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Das italienische Mädchen - Roman

Lucinda Riley

 

Verlag Goldmann, 2014

ISBN 9783641119072 , 560 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

1

Neapel, Italien, August 1967

Rosanna Antonia Menici stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt sich am Waschbecken fest, um in den Spiegel zu schauen. Sie musste sich ein wenig nach links neigen, weil sich ein Sprung darin befand, und konnte nur ihr rechtes Auge sowie ihre rechte Wange und nichts von ihrem Kinn sehen; dazu war sie sogar noch auf Zehenspitzen zu klein.

»Rosanna! Kommst du wohl endlich aus dem Bad!«

Seufzend ging Rosanna über den schwarzen Linoleumboden zur Tür und entriegelte sie. Sofort wurde die Klinke heruntergedrückt, und Carlotta hastete herein.

»Warum sperrst du zu, du Dummkopf? Hast du was zu verbergen?« Carlotta drehte die Hähne der Badewanne auf und steckte ihre langen dunklen Locken oben am Kopf zusammen.

Rosanna zuckte verlegen mit den Achseln; sie hätte sich gewünscht, von Gott genauso hübsch geschaffen worden zu sein wie ihre ältere Schwester. Mamma hatte ihr erklärt, Gott gebe jedem etwas mit, und Carlotta habe er nun einmal ihre Schönheit geschenkt. Rosanna beobachtete, wie Carlotta den Bademantel auszog, unter dem ihr wohlgeformter Körper mit der makellosen Haut, den vollen Brüsten und den langen schlanken Beinen zum Vorschein kam. Die Gäste des Cafés sangen ein Loblied auf Mammas und Papàs schöne Tochter und prophezeiten, dass sie eines Tages einen reichen Mann heiraten würde.

Das kleine Bad füllte sich mit Dampf, als Carlotta die Hähne zudrehte und in die Wanne stieg.

Rosanna setzte sich auf den Rand. »Kommt Giulio heute Abend?«, fragte sie ihre Schwester.

»Ja.«

»Meinst du, du wirst ihn heiraten?«

Carlotta begann, sich einzuseifen. »Nein, Rosanna, das habe ich nicht vor.«

»Ich dachte, du magst ihn?«

»Ja … Ach, du bist zu jung, um das zu verstehen.«

»Papà kann ihn gut leiden.«

»Das weiß ich. Er kommt aus einer wohlhabenden Familie.« Carlotta hob eine Augenbraue und stieß einen theatralischen Seufzer aus. »Ich finde ihn langweilig. Papà würde mich am liebsten schon morgen mit ihm vor dem Traualtar sehen, aber ich möchte zuerst noch ein bisschen Spaß haben und das Leben genießen.«

»Macht Heiraten denn keinen Spaß? Man trägt ein hübsches Hochzeitskleid, bekommt jede Menge Geschenke und eine eigene Wohnung und …«

»… eine Horde schreiender Kinder und einen Bauch«, führte Carlotta den Satz für sie zu Ende, während sie mit der Seife über ihren schlanken Körper glitt. »Was starrst du so? Verschwinde, Rosanna, und lass mir zehn Minuten meine Ruhe. Mamma braucht dich unten. Und mach die Tür hinter dir zu!«

Rosanna verließ schweigend das Bad, ging die steile Holztreppe hinunter und betrat das Café. Die Wände waren gerade erst geweißelt worden, und über der Bar im hinteren Bereich des Raums hing ein Gemälde der Madonna neben einem Poster von Frank Sinatra. Die dunklen Holztische waren hochglanzpoliert, auf jedem stand eine leere Weinflasche mit einer Kerze.

»Da bist du ja! Wo hast du gesteckt? Ich rufe schon die ganze Zeit nach dir. Hilf mir mal beim Aufhängen.«

»Ja, Mamma.« Rosanna zog einen Holzstuhl unter einem der Tische hervor und rückte ihn zu dem Bogen in der Mitte des Cafés.

»Beeil dich, Kind! Gott hat dir deine Beine zum Laufen gegeben und dich nicht als Schnecke erschaffen«, sagte Antonia Menici, die bereits auf einem Stuhl stand, eine Ecke eines bunten Lakens in der Hand. Der Stuhl geriet unter ihrem beträchtlichen Gewicht gefährlich ins Wanken. Rosanna ergriff das andere Ende des Stoffs und kletterte hinauf.

»Schieb die Schlaufe über den Nagel«, wies Antonia sie an.

Rosanna tat, wie ihr geheißen.

»Und jetzt hilf deiner Mamma herunter. Wir wollen sehen, ob es gerade hängt.«

Rosanna sprang auf den Boden und stützte Antonia beim Herunterklettern. Die Handflächen ihrer Mutter waren feucht, Rosanna bemerkte den Schweiß auf ihrer Stirn.

»Bene, bene.« Antonia betrachtete ihr Werk zufrieden.

Rosanna las laut die Worte auf dem Transparent: »Herzlichen Glückwunsch zum dreißigsten Hochzeitstag – Maria und Massimo!«

Antonia legte die Arme um ihre Tochter und drückte diese zu ihrer Verwunderung an sich. »Das wird eine wunderbare Überraschung! Sie glauben, es gibt bloß ein Abendessen mit Papà und mir. Ich bin auf ihre Gesichter gespannt, wenn sie alle ihre Freunde und Verwandten sehen.« Sie strahlte. Antonia löste sich von Rosanna, setzte sich auf den Stuhl und wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab. Dann beugte sie sich vor und winkte Rosanna zu sich. »Rosanna, ich verrate dir was. Ich hab Roberto geschrieben. Er kommt zu dem Fest eigens aus Mailand und singt für seine Mamma und seinen Papà, hier im Café! Morgen wird die ganze Piedigrotta von uns reden!«

»Ja, Mamma. Er singt Schnulzen, stimmt’s?«

»Schnulzen? Was sagst du da? Roberto Rossini ist kein Schnulzensänger, sondern lernt an der scuola di musica der Mailänder Scala. Eines Tages wird er in der Scala auftreten.«

Antonia presste die Hände auf ihren Busen. Rosanna erinnerte das ein wenig an den Gottesdienst in der Kirche.

»Geh jetzt Papà und Luca in der Küche zur Hand. Es gibt viel zu tun vor dem Fest, und ich möchte mir noch bei Signora Barezi die Haare machen lassen.«

»Hilft Carlotta auch?«, fragte Rosanna.

»Nein. Sie begleitet mich zu Signora Barezi. Wir müssen heute Abend schön sein.«

»Was soll ich anziehen, Mamma?«

»Du hast doch das rosafarbene Kleid für die Kirche.«

»Das ist mir zu klein. Darin sehe ich albern aus«, jammerte Rosanna.

»Ach was. Eitelkeit ist eine Sünde, Rosanna. Wenn Gott deine eitlen Gedanken hört, reißt er dir in der Nacht alle Haare aus. Dann wachst du am Morgen kahl auf wie Signora Verni, nachdem sie ihren Mann wegen einem Jüngeren verlassen hatte! Und jetzt ab in die Küche.«

Rosanna entfernte sich. Warum, fragte sie sich, hatte Carlotta noch alle Haare auf dem Kopf? Als sie die Küchentür öffnete, schlug ihr Hitze entgegen. Ihr Vater Marco bereitete an einem langen Holztisch den Pizzateig vor. Marco war schlank und drahtig, das genaue Gegenteil seiner Frau, und seine Glatze glänzte bei der Arbeit von Schweiß. Luca, ihr großgewachsener älterer Bruder mit den dunklen Augen, rührte am Herd in einem riesigen dampfenden Topf. Rosanna sah einen Moment lang fasziniert zu, wie Papà den Teig mit den Fingerspitzen über dem Kopf drehte und ihn rund auf den Tisch klatschte.

»Mamma hat mich geschickt. Ich soll euch helfen.«

»Trockne die Teller ab und staple sie auf dem Tisch«, sagte Marco, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

Rosanna nahm ein sauberes Tuch aus einer Schublade und wandte sich gottergeben dem Geschirrberg zu.

»Wie seh ich aus?«

Carlotta blieb an der Tür stehen, um sich von den anderen Familienmitgliedern bewundern zu lassen. Sie trug ein neues, zart zitronengelbes Satinkleid mit tiefem Ausschnitt und einem Rock, der straff auf ihren Hüften saß und knapp über dem Knie endete. Ihr dichtes schwarzes Haar war so gekämmt, dass es in glänzenden Locken auf ihre Schultern fiel.

»Bella, bella!« Marco ging mit ausgestreckter Hand auf Carlotta zu. »Giulio, ist meine Tochter nicht wunderschön?«

Der junge Mann, dessen knabenhafte Gesichtszüge in seltsamem Kontrast zu seinem muskulösen Körper standen, erhob sich schüchtern lächelnd vom Tisch.

»Ja, sie ist so schön wie Sophia Loren in Hochzeit auf Italienisch«, antwortete Giulio.

Carlotta trat zu ihrem Freund und küsste ihn leicht auf die gebräunte Wange. »Danke, Giulio.«

»Und Rosanna, findet ihr die denn nicht auch hübsch?«, fragte Luca und schenkte seiner Schwester ein Lächeln.

»Doch, doch«, antwortete Antonia nur.

Rosanna wusste, dass ihre Mutter log. Das rosafarbene Kleid, das Carlotta einmal so gut gestanden hatte, ließ Rosannas Haut blass erscheinen, und durch die eng geflochtenen Zöpfe wirkten ihre Ohren noch größer als sonst.

»Trinken wir etwas, bevor die Gäste kommen«, sagte Marco und holte eine Flasche orangefarbenen Aperol, die er mit großer Geste öffnete, bevor er sechs kleine Gläser füllte.

»Ich auch, Papà?«, fragte Rosanna.

»Ja, du auch.« Marco reichte jedem ein Glas. »Möge Gott uns ein langes Leben bescheren, uns vor dem bösen Blick schützen und diesen Tag zu etwas ganz Besonderem für unsere besten Freunde Maria und Massimo machen.« Marco hob sein Glas und leerte es in einem Zug.

Rosanna nahm einen kleinen Schluck von dem bitteren Getränk und begann zu husten.

»Alles in Ordnung, piccolina?«, erkundigte sich Luca und klopfte ihr auf den Rücken.

»Ja, Luca.«

Ihr Bruder ergriff ihre Hand und flüsterte ihr ins Ohr: »Eines Tages wirst du viel hübscher sein als deine Schwester.«

Rosanna schüttelte den Kopf. »Nein, Luca, aber das ist mir egal. Mamma sagt, ich habe andere Gaben.«

»Ja, das stimmt.« Luca legte die Arme um den schmalen Körper seiner Schwester und zog sie zu sich heran.

»Mamma mia! Da kommen die ersten Gäste. Marco, bring den Prosecco, und Luca, schau nach dem Essen, schnell!« Antonia strich ihr Kleid glatt und eilte zur Tür.

Rosanna verfolgte von einem Tisch am Rand, wie sich das Café mit Freunden und Verwandten der Ehrengäste füllte. Carlotta, die inmitten einer Gruppe junger Männer stand, warf lächelnd die...