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Wie ein Ruf in der Stille - Roman

Sandra Brown

 

Verlag Blanvalet, 2012

ISBN 9783641100384 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

1


Meinst du, dein Mann weiß das mit uns, Liebling?« Er umarmte sie leidenschaftlich, streifte mit seinen Lippen zärtlich ihre Schläfen.

»Und wenn schon? Ist mir doch egal«, erklärte sie. »Ich hab dieses Versteckspiel restlos satt. Ich möchte, dass alle es erfahren.«

»Oh, mein Schatz, mein süßer Schatz.« Der Mann neigte den Kopf. Dummerweise verpasste er ihr dabei einen absolut unromantischen Nasenstüber.

»Schnitt!«, brüllte jemand über die Lautsprecher am Set. Lauri Parrish fuhr erschrocken zusammen.

»Was zum Teufel ist denn mit euch los? Bekommt ihr heute gar nichts auf die Reihe? Wir hängen jetzt seit geschlagenen anderthalb Stunden an dieser blöden Szene fest.« Eine kurze Pause folgte, Schauspieler und Kamerateam blickten betreten in die Runde. »Ich komm runter.«

Lauri beobachtete fasziniert, wie die Schauspielerin zu ihrem Partner herumschnellte und ihn anfauchte: »Ich war zu nah an Kamera eins, Drake. Nicht du.«

»Rechnen war noch nie deine große Stärke, Lois. Es war Kamera drei. Ach, übrigens, hast du eigentlich keine Bedenken, dass Kamera eins die Narben von deinen diversen Faceliftings einfangen könnte?«

»Mistkerl«, zischte die Schauspielerin. Sie schob sich an dem feixenden Kameramann vorbei und stakste über den kalten Betonboden des Fernsehstudios in Richtung der Umkleiden.

Lauri Parrish, die eher zufällig bei den Aufnahmen zu der beliebten Daily Soap Antwort des Herzens gelandet war, fand die Episode ungeheuer spannend. Wegen ihres Ganztagsjobs hatte sie zwar keine Gelegenheit, sich das Nachmittagsprogramm anzuschauen, wusste aber wie die meisten Amerikaner um dieses spezielle Serien-Highlight. Viele berufstätige Frauen legten die Mittagspause mithin bewusst so, dass sie das Fernsehdrama um die sexuellen Abenteuer und die persönlichen Krisen von Dr. Glen Hambrick nie verpassten.

Vor ein paar Tagen war Dr. Martha Norwood, Gründerin des Norwood-Instituts für Taubstumme und Hörgeschädigte, mit einer Bitte an sie herangetreten. Lauri war dort als Lehrerin beschäftigt.

»Es geht um Jennifer Rivington, eine unserer Schülerinnen. Ihr Vater möchte sie von der Schule nehmen«, hatte ihre Chefin das Gespräch begonnen.

»Ich kenne Jennifer ganz gut«, antwortete Lauri. »Sie leidet unter einer starken Hörbehinderung, ist total unkommunikativ und unzugänglich.«

»Das ist es ja, was ihrem Vater Sorgen macht.«

»Vater? Keine Mutter?«

Dr. Norwood überlegte kurz, bevor sie antwortete: »Nein, ihre Mutter ist tot. Ihr Vater hat einen etwas ungewöhnlichen Job. Deshalb ist Jennifer schon sehr früh in unser Internat gekommen. Sie hat sich aber bei uns nie wohlgefühlt. Jetzt möchte er eine private Lehrkraft einstellen, die sie in seinem Haus betreut. Ich dachte, das könnte Sie interessieren, Lauri.«

Die junge Frau zog kaum merklich die schön geschwungenen dunklen Brauen hoch. »Ich weiß nicht. Können Sie mir vielleicht ein bisschen mehr darüber erzählen?«

Die grauhaarige Dame musterte ihre Lehrkraft aus scharfsichtigen blauen Augen. Sie hielt große Stücke auf Lauri. »Viel mehr kann ich dazu im Moment auch nicht sagen. Mr. Rivington möchte wohl, dass die Lehrerin mit Jennifer nach New Mexico zieht. Er hat dort ein Haus in einer kleinen Gemeinde in den Bergen.« Dr. Norwood lächelte milde. »Ich weiß doch, dass Sie lieber heute als morgen von New York fortwollen. Und Sie sind mit Sicherheit qualifiziert für eine solche Aufgabe.«

Lauri lachte leise. »Wenn man wie ich in Nebraska aufgewachsen ist, findet man New York zwangsläufig zu laut und zu beengt. Ich bin seit acht Jahren hier, und ich vermisse die ländliche Umgebung, die unendlichen Weiten, die Berge.« Sie schob sich eine vorwitzige brünette Locke aus der Stirn. »Scheint mir ganz so, als wollte Mr. Rivington die Verantwortung für seine Tochter auf jemand anderen abschieben. Ist er der Typ Vater, der sein Kind ablehnt, weil es behindert ist?«

Dr. Norwood blickte auf ihre sorgfältig manikürten Hände, die gefaltet auf der Schreibtischplatte ruhten. »Seien Sie nicht so vorschnell mit Ihrer Beurteilung, Lauri«, krittelte sie sanft. Bisweilen war die junge, tüchtige Pädagogin ziemlich impulsiv. Das war ihr größtes Manko – sie neigte zu voreiligen Schlüssen. »Wie schon erwähnt, die Umstände sind ziemlich ungewöhnlich.«

Die Institutsleiterin stand abrupt auf, die Besprechung war zu Ende. »Sie müssen sich nicht schon heute entscheiden, Lauri. Ich möchte, dass Sie sich Jennifer in den nächsten Tagen genauer anschauen. Gehen Sie ein bisschen auf sie zu. Und dann sollten Sie sich mit Mr. Rivington zusammensetzen und alles Weitere besprechen.«

»Natürlich, Doktor Norwood. Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, mach ich das gern.«

Auf dem Weg zu der Rauchglastür des Büros rief Dr. Norwood ihr nach: »Ach, Lauri, noch eins. Geld ist kein Thema.«

»Doktor Norwood, wenn ich einen Job als Privatlehrerin annehme, dann weil ich denke, dass es positiv für die Entwicklung des Kindes ist«, antwortete die junge Frau entwaffnend aufrichtig. »Und nicht wegen der Bezahlung.«

»Das dachte ich mir«, erwiderte Dr. Norwood lächelnd.

Gleich am nächsten Morgen hatte die Schulleiterin ihr ein Stück Papier mit einer Adresse in die Finger gedrückt und gesagt: »Dort werden Sie heute um drei Uhr erwartet. Fragen Sie nach Mr. D. L. Rivington. Er weiß Bescheid.«

Lauri war zunächst verblüfft gewesen, als der Taxifahrer vor einem Komplex mit Fernsehstudios angehalten hatte. Neugierig, wer dieser Mr. Rivington wohl sein mochte, betrat sie das weitläufige Gebäude. Als sie am Empfang nach ihm fragte, meinte die hübsche junge Rezeptionistin kichernd: »Dritter Stock.«

Lauri wollte in Richtung Aufzug steuern, doch das Mädchen hielt sie mit den Worten auf: »Einen Augenblick, bitte. Wie war noch gleich Ihr Name?« Nachdem sie sich vorgestellt hatte, warf die Rezeptionistin einen Blick auf ihre Besucherliste. »Ah, Sie sind das, Miss L. Parrish. Sie können direkt reingehen. Aber seien Sie leise. Die drehen noch.«

Lauri trat aus dem Aufzug und fand sich in einem gigantischen Aufnahmestudio wieder. Sie war beeindruckt von der Ausstattung und den Akteuren.

Das riesige Studio unterteilte sich in einzelne Sets für die aktuell produzierte Soap. Eine Szene bestand aus Krankenhausbett mit pseudo-medizinischem Equipment. Eine weitere war als Wohnraum möbliert, eine Küche auf einem knappen Quadratmeter nachgestellt. Sie schlenderte durch die Kulissen, spähte interessiert in die abgetrennten Nischen, angestrengt bemüht, nicht über das Gewirr der ausgerollten Kabel von Kameras und Monitoren zu stolpern, die sich kilometerlang über den Boden schlängelten.

»Hey, Kleine, was kann ich für dich tun?«, rief ein vorlauter Kameramann, die Daumen lässig in den Bund seiner Jeans gesteckt.

Entgeistert stammelte Lauri: »Ich – ähm – ja, Mr. Rivington? Ich muss ihn sehen.«

»Mr. Rivington?«, grölte der Typ, als hätte sie eben einen Superwitz gemacht. »Das wird schwierig. Haben Sie sich unten angemeldet?« Sie nickte. »Dann ist alles okay. Aber warten Sie, bis wir die Szene im Kasten haben, ja?«

»Ähm – ja.« Was hatte er damit wohl gemeint?, rätselte sie für sich.

»Stellen Sie sich dorthin und keinen Mucks, okay? Und fassen Sie bloß nichts an«, warnte einer der Techniker.

Lauri stellte sich hinter die Kameras, die eine Sequenz in einem nachgestellten Krankenhausfoyer filmten.

Während der unfreiwilligen Wartezeit entdeckte sie unvermittelt den Schauspieler, für den Millionen von Amerikanerinnen schwärmten. Er saß lässig auf einer der Requisiten und knabberte an einem Apfel, den er sich aus einem Korb auf dem Tisch geangelt hatte. Lauri überlegte, ob seine weiblichen Fans auch so begeistert gewesen wären, wenn sie mitbekommen hätten, wie Drake Sloan seine Partnerin soeben angepflaumt hatte. Aber diese flegelhafte Art gehörte vermutlich zu seinem Sex-Appeal, oder? Er spielte den Macho-Mediziner, der in der beliebten Krankenhausserie jeden unterbutterte und dem dank seines unverschämt guten Aussehens sämtliche Herzen zuflogen.

Tja, dachte Lauri mit einem Anflug von Ironie, so viele Frauen können sich nicht irren. Er hatte etwas Raubtierhaftes an sich – sofern man auf diesen Typ Mann stand. Und er war ein echter Hingucker. Seine aschblonden Haare schimmerten unter der Studiobeleuchtung heller, wie sonnengesträhnt. Dichte, dunkle Brauen und ein dunkler Oberlippenbart bildeten dazu einen ungewöhnlichen Kontrast. Der Bart unterstrich seinen sinnlichen Mund, der Hausfrauen, Karrieregirlies und Großmütter an den Rand des Nervenzusammenbruchs trieb. Das Umwerfendste an ihm waren jedoch die strahlend grünen Augen. Bei Nahaufnahmen schwelte in ihnen ein Feuer, das ungelogen jeden Eisblock zum Dahinschmelzen gebracht hätte.

Von ihrem Beobachtungspunkt aus, etwas abseits der grellen Studiobeleuchtung, verfolgte Lauri, wie Drake Sloan mit katzenhafter Geschmeidigkeit aufstand und den Apfelrest zielsicher in einen Abfallkorb warf.

Abfällig musterte sie seine Garderobe. Kein Chirurg trug dermaßen knallenge Hosen bei der Arbeit. Der grüne Operationskittel war figurbetont geschnitten und passte dem hoch gewachsenen, schlanken Drake Sloan wie eine zweite Haut. Der V-förmig ausgeschnittene Kragen enthüllte seine dunkel behaarte Brust. Als wenn so was in einem Operationsraum erlaubt wäre, überlegte Lauri verächtlich schnaubend.

Sie hörte eine Stimme hinter sich und drehte sich um. Der Mann, der sich vermutlich vorhin aus der Technik zu Wort gemeldet hatte, steuerte in Richtung Requisite, die...