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Kunde von Nirgendwo

William Morris

 

Verlag Jazzybee Verlag, 2012

ISBN 9783849632090 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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0,99 EUR


 

Wie das Leben eingerichtet ist


 

„Wohlan," sagte ich, „könnten Sie mir Aufschluß über jene Anordnungen und Einrichtungen geben, von denen Sie sprechen und die bei Ihnen an Stelle der Negierung getreten sind?"

 

„Nachbar," sagte er, „wir haben zwar unser Leben im Vergleich mit früher sehr vereinfacht, haben viele gesellschaftliche Formen und viele falsche Bedürfnisse abgeschafft, die unseren Vorvätern viele Mühe machten; immerhin ist jedoch unser Leben zu verwickelt, als daß ich Ihnen bloß mit Worten in allen Einzelheiten sagen könnte, wie es geregelt ist. Sie müssen das selbst herausfinden, indem Sie unter uns leben. Es ist wahr, ich kann Ihnen besser sagen, was wir nicht tun, als was wir tun"

 

„So?"

 

„Ja, und nun hören Sie. Wir leben wenigstens seit hundertundfünfzig Jahren mehr oder weniger auf unsere jetzige Art; eine Überlieferung oder Gewohnheit des Lebens ist mit uns verwachsen, und diese Überlieferung und Gewohnheit läßt uns zum allgemeinen Besten handeln. Für uns ist es leicht, zu leben, ohne uns gegenseitig zu berauben und zu vergewaltigen. Wir könnten einander befehden und berauben, es würde uns dies aber schwerer fallen als die Enthaltung von Zank und Diebstahl. Das ist in Kürze die Grundlage unseres Lebens und unseres Glückes."

 

„Während es in der alten Zeit sehr schwer war, ohne Streit und Raub zu leben. Das ist es doch, was Sie damit sagen wollen," fragte ich, „indem Sie mir die negative, die verneinende Seite Ihrer günstigen Lebensbedingungen zeigen?"

 

„Ja," antwortete er, „es war so schlimm, daß die, welche gewohnheitsgemäß anständig gegen ihre Nächsten handelten, als Heilige und Helden gefeiert und mit der größten Verehrung betrachtet wurden."

 

„Während sie lebten?" fragte ich.

 

„Nein," antwortete er, „nach ihrem Tode."

 

„Sie wollen mir doch nicht sagen," erwiderte ich, „daß in der jetzigen Zeit kein Mensch die Grenzen guter Kameradschaft überschreitet?"

 

„Gewiß nicht," sagte Hammond, „wenn aber einmal eine Überschreitung vorkommt, dann weiß jedermann - der Überschreiter selbst und alle anderen -, was es ist: der Irrtum eines Freundes, nicht die gewohnheitsmäßige Handlung einer Person, die methodisch zur Feindschaft gegen die Gesellschaft getrieben wurde."

 

„Ich sehe, Sie wollen sagen, daß Sie keine Verbrecherklasse haben."

 

„Wie könnten wir eine haben, da es keine reiche Klasse mehr gibt, die durch die Ungerechtigkeit des Staates Feinde des Staates erzieht?"

 

„Mir ist," erwiderte ich, „als hätten Sie vorhin einmal gesagt, daß Sie das Bürgerliche Gesetzbuch abgeschafft hätten. Ist dem wirklich so?"

 

„Es hat sich selbst abgeschafft, mein Freund. Die bürgerlichen Gerichtshöfe waren nur zur Verteidigung des Privateigentums eingerichtet, denn jedermann glaubte, daß es nur durch rohe Gewalt möglich sei, die Leute ehrlich und anständig zu machen. Nachdem das Privateigentum abgeschafft war, hatten auch alle die Gesetze und all die vom Gesetz bestraften Verbrechen, welche aus dem Privateigentum entstanden waren, ihr Ende erreicht. ,Du sollst nicht stehlen’ musste übersetzt werden in ,Du sollst arbeiten, um glücklich zu sein’. Brauchen wir diesen Befehl durch Gewalt zu erzwingen?"

 

„Nun gut," sagte ich, „das läßt sich verstehen, und ich stimme bei. Wie verhält es sich aber mit Verbrechen der Gewalttätigkeit? Machen sie - und Sie geben ja zu, daß solche Verbrechen vorkommen -, machen diese Verbrechen nicht ein Strafgesetz nötig?"

 

Darauf sagte er: „In Ihrem Sinne des Wortes haben wir kein Strafgesetz. Lassen Sie uns den Gegenstand näher betrachten und sehen, woraus die Verbrechen der Gewalttätigkeit entspringen. Der bei weitem größere Teil dieser Verbrechen war in früherer Zeit die Folge der Eigentumsgesehe, welche die Befriedigung der natürlichen Triebe nur den privilegierten Wenigen gestatteten, und des allgemeinen greif- und sichtbaren Zwanges, der aus jenen Gesetzen hervorging. Diese Ursache der Gewaltverbrechen ist vollständig weggefallen. Viele Gewalttaten entstanden auch durch die künstliche Verkehrung der geschlechtlichen Leidenschaften, welche übertriebene Eifersucht und ähnlichen Jammer hervorriefen. Wenn Sie diese Verbrechen eingehend betrachten, so werden Sie finden, daß das, was ihnen zugrunde lag, meistens der Gedanke war (ein zum Gesetz gemachter Gedanke), daß die Frau das Eigentum des Mannes sei, ob er nun ihr Ehemann, Vater oder Bruder war. Dieser Gedanke ist natürlich mit dem Privateigentum verschwunden, ebenso wie gewisse Torheiten über den ,Fall’ der Frau, das heißt darüber, daß sie ihren natürlichen Trieben in ungesetzlicher Weise folgte, was wieder nur die Folge einer aus den Eigentumsgesetzen hervorgegangenen Übereinkunft war.

 

„Eine andere verwandte Ursache der Gewaltverbrechen war die Familientyrannei, die früher so häufig den Gegenstand von Romanen und Erzählungen bildete und die gleichfalls dem Privateigentum entsprang. Natürlich ist dies alles vorüber, seitdem die Familien nicht mehr durch den Zwang sozialer oder gesetzlicher Bande, sondern nur durch gegenseitige Liebe und Zuneigung zusammengehalten sind und jeder und jede kommen und gehen kann wie er oder sie will. Ferner ist unser Maßstab für Ehre und öffentliche Achtung sehr verschieden von dem früheren. Der Weg, zu Ansehen zu gelangen durch Schädigung unseres Nächsten, ist jetzt abgeschnitten und wir hoffen für immer. Jedermann kann frei seine besonderen Fähigkeiten bis zum äußersten ausbilden, und jedermann ermuntert ihn dazu. So sind wir die scheelsehende Mißgunst los geworden, die von den Dichtern gewiß mit gutem Grunde dem Haß vermählt wird. Unsägliches Unglück und viel böses Blut wurde durch dieses schlimme Paar verursacht, was bei erregbaren und leidenschaftlichen Menschen, das heißt bei tatkräftigen Naturen zur Gewalttätigkeit führte."

 

Ich lachte und sagte: „Mit anderen Worten, Sie behaupten jetzt, bei Ihnen gebe es keine Gewalttätigkeit?"

 

„Nein," sagte er, „das wäre nicht richtig. Derlei Dinge kommen freilich zuweilen vor. Heißes Blut irrt mitunter. Ein Mensch schlägt den anderen, und dieser gibt’s zurück, und - nehmen wir das Schlimmste an - das Ende ist ein Totschlag. Was aber dann? Sollen wir, seine Nachbarn und Nächsten, das Schlimmste dann noch schlimmer machen? Sollen wir so kleinlich voneinander denken, daß wir annehmen, der Getötete rufe uns zur Rache auf, da wir doch wissen, daß, wenn er bloß verkrüppelt worden wäre, er seinem Gegner verziehen hätte, sobald er zur Besinnung und ruhigen Überlegung gelangt wäre? Oder wird der Tod des Totschlägers den Toten wieder ins Leben zurückrufen, oder das Unglück, welches sein Verlust verursacht, wieder gutmachen?"

 

„Ja," sagte ich, „aber bedenken Sie, muss nicht die Sicherheit der Gesellschaft durch irgendwelche Strafe gewährleistet werden?"

 

„Nachbar," sagte der alte Mann mit einiger Erregung, „das ist der Punkt, auf den es ankommt. Die Strafe, über welchen Begriff die Menschen so weise zu sprechen und so töricht zu handeln pflegten, was war sie anders als der Ausdruck ihrer Furcht? Und sie hatten auch Grund, sich zu fürchten, weil sie, das heißt die Führer der Gesellschaft - wie eine bewaffnete Horde in einem feindlichen Lande wohnten. Aber wir, die wir unter unseren Freunden leben, wir brauchen weder Furcht noch Strafe. Gewiß ist: wenn wir aus Furcht vor einem gelegentlichen äußerst seltenen Totschlag oder einer gelegentlichen derben Mißhandlung feierlich und gesetzlich Mord und Gewalttat verübten, so wären wir nur eine Gesellschaft von elenden Feiglingen. Denken Sie nicht auch so, Nachbar?"

 

„Ja, wenn ich es von dieser Seite betrachte, allerdings."

 

„Sie müssen verstehen," fuhr der alte Mann fort, „wenn irgendeine Gewalttat begangen worden ist, so erwarten wir, daß der Angreifer die ihm mögliche Sühne gibt - und er selber erwartet dies. Und bedenken Sie doch: kann die Vernichtung oder ernstliche Beschädigung eines Menschen, den Wut oder Raserei einen Augenblick überkommen hat, eine Sühne für das Gemeinwesen sein? Sie würde doch sicherlich nur eine weitere Schädigung der Gesellschaft bilden."

 

„Nehmen wir an," fuhr ich fort, „der Mann habe einen Hang zu Gewalttätigkeiten, er tötete zum Beispiel jährlich einen Menschen?"

 

„So etwas ist uns unbekannt," erwiderte Hammond; „in einer Gesellschaft, wo es keine Strafe gibt, der man zu entrinnen, kein Gesetz, über das man zu triumphieren sucht, folgen Gewissensbisse unfehlbar der Übertretung."

 

„Und wie werden Sie mit den kleineren...