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Ein Kuss um Mitternacht

Eloisa James

 

Verlag LYX, 2014

ISBN 9783802594649 , 380 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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1


Yarrow House

Wohnsitz von Mrs Mariana Daltry,

ihrer Tochter Victoria und Miss Katherine Daltry

Miss Katherine Daltry, von fast allen nur Kate genannt, stieg wutschnaubend vom Pferd.

Es sollte angemerkt werden, dass ihr dieser Zustand durchaus vertraut war. Früher hatte sie sich lediglich über ihre Stiefmutter aufgeregt. Doch erst nachdem ihr Vater gestorben war, und die neue Mrs Daltry Herrin im Hause spielte, hatte Kate gelernt, die volle Bedeutung von Zorn zu ermessen.

Sie wurde zornig, wenn sie zusehen musste, wie alteingesessene Pächter gezwungen wurden, entweder die doppelte Pacht zu entrichten oder aber Cottages zu verlassen, in denen sie ihr Leben lang gewohnt hatten. Sie war zornig, wenn die Ernte verdarb und Unkraut die Hecken überwucherte, weil ihre Stiefmutter zu geizig war, um Geld in die Erhaltung der Ländereien zu stecken. Sie wurde zornig, wenn das Geld ihres Vaters dazu herhalten musste, um immer neue Kleider und Hüte und Rüschenplunder zu kaufen … und zwar in solchen Mengen, dass ihre Stiefmutter und Stiefschwester wohl kaum genug Tage im Jahr finden würden, um den Flitterkram zu tragen.

Ebenso mit Wut erfüllten sie die mitleidigen Blicke ihrer Bekannten, die sie beim Dinner nicht mehr zu Gesicht bekamen. Darüber hinaus war sie in eine Dachkammer verbannt worden, deren verwohntes Mobiliar nur allzu deutlich zeigte, welche Stellung sie nun in der Familie einnahm. Kate verachtete sich dafür, dass sie es nicht fertigbrachte, dieses Haus zu verlassen und einen Schlussstrich zu ziehen. Außerdem war sie von Demütigung und Verzweiflung erfüllt und davon überzeugt, dass ihr Vater sich vor Gram in seinem Grabe umdrehen müsse.

Sie stampfte die Vordertreppe hinauf und wappnete sich für die Schlacht, wie ihr Vater gesagt hätte. »Hallo, Cherryderry«, begrüßte sie den liebenswerten, alten Butler, der ihr die Tür öffnete. »Spielen Sie neuerdings auch den Lakai?«

»Ihre Durchlaucht hat die Lakaien nach London geschickt, um einen Arzt zu holen«, sagte Cherryderry. »Oder besser gesagt, zwei Ärzte.«

»Hat sie mal wieder einen Anfall?« Kate streifte vorsichtig ihre Handschuhe ab, da das Futter bereits lose saß. Früher einmal hätte sie sich Sorgen gemacht, ob ihre Stiefmutter, die vom Personal nur »Durchlaucht« genannt wurde, ernstlich erkrankt war, doch diese Zeiten waren lange vorbei. Nach Jahren des blinden Alarms und nächtlichem Gekreische, man sei dem Tode nahe – und am Ende hatten sich die Anfälle als Verdauungsbeschwerden entpuppt.

Doch wie Cherryderry einmal angedeutet hatte, konnte man immer noch hoffen.

»Nicht Ihre Durchlaucht diesmal. Es geht, soweit ich verstanden habe, um Miss Victorias Gesicht.«

»Um den Biss?«

Der Butler nickte. »Ihre Lippe ist schief, wie uns ihre Zofe heute Morgen sagte. Außerdem ist die Stelle geschwollen.«

Trotz ihrer Bitterkeit verspürte Kate einen Anflug von Mitleid. Die arme Victoria hatte außer ihrem hübschen Gesicht und ihren noch hübscheren Kleidern nicht viel vorzuweisen. Wenn sie fürs Leben entstellt wäre, würde es ihrer Stiefschwester das Herz brechen.

»Ich muss mit Ihrer Durchlaucht über die Frau des Vikars sprechen«, sagte sie und reichte Cherryderry ihre Pelisse. »Vielmehr die Witwe des Vikars. Nach seinem Tod habe ich der Familie ein anderes Cottage gegeben.«

»Eine schlimme Sache«, bemerkte der Butler. »Besonders bei einem Vikar. Ein Vikar sollte keinen Selbstmord begehen.«

»Er hat sie mit vier Kindern alleingelassen«, sagte Kate.

»Es ist für einen Mann auch nicht einfach, den Verlust eines Beins zu verschmerzen.«

»Aber nun müssen die vier Kinder seinen Verlust verschmerzen«, konterte sie kühl. »Ganz zu schweigen davon, dass meine Stiefmutter seiner Witwe gestern einen Räumungsbefehl geschickt hat.«

Cherryderry starrte finster vor sich hin. »Ihre Durchlaucht befiehlt, dass Sie heute Abend mit ihnen speisen.«

Kate blieb auf der Treppe stehen. »Was hat sie gesagt?«

»Sie sollen heute Abend mit ihnen speisen. Lord Dimsdale wird auch zugegen sein.«

»Das soll doch wohl ein Scherz sein!«

Doch der Butler schüttelte den Kopf. »So hat sie es befohlen. Und außerdem hat sie beschlossen, dass Miss Victorias Ratten fortmüssen, und hat sie vorerst in Ihre Kammer verbannt.«

Kate schloss einen Moment lang die Augen. Der Tag, der bereits schlecht begonnen hatte, drohte, noch schlimmer zu werden. Sie verabscheute die Schoßhündchen ihrer Stiefschwester, die im Haus liebevoll – oder auch nicht ganz so liebevoll – die »Ratten« genannt wurden. Ebenso wenig konnte sie Algernon Bennett leiden, den Verlobten ihrer Stiefschwester. Er lächelte zu viel. Doch am meisten widerstrebte ihr die Aussicht, zu einem Dinner im engsten Familienkreis erscheinen zu müssen.

Normalerweise konnte Kate verdrängen, dass sie einst die Herrin dieses Hauses gewesen war. Bevor ihre Mutter starb, war sie jahrelang bettlägerig gewesen, und Kate hatte sie nur als ständig kränkelnde Frau in Erinnerung. Stets hatte sie mit dem Vater allein am Esstisch gesessen, jeden Tag mit ihrer Haushälterin Mrs Swallow das Menü besprochen. Sie hatte erwartet, bald in die Gesellschaft eingeführt zu werden, eines Tages zu heiraten und in diesem Haus ihre Kinder großzuziehen.

Doch das war vor Vaters Tod gewesen. Danach war sie zu einer Dienstmagd degradiert und in die Dachkammer verbannt worden.

Und jetzt sollte sie zum Dinner erscheinen, in einem aus der Mode gekommenen Kleid, und die absurden Komplimente Lord Dimsdales ertragen? Warum nur?

Mit einer unguten Vorahnung im Bauch stürmte Kate die Treppe hoch. Ihre Stiefmutter saß vor der Frisierkommode und begutachtete ihren Teint. Nachmittägliches Licht fiel durch das Fenster auf ihre Schultern und ließ ihr Haar aufleuchten. Es wirkte grell und hart, dieses gelbliche, metallisch glänzende Haar, als wäre es aus Erz. Sie trug ein Morgenkleid mit einem plissierten Mieder aus veilchenblauem Tüll, das unter den Brüsten mit einem Band geschnürt wurde. Ein wunderbares Kleid … für eine blutjunge Debütantin.

Mariana konnte es nicht ertragen, dass sie die Vierzig bereits überschritten hatte. Wahrscheinlich war sie schon verzweifelt gewesen, als sie dreißig wurde. Und so kleidete sie sich in einem Stil, der eigentlich dem einer Zwanzigjährigen entsprach. Eines musste man Kates Stiefmutter zugestehen: Sie besaß Mut und gab nichts auf die Konventionen, die einer alternden Frau gewisse Zwänge auferlegten.

Doch so viel Ehrgeiz die Kleider auch demonstrierten, sie gestanden zugleich Marianas Scheitern ein. Denn noch hatte es keine Frau geschafft, mit vierzig wie zwanzig auszusehen, und kein hinreißendes Kleid konnte einem die Jugend zurückgeben.

»Wie ich sehe, hast du die Besuche bei deinen Freunden beendet und dich endlich dazu bequemt, heimzukehren«, sagte Mariana schroff.

Kate sah sich kurz im Boudoir ihrer Stiefmutter um und beschloss, einen Kleiderstapel von einem Möbel zu entfernen, das mit großer Wahrscheinlichkeit ein Schemel war. Überall im Zimmer türmten sich Stoffe zu bauschigen Hügeln auf, auf sämtlichen Stühlen gestapelt – oder zumindest dort, wo man Stühle vermuten würde. Das Zimmer wirkte daher wie eine Schneelandschaft in Pastelltönen, aus der hier und da weiche Stoffhügel aufragten.

»Was tust du da?«, fragte die Stiefmutter, als Kate die Kleider auf ihre Arme stapelte.

»Ich setze mich«, erwiderte sie und ließ den Kleiderhaufen auf den Boden fallen.

Mit einem schrillen Schrei sprang die Stiefmutter auf. »Geh nicht so mit meinen Kleidern um, dummes Ding! Die zwei oberen sind gerade erst geliefert worden, und sie sind kostbar. Wenn ich auch nur eine Falte entdecke, wirst du die ganze Nacht bügeln!«

»Ich bügele doch nie«, entgegnete Kate. »Hast du’s schon vergessen? Ich habe einmal eines deiner Kleider versengt, ein weißes, vor drei Jahren.«

»Ach, der persische Brokat!«, rief die Stiefmutter und faltete ihre Hände wie eine geläuterte Lady Macbeth. »Es liegt dort.« Sie wies mit dem Zeigefinger in eine Ecke, wo der Kleiderberg fast bis zur Decke reichte. »Ich werde es demnächst ändern lassen.« Sie setzte sich wieder.

Kate schob den Kleiderberg behutsam mit dem Fuß beiseite. »Ich muss mit dir über die Crabtrees reden.«

»Ich hoffe doch sehr, dass du es geschafft hast, diese Frau aus dem Haus zu werfen.« Mariana steckte sich einen Zigarillo an. »Du weißt, nächste Woche kommt dieser verdammte Anwalt und will prüfen, wie gut ich meine Aufgaben als Gutsherrin erfülle. Wenn er diesen Müllhaufen von Cottage zu sehen bekommt, wird er mir endlose Vorträge halten. Im letzten Quartal hat er darüber so viel salbadert, dass ich vor Langeweile fast gestorben wäre.«

»Du bist dafür verantwortlich, dass die Cottages in gutem Zustand sind«, äußerte Kate vorwurfsvoll und erhob sich, um ein Fenster zu öffnen.

Mariana wedelte verächtlich mit ihrem Zigarillo. »Unsinn. Diese Leute leben fast umsonst auf meinem Grund und Boden. Da kann man doch verlangen, dass sie wenigstens ihre Häuser ordentlich in Schuss halten. Diese Crabtree haust ja wie in einem Schweinestall! Neulich bin ich zufällig an ihrem Haus vorbeigekommen und war entsetzt.«

Kate setzte sich wieder und ließ ihre Blicke durch Marianas Zimmer schweifen. Durch den Schweinestall von einem Zimmer. Doch vorwurfsvolle Blicke fruchteten nicht bei ihrer...