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So will ich schweigen - Roman

Deborah Crombie

 

Verlag Goldmann, 2010

ISBN 9783641038205 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

  • Unterm Kreuz des Südens. Eine australische Familiensaga
    Küss mich, Schatz! - Roman
    Du wirst lachen, mir geht's gut - Roman
    Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Roman
    Die Behandlung - Psychothriller
    Der Vogelmann - Psychothriller

     

     

     

 

 

2
Hugh Kincaid stieg noch einmal auf die Leiter, um die Lichterkette zurechtzurücken, die er über das Vordach des alten Bauernhauses gehängt hatte. Der Himmel über dem Giebel hatte die Farbe alten Zinns angenommen, was nichts Gutes verhieß, und von der schneidenden Kälte hatte seine Nase zu laufen begonnen. Aber er wagte es nicht, eine Hand von der Leiter zu nehmen, um sie abzuwischen. Seine Lage war ohnehin schon prekär genug.
Unten stand seine Frau und hüllte sich enger in ihre Jacke, um sich vor dem Wind zu schützen. »Hugh«, rief sie zu ihm herauf, »komm da runter, du brichst dir noch den Hals! Sie werden jeden Moment hier sein. Willst du, dass dein Sohn dich auf dem Rücken liegend im Garten findet?«
»Ich komm ja schon, Schatz.« Nachdem er noch einmal an der Kette gezupft hatte, kletterte er vorsichtig zu ihr hinunter. Sie hängte sich bei ihm ein, und zusammen traten sie ein paar Schritte zurück, um das Funkeln der bunten Lichter vor dem Hintergrund des dunkelroten Mauerwerks zu bewundern. Das Haus war schmucklos, ein schlichter würfelförmiger Bau im Stil der Cheshire Plain, aber gemütlich. Zwar war die Zeit nicht ganz spurlos daran vorübergegangen – aber das traf ja auch auf ihn selbst zu, dachte Hugh.
»Sieht ein bisschen armselig aus«, meinte er mit einem kritischen Blick auf den Lichterschmuck. »Nur eine einzige Kette. Ich hätte mehr aufhängen sollen.«
»Sei doch nicht albern.« Rosemary zwickte ihn durch den dicken Stoff seiner Jacke hindurch. »Du benimmst dich wie eine nervöse alte Glucke, Hugh, und du kletterst mir jetzt nicht mehr aufs Dach.« Ihr Ton war liebevoll, aber bestimmt, und er seufzte.
»Du hast natürlich recht. Es ist nur, weil …« Er hatte doch sonst keine Probleme, sich klar auszudrücken, aber jetzt fehlten ihm unerklärlicherweise die Worte. Er hätte nicht gedacht, dass ihn die Aussicht, seinen Enkel kennenzulernen, so nervös machen würde. Dabei hatte er ja schon zwei Enkelkinder, Lally und den kleinen Sam, die jetzt gerade im Haus auf den Besuch warteten. Aber irgendwie – und er würde sich hüten, es jemals zuzugeben, nicht einmal Rosemary gegenüber -, irgendwie war dieser Sohn seines Sohnes in seinen Augen etwas ganz Besonderes, und er wollte, dass alles perfekt war.
Es erschreckte ihn, dass er, der sich immer für einen so fortschrittlichen und emanzipierten Mann gehalten hatte, solche Gefühle hegte, aber so war es nun einmal. Und er fragte sich sogar unwillkürlich, ob der Junge je darüber nachdenken würde, seinen Namen zu ändern, damit die Kincaid-Linie fortgeführt werden könnte.
Hugh schnaubte verächtlich über seine eigene Eitelkeit, und Rosemary sah ihn fragend an. »Ich bin ein alter Narr«, sagte er und schüttelte den Kopf.
»Natürlich bist du das, aber es wird schon alles gut gehen«, erwiderte sie, und er wusste, dass sie wie immer seine unausgesprochenen Gedanken erraten hatte.
Er zog sein Taschentuch aus der Jackentasche und putzte sich die Nase. Rosemary hatte recht, das sah er jetzt ein. Die Lichterkette sah wirklich festlich aus, und dazu funkelte noch im Wohnzimmerfenster der Weihnachtsbaum. »Was hast du eigentlich mit den Kindern gemacht?«, fragte er. Er wunderte sich, dass sie nicht mit ihrer Großmutter nach draußen gekommen waren.
»Sie raufgeschickt und ihnen gesagt, sie sollen sich ein Video anschauen. Sie haben mir den letzten Nerv geraubt, und in der Küche war nichts mehr zu tun, wobei sie mir hätten helfen können.« Sie schob den Ärmel zurück, um auf die Uhr zu sehen. »Komisch, dass Juliet sich noch nicht gemeldet hat«, fügte sie hinzu.
Er schnupperte, und obwohl der Holzrauch aus dem Küchenherd fast alles überlagerte, witterte er in der kalten Luft den Geruch des nahenden Schneefalls. Durch das kahle Geäst der Bäume sah er, wie im Haus nebenan die Lichter angingen, und er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis es ganz dunkel war. »Wir kriegen Schnee. Wenn sie nicht bald hier sind …«
»Du denkst also, dein Sohn, der Kriminalkommissar, kann in einem Schneesturm nicht nach Hause finden?«, unterbrach ihn Rosemary lachend. Ehe er protestieren konnte, verharrte sie plötzlich und sagte: »Psst!«
Zuerst hörte er nur seinen eigenen Atem. Und dann vernahm er es – das leise Zischen von Reifen auf Asphalt. In Richtung der Straße war zuerst ein einzelner Lichtpunkt zu erkennen, dann ein zweiter. Es waren die Scheinwerfer des Autos, in unregelmäßigen Abständen verdeckt durch die Bäume dazwischen. Es erinnerte Hugh an Morsezeichen, einen SOS-Ruf aus der Ferne.
Der Wagen näherte sich so langsam, dass Hugh schon glaubte, er müsse sich geirrt haben. Vielleicht war es ja doch nur ein ältlicher Nachbar, der vom Einkaufen oder vom Pub nach Hause schlich. Aber dann bremste das Auto noch weiter ab, um in die Zufahrt zum Haus einzubiegen, und rumpelte über den ungeteerten Weg, bis es vor ihnen zum Stehen kam.
Die Beifahrertür schwang auf, und sein Sohn stieg aus. Er lächelte, doch die Linien in seinem Gesicht schienen sich tiefer eingegraben zu haben, seit Hugh ihn zuletzt gesehen hatte. Während Duncan seine Mutter umarmte, seinem Vater kräftig die Hand schüttelte und dabei erklärte: »Tut mir leid, dass wir uns verspätet haben – auf der Autobahn war die Hölle los«, sprang ein kleiner blonder Junge vom Rücksitz, gefolgt von einem nicht minder lebhaften Blauschimmel-Cockerspaniel.
Hughs Herz machte einen kleinen Satz, doch im nächsten Moment war ihm klar, dass der Blondschopf nicht Kit sein konnte – er war viel zu jung. Dann öffnete sich die andere Tür, und ein Junge stieg aus, der einen kleinen, zottigen braunen Terrier wie einen Schild vor der Brust hielt.
»Vater, das ist Toby«, sagte Duncan, während er dem kleinen Jungen die Hand auf die Schulter legte, um ihn ein wenig zu bremsen. »Und das ist Kit. Gemma kommt sicher auch gleich, sie muss sich nur erst noch sortieren«, fügte er grinsend hinzu. Da stieg auch schon eine junge Frau auf der Fahrerseite aus und kam um den Wagen herum auf sie zu. »Sie wollte mich das letzte Stück partout nicht fahren lassen, und ich glaube, unsere engen Landstraßen haben sie einige Nerven gekostet.«
Hugh begrüßte sie herzlich und registrierte dabei ihr attraktives, freundliches Gesicht, ihr kupferglänzendes Haar, das mit einem Clip zurückgesteckt war, doch er konnte die Augen nicht von dem Jungen wenden – seinem Enkel.
Rosemary hatte ihn natürlich vorgewarnt, aber er musste trotzdem feststellen, dass er darauf nicht vorbereitet gewesen war. Der Junge hatte die helle Haarfarbe seiner Mutter, doch in seinen Zügen lag so viel von seinem Vater, dass Hugh glaubte, den dreizehnjährigen Duncan vor sich zu sehen. Er wusste, dass eine solche Familienähnlichkeit nichts Ungewöhnliches war, doch normalerweise trübte die alltägliche Vertrautheit mit einem Menschen die Wahrnehmung. Es kam Hugh vor, als sei ihm ein seltener Einblick in die Abfolge der Generationen gewährt worden, und für einen Moment wurde ihm seine eigene Sterblichkeit schmerzlich bewusst.
»Kommt rein, kommt rein«, sagte Rosemary unterdessen. »Ich habe Teewasser aufgesetzt, und die Kinder können es kaum erwarten, euch kennenzulernen.« Sie scheuchte sie alle in die Diele, doch ehe sie ihnen die Mäntel und Taschen abgenommen hatte, kam Sam schon die Treppe heruntergestürmt. Seine Schwester Lally folgte in gemessenem Schritt.
Lally zog einen Schmollmund, während Sam das Telefon hochhielt und es schwenkte wie ein Beutestück, das er dem Feind entrissen hatte. »Opa, es ist Mama! Sie will mit dir reden.«
»Sag ihr, wir rufen sie in fünf Minuten zurück, Sam«, sagte Rosemary. »Sobald wir …«
»Sie sagt, es ist dringend, Oma.« Nachdem er seinen Auftrag erledigt und Hugh das Telefon gegeben hatte, schlenderte er langsam die letzten Stufen hinunter und musterte Kit und Toby mit unverhohlener Neugier.
»Juliet«, sagte Hugh ins Telefon, »was gibt’s? Kann das nicht noch einen Moment war…«
»Papa, ist Duncan schon da?«, unterbrach ihn seine Tochter in scharfem Ton. Sie schien außer Atem.
»Ja, sie sind gerade angekommen. Deshalb …«
»Papa, sag ihm, er soll zum alten Viehstall rauskommen – er weiß, wo das ist. Sag ihm …«, sie schien zu zögern, dann fuhr sie mit erhobener Stimme fort, »sag ihm nur, dass ich eine Leiche gefunden habe.«
 
»Mist«, brummte Kincaid, während er sich hinter das Lenkrad von Gemmas Ford zwängte und den Sitz zurückschob, um Platz für seine langen Beine zu schaffen. Seine Schwester war nicht am Apparat geblieben, um mit ihm zu sprechen, aber bevor sie das Gespräch beendet hatte, hatte sie ihrem Vater noch gesagt, dass der Akku ihres Handys fast leer sei.
Sollte das vielleicht ein Witz sein, fragte er sich – Juliets Rache dafür, dass er sie als Kind immer geärgert hatte?...