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Sein letzter Fall - Roman
Håkan Nesser
Verlag btb, 2004
ISBN 9783894808334 , 544 Seiten
Format ePUB, OL
Kopierschutz Wasserzeichen
9 (S. 75-76)
Als Maarten Verlangen am Montagmorgen, dem 9. Juni, sein Büro in Besitz nahm, hatte er seit dem Mittwoch der vergangenen Woche seinen Fuß nicht mehr hineingesetzt. Folglich hatte er – unter anderem – das Neuwe Blatt der letzten fünf Tage, um sich die Zeit zu vertreiben. Laut einem unausgesprochenen Gentleman’s Agreement schob ihm die Witwe Meredith ihr Exemplar immer durch den Briefschlitz, nachdem sie es gelesen und das Fernsehprogramm ausgeschnitten hatte. Die Geste war als Dank für Verlangens Einsatz vor eineinhalb Jahren anzusehen, als dieser den perversen Übeltäter aufgespürt hatte, der eine Zeit lang davon besessen war, seine Exkremente in ihren Briefkasten zu stopfen, ein junger und zeitweise viel versprechender Jurist aus dem Bankenwesen, wie sich herausstellen sollte, der eine Persönlichkeitsveränderung durchgemacht hatte, nachdem er bei einer Radtour auf der Keymer Plejn direkt mit dem Kopf gegen eine Straßenbahn gestoßen war. Als er entlarvt worden war, hatte Verlangen ein gewisses Mitleid mit dem armen verwirrten Mann empfunden und ihn ein halbes Jahr lang regelmäßig im Krankenhaus Majorna besucht.
Es gab trotz allem immer noch Leute, denen es schlechter ging als ihm selbst.
Er stapelte die Zeitungen chronologisch auf seinem Schreibtisch. Zündete sich eine Zigarette an und hörte den Anrufbeantworter ab. Nichts von Barbara Hennan. Insgesamt nur drei Nachrichten: eine von der Versicherungsgesellschaft, eine von jemandem namens Wallander, der wieder anrufen wollte, und einmal falsch verbunden.
Er wählte die Nummer der Villa Zephir. Keine Antwort. Er las die Mittwochsausgabe des Neuwe Blatt und versuchte es noch einmal. Keine Antwort.
Er zündete sich eine neue Zigarette an und ging die Donnerstagsund Freitagsausgaben durch. Das dritte Mal gilt, dachte er.
Zum Teufel auch. Die Klingeltöne hallten genauso einsam wie seine Gedanken. Er legte den Hörer auf und überlegte, was er tun sollte. Hatte es überhaupt einen Sinn, die Hennan-Beschattung fortzuführen? Hatte er eine Art Schuldigkeit, das zu tun?
Wohl kaum. Er hatte drei Tage an der Sache gearbeitet (war zumin dest drei Tage lang in Linden an Ort und Stelle gewesen), sein Tageshonorar waren dreihundert Gulden, und er hatte immerhin tausend von Frau Hennan erhalten. Unter Berücksichtigung der Hotelrechnung und dem einen oder anderen konnte man also sagen, dass der Betrag so ziemlich die Ausgaben deckte, die er bisher gehabt hatte.
Vielleicht am besten, alles auf sich beruhen zu lassen. Die elegante Amerikanerin und ihren zweifelhaften Ehemann zu vergessen und sich anderen Dingen zu widmen.
Andererseits: noch so ein Tausender und ein paar Tage auf der halben Pobacke absitzen, das wäre auch nicht zu verachten. Und schon gar nicht, da es im Augenblick nichts anderes gab, dem er sich hätte widmen können. Abgesehen von einem so genannten Job auf Erfolgsbasis, der eine Bande Graffiti-Vandalen betraf, die seit ein paar Monaten ihr Unwesen trieben. Die Geschäftsleute von Linden hatten eine Belohnung von fünftausend Gulden ausgeschrieben für denjenigen, der die Jugendlichen schnappen würde, aber auch wenn Verlangen ein oder zwei mögliche Namen und ein paar Gesichter vor Augen hatte, die in Erwägung zu ziehen waren, so war die Sache noch lange nicht im Kasten.