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Der dunkle Kuss der Sterne - Romantische Dark Fantasy über eine magische Liebe voller tödlicher Gefahren

Nina Blazon

 

Verlag cbj Kinder- & Jugendbücher, 2014

ISBN 9783641091620 , 528 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Am Morgen vor meiner Hochzeit erwachte ich, ohne zu ahnen, dass ich tot war, obwohl mein Herz noch schlug. Wie eine Katze, die aus großer Höhe gefallen und instinktiv auf allen vieren gelandet war, kauerte ich auf dem Bett. Tränen tropften auf meine Fäuste und meine Finger pochten, so fest krallte ich mich in die Seidenlaken. Ein Teil von mir schien immer noch zu schlafen, denn die Bilder und Klänge aus dem Albtraum hallten in mir nach: Weinen und Schreie, verzerrte Gesichter von Menschen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Doch das Schlimmste war das Gefühl von abgrundtiefer Einsamkeit: Eis auf meiner Seele und eine hallende Leere im Herzen.

Du hast nur geträumt, Canda, beruhigte ich mich. Träume bedeuten nichts. Und schau hin! Du bist nicht einsam – am wenigsten in der letzten Nacht deines alten Lebens.

Es erstaunte mich trotzdem, wie erleichtert ich war, die Mädchen zu sehen. Aneinandergeschmiegt lagen sie auf dem Prunkbett, das so groß war wie sechs gewöhnliche Betten. Alle drei schliefen noch: meine jüngere Schwester Vida und meine zwei besten Freundinnen, Zabina und Anib. Sie waren Zwillinge, beide geschmeidig und sehr schlank, die besten Tänzerinnen in der Stadt. Nicht einmal ihre Mutter konnte die beiden auseinanderhalten, aber ich hätte jede von ihnen auch blind erkannt. Auf den goldfarbenen Laken wirkte ihre Kastanienhaut noch dunkler und das Schwarz ihrer Haare lichtlos.

Im Schlaf hatte Anib die Decke von sich geschoben, auf ihrem Körper glänzten blaue Symbole. So wie es seit Jahrhunderten Tradition war, hatte ich um Mitternacht alle drei Mädchen mit dem Schattenblau meiner Familie gezeichnet. Mit Ornamenten, Mustern und Zeichnungen, die die Mythologie meiner Vorfahren beschworen: das Herrscherpaar, wie es den ersten Stein unserer Stadt in den Wüstensand setzte. Tana Blauhand, die einzige Figur, deren Arme bis zu den Ellbogen ganz mit dem kriegerischen Blau ausgemalt waren, und ihr Gefährte, den man Khelid Wolfsherz nannte und der zum Zeichen seiner Grausamkeit mit einem Raubtierkopf dargestellt wurde. Über den beiden schwebten vier Sterne mit Augen, die wohlwollend auf sie herunterblickten. Es gab viel zu erzählen über meine Vorfahren, denn ich stamme aus der ältesten der fünf großen Familien Ghans. Bevor die anderen Familien zugewandert waren, hatte die Wüste uns allein gehört. Auf den Schultern und Schlüsselbeinen meiner Mädchen erhoben sich Zelte, auf den Oberarmen und Rippen prangten Pfeile und Äxte, archaische Waffen, passend zu der längst vergangenen Urzeit, aus der diese verstaubte Tradition stammte.

Unendlich viele langweilige Unterrichtsstunden hatte ich als Kind damit verbracht, diese Zeichnungen zu üben – im vollen Bewusstsein, dass es nur ein altes leeres Ritual war und mir für mein Leben nichts nützen würde. Entsprechend waren meine Zeichnungen in dieser Nacht ausgefallen: Die Zelte wirkten windschief und einer der Sterne schien zu schielen.

»Na, wenn du so herrschst, wie du zeichnest, wirst du in die Geschichte deiner Familie eingehen – als Canda, die Nachlässige«, hatte Zabina gespottet.

Und Anib setzte nach: »Ja, stellt euch vor, sie wird eines Tages tatsächlich die neue Mégana und gibt sich mit Verträgen und Strategien genauso viel Mühe – dann landen wir alle wieder in der Wüste.«

Meine Schwester Vida war empört, aber ich hatte über den Spott meiner Freundinnen nur gelacht. Ich wusste, sie neideten mir und Tian nicht, dass wir die Hoffnungsträger unserer Familien waren. Und sie waren klug genug zu wissen, dass ich meine Freunde niemals vergaß – egal wie hoch mein Geliebter und ich aufsteigen würden. Beim Gedanken an unsere Zukunft hatte mich wieder diese Woge von Glück erfasst, die mich seit Wochen immer atemlos machte – seit Tian und ich unsere Unterschriften unter den siebzigseitigen Vertrag gesetzt hatten, die letzte Hürde vor der Zeremonie unserer endgültigen Verbindung. Heute durften wir endlich das werden, wofür wir vor siebzehn Jahren geboren wurden: eine Zweiheit, ein Paar, eine Seele, ein Körper, ein Gedanke, mit aller Macht, die daraus entsprang – und aller Verantwortung. Im Gefüge unserer Familien würden wir der Metropole Ghan zu noch mehr Macht verhelfen. Jeder mit seinen Talenten und Fähigkeiten.

Aber jetzt, nach diesem Traum, schien all das so unwirklich zu sein wie Nebel.

Noch nie hatte ich mich so unvollständig gefühlt, so schutzlos und verloren. Im flackernden Schein der Papierlampe, die über dem Bett hing, schienen sich die blauen Strichfiguren auf Anibs Wangen zu bewegen, und die Sterne auf ihrer Stirn starrten mich feindselig an. Ich fröstelte und wusste nicht, warum ich plötzlich wieder Angst bekam.

Tod!

Ich schrak zusammen. Es war, als hätte jemand mir dieses Wort zugeflüstert, doch niemand war hier. Es musste ein Nachhall aus diesem Traum sein, an den ich mich kaum noch erinnerte.

Meine Hände waren noch so starr, dass es wehtat, die Fäuste zu lösen. Leise glitt ich vom Bett. Doch schon das Schleifen der Seidendecke störte den leichten Schlaf meiner Schwester. Vida regte sich, eine Strähne ihres Haares, von der Sonne fast weiß gebleicht, rutschte über ihre Wange. Meine Schwester und ich waren wie Tag und Nacht – sie blond wie unser Vater, mit einem runden, sanften Gesicht, dessen Weichheit gut verbarg, wie durchsetzungsstark sie war. Ich war dagegen groß und dunkelhaarig wie meine Mutter. Und meine Stärke lag nicht in der Schärfe, sondern darin, mit meiner Schönheit und meinem Gespür ungewöhnliche Wege zu finden, zu verbinden, was unvereinbar schien.

»Canda? Ist es schon Morgen?« Wenn Vida so müde war, sah sie immer aus wie ein sehr viel jüngeres, verträumtes Mädchen.

»Noch nicht, Floh. Schlaf noch ein bisschen.« Ich erschrak, wie fremd mir meine eigene Stimme war. Hohl und dünn, ohne das Klingen, das Menschen, die mit mir sprachen, stets zum Lächeln brachte.

Ich fiel fast, während ich vom Bett kroch, und taumelte schon beim ersten Schritt, als hätte sich das Gleichgewicht in meinem Körper über Nacht verschoben, als würde mir etwas fehlen – ein Körperteil, ein Bein vielleicht, ein Arm? Aber das war natürlich Unsinn, alles war wie immer und gleichzeitig völlig verkehrt.

Ich erreichte die Fenster und riss den Vorhang zur Seite. Goldseide bauschte sich. Draußen scharrte der sandige Wind an den Scheiben entlang, Wirbel bildeten bizarre Figuren in der Luft. Obwohl es fast noch Nacht war, erkannte man bereits, dass es ein stürmischer Sommertag werden würde.

Ich legte die Hände und meine Stirn an die Scheibe und starrte zu dem gegenüberliegenden Gebäude. Im ersten fernen Schimmer der Morgenröte glänzten die obersten Fenster wie blassrosa, schlafmüde Augen. Hinter den Vorhängen schliefen mein Geliebter und seine Freunde.

»Komm zum Fenster und sieh mich an!«, flüsterte ich. Ich hoffte so sehr, dass er ebenfalls aufgewacht war und meinen Ruf spüren würde. Dann könnten wir uns über den Abgrund von zwanzig Stockwerken hinweg betrachten – winzige Figuren über den silbernen, vom Sand matt gekratzten Kuppeldächern unserer Metropole. Sicher hatte Tian ebenso schlecht geschlafen wie ich, in den vergangenen Tagen hatte er zerstreut gewirkt und seltsam schweigsam, vielleicht war es ihm ähnlich gegangen wie mir heute? Es geschah oft, dass wir dasselbe dachten und Schmerz und Freude des anderen spürten. Unsere Familien waren glücklich darüber, schließlich war es der Beweis, wie sehr wir füreinander bestimmt waren. Seit wir Kinder waren, waren wir selten länger als einen Tag getrennt gewesen. Wir teilten alles, was wir hatten und waren, stimmten uns darauf ein, gemeinsam zu entscheiden, gemeinsam zu sein und für den Rest unseres Lebens im Gleichklang zu schwingen wie zwei Instrumente, deren Stimmen zu einem einzigen Klang verschmolzen.

Aber ausgerechnet an dem Morgen unserer offiziellen Verbindung war es, als hätte dieser Gleichklang nie existiert.

Mein Atem legte einen Schleier über die Scheibe, das Fenster im anderen Haus blieb leer, und als ich blinzelte, tropften Tränen von meinen Wimpern. Mach dich nicht lächerlich, schalt ich mich. Träume bedeuten nicht mehr als Wetterleuchten. Nur Geisteskranke schenken ihnen Glauben. Aber gleichzeitig legte sich die Angst wie eine Sandschicht auf meine Seele. Irgendetwas war passiert!

»He!«

Ich fuhr herum und musste mich mit dem Rücken an die Scheibe lehnen, sonst hätten meine Knie nachgegeben.

Meine Schwester war lautlos an mich herangetreten, stolz, aufrecht, ohne ein Lächeln. Aber jetzt, als sie mir mitten ins Gesicht sah, stolperte sie erschrocken zurück. Unwillkürlich warf ich einen Blick über die Schulter, doch hinter mir war nichts, was sie erschreckt haben könnte, nur Sandwirbel und die erste Ahnung von Helligkeit.

»Canda?«, fragte meine Schwester so verwundert, als hätte sie mich eben erst erkannt.

»Jemand ist gestorben!« Es rutschte mir einfach so heraus, mit dieser Stimme, die nicht mehr ganz die meine war. Ich erschrak so sehr, dass ich beide Hände vor den Mund schlug.

»Was … wer ist tot?«, fragte Vida.

Ich schloss die Augen. »Tian?«, flüsterte ich. Und jetzt traf mich die Panik wie ein heißer Wind, der mich von Kopf bis Fuß versengte. Meine Schwester legte mir die Hand auf die Schulter. »Canda, weinst du etwa? Beruhige dich doch! Woher willst du denn wissen, dass ihm etwas passiert ist?«

»Ich spüre es einfach!« Jetzt schrie ich. Und das erschreckte mich fast mehr als meine...