dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Echte Vampire haben Kurven - Roman

Gerry Bartlett

 

Verlag Heyne, 2009

ISBN 9783641032609 , 430 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

EINS
Vampire gibt es überall. Es ist ein Klischee, dass sie grundsätzlich reich und mächtig sind. Mike, der nachts im Laden an der Ecke als Kassierer arbeitet, könnte ein Vampir sein. Oder Brittany, die Bardame, die vor der Sperrstunde den letzen Drink serviert. Sogar der Regaleinräumer im örtlichen Großmarkt.
Flippt jetzt nicht gleich aus, aber es wäre durchaus möglich, dass euch Mike neulich tief in die Augen gesehen und euch dazu bewegt hat, ihm ins Hinterzimmer zu folgen, um sich an euch gütlich zu tun, ehe er euch mit euren Zigaretten und dem Sixpack Bier nach Hause geschickt hat, und ihr wüsstet hinterher von nichts.
Ziemlich coole Sache, oder? Nennt sich der Whammy. Von wegen verräterische Bissspuren – die löschen wir aus, genau wie die Erinnerungen, und damit ist der Fall erledigt. Nur ein ziemlich verkommener Vampir würde seinen »Spender« bis auf den letzten Tropfen aussaugen und sterben lassen. Die meisten von uns haben begriffen, dass wir mehr davon haben, wenn wir diskret vorgehen.
Ganz recht: wir, uns. Ich bin Gloriana Eloisa St. Clair. Glory für meine Freunde. Ihr habt gedacht, alle Vampire wären bleich, abgezehrt und schwermütig? Schön wär’s. Jedenfalls der Teil mit der Abgezehrtheit. So, wie wir zum Zeitpunkt der Verwandlung sind – dick oder dünn, groß oder klein, so bleiben wir für immer. Mein Pech, dass ich damals ziemlich angesetzt hatte. Ich habe ausgeprägte weibliche Rundungen, okay? Jedenfalls ist das meine positive Darstellung der Fakten. Ich versuche, das Beste daraus zu machen. Ich bin blond, blauäugig, braungebrannt (ein Hoch auf mein teures Bräunungsspray!) und für Unwissende ganz einfach eine »kerngesunde«, modebewusste junge Frau Mitte zwanzig. Wenn die wüssten, dass ich schon mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel habe.
Wie es kam, dass ich zum Blutsauger wurde? Um es kurz zu machen: Es steckte ein Kerl dahinter. Ein stattlicher, dunkelhaariger Schotte mit enormem Sexappeal. Sein Name lautete – lautet noch immer – Angus Jeremiah Campbell der Dritte. Seit einer kleinen Auseinandersetzung mit seinem Vater nennt er sich allerdings Jeremy Blade. Seine Wahl, nicht meine. Ich nenne ihn Jerry, wenn wir uns über den Weg laufen. Das hasst er. Jerry und ich sind seit mehreren Jahrhunderten immer wieder mal zusammen, mal getrennt. Zurzeit getrennt.
Kennengelernt haben wir uns in London. Jerry wollte mal sehen, was da so abgeht, ich war Schauspielerin am Globe Theater. Damals wurden die weiblichen Rollen meistens noch von Männern gespielt. Traurig, oder? Jedenfalls hatte ich einen Schauspieler geheiratet und damit Schande über meine Familie gebracht. Nachdem mein Gatte infolge eines ziemlich hässlichen Unfalles mit einem Nachttopf das Zeitliche gesegnet hatte, konnte ich mich mit der einen oder anderen Nebenrolle über Wasser halten, sonst wäre ich garantiert verhungert. Ich war richtig gut, eine echte Schauspielerin, keine dieser Tussen, die sich nur so nennen. Billy Shakespeare fand mich klasse.
Eines Abends kam Jerry dann hinter die Bühne, und der Rest ist Geschichte. Er raubte mir den Atem. Leidenschaft mit einem großen L. Glaubt mir, ihr wisst erst, was ein richtiger Orgasmus ist, wenn euch dabei ein Mann die Halsschlagader angezapft hat.
Jerry kann unwiderstehlich sein, wenn er will. Ich hab ihn auf Knien angebettelt, mich auch in einen Vampir zu verwandeln, um für immer mit ihm vereint zu sein.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass zwar der Mann ewig leben würde, aber unsere Liebe nicht ganz so lange.
Zum Glück haben wir nie geheiratet. Erst wollte er sich nicht binden, und als er mir ein paar Jahrhunderte später gnädigerweise doch noch einen Antrag machte, wurde mir schlagartig klar, dass Together forever in unserem Fall mehr als nur ein kitschiger Popsong war. Auf immer und ewig – mit einem Kerl aus dem sechzehnten Jahrhundert? Nein danke.
Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass man ja auch die Schwiegereltern bis in alle Ewigkeit an der Backe hat. Die Campbells waren nicht eben begeistert, als ihr Stammhalter ausgerechnet mit einer Schauspielerin aufkreuzte – mit einer englischen obendrein. Gleich zwei dicke, fette Minuspunkte für mich. Und dann lebten wir auch noch in Sünde. Sie wussten nicht recht, ob sie schockiert sein sollten, weil wir nicht den Bund der Ehe geschlossen hatten, oder doch eher erleichtert. Ich konnte seine Familie schließlich für mich gewinnen, aber bis dahin hatte ich die Nase gestrichen voll von ihrer verfallenen Burg im hintersten Winkel der schottischen Highlands. Am A… der Welt ist noch milde ausgedrückt.
Ich bin ein geselliger Mensch. Ich brauche Leute, bunte Lichter, Action. Also entwickelte ich meine schauspielerischen Fähigkeiten weiter und passte mich an. Wann immer jemand wegen meines stets gleichbleibend jugendlichen Aussehens Verdacht zu schöpfen begann, zog ich weiter. Im Schnitt alle zehn Jahre. Das stört mich am meisten am Vampirdasein; dass man gezwungen ist, ein Nomadenleben zu führen. Es gibt zwar ein Vampir-Netzwerk, über das man sich problemlos eine neue Identität besorgen kann, aber das Gefühl, nirgendwo verwurzelt zu sein, macht mir zu schaffen.
Diesmal war ich fast schon zu lange geblieben. Irgendwann konnte ich endgültig nicht mehr von Botox und Schönheitschirurgie faseln, um meinen sterblichen Freunden zu erklären, warum ich keine Krähenfüße bekam und mir die Schwerkraft so gar nichts anhaben konnte.
Ich mag Sterbliche, aber ich habe auch unter den Vampiren viele Freunde. Mit den Jahren schließt man so einige Bekanntschaften. Ich erkenne am Körpergeruch, ob ich einen Vampir vor mir habe oder nicht. Nein, keine Ausdünstungen à la »dein Deodorant hat versagt«. Sterbliche nehmen den Geruch gar nicht wahr, aber wir verfügen über eine geschärfte Sinneswahrnehmung, vor allem, wenn es um das Erkennen der eigenen Spezies geht.
Das findet ihr gruselig? Quatsch. Die meisten Vampire sind äußerst unterhaltsame Zeitgenossen. Richtige Partylöwen. Ihr fragt euch, wie jemand, der 1580 geboren wurde, so modern klingen kann? Wie gesagt, ich bin Schauspielerin, und außerdem süchtig nach den Serien von HBO. Ich sehe mir immer wieder gerne die Wiederholungen von Sex and the City an. Schon allein wegen der Schuhe. Wie dem auch sei, ich bin sehr anpassungsfähig. Das reinste Chamäleon. Zwei Minuten zuhören, und ich gehöre zur Clique dazu.
Im Moment bin ich mal wieder auf dem Sprung. Zuletzt war ich in Las Vegas stationiert, wo ich ein Engagement als Tänzerin in einem kleinen Club abseits des berühmten Strip hatte. Ein echter Glücksfall. In meinem raffiniert geschnittenen Kleid, das meine Problemzonen geschickt kaschierte, war ich dank meines wogenden Busens der Star der Revue. Mein Kelch fließt über, wenn ihr wisst, was ich meine. Als bekannt wurde, dass der Club geschlossen werden sollte, weil das Hotel einem Megacasino weichen musste, fand ich, es sei an der Zeit für einen Ortswechsel.
Diesmal zog ich ostwärts. Austin. Jawohl, in Texas. Was man so hört, soll dort so richtig der Bär abgehen. Ich habe mich schlaugemacht. Natürlich tummeln sich dort die üblichen Freaks-Möchtegernvampire mit leichenblassem Teint, schwarzem Lippenstift und null Ahnung von Mode. Aber auch ein paar sehr nette Vampirfreunde von mir, unter anderem Frederick von Repsdorf, der eindeutig zu den vorhin erwähnten höchst unterhaltsamen Zeitgenossen gehört. Frederick bewohnt mit seinem Lover ein hübsches altes Häuschen in der Nähe der University of Texas. Er hat mir Bilder gemailt.
Okay, okay, ich geb’s zu. Mir ist außerdem zu Ohren gekommen, dass Blade kürzlich dort unten gesichtet wurde. Was soll ich sagen? Seine Familie ist weit, weit weg in Schottland, und ohne das emotionale Gepäck ist Jerry nach wie vor der Traum meiner schlaflosen Nächte. Ich werde einfach mal die Lage checken. In Bezug auf Austin, meine ich. Was spricht denn dagegen? Sanfte Hügel, Cowboys, dot-com-Millionäre …
Nebenbei bemerkt ist Austin ein gutes Pflaster für Unternehmer. Im Gegensatz zu so vielen anderen Vampiren (einschließlich meinem Ex) bin ich nicht vermögend. Ich musste mir meinen Lebensunterhalt seit je selbst verdienen. Ich weigerte mich, auch nur einen Cent von Blade anzunehmen; ich wollte ihm nicht verpflichtet sein. Also musste ich arbeiten. In Vegas habe ich nicht schlecht verdient, allerdings habe ich, wie sich bald herausstellen sollte, eine kleine Schwäche für Poker.
Ich hätte natürlich die Gedanken der anderen Mitspieler lesen können, aber ich hasse mogeln. Also spielte ich auf ehrliche Art und Weise – und fand heraus, dass ich null Talent fürs Pokern habe. Ich musste schließlich das Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Spieler durchlaufen, um davon loszukommen. Auch deshalb wird mir Austin guttun. Casinos sind in Texas illegal. Man muss die Staatsgrenze überqueren, um zu spielen.
Gegen Mitternacht verabschiedete ich mich unter Tränen von meinen engsten Freundinnen, umarmte sie ein letztes Mal und machte mich auf den Weg. In meinem 1997er Kombi mit dem dreizehn Meter langen Anhänger. Ich weiß, ein flottes kleines Sportcabrio würde besser zu meinem Image passen, aber ich bin eine Sammlernatur. Im Ernst. Ich besitze einen ganzen Berg Krempel, den ich überallhin mitschleppe.
 
Ich überquerte gerade die Grenze zwischen Arizona und Nevada und sang aus vollem Hals »Don’t Cry for Me, Argentina« (ich liebe Broadway-Musical-Songs), als mein Handy klingelte. Unbekannter Anrufer. Ich ging trotzdem ran.
»Frederick hat behauptet, du würdest nach Texas ziehen.«
Blade. Wer sonst würde automatisch davon...