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Carol - oder Salz und sein Preis

Patricia Highsmith, Paul Ingendaay

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257603972 , 464 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

[31] 2

»Terry, erinnerst du dich an diesen Phil McElroy, von dem ich dir erzählt hatte? Der mit der Theatertruppe? Der ist nämlich gerade hier und meint, er hätte in ein paar Wochen eine Stelle für dich.«

»Eine echte Stelle? Wo?«

»Bei einer Aufführung im Greenwich Village. Phil will sich heute abend mit uns treffen. Ich erzähle dir alles nachher. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir. Ich bin schon fast unterwegs.«

Therese rannte die drei Stockwerke zu ihrem Zimmer hinauf. Sie hatte sich gerade gewaschen, der Seifenschaum trocknete auf ihrem Gesicht. Sie starrte auf den orangeroten Waschlappen im Waschbecken.

»Eine Stelle!« flüsterte sie. Das Zauberwort.

Sie zog ein Kleid an und legte sich eine kurze Silberkette mit einem Christophorusmedaillon um den Hals – ein Geburtstagsgeschenk von Richard – und kämmte sich die Haare mit etwas Wasser, damit sie ordentlicher aussahen. Dann stellte sie ein paar Entwürfe und Pappmodelle so in den Wandschrank, daß sie sie mit einem Griff hervorziehen konnte, sollte Phil McElroy Interesse daran äußern, sie zu sehen. Nein, Erfahrung habe ich eigentlich keine, würde sie sagen müssen, und sie spürte, wie das Selbstvertrauen sie [32] verließ. Sie hatte nicht einmal ein Praktikum absolviert, sah man ab von den zwei Tagen in Montclair, als sie das Pappmodell gebaut hatte, das die Amateurtruppe dann auch benutzt hatte, falls man so etwas gelten lassen wollte. Sie hatte in New York zwei Kurse für Bühnenbildner besucht und hatte viele Bücher gelesen. Sie konnte schon hören, wie Phil McElroy – wahrscheinlich ein hektischer und sehr beschäftigter junger Mann, ein wenig verärgert, weil er sich wegen nichts und wieder nichts mit ihr abgeben mußte – bedauernd erklärte, daß sie doch nicht geeignet sei. Aber wenn Richard dabei war, dachte Therese, wäre es weniger vernichtend, als wenn sie allein wäre. Richard war fünf- oder sechsmal gegangen oder gegangen worden, seit sie ihn kannte. Eine Stelle zu verlieren oder zu finden interessierte ihn nicht die Spur. Therese litt Qualen bei der Erinnerung daran, wie sie vor einem Monat von der Pelican Press gefeuert worden war. Sie hatten ihr nicht einmal schriftlich gekündigt; und der einzige Grund für die Kündigung war, so vermutete sie, daß die Untersuchung beendet war, für deren Betreuung man sie eingestellt hatte. Als sie bei dem Präsidenten, Mr. Nussbaum, vorgesprochen hatte, um sich zu beschweren, weil ihr nicht schriftlich gekündigt worden war, hatte er nicht gewußt oder so getan, als wisse er nicht, was sie damit meinte. »Schrifteliche? Wasse?« hatte er desinteressiert gesagt, und sie hatte auf dem Absatz kehrtgemacht und war weggelaufen, weil sie fürchtete, in seinem Büro in Tränen auszubrechen. Richard hatte es leicht; er wohnte bei seiner Familie, die ihn bei guter Laune hielt. Für Richard war es leichter, Geld zu sparen. In zwei Jahren bei der Marine hatte er an die zweitausend Dollar gespart, [33] und in dem Jahr danach weitere tausend. Wie lange würde sie brauchen, um die fünfzehnhundert Dollar zusammenzubringen, die der Mitgliederbeitrag der Bühnenbildnergewerkschaft für Anfänger betrug? Nach fast zwei Jahren in New York hatte sie erst knappe fünfhundert Dollar gespart.

»Bete für mich«, sagte sie zu der hölzernen Muttergottes auf dem Bücherregal. Diese Muttergottes, die sie in ihrem ersten Monat in New York gekauft hatte, war der einzige wirklich schöne Gegenstand in ihrer Wohnung. Therese wünschte, es gäbe einen besseren Platz als das häßliche Bücherregal. Das Regal sah aus wie aufeinandergestapelte rotgestrichene Obstkisten. Therese wünschte sich ein Bücherregal aus ungefärbtem Holz, glatt zu berühren und mit Wachs poliert.

Sie ging hinunter zu dem Lebensmittelladen und kaufte sechs Dosen Bier und Blauschimmelkäse. Erst als sie wieder oben war, fiel ihr ein, daß sie in den Laden gegangen war, um Fleisch für das Abendessen zu kaufen. Sie und Richard hatten heute abend zu Hause essen wollen. Das konnte sich inzwischen geändert haben, aber sie war nicht gerne die treibende Kraft, wenn es darum ging, etwas zu ändern, was Richard betraf, und sie stand im Begriff, wieder nach unten zu laufen, als Richards langgedehntes Klingelzeichen ertönte. Sie drückte den Öffner.

Richard sprang die Stufen hinauf und lächelte. »Hat Phil sich gemeldet?«

»Nein«, sagte sie.

»Gut. Das bedeutet, daß er kommt.«

»Wann?«

[34] »Ziemlich bald, nehme ich an. Er bleibt sicher nicht lange.«

»Glaubst du wirklich, daß es eine richtige Stelle ist?«

»Phil zufolge ja.«

»Weißt du, um was für ein Stück es sich handelt?«

»Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, daß sie jemanden für das Bühnenbild suchen. Warum nicht dich?« Richard betrachtete sie kritisch und lächelnd. »Du siehst großartig aus. Sei bloß nicht nervös, okay? Es ist nur ein kleines Ensemble im Village, und du hast wahrscheinlich mehr Talent als sie alle zusammen.«

Sie ergriff den Mantel, den er auf einen Stuhl geworfen hatte, und hängte ihn in den Wandschrank. Unter den Mantel hatte er eine Rolle Zeichenpapier gelegt, die er von der Kunstakademie mitgebracht hatte. »Hast du heute etwas Gutes zustande gebracht?« fragte sie.

»Teils, teils. Ich will daran zu Hause weiterarbeiten«, sagte er obenhin. »Wir hatten heute die Rothaarige als Modell, die, die mir gefällt.«

Therese hätte seine Zeichnung gerne gesehen, aber sie wußte, daß Richard seine Arbeit wahrscheinlich nicht gelungen genug fand. Manche seiner frühen Bilder waren gut, der Leuchtturm in Blau- und Schwarztönen beispielsweise, der über ihrem Bett hing und den er gemalt hatte, als er bei der Marine war und mit dem Malen begann. Seine Zeichnungen nach der Natur waren noch immer nicht gut, und Therese bezweifelte, daß sie es je sein würden. Das eine Knie seiner lohbraunen Baumwollhose war frisch mit Zeichenkohle verschmiert. Unter dem rotschwarz karierten Hemd trug er ein T-Shirt, und in den Wildledermokassins [35] sahen seine großen Füße wie formlose Bärentatzen aus. Eigentlich sah er am ehesten aus wie ein Holzfäller oder wie ein Berufssportler, dachte Therese. Mit einer Axt in der Hand konnte sie ihn sich leichter vorstellen als mit einem Pinsel. Mit der Axt hatte sie ihn einmal gesehen, als er zu Hause in Brooklyn im Hinterhof Holz gehackt hatte. Wenn er seiner Familie nicht beweisen konnte, daß sein Malen Fortschritte machte, würde er höchstwahrscheinlich im Sommer in das Gewerbe seines Vaters eintreten müssen, der mit Propangas handelte und von ihm erwartete, daß er auf Long Island eine Filiale eröffnete.

»Mußt du am Samstag arbeiten?« fragte sie, weil sie sich davor fürchtete, von der neuen Stelle zu sprechen.

»Hoffentlich nicht. Hast du frei?«

Jetzt erst fiel ihr ein, daß sie nicht freihatte. »Nur am Freitag«, sagte sie schicksalsergeben. »Samstag ist langer Samstag.«

Richard lächelte. »Eine Verschwörung gegen uns.« Er beendete sein ruheloses Aufundabgehen, ergriff ihre Hände und legte ihre Arme um seine Taille. »Wie wäre es mit Sonntag? Meine Leute würden dich gern zum Essen einladen, aber wir müssen nicht ewig bleiben. Ich könnte einen Lieferwagen ausleihen, und wir könnten nachmittags ins Blaue fahren.«

»In Ordnung.« Ihr gefiel es und Richard auch, vor dem großen, leeren Gastank zu sitzen und aufs Geratewohl loszufahren, so frei wie auf Schmetterlingsflügeln. Sie nahm ihre Arme weg. Wenn sie die Arme um Richard gelegt hielt, kam sie sich gehemmt und töricht vor, als würde sie einen Baumstamm umarmen. »Ich hatte uns für heute abend ein [36] Steak gekauft, aber es ist mir im Kaufhaus geklaut worden.«

»Geklaut? Wie das?«

»Aus dem Regal, wo wir unsere Handtaschen aufbewahren. Die Aushilfen, die sie für das Weihnachtsgeschäft einstellen, haben keine eigenen Spinde.« Jetzt mußte sie lächeln, aber am Nachmittag wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. Wölfe, hatte sie gedacht, ein Rudel Wölfe, das ein elendes Päckchen Fleisch stiehlt, weil es etwas zu essen ist, eine Gratismahlzeit. Sie hatte alle Verkäuferinnen gefragt, ob sie das Fleisch gesehen hatten, und alle hatten verneint. Es sei nicht gestattet, Fleisch an den Arbeitsplatz mitzubringen, hatte Mrs. Hendrickson indigniert erklärt. Aber was sollte man tun, wenn die Metzgereien ausnahmslos um sechs Uhr zumachten?

Richard lehnte sich auf der Couch zurück. Sein dünner Mund bildete eine unregelmäßige Linie, deren eine Hälfte nach unten verlief, was seinem Gesichtsausdruck etwas Unbestimmtes verlieh, das je nachdem als Humor oder als Bitterkeit gedeutet werden konnte, ein Widerspruch, zu dessen Erhellung seine klaren und offenen blauen Augen nichts beitrugen. Langsam und spöttisch sagte er: »Warst du schon im Fundbüro? Verloren: ein Pfund Beefsteak. Hört auf den Namen Fleischklops.«

Therese lächelte und begutachtete den Inhalt der Regale ihrer Kochnische. »Du hältst das für einen Witz, aber Mrs. Hendrickson hat mir allen Ernstes geraten, mich im Fundbüro zu erkundigen.«

Richard lachte dröhnend und stand auf.

»Ich habe eine Dose Mais und grünen Salat. Brot und [37] Butter gibt es auch. Soll ich uns tiefgefrorene Schweinekoteletts besorgen?«

Richard griff mit seinem langen Arm über ihre Schulter und nahm das kantige Stück Pumpernickel von dem Regal. »Nennst du das Brot? Die reinste Schimmelpilzkultur. Schau selber, so blau wie ein Mandrillhintern. Warum ißt du das Brot nicht, wenn es frisch ist?«

»Den Pumpernickel...