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Ein reines Gewissen - - Kriminalroman

Ian Rankin

 

Verlag Goldmann, 2010

ISBN 9783641038540 , 528 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Freitag, 6. Februar 2009

Als Malcolm Fox den Raum betrat, empfing ihn kurzer Applaus.
»Brecht euch bloß keinen ab«, sagte er und legte seine abgewetzte Aktentasche auf den Schreibtisch gleich an der Tür. In dem Büro befanden sich zwei weitere Beamte der Inneren. Als Fox seinen Mantel auszog, wandten sie sich schon wieder ihrer Arbeit zu. Über Nacht waren in Edinburgh acht Zentimeter Schnee gefallen. Etwa genauso viel hatte vor einer Woche ausgereicht, um London lahmzulegen, aber Fox hatte es zur Arbeit geschafft, und die anderen, wie es aussah, auch. Die Welt draußen wirkte makellos rein. In seinem Garten hatte Fox Spuren entdeckt - er wusste, dass irgendwo in der Nähe seines Grundstücks eine Fuchsfamilie wohnte; nach hinten grenzten die Häuser an einen städtischen Golfplatz. »Foxy« nannten sie ihn im Polizeipräsidium, ein Spitzname, der seinem Selbstbild überhaupt nicht entsprach. »Ein Bär von einem Mann« - so hatte einer seiner früheren Vorgesetzten ihn beschrieben. Langsam, aber zuverlässig, und nur hin und wieder zum Fürchten.
Tony Kaye ging, einen prall gefüllten Ordner unter den Arm geklemmt, an dem Schreibtisch vorbei und brachte das Kunststück fertig, Fox auf die Schulter zu klopfen, ohne etwas fallen zu lassen.
»Trotzdem gut gemacht«, sagte er.
»Danke, Tony«, sagte Fox.
Das Hauptquartier der Lothian and Borders Police lag in der Fettes Avenue. Aus manchen Fenstern konnte man das Fettes College sehen. Einige Beamte der Inneren hatten Privatschulen besucht, aber keiner das Fettes. Fox selbst hatte das staatliche Schulwesen durchlaufen - Boroughmuir, dann Heriot Watt. Er war Anhänger des Hearts FC, schaffte es allerdings selbst zu den Heimspielen nur selten. Rugby interessierte ihn nicht, obwohl Edinburgh zu den Austragungsorten der Six Nations Championship gehörte. Februar war Six-Nations-Monat, was bedeutete, dass die Waliser an diesem Wochenende scharenweise als Drachen verkleidet und überdimensionale aufblasbare Lauchstangen schwenkend in die Stadt einfallen würden. Fox würde sich das Spiel vermutlich im Fernsehen anschauen, vielleicht würde er sich sogar dazu aufraffen, in den Pub zu gehen. Seit fünf Jahren trank er nun nichts mehr, hatte sich in den letzten zwei Jahren aber hin und wieder einen Besuch im Pub zugetraut. Allerdings nur in der richtigen Gemütsverfassung, nur wenn sein Wille stark genug gewesen war.
Er hängte seinen Mantel auf und beschloss, dass er auch das Jackett ablegen konnte. Manche der Kollegen im Polizeipräsidium hielten seine Hosenträger für Affektiertheit, aber er hatte fast sechs Kilo abgenommen, und Gürtel mochte er nicht. Die Hosenträger waren nicht besonders auffällig - dunkelblau auf unifarbenem, hellblauem Hemd. Seine Krawatte war heute dunkelrot. Er hängte das Jackett über die Rückenlehne seines Stuhls und strich es an den Schultern glatt, bevor er sich hinsetzte, die Verschlüsse seiner Aktentasche hochschob und die Unterlagen über Glen Heaton herausholte. Heaton war der Grund für die kurze Beifallsbekundung der internen Ermittler. Heaton war ein Ergebnis. Fox und sein Team hatten beinahe ein Jahr gebraucht, um das Material für ein Verfahren zusammenzutragen. Jetzt war ihr Fall von der Staatsanwaltschaft angenommen worden, und Heaton, den man bereits verwarnt und vernommen hatte, würde vor Gericht gestellt werden.
Glen Heaton - seit fünfzehn Jahren bei der Polizei, elf davon beim Criminal Investigation Department. Und während dieser elf Jahre hatte er die Vorschriften meistens zu seinem Vorteil ausgelegt. Aber er war zu weit gegangen, hatte nicht nur seinen Kumpels bei der Presse, sondern auch Kriminellen Informationen zugeschanzt. Und damit einmal mehr das Interesse der Inneren geweckt.
Complaints and Conduct hieß ihre Abteilung offiziell. Sie waren die Polizisten, die gegen andere Polizisten ermittelten. Die »Leisetreter«, die »Schleicherbrigade«. Innerhalb der Abteilung gab es eine Untereinheit - die Professional Standards Unit. Während Complaints and Conduct die bodenständigen Fälle bearbeitete - Beschwerden über Streifenwagen, die auf Behindertenparkplätzen standen, oder Polizisten in der Nachbarschaft, die zu laut Musik hörten -, galt die PSU zuweilen als »die dunkle Seite«. Ihre Ermittler spürten Rassismus und Korruption auf. Sie befassten sich mit Fällen, in denen Schmiergelder kassiert oder beide Augen zugedrückt worden waren. Sie gingen geräuschlos, akribisch und entschlossen vor und verfügten über so viel Macht, wie sie brauchten, um ihre Arbeit zu erledigen. Fox und sein Team gehörten zur PSU. Ihr Büro lag in einem anderen Stockwerk als das Complaints and Conduct Department und war um einiges kleiner. Monatelang hatte Heaton unter Beobachtung gestanden, man hatte seinen privaten Telefonanschluss abgehört, seine Handy-Telefonverzeichnisse überprüft, mehrfach seinen Computer durchforstet - alles ohne sein Wissen. Er war beschattet und fotografiert worden, sodass Fox am Ende mehr über den Mann wusste als dessen eigene Frau, bis hin zu der Stripteasetänzerin, mit der Heaton ein Verhältnis gehabt hatte, und dem Sohn aus einer früheren Beziehung.
Von anderen Polizisten hörten die internen Ermittler immer dieselben Fragen: Wie kannst du das nur machen? Wie kannst du auf deinesgleichen spucken? Schließlich waren das Beamte, mit denen man schon gearbeitet hatte oder womöglich in Zukunft arbeiten würde. »Die Guten« nannte man sie auch. Aber genau da lag das Problem: Was bedeutete es, »gut« zu sein?
Darüber hatte Fox oft gegrübelt, den Blick starr in den Spiegel hinter der Bar gerichtet, in der Hand ein weiteres Glas Alkoholfreies.
Hier sind wir, und dort sind sie, Foxy ... Manchmal muss man den kürzesten Weg nehmen, oder man kriegt gar nichts auf die Reihe ... Hast du das denn nie gemacht? Bist du vielleicht weißer als weiß? Wie jungfräulicher Schnee?
Nein, er war nicht wie jungfräulicher Schnee. Manchmal fühlte er sich fortgeschwemmt - in die PSU hinein, ohne es wirklich gewollt zu haben; in Beziehungen ... und nur allzu bald von neuem fortgeschwemmt. An diesem Morgen hatte er seine Schlafzimmervorhänge aufgezogen und sich beim Anblick des Schnees gefragt, ob er anrufen und sagen sollte, er sei steckengeblieben. Doch dann war das Auto eines Nachbarn vorbeigekrochen und die Lüge dahingeschmolzen. Er war zur Arbeit erschienen, weil er nun einmal so war: Er erschien zur Arbeit, und er ermittelte gegen Polizisten. Heaton war jetzt vom Dienst suspendiert, wenn auch bei vollem Gehalt. Die Fallakte war an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden.