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Das amerikanische Hospital - Roman

Michael Kleeberg

 

Verlag Deutsche Verlags-Anstalt, 2010

ISBN 9783641048792 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

"S. (121-122)

Es war der November 1996. Hélènes Mann stand unten neben dem Empfangstresen des amerikanischen Hospitals und wartete auf seine Frau. Er hatte sie in langen Gesprächen beredet, versucht zu überzeugen, weichgeklopft, beschworen, es noch einmal zu versuchen. Vielleicht sei es gerade dieses eine letzte Mal, das es noch gebraucht haben würde. Dr. Le Goff, der kaum mehr verhehlte, mit seinem Latein am Ende zu sein, und ohne es explizit zu sagen, ihr eher nahelegen wollte zu verzichten, es sei denn, natürlich, ein Wunder könne immer passieren, Dr. Le Goff hatte, um noch einmal etwas Neues zu versuchen, einen Blastozystentransfer vorgeschlagen.

Dabei wird anders als bei der klassischen IVF der Transfer der Embryonen nicht am zweiten oder dritten Tag nach der Punktion vorgenommen, sondern es wird vier, fünf Tage gewartet, bis die Embryonen das so genannte Blastozystenstadium erreichen, das heißt den Zeitpunkt, an dem sie sich auch im Verlauf einer normalen Schwangerschaft in der Gebärmutter einnisten würden. Le Goff erklärte, er erhoffe sich davon eine bessere Auswahl vitaler Embryonen, da nicht alle das Blastozystenstadium erreichen und die Forschung annehme, die mit der besten Qualität verfügten auch über das beste Einnistungspotenzial. Hélène war also telefonisch auf diesen fünften Tag nach der Punktion bestellt worden, am Vortag hatte noch ein Zellklumpen sich weiterentwickelt, der nun eingesetzt werden sollte.

Während ihr Mann, zu aufgeregt, unten wartete, erfuhr Hélène in Le Goffs Büro vor den Fotos der segelnden bretonischen Familie, dass seit dem Morgen auch die Entwicklung des letzten verbliebenen Embryos Unregelmäßigkeiten aufweise und Le Goff daher von einem Transfer abrate. Hélène bedankte sich, verabschiedete sich, verabschiedete sich beim Hinausgehen auch von Anne-Laure und nahm den Aufzug nach unten. Als sie eben im Korridor um die Ecke biegen und zum Ausgang gehen wollte, kreuzte ein Mann ihren Weg, den sie kannte. Sie hielt inne und konnte sich nicht mehr bewegen.

Sie sah aus den Augenwinkeln ihren Ehemann an der Tür und den Amerikaner in der Tür des Clubraumes stehen. Aber direkt vor ihr ging sehr langsam und vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, ohne ihn vom Boden zu heben, der Mann vorüber, der Marcello Mastroianni gewesen war. Er war es noch: die etwas gebeugte Haltung, der große Kopf nach vorn geschoben, das füllige graue Haupthaar, das an den Schläfen zurückwich, die Himmelfahrtsnase, die tausendmal gesehene, bewunderte, vertraute Erscheinung.

Aber er war es zugleich auch nicht mehr: Er hatte ein Pinocchio-, ein Pulcinellagesicht, das sein Puppenspieler, der Tod, mit seinem Schnitzmesser bereits Lage für Lage abgehobelt und abgetragen hatte; unter der gespannten Haut, unter deren Bräune wie eine Wachsschicht gelbliche Blässe lag, zeichnete die knochige Schädelstruktur sich deutlich ab."