die gleich ihm am Buffet Zuflucht vor den Ergüssen des Konteradmirals suchte.
»Janet Artado«, las er im Display seiner Datenbrille. »Aufsichtsratsvorsitzende von Trans-Artery Shipping. Anknüpfpunkte beruflich/privat: Interesse an verbesserter Treibstoffeffizienz /Seglerin.«
Rainer Hegen nickte der gewichtigen Frau in den besten Jahren freundlich zu und setzte seinen Weg fort. Sein Namensschild vibrierte wiederum innerhalb weniger Schritte.
»Falah Hadeed«, las er. »Junior-Minister für Wasserbewirtschaftung und Bewässerung. Anknüpfpunkte beruflich/privat: mit dem Problem vorzeitiger Alterung der Turbinenschaufeln der Nilkraftwerke befasst/Faible für mitteleuropäische Kultur.«
Rainer deutete eine Verbeugung an und entschlüpfte durch eine Lücke zwischen zwei Gästegruppen dem dunkelhäutigen Mann mit dem mächtigen Schnurbart.
Wieder vibrierte sein Namensschild. »Bob Waszynski«, las er. »Risikogeldgeber, Rang 123 auf der Forbes/Al Dschasira-Liste der einflussreichsten Impulsgeber der amerikanisch-arabischen Wirtschaft. Anknüpfungspunkte beruflich/privat: spezialisiert darauf, Talent an ungewöhnlichen Orten zu finden/ zweiter Sohn (7) liegt nach Badeunfall im Koma.«
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