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Schöne Tage 1914 - Vom Neujahrstag bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Gerhard Jelinek

 

Verlag Amalthea Signum Verlag GmbH, 2013

ISBN 9783902862754 , 318 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

31. Dezember 1913 »Es war ganz animiert«

Dr. Arthur Schnitzler hat Glück. Der Schriftsteller verbringt die ersten Stunden des Jahres mit Freunden beim Roulette und notiert am Morgen darauf in sein Tagebuch: »Ich blieb ziemlich al pari; man blieb bis nach 4. Es war ganz animiert.« Dabei war für ihn der letzte Tag des alten Jahres recht mieselsüchtig verlaufen. »Tagsüber sehr nervös. Uneins mit O.« Der Haussegen bei Schnitzlers hing schief. Die Ehe mit seiner Frau Olga konnte als »zerrüttet« gelten. Und auch seine Silvesterlektüre konnte kaum zu guter Laune verhelfen. Schnitzler las das neue Buch von Richarda Huch, Der große Krieg in Deutschland. Zu Beginn des Jahres 1914 war das ein durchaus passender Buchtitel. Doch davon wusste Dr. Arthur Schnitzler noch nichts. Der 1. Jänner war dann ein schöner Wintertag.2

1. Jänner 1914 »Ein gutes Omen fürs neue Jahr«

Der erste Tag des Jahres 1914 ist still. Um 12 Heller können Frühaufsteher das Wiener Fremdenblatt kaufen und beruhigt dem neuen Jahr entgegensehen. Der Leitartikel der regierungsnahen Zeitung verheißt nur Gutes: »Ein gutes Omen für das neue Jahr bedeutet der Abschluß des alten Jahres. Mit erneuerter Zuversicht blickt man der Tätigkeit des österreichischen Parlaments entgegen, das in den letzten Tagen des alten Jahres sich von den gefährlichen Fesseln der Obstruktion befreite.«

Der amtliche Optimismus ging gar so weit, dem – eventuell noch verkaterten – Publikum die Beschlussfassung einer Finanzreform in Aussicht zu stellen. Immerhin waren die Beratungen nach Jahren schon »in ein weit fortgeschrittenes Stadium geraten«. Mit dem neuen Finanzgesetz waren die »Dienstpragmatik« der k. u. k. Beamten und das »Dienergehaltsgesetz« untrennbar verknüpft. Das Fremdenblatt hatte auch hier für 1914 eine schöne Perspektive zu bieten: »Für Staatsbedienstete wird daraus eine Einbuße an Bezügen nicht erwachsen.« Am 1. Jänner 1914 schienen die Aussichten – zumindest für die Beamtenschaft – durchaus heiter zu sein.3

1. Jänner 1914 »Parsifal-Premiere«

Der Neujahrstag beginnt mit einem Wettlauf um die erste Aufführung von Richard Wagners Parsifal außerhalb von Bayreuth. Das Deutsche Opernhaus in Berlin will das »Weihespiel« zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf die Bühne bringen. Die Premiere ist für den 1. Jänner angesetzt. Doch die Berliner werden von den Katalanen überholt. Das »Gran Teatre del Liceu« in Barcelona verschiebt einfach die ohnehin landestypisch späte Beginnzeit und hebt bereits in der Geisterstunde den Vorhang für Wagners irritierendes Werk. In Berlin nimmt Wilhelm Eduard Mörike einige Stunden später seinen Taktstock zur Hand und eröffnet mit Richard Wagners gut 14 Minuten langer Parsifal-Ouvertüre das Jahr 1914.

Die Direktion der Wiener Hofoper lässt die Wagner-Freunde ein paar Tage länger warten. Der Wegfall des 30-jährigen testamentarischen Exklusivrechtes für Bayreuth löst eine wahre Inszenierungsflut aus.

Richard Wagners letztes dramatisches Bühnenwerk markiert den Beginn des Jahres, das später mit dem Begriff »Weltkrieg« gebrandmarkt wird. Zufall? Parallelaktion?

Die Rezeption des Parsifal und der Erste Weltkrieg haben für die deutsche Musikhistorikerin Nora Eckert einen gemeinsamen ideologischen Nenner: die Vermischung mit dem Religiösen und die Sakralisierung des Denkens. »Richard Wagners Parsifal und die Kommentare zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges enthalten dasselbe Weltbild.« Der Einbruch des Mystischen in die Machtpolitik wird die Vernunft in den Hintergrund drängen. Richard Wagner suchte die musikalische Erlösung der Menschheit. Im Parsifal konnte nur ein »reiner Tor«, konnte nur ein »suchender Mensch« das Leiden der Menschheit lindern und aufheben.

1914 wird es einen solchen nicht geben. Europa wird zum Gegenteil von Klingsors Zaubergarten, den Wagner im Garten des Palazzo Rufolo auf Ravello über der Amalfiküste gefunden zu haben glaubte.4

3. Jänner 1914 »Innigsten Anteil«

Bei der Geburt ist alles nach Wunsch verlaufen. Am dritten Tag des neuen Jahres wird Erzherzogin Zita in der Villa Wartholz in Reichenau an der Rax von ihrem zweiten Kind, der ersten Tochter, entbunden. Der beigezogene Gynäkologe Dr. Alois Peham konstatiert: »Kräftezustand der Mutter normal, die neugeborene Erzherzogin ist gesund und kräftig.« Nur 13 Monate zuvor hatte Zita ihren ersten Sohn Otto geboren. Er galt schon damals als Thronfolger, da die Kinder von Erzherzog Franz Ferdinand, wegen seiner »unstandesgemäßen« Ehe mit der böhmischen Gräfin Sophie Chotek, von der Nachfolge im Kaiserhaus ausgeschlossen waren. Kaiser Franz Joseph hatte sich 1912 nicht zur Taufe seines präsumptiven Nach-Nachfolgers, des Erstgeborenen Otto, bemüht, sondern den Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand mit seiner Vertretung betraut.

Doch im Jänner 1914 verfügte sich der greise Kaiser vom Schloss Schönbrunn ins nahe Schloss Hetzendorf, wo die Taufe der kleinen Adelheid zelebriert wurde. Als Pate wurde der Bruder von Zita, Prinz Sixtus von Bourbon-Parma, auserwählt. Auch einige Regimentskameraden des späteren Kaisers Karl I. aus Brandeis an der Elbe waren zum Festakt nach Hetzendorf geladen. Ein Dragoner schrieb damals: »Wenn nun Erzherzogin Zita nach den schweren Stunden, die keiner Mutter erspart bleiben, ihres Mutterglücks froh ist, so darf sie sowohl wie ihr Gemahl dessen sicher sein, daß sich mit ihnen die gesamte Bevölkerung Österreich-Ungarns und besonders die Wiener freuen, die ja seit jeher an den Schicksalen des Kaiserhauses in guten und in schlechten Tagen innigsten Anteil nehmen.«5

3. Jänner 1914 »Auffallend in Deutschland. Die große Dunkelheit«

Am Geburtstag der neuen Erzherzogin reist Robert Musil nach Berlin. Seinem Tagebuch vertraut er eine depressive Stimmung an. »Auffallend in Deutschland. Die große Dunkelheit. Die große Nässe. Man glaubt, in eine Lokalität zu kommen, wo sich Menschen überhaupt nicht dauernd aufhalten. Straßen, Luft, Kleider, alles naß.« Der damals 34-jährige Bibliothekar zweiter Klasse an der Technischen Hochschule in Wien schrieb in diesen Tagen an seinem Drama Die Anarchisten, das erst nach dem Krieg mit dem neuen Titel Die Schwärmer gedruckt werden sollte. Musil wollte in Leipzig auch den Verleger Dr. Kurt Wolff besuchen, der »stiller Teilhaber« am Verlag Rowohlt war, später sein eigenes Verlagsunternehmen gründete und unter anderem Werke von Georg Trakl und Franz Kafka druckte. Musil beschreibt seinen Eindruck von Wolff: »Groß. Schlank. Blond. Grauenglisch angezogen. Elegant. Weiches Haar. Glattrasiert. Jünglingsgesicht. Blaugraue Augen, die sich verhärten können.«

»Glattrasiert« war in jenen Tagen eine Charakterbeschreibung. Am Beginn des 20. Jahrhunderts pflegte die Gesellschaft keinen Jugend-, sondern einen Alterskult. Männer ohne Bart galten als unreif, Gymnasiasten gingen in kurzen Hosen zur Schule. Ein möglichst voller Bart sollte Würde und Wissen vermitteln. Ein Verleger mit »Jünglingsgesicht« (re-)präsentierte auch ein junges Programm. Die typografischen Werke des Leipziger Verlages wurden zur Heimstatt für die deutsche expressionistische Literatur, die Musils Sache nicht war.

Robert Musil reist mit der Bahn. Am Bahnhof in Jena hat der Wiener Dichter unerfreuliche Begegnungen mit »lärmenden Studenten«. Die Hochschüler hielten sich nicht an die Bekleidungsetikette. »Die ziehn im geheizten Coupé dritter Klasse die Röcke aus und schaun in Hemdsärmeln aus dem Fenster. Sie brüllen: Herr Zugsführer, fahrn wir noch nicht?«

Am 3. Jänner 1914 trifft der im Krankenstand befindliche Bibliothekar in Berlin den Verleger Samuel Fischer zu einem Bewerbungsgespräch. Es ist der Zweck seiner Reise. Auf dem Weg von Berlin nach Wien hat sich Musil eine Strategie überlegt. Er will endlich der langweiligen Beamtenstelle an der Technischen Hochschule am Wiener Resselplatz entkommen. Seit Monaten schon ist der Bibliothekar krankgeschrieben. Er leidet an »schwerer Neurasthenie« und hochgradiger körperlicher und psychischer Ermüdbarkeit. »Neurasthenie« war die »Burn-out-Erkrankung« des frühen 20. Jahrhunderts. Sie grassierte vornehmlich im höheren Beamten- und Offizierskorps und ermöglichte die Dienstfreistellung mit Weiterbezug eines Beamtengehalts. Die Aussicht auf eine Anstellung bei der renommiertesten deutschen Literaturzeitung des einflussreichen Verlegers Samuel Fischer beschleunigte bei Robert Musil den Heilungsprozess.

Der studierte Maschinenbautechniker will in Berlin eine...