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Zum Glück Pauline - Roman

David Foenkinos

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2013

ISBN 9783406654213 , 411 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,49 EUR

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1


Man spürt gleich, wenn so etwas anfängt. Mir war sofort klar, dass da irgendetwas nicht stimmte. Was für Umwälzungen dann auf mich zukommen sollten, konnte ich freilich nicht ahnen. Am Anfang fühlte ich nur einen diffusen Schmerz, einen leichten Stich im Kreuz. Das hatte ich noch nie gehabt, es war aber an sich kein Grund zur Beunruhigung. Bestimmt nur eine Verspannung, die mit den in letzter Zeit gestiegenen Sorgen zusammenhing.

Die Situation spielte sich an einem Sonntagnachmittag ab, an einem der ersten schönen Sonntage des Jahres. Man freut sich, dass die Sonne scheint, auch wenn sie noch schwach und nicht allzu vertrauenserweckend ist. Meine Frau und ich hatten ein befreundetes Pärchen zum Mittagessen eingeladen, das heißt, wir luden eigentlich immer dasselbe Pärchen zum Mittagessen ein. So, wie ich mich an die Liebe zu meiner Frau gewöhnt hatte, so hatte ich mich an die Freundschaft zu diesem Pärchen gewöhnt. Wobei, eine Kleinigkeit hatte sich verändert: Wir waren in einen Pariser Vorort gezogen, in ein Häuschen mit Garten. Wir waren mächtig stolz auf unseren Garten. Meine Frau pflanzte Rosenstöcke in geradezu erotischer Andacht, und ich begriff, dass auf diesen paar Quadratmetern Grünfläche all ihre sinnlichen Hoffnungen ruhten. Manchmal, wenn ich mit ihr zwischen den Blumen umherspazierte, überkam uns unsere Vergangenheit. Dann gingen wir hinauf ins Schlafzimmer und waren für zwanzig Minuten noch mal zwanzig. Diese Momente waren unendlich kostbar. Man konnte mit Élise der Trägheit jederzeit ein paar Augenblicke rauben. Sie war so zart und drollig, dass ich mich jeden Tag aufs Neue dazu beglückwünschte, Kinder mit ihr zu haben.

Als ich den Kaffee und die vier Tassen auf einem Tablett ins Wohnzimmer trug, erkundigte sie sich:

«Alles in Ordnung mit dir? Du siehst ein bisschen kaputt aus.»

«Mir tut der Rücken weh, aber geht schon.»

«Das ist das Alter …», seufzte Édouard in dem ihm eigenen ironischen Ton.

Ich sagte ein paar beschwichtigende Worte. Ich mochte es nicht, wenn sich alle so für mich interessierten. Oder zumindest mochte ich in dem Augenblick nicht der Gegenstand des Gesprächs sein. Aber nichts zu machen, ich spürte diese leichten Stiche im Rücken. Meine Frau und meine Freunde unterhielten sich, und ich war nicht in der Lage, ihrer Unterhaltung zu folgen. Vollkommen fixiert auf meinen Schmerz, versuchte ich mich zu erinnern, ob ich mich in den vergangenen Tagen besonders angestrengt hatte. Nein, ich verstand einfach nicht, woher diese Schmerzen kamen. Ich hatte nichts Schweres gehoben, keine falsche Bewegung gemacht, mein Körper war auf keine wie auch immer gearteten Abwege geraten. Aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, das hier müsse etwas ganz Schreckliches sein. Instinktiv nahm ich die Sache nicht auf die leichte Schulter. War ich darauf programmiert, immer das Schlimmste anzunehmen? Ich hatte schon so oft davon gehört, dass Krankheiten ein Leben zerstören können.

«Möchtest du noch was von der Erdbeertorte?», fragte Élise und unterbrach meine düsteren Gedanken. Wie ein Kind hielt ich ihr meinen Teller hin. Ich aß und betastete zugleich meinen Rücken. Irgendetwas kam mir nicht ganz normal vor (da war so eine Art Beule), aber ich hätte nicht sagen können, ob die jetzt real war oder die Ausgeburt meiner ängstlichen Fantasie. Édouard sah von seiner Erdbeertorte auf und schaute mich an:

«Tut’s immer noch weh?»

«Ja … ich weiß nicht, was das ist», gestand ich leicht panisch.

«Vielleicht solltest du dich mal ein bisschen hinlegen», meinte Sylvie.

Sylvie ist Édouards Frau. Ich hatte sie in der zwölften Klasse im Gymnasium kennengelernt. Das heißt, das war nun über zwanzig Jahre her. Sie war damals schon zwei Jahre älter als ich. Der Altersunterschied zwischen zwei Menschen stellt den einzigen Abstand dar, den man nicht verringern kann. Während ich anfangs vollkommen fasziniert von ihr war, sah sie in mir immer bloß einen kleinen Jungen. Samstags nahm sie mich manchmal zu obskuren Ausstellungen in genauso obskuren Galerien mit, wo wir die einzigen Besucher waren.

Sie erklärte mir, was ihr gefiel und was ihr nicht gefiel, und ich strengte mich an, einen eigenen Geschmack zu entwickeln (umsonst: ich war immer ganz ihrer Meinung). Sie malte eifrig und verkörperte für mich ein Freiheitsideal, das Boheme-Leben. Alles, was ich sofort aufgegeben hatte, als ich mich für ein BWL-Studium einschrieb. Einen Sommer lang hatte ich hin und her überlegt, denn ich wollte eigentlich schreiben. Das heißt, ich hatte eine vage Idee zu einem Buch über den Zweiten Weltkrieg. Doch schließlich schloss ich mich der vorherrschenden Meinung* an und entschied mich für etwas Handfestes. Seltsamerweise hatte mich auch Sylvie in diesem Entschluss bestärkt, obwohl sie gar nichts von mir gelesen hatte. Ihr Rat hatte also mit keinerlei Geringschätzung meiner Arbeit zu tun. Wahrscheinlich glaubte sie, ich sei für ein unstetes Künstlerdasein mit all seinen Selbstzweifeln und Unsicherheiten nicht gemacht. Ich sah bestimmt aus wie ein junger Mann, der ein geregeltes Leben führte. Der ein geregeltes Leben führte und zwanzig Jahre später mit Rückenschmerzen in seinem Einfamilienhaus in einem Vorort sitzen würde.

Einige Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, stellte mir Sylvie Édouard vor. «Der Mann meines Lebens», verkündete sie trocken. Solche Worte beeindruckten mich immer. Diese triumphale Beredtheit, diese sagenhafte Gewissheit in der ungewissesten Sache der Welt: der Liebe. Wer vermag zu sagen, ob das, was jetzt ist, immer so sein wird? Jedenfalls hatte sie wohl recht, denn ihre anfängliche Gewissheit wurde durch die Jahre nicht erschüttert. Sylvie und Édouard bildeten ein unwahrscheinlich anmutendes Paar, bei dem niemand hätte sagen können, ob die beiden auch ein paar Dinge gemeinsam hatten. Sylvie, die mir gegenüber immer die Schönheit des Flatterhaften gerühmt hatte, hatte sich unsterblich in einen Studenten der Zahnmedizin verliebt. Dass auch Édouard künstlerisch veranlagt war, sollte sich mir erst mit der Zeit erschließen. Aber er konnte mit der Begeisterung eines Künstlers von seiner Arbeit reden. Ekstatisch studierte er die zahnärztlichen Instrumentarienkataloge – sein Bohrer musste immer der letzte Schrei sein. Um ein Leben mit den Zähnen fremder Leute zu verbringen, ist sicher eine gehörige Portion Wahnsinn vonnöten. Auch das begriff ich erst nach einer Weile. Nachdem ich ihn zum ersten Mal getroffen hatte, erinnere ich mich, wollte ich von Sylvie wissen:

«Mal ehrlich, was gefällt dir an ihm?»

«Die Art, wie er von meinen Backenzähnen spricht.»

«Jetzt hör aber auf, sag mal im Ernst.»

«Ich weiß es nicht, er gefällt mir eben. Das ist einfach so, fertig.»

«Aber du kannst dich doch nicht in einen Zahnarzt verlieben. Niemand mag Zahnärzte. Und nebenbei bemerkt, wird man gerade deswegen Zahnarzt, weil einen niemand mag …»

Das hatte ich aus Eifersucht gesagt oder vielleicht auch, um ihr ein Lächeln abzuringen. Sie strich mir mit der Hand übers Gesicht und sagte dann:

«Du wirst sehen, du wirst ihn auch mögen.»

«…»

Zu meinem großen Erstaunen sollte sie recht behalten. Édouard wurde mein bester Freund.

Ein paar Monate später begegnete mir selbst die große Liebe. Die Sache war eigentlich ganz leicht. Jahrelang hatte ich mich in Mädchen verliebt, die mich überhaupt nicht beachteten. Mein mangelndes Selbstvertrauen nagte an mir, während ich versuchte, das Unerreichbare zu erreichen. Als Élise auftauchte, hatte ich die Hoffnung auf ein Leben in Zweisamkeit fast schon aufgegeben. Es gibt dazu im Prinzip nichts zu erzählen; ich meine, alles war so selbstverständlich. Es war einfach schön, wenn wir zusammen waren. Wir gingen spazieren, ins Kino und redeten von den Dingen, die uns etwas bedeuteten. Nach all den Jahren bin ich immer noch ergriffen, wenn ich an unsere Anfänge zurückdenke. Es kommt mir so vor, als liege diese Zeit zum Greifen nahe. Ich kann kaum glauben, dass wir gealtert sind. Aber wer kann das schon? Édouard und Sylvie sind immer noch da. Wir sitzen beim Essen und reden noch immer über die gleichen Themen. Die Zeit kann uns nichts anhaben. Alles bleibt, wie es war. Bis auf eines: diese Rückenschmerzen, die ich seit heute habe.

Auf Sylvies Ratschlag hin ging ich nach oben und legte mich hin. Die Schmerzen unbekannter Herkunft ließen nicht nach. Mein Schädel brummte wie nach einer durchzechten Nacht. Dabei hatte ich nur ein Glas Wein getrunken. Nach ein paar Minuten gesellte sich Édouard zu mir:

«Na, wie geht’s? Wir machen uns schon Sorgen um dich.»

«Das ist echt nicht lustig gerade.»

«Das glaub ich. Ich kenn dich, du bist ja sonst nicht der Mann, der groß Theater macht.»

«…»

«Kann ich mal sehen, wo es wehtut?»

«Hier», sagte ich und deutete auf die Stelle.

«Wenn es dir nichts ausmacht, schau ich mir das mal an.»

«Aber du bist doch Zahnarzt.»

«Na ja, ein...