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Ein Kuss für die Ewigkeit - Roman

Sandra Brown

 

Verlag Blanvalet, 2012

ISBN 9783641100377 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

1


Sie hatte sich ganz bewusst für einen Platz im hinteren Teil des Seminarraums entschieden, denn sie wollte ihn möglichst unauffällig beobachten. Zu ihrer Verblüffung musste sie sich eingestehen, dass er sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert hatte. Stattdessen schien sich seine maskuline Ausstrahlung seit ihrer letzten Begegnung noch verstärkt zu haben. Wie alt mochte er jetzt sein? Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, und dummerweise war die magnetisierende Anziehungskraft, die er seinerzeit auf sie ausgeübt hatte, ungebrochen.

Während seiner Vorlesung schrieb Shelley eifrig mit. Obwohl das Wintersemester erst vor zwei Wochen begonnen hatte, ging er seinen Stoff zügig durch, um sie auf die Abschlussprüfungen im Dezember vorzubereiten. Und er hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Studenten.

Die Seminare für politische Wissenschaften fanden in einem der ältesten Bauten auf dem Campus statt. Allerdings hätten die efeuberankten Mauern eher zu einer der Eliteuniversitäten an der Ostküste gepasst als zu einem College im tiefsten Oklahoma. Indes wirkte das ehrwürdige Gebäude mit seinen knarrenden Holzdielen und den hellen, stuckverzierten Fluren beschaulich-anheimelnd auf die Studenten.

Dozent Grant Chapman stand vor seinen Studenten, die Arme locker auf ein Pult gestützt. Aus massiver Eiche gefertigt, waren die Zeichen der Zeit scheinbar spurlos an dem Möbel vorübergegangen.

Genau wie an diesem Mann, sinnierte Shelley. Mr. Chapman wirkte sportlich trainiert wie vor zehn Jahren. So manches Mädchenherz hatte damals höher geschlagen, wenn er mit dem Schulteam der Poshman Valley Highschool gegen gegnerische Basketball-Mannschaften angetreten war. Nur mit Sportshorts und T-Shirt bekleidet, hatte Grant Chapman den Schülerinnen glatt den Atem genommen. Auch Shelley Browning. Zehn Jahre später, und der athletische, junge Lehrer hatte sich in einen dynamischen, distinguierten Dozenten verwandelt.

Silberne Fäden durchzogen das dunkle Haar, das er noch genauso leger frisiert trug wie damals. Lange Haare waren an der Poshman Valley High zwar verpönt gewesen, aber als junger, fortschrittlicher Pädagoge hatte er sich über diese eherne Regel locker hinweggesetzt.

Shelley konnte sich noch lebhaft daran erinnern, als sie das erste Mal von Grant Chapman gehört hatte.

»Shelley, Shelley, der neue Geschichtslehrer sieht einfach umwerfend aus!«, hatte ihre Freundin sie aufgeregt begrüßt. Das war einen Tag nach den Sommerferien gewesen. »Wir bekommen ihn im zweiten Halbjahr. Er sieht wirklich spitzenmäßig aus! Und er hat Ahnung! Endlich mal ein junger Typ, da geht der Geschichtsunterricht bestimmt voll ab!«, hatte das Mädchen geschwärmt. Dann war sie zu den anderen gelaufen, um ihnen von diesem Glückstreffer zu berichten. »Oh, und er heißt Chapman, Grant Chapman«, hatte sie Shelley noch über die Schulter hinweg zugerufen.

Soeben ging er auf den Einwurf einer Studentin ein. Shelley registrierte weder die Frage noch seine tief schürfende Antwort. Sie konzentrierte sich ganz auf seine sonore, wohlklingende Stimme. Dicht über ihr Schreibpult gebeugt, schloss sie unwillkürlich die Augen und erinnerte sich spontan wieder daran, wann sie den sanft akzentuierten Tonfall das erste Mal gehört hatte.

»Browning, Shelley? Sind Sie anwesend?«

Ihr Herzschlag hatte für Sekundenbruchteile ausgesetzt. Keiner mochte es, wenn er gleich am ersten Schultag nach den Ferien aufgerufen wurde. Schlagartig waren zwanzig neugierige Augenpaare auf sie geheftet. Mit leicht fahriger Hand hatte sie aufgezeigt. »Ja, Sir.«

»Miss Browning, Sie haben wohl versehentlich Ihre Gymnastikhose liegen lassen. Sie wurde im Umkleideraum gefunden. Miss Virgil hat sie an sich genommen.«

Die Klasse war in hämisches Johlen und Pfeifen ausgebrochen. Mit flammend roten Wangen hatte sie sich stammelnd bei dem neuen Lehrer bedankt. Daraufhin hielt er sie bestimmt für eine dämliche Kuh. Komisch, aber seine Meinung war ihr wichtiger gewesen als die ihrer Mitschülerinnen.

Als sie an jenem Tag aus der Klasse gespurtet war, hatte er sie an der Tür beiseitegenommen. »Das mit vorhin tut mir leid. Es war bestimmt nicht meine Absicht, Sie vor der Klasse bloßzustellen«, hatte er sich entschuldigt. Ihre Freundinnen standen neidisch dabei und bekamen große Augen.

»Das macht doch nichts«, hatte Shelley nur matt geantwortet.

»Oh doch. Als Wiedergutmachung bekommen Sie von mir fünf Bonuspunkte in der ersten Klassenarbeit, versprochen.«

Sie hatte die fünf Extrapunkte nie bekommen, weil sie bei Klausuren ohnehin fast immer die volle Punktzahl erreichte. Und Geschichte war in jenem Halbjahr ihr absolutes Lieblingsfach.

»Meinen Sie die Zeit vor dem Vietnamkrieg oder danach?«, hakte Mr. Chapman eben bei der Studentin nach, die sich nach der öffentlichen Einflussnahme auf die Entscheidungen der Regierung erkundigt hatte.

Kurz entschlossen lenkte Shelley ihre Gedanken wieder auf die Gegenwart. Wetten, er erinnerte sich nicht mehr an »Browning, Shelley« und ihre verschlampte Gymnastikhose? Inzwischen hatte er vermutlich längst verdrängt, dass er knapp vier Monate lang Lehrer an der Poshman Valley Highschool gewesen war. Nach allem, was er durchgemacht hatte! Sentimentalität konnte man sich nämlich nicht leisten, wenn man die Karriereleiter zum Kongressmitglied und Senatsberater hinaufkletterte. Und einen öffentlichen Skandal locker wegsteckte. Immerhin hatte man Grant Chapman ein paar unangenehme Dinge vorgeworfen, die vor Jahren in einer ländlichen Kleinstadt passiert sein sollen und die sein facettenreiches Leben überschatteten.

Dass er sich für sie kaum verändert hatte, hing vielleicht auch damit zusammen, dass sie ihn zigmal im Fernsehen erlebt hatte. Von Journalisten und Reportern belagert, hatte er Stellung zu dem Skandal nehmen müssen, der ganz Washington tief erschütterte. Sein Foto war ihr von den Titelseiten der Zeitungen förmlich ins Auge gesprungen. Die Schnappschüsse waren wenig schmeichelhaft gewesen – trotzdem hatte sich sein Gesicht unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Shelley war sich fast sicher, dass er sie nicht wiedererkannte. Mit sechzehn war sie nämlich eine dürre Bohnenstange gewesen. Inzwischen wirkte ihre schlanke Silhouette femininer, weicher und weiblich proportioniert. Ihre Gesichtszüge hatten sich verändert. Statt kindlicher Pausbacken betonten hohe Wangenknochen ihre rauchblauen Augen.

Die langen Ponyfransen, die ihr als Schulmädchen kess in die Stirn wippten, waren längst passé. Mittlerweile kämmte sie die Haare streng zurück, so dass sie ihre schön geschwungenen Brauen und den herzförmigen Haaransatz betonten. Von Natur aus brünett, umschmeichelte die dichte, dunkel schimmernde Mähne ihre Schultern wie flüssiges Kupfer.

Das fröhliche Cheerleader-Girl war Schnee von gestern. Vorbei war die Zeit der Unschuld, des Idealismus. Die Frau, die dort in dem Seminarraum saß, war sich des Unrechts in der Welt und deren Unzulänglichkeiten vollkommen bewusst. Genau wie Grant Chapman. Sie hatten sich beide verändert, waren andere als vor zehn Jahren. Und Shelley fragte sich zum vielleicht hundertsten Mal, warum sie sich ausgerechnet für sein Seminar eingeschrieben hatte.

»Berücksichtigen Sie bitte die damalige Position Präsident Johnsons«, gab er gerade zu bedenken.

Shelley warf einen verstohlenen Blick auf ihre Armbanduhr. Das Seminar dauerte nur noch eine Viertelstunde, und sie hatte sich gerade einmal zwei Zeilen notiert. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie mit Bausch und Bogen durch die Prüfung rasseln und das Grundstudium nicht schaffen. Dabei hatte sie im ersten Semester in Staatsbürgerkunde mit Auszeichnung bestanden.

Sie erinnerte sich an einen kalten, windigen Tag in jenem längst vergangenen Herbst.

»Hätten Sie nicht Lust, mir an ein paar Nachmittagen pro Woche bei den Unterrichtsvorbereitungen zu assistieren?«, hatte er sie gefragt.

Sie trug den Windblouson ihres damals aktuellen Boyfriends und hatte die Fäuste in den tiefen Jackentaschen vergraben. Mr. Chapman hatte sie auf dem Schulhof zwischen Sporthalle und Unterrichtsgebäude angesprochen. Seine für die Schulordnung zu langen Haare umwehten wild seinen Kopf. Nur mit einem Trainingsanzug bekleidet, stemmte er sich gegen den beißenden Nordwind.

»Natürlich, wenn Sie nicht wollen, sagen Sie es mir ruhig …«

»Nein, nein«, stammelte sie hastig und befeuchtete sich die spröden Lippen. »Das heißt, ja. Also, ich würde das gern machen. Wenn Sie meinen, dass ich das packe.«

»Sie sind meine beste Schülerin. Ihre Klausur über das Rechtssystem war herausragend.«

»Danke.« Sie errötete. Mist, und wieso hatte sie aus heiterem Himmel rasendes Herzklopfen? Er war doch nur ein Lehrer. Sicher, aber nicht irgendein Lehrer.

»Wenn Sie die allgemeinen Fragenkomplexe in den Tests durchgehen, lese ich die Ausarbeitungen. Das spart mir abends eine Menge Zeit.«

Schlagartig hatte sich ihr die Frage aufgedrängt, was er abends denn wohl machte. Traf er sich mit einer Frau, hatte er eine feste Freundin? Darüber hatten die Mädchen schon auf etlichen Schlafpartys spekuliert. Allerdings hatte Shelley ihn in der Stadt noch nie mit jemandem zusammen gesehen.

Einmal abends, als sie mit ihrer Familie im Wagonwheel Steakhouse zum Essen gewesen war, hatte er dort gesessen. Allein. Er hatte ihr höflich zugenickt, und sie wäre am liebsten gestorben. Was blieb ihr anderes übrig, als ihm mit hochrotem Kopf ihre Eltern vorzustellen? Daraufhin war er aufgestanden, um ihrem Vater freundlich die Hand zu schütteln. Nachdem sie einen Tisch zugewiesen bekommen hatten, musste ihr kleiner...