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Tod im Herrenzimmer

Falk Guder

 

Verlag Kellner-Verlag, 2012

ISBN 9783939928843 , 176 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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3,99 EUR

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I

Fluchend, mit dem Wetter hadernd, trat Kriminalpolizeikommissär Otto von Weyhe in die Pedalen seines Fahrrades und versuchte angestrengt, dem Gegenwind zu trotzen, der ihm hart und unerbittlich entgegenwehte. Gerne hätte er in diesem Moment in einer Pferde- oder Straßenbahn gesessen und sich durch die Gegend fahren lassen, doch leider gab es diese Verkehrsmittel auf dem Weg von der Bremer Innenstadt nach Osterholz nicht, so dass er sich wohl oder übel mit Hilfe seines Fahrrades fortbewegen musste.

Der Wind schlug ihm weiter hart und unerbittlich ins Gesicht, von Weyhe fiel es unglaublich schwer, dagegen anzuradeln beziehungsweise mit seinem Fahrrad auf dem unebenen Schotterweg voranzukommen. »Zum Glück«, dachte der Kommissär nur, »befinden wir uns bereits in Osterholz. Das Ziel kann also nicht mehr weit entfernt sein.«

Osterholz, der kleine Stadtteil im Osten der inzwischen fast 200.000 Einwohner zählenden Großstadt Bremen, war dünn besiedelt. Neben zahlreichen Ackerflächen und Wiesen, auf denen Kühe und Pferde weideten, passierten sie links und rechts des Weges vereinzelte Bauernhöfe, aber auch freistehende Häuser mit großen Grundstücken. Otto von Weyhe runzelte die Stirn. Osterholz hatte er von früher noch wesentlich ländlicher in Erinnerung gehabt. Aber auch in diesem Bremer Stadtteil hatte die Industrialisierung eindrucksvoll ihre Spuren hinterlassen. Nur noch ein Drittel der nicht ganz 2.000 Osterholzer (das hatte der Kommissär mal in der Zeitung gelesen) lebte noch von der Landwirtschaft. Die anderen Bewohner waren dagegen überwiegend Arbeiter und verdienten ihr Geld vorwiegend in den riesigen Hemelinger Zigaretten- oder Silberwarenfabriken.

Kriminalpolizeikommissär von Weyhe fluchte erneut laut vor sich hin, als ihm aufgewirbelter Staub von vorn direkt in das Gesicht schlug und er auf einmal einen sehr sandigen Geschmack im Mund verspürte. Seine Zähne knirschten geräuschvoll bei dem Versuch, den Sand zwischen seinen Zähnen irgendwie herauszubekommen.

Zu allem Übel hatte es gerade auch noch angefangen zu regnen, kleine Wassertropfen wehten auf den Kommissär und zwei weitere Männer herab, die vor ihm fuhren und ebenfalls mühsam versuchten, sich mit ihren Fahrrädern einen Weg durch den starken Wind zu bahnen.

Seit über einer Stunde waren sie jetzt schon unterwegs. Vergrellt verzog von Weyhe das Gesicht und versuchte weiterhin angestrengt, dem Gegenwind zu trotzen, um mit seinem jungen Assistenten, Kriminalwachtmeister Heinrich Hansen, sowie mit dem für Osterholz zuständigen Landjäger, Horst Ahrens, irgendwie Schritt zu halten. Als diese sich trotz aller Anstrengungen, die der Kommissär verzweifelt aufbrachte, allerdings immer weiter von ihm entfernten, schrie er ihnen, in der Hoffnung, dass sie ihn trotz des starken Windes hören würden, auf einmal wütend entgegen:

»Hansen! Ahrens! Jetzt warten Sie doch mal auf mich! Ich bin schließlich keine dreißig mehr!«

Kriminalwachtmeister Heinrich Hansen und Landjäger Horst Ahrens verlangsamten daraufhin augenblicklich ihr Tempo, so dass der Kommissär allmählich aufholen konnte. Von Weyhe konnte erkennen, dass Hansen ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen hatte.

»Na warte, Bürschchen«, dachte er nur erbost, »dein Lachen wird dir schon noch vergehen. Wenn wir gleich am Tatort sind, schicke ich dich erst einmal zur Spurensuche durch den Kuhstall! Und zwar durch jeden einzelnen Fladen!«

Angestrengt trat der leicht übergewichtige Kommissär weiter in die Pedalen und dachte sehnsüchtig an den heutigen Vormittag zurück. Was hatte er sich doch, nach all den Turbulenzen der letzten Monate, mal wieder auf einen gemütlichen Tag in seinem Büro gefreut.

Seit dem 6. März, das war jetzt über vier Monate her, war es in der Stadt Bremen, beim gesamten Polizeiapparat und nicht zuletzt bei Kriminal-Polizeikommissär Otto von Weyhe selbst komplett drunter und drüber gegangen. Alles hatte damit begonnen, dass der deutsche Kaiser, Wilhelm II., an diesem Tag in Bremen zu Besuch gewesen war. Obwohl die Bremer Polizei, natürlich auch die Kriminalpolizei, im Vorfeld alles dafür getan hatte, dass der Kaiser bestmöglich geschützt war, war es dennoch, unfassbar für alle, zu einem Attentat gekommen, das sowohl Bremen als auch das gesamte Deutsche Reich in seinen Grundmauern erschüttert hatte. Ein Schlosser, Dietrich Weiland mit Namen, hatte sich urplötzlich aus einer Menschenmenge gelöst und mit voller Wucht ein Eisenstück auf den kaiserlichen Wagen geworfen. Bei diesem Anschlag wurde Kaiser Wilhelm II. schließlich leicht am Kopf verletzt.

Was folgte, waren natürlich unzählige Untersuchungen, Verhöre und gegenseitige Schuldzuweisungen gewesen, bis der Fall vor ein paar Tagen, zur Erleichterung aller Beteiligten, endlich abgeschlossen und zu den Akten gelegt worden war. Dietrich Weiland wurde letztlich für unzurechnungsfähig befunden und in eine Heilanstalt eingeliefert.

Otto von Weyhe trat weiter angestrengt in seine Pedalen und dachte erneut mit Wehmut an den heutigen Vormittag zurück. Eigentlich hatte er sich fest vorgenommen, nur in seinem Büro zu bleiben und den ungemütlichen Außendienst seinen jüngeren Kollegen zu überlassen. Er wollte, an diesem ungewohnt stürmischen, ungemütlichen Tag im Juli, dem zwölften des Jahres 1901, lediglich ein paar Akten bearbeiten und zwei längst überfällige Abschlussberichte schreiben. Gemächlich hatte er sich erst einmal einen Kaffee zubereitet, sich die Schuhe ausgezogen und es sich dann, mit der ersten Akte in der Hand, in seinem großen Schreibtischstuhl bequem gemacht.

Otto von Weyhe liebte sein Büro, das sich in der ersten Etage des Alten Stadthauses, gleich neben dem Bremer Rathaus, befand, über alles. Von hier konnte er dem Treiben der Bremer Bevölkerung auf dem Marktplatz und in der Innenstadt jederzeit zuschauen, wenn er der stupiden Akten- beziehungsweise Büroarbeit zwischendurch mal überdrüssig war und seine Augen sich nach etwas Abwechslung sehnten. Die Blicke nach draußen entspannten ihn kurzzeitig und vermittelten ihm stets das Gefühl, am Leben, welches sich außerhalb des Kriminalpolizeigebäudes abspielte, irgendwie teilzuhaben.

Während er noch angestrengt sein Fahrrad über den holprigen Schotterweg lenkte, wiederholten sich die Geschehnisse des Vormittags in seinen Gedanken:

Gerade als er sich zum wiederholten Male entspannt in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und seine Akte weiter studieren wollte, hörte er auf dem Flur des Polizeigebäudes auf einmal ein lautes Gepolter. Augenblicklich unterbrach von Weyhe seine Aktenarbeit und horchte auf.

Er hörte, dass ein Mann laut und aufgeregt auf einen anderen einredete. Der Mann schien sehr erregt zu sein, von Weyhe konnte hören, dass er nur halbe, unvollständige Sätze von sich gab und völlig außer Atem zu sein schien. Dann näherten sich seinem Büro auf einmal schnelle Schritte.

Ehe der Kommissär darüber nachdenken konnte, was sich auf dem Flur des Polizeigebäudes abspielte, wurde, ohne dass jemand vorher anklopfte, die Tür seines Büros aufgerissen. Ein völlig verstörter junger Landjäger stürmte in sein Zimmer, dicht gefolgt von Otto von Weyhes jungem Assistenten, Kriminalwachtmeister Heinrich Hansen.

»Verzeihen Sie bitte, Herr Kriminalpolizeikommissär von Weyhe, dass ich hier so reinplatze«, stotterte der junge Mann augenblicklich los, »mein Name ist Ahrens. Horst Ahrens. Landjäger Horst Ahrens, Polizeidiener zu Diensten. Ich bin für den Stadtteil Osterholz zuständig. Und muss leider einen furchtbaren Mord melden!«

Von Weyhe und Hansen hatten sich, überrascht natürlich vom hektischen Auftritt des Landjägers, zunächst nur fragend angeschaut. Die verschiedensten Gedanken schossen dem Kommissär augenblicklich durch den Kopf:

»Horst Ahrens? Polizeidiener? Furchtbarer Mord? In Osterholz? Was genau war passiert …?«

Nachdem sich von Weyhe und Hansen nach einigen Sekunden wieder gefasst hatten, wandte sich der Kommissär schließlich mit ruhiger Stimme an den jungen Mann:

»Nun beruhigen Sie sich doch erst einmal, Ahrens, und setzen Sie sich. Kommen Sie erst einmal zur Ruhe. Danach können Sie uns von diesem furchtbaren Mord in Osterholz‹ immer noch berichten.«

Der Landjäger nickte daraufhin nur stumm und setzte sich, immer noch erregt und aufgewühlt, auf den großen Schreibtischstuhl des Kommissärs. Tief und langsam atmete er durch.

Nach einigen Minuten, nachdem die Erregung allmählich nachgelassen und er tatsächlich einigermaßen zur Ruhe gekommen war, begann er schließlich zu erzählen, was sich in Osterholz so Schreckliches zugetragen hatte:

»Gestern Abend wurde in meinem Osterholzer Zuständigkeitsbereich, auf einem riesigen Bauernhof am Rande des Stadtteils, ein furchtbares Verbrechen...