dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Niewinter 4 - Die letzte Grenze

R.A. Salvatore

 

Verlag Blanvalet, 2014

ISBN 9783641133399 , 576 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

8,99 EUR


 

Prolog

Das Jahr des wiedergeborenen Helden (1463 DR)

»Dieses Wesen wirst auch du auf keinen Fall als Teil der Natur einstufen«, sagte die dunkelhäutige Shadovar, die man die Wandlerin nannte, zu dem alten Druiden. »Es verstößt gegen alle Naturgesetze.«

Erlindir scharrte verlegen mit den Füßen und räusperte sich.

»Ein Frevel, sage ich dir.« Die Wandlerin berührte den graubärtigen Mann an der Schläfe und ließ ihren Finger sanft über seine Wange bis zu der Hakennase wandern.

»Du stehst also ausnahmsweise in Fleisch und Blut vor mir«, kicherte Erlindir. Wer mit der Wandlerin sprach, hatte normalerweise ein projiziertes Bild vor sich, das die selten greifbare Zauberin ihm vorgaukelte.

»Ich habe dir doch gesagt, dass du mir vertrauen kannst, Vogelfreund«, erwiderte sie. Die Wandlerin verwendete den Spitznamen, den sie ihm vor einigen Monaten bei ihrer ersten Begegnung in seinem Wäldchen gegeben hatte.

»Wäre ich an diesen Ort gekommen, wenn ich dir nicht vertrauen würde?« Er sah sich um und nahm die dunklen Schemen des Schattenreichs in sich auf. Sein Blick blieb an der Burg mit dem Turm, den vielen Zinnen und Wachtürmchen hängen, von denen ihm unzählige lebensechte Gargylen entgegenlechzten. Soeben waren die beiden aus dem modrigen Sumpfland getreten, das nach Tod und Fäulnis stank und von untoten Monstern bevölkert war. Diese Festung war allerdings auch nicht gerade einladend.

»Ach, Erlindir, du alter Schmeichler«, gurrte die Wandlerin, fasste ihn am Kinn und lenkte seinen Blick auf ihr Gesicht zurück. Ihr Zauber würde nicht ewig währen, das wusste sie, und sie wollte nicht riskieren, dass diese widernatürliche Umgebung ihren Begleiter aus seiner Trance weckte. Immerhin war Erlindir ein Druide der alten Schule, der die Göttin der Natur, Mielikki, verehrte. »Aber denke daran, warum du hier bist.«

»Ja, ja«, sagte er und nickte. »Wegen dieser widernatürlichen Katze. Ich soll sie also vernichten?«

»Oh, nein, keineswegs!«, rief die Wandlerin aus.

Erlindir sah sie fragend an.

»Der Panther gehört meinem Freund, Fürst Draygo«, erklärte sie. »Er ist ein mächtiger Hex… Magier, der hohes Ansehen genießt.«

Sie beobachtete die Reaktion des Druiden. Hatte er bemerkt, dass sie sich beinahe verraten hätte? Es gab einen Grund dafür, dass es im Sumpf von untoten Wesen nur so wimmelte. Kein Druide würde einem Hexer helfen, ganz gleich welche Verzauberung sie wählte.

»Fürst Draygo fürchtet, der Herr der Katze könnte weitere … Schandmale herstellen«, log sie. »Ich möchte, dass du ihm eine Verbindung mit der Katze verschaffst. Dann könnte er durch ihre Augen sehen, sobald sie nach Hause gerufen wird. Und du sollst ihre Verbindung zur Astralebene kappen und sie stattdessen hier verankern.«

Erlindir musterte sie argwöhnisch.

»Nur für kurze Zeit«, versicherte sie ihm. »Wir töten die Raubkatze, sobald wir sicher sind, dass ihr Herr mit diesem Verstoß gegen die Naturgesetze nichts Böses im Sinn hat. Und notfalls töten wir auch ihn.«

»Mir wäre es lieber, wenn ihr ihn zu mir bringt, damit ich erfahre, was er bereits angerichtet hat«, sagte Erlindir.

»Einverstanden«, willigte die Zauberin sofort ein. Lügen gingen ihr leicht über die Lippen.

»Die Tore waren schwerer aufrechtzuerhalten«, flüsterte Draygo Quick seinem Kollegen durch die Kristallkugel zu: Parise Ulfbinder, ein hochrangiger Hexer, der wie Draygo in einem Zaubererturm in der Enklave der Schatten lebte, in diesem Fall jedoch auf dem Boden von Toril. »Und mein Geselle sagte, der Schattenschritt zurück nach Hause sei unerwartet mühsam gewesen.«

Parise strich über sein schwarzes Bärtchen, dessen Konturen in der Kristallkugel ungewöhnlich deutlich hervorzutreten schienen. »Sie haben gegen die Drow gekämpft, nicht wahr? Also auch mit deren Zauberspinnern.«

»Diesmal nicht, soweit ich weiß.«

»Aber es waren viele Drow in den Tiefen von Gauntlgrym.«

»Ja, das sagte man mir.«

»Und Glorfathel?« Parise wollte wissen, was aus dem Elfenmagier der Söldnertruppe Cavus Dun geworden war, der kurz vor der entscheidenden Auseinandersetzung in Gauntlgrym urplötzlich verschwunden war.

»Kein Wort«, sagte Draygo. Dann fügte er rasch hinzu: »Ja, es ist denkbar, dass Glorfathel magische Wellen erzeugt hat, um unseren Rückzug zu behindern. Wir wissen nicht, ob er uns verraten hat. Das wissen wir nur von der Zwergenpriesterin.«

Parise lehnte sich zurück und fuhr mit den Fingern durch seine langen schwarzen Haare. »Du glaubst nicht, dass Glorfathel derjenige war, der den Schattenschritt behindert hat«, hielt er fest.

Draygo Quick schüttelte den Kopf.

»Du glaubst auch nicht, dass es das Werk der Drow-Magier oder der Priesterin war«, fuhr Parise fort.

»Der Schattenschritt war erschwert«, betonte Draygo. »Etwas verändert sich.«

»Die Zauberpest war eine Veränderung«, sagte Parise. »Die Ankunft des Schattens war eine Veränderung. Die neue Realität kommt einfach allmählich zur Ruhe.«

»Oder die alte Realität erstarkt wieder?«, hakte Draygo Quick nach.

Parise Ulfbinder auf der anderen Seite der Kristallkugelverbindung zuckte seufzend mit den Schultern.

Schließlich war es nur eine Theorie, die Parise, Draygo Quick und andere entwickelt hatten, nachdem sie »Cherlrigos Finsternis« gelesen hatten. Es handelte sich um ein kryptisches Sonett aus einem Brief des alten Zauberers Cherlrigo, der es angeblich aus dem inzwischen verschollenen Buch Halme aus einer Wurzel übersetzt hatte. Dieses Buch war vor beinahe tausend Jahren niedergeschrieben worden und stützte sich auf Prophezeiungen, die noch rund tausend Jahre älter waren.

»Prophezeiungen gibt es wie Sand am Meer«, warnte Parise, doch in seiner Stimme schwang wenig Überzeugung mit. Schließlich hatte er den Brief gemeinsam mit Draygo gefunden, und die mächtigen Flüche, die diesen geschützt und ihnen ziemlich viel Ärger gemacht hatten, schienen den Worten mehr Gewicht zu verleihen.

»Wenn wir Cherlrigo glauben wollen, stammt das Buch, in dem er dieses Sonett gefunden hat, aus Myth Drannor«, erinnerte Draygo Quick seinen Kollegen. »Von den Schwarzen Sehern aus Turm Windgesang. Das ist kein Buch über die Halluzinationen einer faselnden Weissagerin.«

»Nein, aber die Botschaft ist ziemlich kryptisch«, erwiderte Parise.

Draygo nickte. Diese Tatsache ließ sich nicht bestreiten.

»Die Verse legen nahe, dass es sich um einen vorübergehenden Zustand handelt«, fuhr Parise fort. »Wir sollten nicht vor lauter Schreck auf etwas reagieren, was wir noch nicht vollständig durchschauen.«

»Wir sollten uns nicht zurücklehnen, wenn der Welt ein Wandel bevorsteht«, entgegnete der alte Hexer.

»Vorübergehend!«, betonte Parise.

»Nur wenn man den zweiten Vierzeiler zeitlich auslegt, nicht räumlich«, erinnerte ihn Draygo Quick.

»Der Wechsel in Zeile neun ist ein deutlicher Hinweis, mein Freund.«

»Es gibt viele Interpretationen.« Draygo Quick lehnte sich zurück und tippte stirnrunzelnd die Fingerspitzen aneinander. Dabei warf er unwillkürlich einen Blick auf das Pergament, das umgedreht neben ihm auf dem Tisch lag. Vor seinem inneren Auge sah er die Worte des Sonetts und murmelte: »Und Feinde, die nach ihrer Gottheit stinken.«

»Und du weißt von so einem Auserwählten?«, fragte Parise. Seine Stimme verriet, dass ihm die Antwort bereits klar war.

»Möglicherweise«, räumte Draygo Quick ein.

»Wir müssen diese auserwählten Sterblichen im Auge behalten.«

Draygo Quick nickte, noch ehe Parise diese Ermahnung ausgesprochen hatte.

»Ist der Verlust des Schwerts deine Schuld?«, fragte Parise.

»Erzgo Alegni hat versagt!« Draygo Quick begehrte etwas zu vehement auf.

Parise Ulfbinder schürzte die vollen Lippen und runzelte die Stirn.

»Sie dürften mit mir nicht zufrieden sein«, räumte Draygo Quick ein.

»Wende dich diskret an Prinz Rolan«, riet ihm Parise. Rolan war der Herrscher von Trübschmiede, der mächtigen Schattenstadt, auf deren Gebiet Draygo Quicks Turm lag. »Er misst ›Cherlrigos Finsternis‹ große Bedeutung bei.«

»Er fürchtet sie?«

»Es steht viel auf dem Spiel«, gab Parise zu. Dem konnte Draygo Quick kaum widersprechen. Als der alte Zauberer vor der Tür ein Geräusch vernahm, nickte er seinem Partner zu und warf ein Seidentuch über die Kristallkugel.

Er hörte die Stimme der Wandlerin, die sich in einiger Entfernung mit einem seiner Diener unterhielt, und wusste, dass sie den verlangten Druiden brachte. In der kurzen Zeit, die noch verblieb, nahm Draygo Quick das Pergament zur Hand, hielt es vors Gesicht und ließ sich das Sonett noch einmal durch den Kopf gehen.

Genieß das Schauspiel: Schatten stehlen Licht.

Die Welt ist halb für die, die gehen lernen.

Zum Pilzmahl und zum Stengelhautentfernen –

die Götter schlafen nur! – verweil dich nicht!

Gib Acht: Geh leichten Schrittes und sprich leise!

Dem Trennungstag zu nahen, frevle nicht!

Verlust, gar schmerzhaft tief, liegt nahe dicht.

Der Bruch kommt, ob erwünscht, ob argerweise.

Weh, wieder wandern, einsam durch die Welt!

Verlor’ne Reiche, Schätze, fern dem Griff,

und Feinde, die nach ihrer Gottheit stinken.

Getrennt und ganz, durchs...