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Von den Sternen geküsst (Revenant-Trilogie Band 3)

Amy Plum

 

Verlag Loewe Verlag, 2014

ISBN 9783732000944 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Teil 1

Es war mitten in der Nacht und ich hockte ans Geländer einer der Brücken gelehnt, die über die Seine führten. Mein Blick folgte den zerrupften Lilien, die langsam auf ihrer Oberfläche Richtung Eiffelturm trieben. Angestrengt lauschte ich den Worten nach, die ich gerade gehört hatte. Den Worten eines Toten – vom Geist meines Freundes. Ich hätte schwören können, dass er mit mir gesprochen hatte. Dabei war das völlig unmöglich.

Doch dann tauchten seine Worte erneut in meinem Bewusstsein auf und bei jeder der beiden Silben zuckte ich zusammen wie bei einem Peitschenknall.

Mon ange.

Mein Herz schlug wild. »Vincent? Bist du das wirklich?«, fragte ich mit zitternder Stimme.

Kate, kannst du mich hören?

»Du bist volant! Violette hat dich nicht vernichtet!« Ich sprang auf und blickte mich verzweifelt nach einem Hinweis auf ihn um, wohl wissend, dass nichts zu sehen sein würde. Ich stand ganz allein auf der Pont des Arts. Der Fluss kroch langsam und behäbig unter der Brücke hervor wie eine große dunkle Schlange – die funkelnden Lichter der Uferpromenade reflektierten auf der sich kräuselnden Oberfläche. Ich schauderte und schlang den Mantel enger um mich.

Nein. Sie hat meinen Körper nicht vernichtet … Noch nicht.

»Mein Gott, Vincent. Ich hätte schwören können, dass sie es schon getan hat.« Ich wischte mir eine Träne von der Wange, doch es folgte noch ein ganzer Strom. Nur wenige Augenblicke zuvor hatte ich die Hoffnung aufgegeben, je wieder von ihm zu hören. Ich war überzeugt davon gewesen, dass er endgültig verloren war, sein Körper verbrannt von seiner Widersacherin. Und nun hatte er doch wieder zu mir gefunden. Ich konnte das alles nicht begreifen und zwang mich, mit dem Weinen aufzuhören.

Atme, Kate, beschwor Vincent mich.

Langsam ließ ich die Luft aus der Lunge entweichen. »Ich kann nicht fassen, dass du hier bist und mit mir sprichst. Wo ist dein Körper? Wohin hat sie dich gebracht?«

Mein Körper ruht in Violettes Schloss im Loiretal. Ich bin erst seit ein paar Minuten wieder bei Bewusstsein. Sobald mir klar geworden ist, was sie vorhat, habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Er klang niedergeschlagen. Hoffnungslos.

Meine Hände zitterten, während ich mein Handy aus der Tasche zog. »Sag mir ganz genau, wo du bist. Ich verständige Ambrose. Der stellt ein Team zusammen und macht sich sofort auf den Weg zu dir.«

Dafür ist es zu spät, Kate. Violette hat nur gewartet, bis mein Geist erwacht. Jetzt bin ich volant, da wird sie nicht mehr lange zögern und meinen Körper bald verbrennen. Als ich sie zurückgelassen habe, waren bereits ein paar ihrer Handlanger dabei, ein Feuer zu schüren, während sie ein Ritual eingeleitet hat. Ein Ritual, das meinen Geist an sie binden soll, wenn mein Körper sich in Asche verwandelt hat. Mir bleiben nur noch ein paar Minuten und die möchte ich mit dir verbringen.

»Es ist nie zu spät«, beharrte ich. »Wir können versuchen, Violette aufzuhalten. Ganz egal, was sie vorhat. Ich bin mir sicher, dass deinen Anverwandten etwas einfallen wird. Wir müssen es zumindest versuchen.« Wieso wollte Vincent so einfach aufgeben?

Kate, lass es gut sein, bat Vincent. Wir sollten das bisschen Zeit, was uns noch bleibt, nicht damit vergeuden, Ambrose anzurufen, wenn es sowieso unmöglich ist, meinen Körper rechtzeitig zu finden. Und es ist unmöglich, glaub mir das.

Der Nachdruck in seiner Stimme ließ mich zögern und doch starrte ich weiter auf das Handy in meiner Hand, während sich ein Kloß in meiner Kehle bildete. Wenn ich nichts mehr tun konnte, dann war wirklich alles verloren. Mein anfänglicher Schock wandelte sich in die brutale Erkenntnis, dass der Junge, den ich liebte, in wenigen Minuten auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden würde. »Nein!«, schrie ich, als würde das dem Grauen ein Ende setzen.

Vincent blieb still, gab mir Zeit, diese Neuigkeit sacken zu lassen. Ich würde meinen Liebsten verlieren. Für immer. Wenn Vincents Körper vernichtet war, würde ich ihn nie wieder berühren können. Würde nie wieder seine Lippen auf meinen spüren. Ihn nie wieder in den Armen halten.

Aber er wäre ja nicht ganz fort. Oder? Ich musste einfach nachfragen. Meine Stimme war nicht mehr als ein ersticktes Krächzen. »Wenigstens bist du noch volant. Wenn Violette deinen Körper sofort verbrannt hätte, wärst du für immer komplett ausgelöscht.«

Ich wünschte, sie hätte mich komplett ausgelöscht. Seine Worte klangen bitter. Mein Geist muss anwesend sein, damit sie meine Kräfte auf sich übertragen kann. Es vergingen ein paar Sekunden, bevor ich seine Stimme wieder hörte. Lieber würde ich gar nicht mehr existieren, als Violette zu der Macht zu verhelfen, mit der sie dann meine Anverwandten vernichten kann.

Ich sah das anders. So existierte Vincent wenigstens noch, wenn auch bald ohne seinen Körper. Der Junge, den ich so verzweifelt liebte, war nicht vollständig verschwunden. Das ist wenigstens etwas, dachte ich mit einem Funken Hoffnung. Doch dann wurde mir die Tragweite des Ganzen bewusst. Ich werde ihn nie wiedersehen. Ich werde nie wieder seine Hände spüren, seine Lippen. Nie wieder. Mein letztes bisschen Hoffnung verschwand.

In mir kämpfte die Wut mit der Verzweiflung. »Warum ausgerechnet du?«, fragte ich. »Warum hast ausgerechnet du die Kräfte, für die sie sogar bereit ist zu morden?«

Wenn ich es nicht gewesen wäre, hätte es jemand anderen getroffen.

»Ich wünschte, es hätte jemand anderen getroffen«, erwiderte ich voller Egoismus. »Ich will, dass du weiterlebst.« Dabei wusste ich genau, dass Vincent in diesem Punkt nicht meiner Meinung war. Er existiere ja nur, weil er sich für andere opferte. Und um für die Sicherheit seiner Anverwandten zu sorgen, würde er keine Sekunde zögern.

Ich schaute auf das sich kräuselnde Wasser und ließ Vincent vor meinem geistigen Auge erscheinen. Das matte schwarze Haar. Das strahlende Blau seiner dunklen Augen. Seine große, kräftige Statur. Vincents Abbild hing einen Moment über der Wasseroberfläche und schimmerte durchsichtig im Mondlicht, dann löste es sich wieder in Nichts auf.

Ich möchte nicht dabei zusehen, wie sie meinen Körper verbrennt.

Angst lag in seiner Stimme. Vincent war schon viele brutale Tode gestorben, doch dieser würde sein endgültiger sein. Ich wollte seine Hand halten, ihn berühren. Ihn trösten. Doch dazu blieben mir nur Worte. »Dann geh nicht zurück. Bleib bei mir, bis es vorbei ist.« Ich wollte mutig klingen, zitterte aber gleichzeitig.

»Ich liebe dich.« Während ich das sagte, gab ich mir große Mühe, nicht zu weinen. Mich trauern zu sehen, war wirklich das Letzte, was Vincent jetzt brauchte.

Du bist mein Leben, Kate. Um mit dir zusammen zu sein, habe ich gegen meine Bestimmung angekämpft und davon bin ich immer noch völlig ausgelaugt. Ich kann Violette nicht aufhalten.

Darauf konnte ich nichts mehr erwidern. Wenn ich den Mund geöffnet hätte, wären ihm nur Schreie entwichen. Es fühlte sich an, als würde mir das Herz aus der Brust gerissen, weil ich kurz davor stand, den Jungen zu verlieren, den ich liebte. Der Junge, für den ich so viel geopfert hatte – allem voran meinen Selbsterhaltungstrieb –, wurde mir von einer Größenwahnsinnigen genommen und ich konnte absolut nichts dagegen tun. Die Tränen ließen sich nicht länger unterdrücken: Ich fing wieder an zu weinen. Doch diesmal nicht aus Traurigkeit. Meine Tränen waren das Zeichen ohnmächtiger Wut.

Würdest du Jean-Baptiste und den anderen etwas von mir ausrichten?

»Natürlich«, keuchte ich, da ich vor lauter Hass auf Violette kaum sprechen konnte.

Sag ihnen, dass meine Kräfte sich nicht vollständig auf Violette übertragen werden, weil ich mich ihr nicht freiwillig geopfert habe. Das ist das einzig Positive, was ich gerade sehen kann.

Außerdem möchte ich mich bei JB entschuldigen. Für meine Zweifel, fuhr er fort. Ich hätte das alles gern schon damals verstanden, als ich noch eine Chance hatte zu handeln.

»Ich werde es ihnen ausrichten.« Mein Atem formte sich zu kleinen Wölkchen in der kalten Luft. Schnell rieb ich mir mit den Händen die Arme, sprang auf und lief von der Brücke auf die Promenade, eilig La Maison ansteuernd. Ich wusste, dass Vincents Geist mich begleiten würde. Selbst wenn wir ihn nicht mehr retten konnten, musste ich die anderen dennoch informieren.

Kate, erst als ich dich das erste Mal sah, bin ich wirklich zu mir gekommen.

Ich hatte mich gerade noch so weit zusammenreißen können, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch diese Liebeserklärung von dem Jungen, den ich so bald verlieren würde, war zu viel für mich. Paris verschwamm vor meinen Augen, während er weitersprach.

Etwas in mir, das seit meinem ersten Tod reglos und leise geblieben war, fing wieder an zu leben. Ich wusste sofort, dass du anders bist, und ich wollte herausfinden, was dich so besonders macht.

»Wann hast du mich denn das erste Mal gesehen?«, fragte ich, um mich abzulenken und nicht dort am Ufer der Seine zusammenzubrechen. »Damals im Café Sainte-Lucie?«

Nein. Er lachte. Du bist mir lange vor dem Treffen im Café aufgefallen. Unsere Wege hatten sich schon über Wochen gekreuzt, bevor du mich überhaupt bemerkt hast. Und ich war neugierig, wer du bist...