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Das Gilgamesch-Epos - Mythos, Werk und Tradition

Walther Sallaberger

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2013

ISBN 9783406652141 , 130 Seiten

2. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,49 EUR

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2. Die Welt des Gilgamesch-Epos


Mesopotamien, Keilschrift, Sumerisch und Akkadisch: einige Grundbegriffe


Mesopotamien, das Land «zwischen den Flüssen» Euphrat und Tigris, wird im Süden von der Arabischen Wüste, im Norden vom Taurus (Anatolien) und im Osten vom Zagros-Gebirge (Iran) begrenzt. Im Süden Mesopotamiens, dem heutigen Süd-Irak, liegt Babylonien, die Schwemmlandebene von Euphrat und Tigris zwischen Samarra und dem Golf, die nach Babylon, der Hauptstadt des zweiten und ersten Jahrtausends, benannt ist. Hier befinden sich die Städte des Gilgamesch-Epos: Uruk selbst, Nippur, die Stadt Enlils, und Schuruppag, die Heimat Utnapischtis. Im dritten Jahrtausend teilte man Babylonien in Sumer im Süden und das Land Akkad im Norden, und nach diesen Landschaften wurden die Hauptsprachen Mesopotamiens Sumerisch und Akkadisch genannt. Sumerisch wurde im dritten Jahrtausend in Südbabylonien gesprochen, Akkadisch dominierte anfangs im Norden Mesopotamiens. Das Land Akkad war benannt nach der gleichnamigen Stadt Akkade, die wohl nördlich von Bagdad nahe Samarra zu suchen ist, die Hauptstadt des ‹ersten Weltreichs der Geschichte›, das Sargon (um 2320) begründete.

Nördlich an Babylonien schließt sich das nach der Hauptstadt Assur benannte Assyrien entlang des Tigris an, das bis an die Gebirge Taurus und Zagros reicht (nördlicher Irak). Obermesopotamien umfasst die Ebenen und Hügel südlich von Taurus und Tur Abdin zwischen Euphrat und Tigris (heute größtenteils Staatsgebiet von Syrien).

Um die immer komplexer werdende Organisation zu bewältigen, erfanden die Sumerer im späten vierten Jahrtausend die Schrift, wohl in der damals größten Stadt Uruk. Ihren Namen verdankt die Keilschrift den charakteristischen Eindrücken, die die Spitze eines dreieckigen Rohrgriffels im lederharten Ton einer Tontafel hinterlässt. Das Material der Tontafeln ist für unsere Kenntnis des Alten Orients entscheidend: Denn Tontafeln sind so widerstandsfähig, dass jeder Text, und sei er noch so unbedeutend und rasch hingeschrieben, erhalten bleiben kann. Daher sind nicht nur Inschriften oder oft kopierte Literaturwerke, sondern auch Alltagstexte, Urkunden, Abrechnungen, Privatbriefe und Notizen überliefert. Kein anderes Schreibmaterial weist eine ähnliche Haltbarkeit auf wie Tontafeln. Die sumerische Sprache hat die Schrift entscheidend geprägt. Denn die ersten Zeichen waren Piktogramme, Bildzeichen, die ein Objekt einfach und prägnant abbildeten; übertrug man die sumerische Benennung des Objekts auf das Zeichen, so konnte das Zeichen einen Lautwert, einen Vokal oder eine Silbe, wiedergeben. Eine stilisierte Welle steht für das Konzept «Wasser»; das heißt auf Sumerisch a; deshalb steht die Welle für den Vokal a. Der Himmel, sumerisch an, wird durch einen Stern angedeutet; oder ein Kopf, bei dem der Mundbereich hervorgehoben ist, steht für ka «Mund» oder nach dem Wort für «Zahn» für einen Lautwert zu. Mit solchen Silbenzeichen der Form a, an, ka, kak, die dann im Gebrauch jeden Bezug zum ursprünglichen Bild verloren haben, lassen sich Namen und jede beliebige Sprache schreiben: gi-il-ga-meš = gilgameš, en-ki-du3 = enkidu (wobei die Indexziffer 3 bei du3 modern festgelegt wurde, um es von anderen Zeichen mit der Lesung du zu unterscheiden). Außer für Silben konnten Zeichen aber auch als Wortzeichen für Begriffe stehen: Das Zeichen für «Himmel», der stilisierte Stern, stand auch für «Gott», ganz gleich in welcher Sprache (sumerisch diŋir, akkadisch ilu, hethitisch šiuš, elamisch napi usw.). Die mesopotamische Keilschrift blieb bis zuletzt eine gemischte Wort–Silbenschrift, die neben dem Sumerischen für ein Dutzend Sprachen gebraucht wurde.

Für das Sumerische, das in Südbabylonien im dritten Jahrtausend gesprochen wurde, konnte man bis heute keine verwandten Sprachen identifizieren. Nach dem Untergang des mächtigen Reiches von Ur (2003) verlor das Sumerische im 20. Jahrhundert seine Bedeutung als Alltagssprache. Dennoch lebte es als Kult- und Literatursprache bis zum Ende der Keilschrift weiter: Mit den Schriftzeichen lernte man die Sprache, aus der sie stammten.

Ab der Mitte des dritten Jahrtausends ist das Akkadische bezeugt. Als semitische Sprache ist Akkadisch etwa mit dem Arabischen, dem Hebräischen, Aramäischen oder Phönikischen verwandt, wurde aber durch den Kontakt mit dem Sumerischen geprägt. Im zweiten und ersten Jahrtausend gliederte es sich in das Babylonische im Süden, bezeugt bis ins 1. Jahrhundert n. Chr., und das Assyrische im Norden, das bis um 600 geschrieben wurde. Die kulturelle Dominanz Babyloniens äußert sich unter anderem darin, dass das Babylonische als Sprache der Literatur und des Kultes auch in Assyrien gebraucht wurde; sogar die assyrischen Könige des ersten Jahrtausends schrieben ihre Inschriften babylonisch.

Stadt: Zivilisation und Machtzentrum


Als Zentren mesopotamischer Kultur und Gesellschaft fungierten die großen Städte. Sie wurden kaum im Gegensatz zum bebauten Land gesehen. Uruk besteht ja zu gleichen Teilen aus «Stadt», «Dattelpalmgärten», in denen unter den Dattelpalmen Obststräucher und Gemüse wachsen konnten, und «Niederungen», den freien Flächen zum Lehmabbau, die sich mit Wasser füllten und vielleicht dem Ackerbau dienten (I 22, XI 327; s.S. 18). Vor allem war den Bewohnern bewusst, dass sie auf den Ertrag der Felder angewiesen waren. Der Ackerbau bedeutete in Babylonien immer Gemeinschaftsarbeit, da Gerste und Weizen in diesem Trockengebiet nur auf bewässerten Feldern gedeihen konnten und Rindergespanne nur im kommunalen Einsatz auf großen Flächen rentabel waren. Alle Bewohner, sogar Kunsthandwerker des Palastes, mussten im Bedarfsfall auf den Feldern mitarbeiten, etwa wenn bei der Ernte wirklich jede Hand gebraucht wurde. Andererseits bedingte gerade die Dichte einer städtischen Bevölkerung, dass zahlreiche spezialisierte Berufe von den verschiedenen Handwerkern bis zum Händler, Schreiber, Arzt oder Priester nebeneinander existierten. Uruk nimmt man im Epos immer als einen lebendigen Ort voller Menschen wahr; die Bewohner treten dort in sozialen Gruppen, nicht als Individuen auf: die jungen Männer, die Frauen, die Ältesten, die Dirnen, die Handwerker.

Das Selbstverständnis der Kultur wurde nicht so sehr durch die gemeinsame Felderwirtschaft geprägt als vielmehr durch die Institution der Stadt. Als Gemeinwesen wurde sie gerade in Babylonien zu allen Zeiten von einer Versammlung geführt, in der Vertreter der einflussreichen Familien der Stadt zusammenkamen. Jeden Bewohner betraf die Rechtssprechung der städtischen Richterkollegien. Doch auch politische Entscheidungen wurden auf städtischer Ebene gefällt. Gilgamesch muss seinen Zug in den Zedernwald vor den Versammlungen von «Ältesten» und «jungen Männern» seiner Stadt rechtfertigen (Tafel III). Er wendet sich auch an sie in seiner Totenklage um Enkidu (VIII 43). Und Utnapischti weist darauf hin, dass der Thron des Herrschers in der Versammlung steht und damit von deren Konsens abhängt (X 271).

Eine altorientalische Stadt stellte ein Gewirr von Gassen, Straßen und kleineren Plätzen dar, dicht bebaut mit Häusern, die sich zu ihrem Innenhof hin öffneten. Uruk war umgeben von der mächtigen Stadtmauer, die im Altertum als «Werk des Gilgamesch» galt. Der altbabylonische König Anam von Uruk (um 1800) bezeichnete sie so in der Inschrift auf einer Steintafel, die er bei einer Erneuerung der Mauer deponierte. Wie alle Bauwerke in Babylonien war die Mauer aus Lehmziegeln errichtet, dem dort in unerschöpflicher Menge vorhandenen Baumaterial. Stein hingegen hätte in die Flussebene mühsam importiert werden müssen. In besonderen Fällen wurden die Lehmziegel zu Backsteinen gebrannt. Anam hatte zum Schutz vor Wasser gebrannte Ziegel für die Mauer von Uruk eingesetzt; auch im Epos ist von Backsteinen die Rede (I 20, XI 325). Für die gewaltige erste Anlage der Stadtmauer aus frühdynastischer Zeit (ca. 29./28. Jahrhundert) wurden auch Backsteine verwendet (vgl. S. 47). Diese Mauer umschließt eine Fläche von etwa 5 km2. Dem sollten die Flächen von «1 šāru Stadt» und «½ šāru Ischtar-Tempel» (I 22, XI 327) entsprechen, wenn die Palmgärten und die Niederungen außerhalb der Mauer liegen. 1 šāru bezeichnet ab altbabylonischer Zeit eine Fläche (1 šāru = 1080 ikû à 0,36 Hektar), und hier lässt sich tatsächlich eine recht gute Übereinstimmung erreichen, denn Stadt und Ischtartempel umfassen zusammen 5,832 km2.

Im Zentrum der Stadt lag als weitaus größtes und höchstes Gebäude der Haupttempel. Dass der Tempel sogar ein Drittel der Stadtfläche einnehme wie im Epos gesagt, ist zwar zu hoch gegriffen, mag aber einem ersten Eindruck entsprechen. Ein babylonischer Tempel diente als Wohnort der Gottheit auf Erden und folgte daher dem Grundriss eines Wohnhauses. Neben einem Haupttempel erhob sich ein gestufter massiver Turm aus...