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Handbuch der Internationalen Politik

Carlo Masala, Frank Sauer, Andreas Wilhelm

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2010

ISBN 9783531921488 , 506 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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46,99 EUR


 

Rekonstruktionslogische Forschungsansätze (S. 285-286)

Ulrich Franke / Ulrich Roos


Die rekonstruktiv verfahrende Sozialforschung zeichnet sich gegenüber subsumtionslogischer Forschung vor allem dadurch aus, dass ein Untersuchungsgegenstand nicht unter vorab entwickelte Kategorien subsumiert, sondern aus einer ergebnisoffenen Grundhaltung heraus erschlossen werden soll (vgl. hierzu den Beitrag von Benjamin Herborth in diesem Band). Die Konsequenzen eines solchen Ansatzes für die konkrete Forschungspraxis stehen im Zentrum des vorliegenden Beitrages. Anhand der objektiven Hermeneutik und der Grounded Theory werden zwei rekonstruktionslogische Forschungsansätze vorgestellt, die zwar in fachfremden Kontexten entstanden sind, jedoch problemlos dazu eingesetzt werden können, um das Spektrum der Vorgehensweisen in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen zu erweitern.

Bevor objektive Hermeneutik (Abschnitt 1) und Grounded Theory (Abschnitt 2) im Einzelnen dargestellt werden, sollen hier zunächst einige der zentralen Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen ihnen zusammengefasst werden. Auf der Ebene der Gemeinsamkeiten ist – wie der Titel dieses Kapitels ja bereits signalisiert – die rekonstruktionslogische Orientierung beider Ansätze zu nennen. Diese äußert sich primär darin, dass der Forschungsprozess an einen konkreten Untersuchungsgegenstand gebunden und in dem Sinne offen ist, dass die Forscher im Rahmen der Analyse ihres Materials stets dazu bereit bleiben, sich von den Ergebnissen der Interpretation überraschen zu lassen – und so zu neuen, gegebenenfalls irritierenden Ergebnissen gelangen.

Darüber hinaus wurzeln objektive Hermeneutik und Grounded Theory in der amerikanischen Philosophie des Pragmatismus (vgl. hierzu den Beitrag von Gunther Hellmann in diesem Band). Für diese in der ersten Generation von Charles Sanders Peirce (1839-1914), William James (1842-1910), John Dewey (1859-1952) und George Herbert Mead (1863-1931) begründete Philosophie ist kennzeichnend, dass menschliches Handeln den Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen bildet. Alles Handeln wird als per se sozial gedacht, jede Einzelhandlung stellt immer bereits einen sozialen Akt dar.

Die Anhänger des Pragmatismus wenden sich gegen eine (Überbetonung der) Unterscheidung zwischen Denken und Handeln oder auch zwischen Sprechen und Handeln. Die im Schoße des Pragmatismus entstandene, von John Austin (1911-1960) und seinem Schüler John Searle (geb. 1932) entwickelte Sprechakttheorie gehört folglich ebenso zu den Gemeinsamkeiten zwischen objektiver Hermeneutik und Grounded Theory.1 Ganz gleich, ob Menschen sprechen oder nonverbal agieren, verweisen ihre Äußerungsformen stets auf Sinn und Bedeutung – und können deshalb gelesen, d.h. interpretiert werden.

Diverse Verfahren zur Interpretation solchen Sinns und solcher Bedeutung sind es schließlich auch, die sowohl von der objektiven Hermeneutik als auch der Grounded Theory bereitgestellt werden. Gleichwohl können beide nicht als Methoden im engeren Sinne verstanden werden. Es handelt sich bei ihnen um Methodologien, um die konstitutionstheoretische Explikation von Methoden also. Eine solche Explikation kennzeichnet, dass sie zunächst das Spektrum aller potentiellen Untersuchungsgegenstände konstituiert.