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ZERO - Sie wissen, was du tust - Roman

Marc Elsberg

 

Verlag Blanvalet, 2014

ISBN 9783641118365 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

10,99 EUR


 

Montag

»Hast du Steine da drin?«, ächzt Cynthia Bonsant, als sie einen Umzugskarton auf den Arbeitsplatz ihres neuen Tischnachbarn wuchtet. Das Ding renkt ihr fast die Schultern aus.

»Jede Menge cooler Gadgets«, schwärmt Jeff. »Testprodukte fürs Technikressort.« Er zieht ein Plastikstehaufmännchen mit blinkenden Augen aus dem Karton voll technischer Geräte und Kabel.

Technikressort! Genervt fährt sich Cynthia mit den Fingern durch das Haar, fingerlange Strubbel, die daraufhin in alle Richtungen abstehen. Sie streicht sie wieder zurecht, während ihr Blick durch das neue Großraumbüro schweift, in dem Print- und Onlinejournalisten des Daily zusammengepfercht werden. An sechs langen Tischreihen packen alte und neue Kollegen geschäftig ihre Habseligkeiten aus, stapeln, ordnen wie am Fließband eines Büroartikelversands. Ein Bildschirm reiht sich an den nächsten; zwischen ihnen montiert das IT-Team letzte Kabel, die wie Gedärm aus den Geräten baumeln. Noch mehr Kollegen kommen in den Raum, ihre Kartons vor dem Bauch, drängen sich durch, suchen ihre Plätze. Auf sie alle herab flackert von der riesigen Monitorwand an der Saalfront ein Bildgewitter weltweiter Nachrichtensender, Webseiten, sozialer Netzwerke. Darunter ein Ticker für die Neuankömmlinge:

»Willkommen im Newsfloor des Daily

»Newsfloor«, murmelt Cyn. »Maschinenraum wäre passender.«

Sie wendet sich ihrer eigenen Umzugsbox zu.

Keine coolen Gadgets.

Entschieden stellt sie ihre abgewetzte Dose mit Stiften vor den neuen Bildschirm. Daneben legt sie den Notizblock.

Als sie wieder hochsieht, hat Jeff aufgehört zu räumen und starrt gebannt auf seinen Monitor. Auch andere Kollegen haben ihre Fließbandarbeit unterbrochen und rotten sich in flüsternden Gruppen vor den Bildschirmen zusammen.

»Ist ja irre«, murmelt Jeff und reibt sich den Bartversuch an seinem Kinn. »Schau dir das an!«

Im selben Moment stürzt der Chefredakteur aus seinem Büro. Anthony Heast.

»Bringt die Übertragung auf die Videowand!«

Dort zeigen längst alle Monitore dasselbe: verwackelte Luftaufnahmen eines Golfplatzes. Im Wald dahinter verstreut Dächer. Über einem wehen die Stars and Stripes.

»Eine Drohne … eine Drohne greift ihn an …«, stammelt Jeff.

Jetzt erkennt auch Cyn den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er legt einen Golfball zum Abschlag bereit. Neben ihm seine Frau, auf zwei weiteren Abschlagplätzen dreschen ihre beiden Kinder lustlos auf Bälle ein. In einigen Metern Abstand zu der Präsidentenfamilie langweilen sich fünf Sicherheitsleute hinter ihren dunklen Brillen.

»Diese Bilder vom Urlaubsdomizil des Präsidenten werden seit wenigen Sekunden live ins Internet gesendet«, plappert ein aufgeregter TV-Moderator von der Videowand. »Kurz davor informierte eine Organisation namens ›Zero‹ Öffentlichkeit und Medien über soziale Netzwerke von der Aktion. Noch wissen wir nicht, wie die Drohne die Sicherheitsvorkehrungen überwunden hat – geschweige denn, was Zero vorhat!«

Als die fliegende Kamera auf den US-Präsidenten zurast, beginnt Cyns Herz schneller zu schlagen. Sieht das dort keiner? Einige Kollegen stoßen Schreckensschreie aus. Selbst die Umzugsarbeiter haben ihre Arbeiten unterbrochen und stieren auf die Videowand.

Der Präsident holt Schwung, schlägt, blickt dem Ball nach. Er rammt den Schlägerkopf in den Rasen und ruft dem Ball etwas hinterher. Keine Nettigkeit, vermutet Cyn angesichts seiner Grimasse. Da verzerrt sich sein Gesichtsausdruck. Sein Arm streckt sich aus, der Finger zeigt genau auf die Kamera, er wendet sich um zu den Leibwächtern, dann rennt er los zu seiner Frau und den schockstarren Kindern. Mehrere Sicherheitsleute hasten ihm hinterher. Aus dem Wald schießen zwei dunkle Geländewagen. Ihre Reifen wühlen den Rasen auf, während sich die Sicherheitsleute schützend über den Präsidenten und seine Familie werfen.

Ein Trupp Männer erscheint zwischen den Bäumen und den überdachten Abschlagstellen. Ein paar von ihnen eilen zur Präsidentenfamilie. Die übrigen blicken sich nervös um oder starren durch Feldstecher, tippen hektisch auf Smartphones und Tablets ein, brüllen in ihre Headsets.

Die Traube aus Sicherheitsmännern bugsiert die First Family hastig in den vorderen Wagen. Erde und Rasenfetzen spritzen hoch, und das Auto rast in den Wald davon. Erst als Cyn tief durchatmet, wird ihr bewusst, dass sie vor Aufregung die Luft angehalten hat.

Ihr Puls beschleunigt sich sofort wieder, als die fliegende Kamera das Fahrzeug durch das lückenhafte Blätterdach über der Straße im Blick behält. Der zweite Wagen schließt auf. Aus seinen Fenstern lehnen Männer mit Maschinenpistolen und suchen den Himmel ab, bis die Geländewagen einen Gebäudekomplex erreichen und in einer Garageneinfahrt verschwinden.

»Okay«, verkündet der TV-Kommentator atemlos, als sich die Tür hinter ihnen schließt. »Der Präsident und seine Familie scheinen vorerst in Sicherheit.«

»Ist unser Liveticker startbereit?«, ruft Anthony und lockert seine Krawatte. »Können wir den Stream auf unserer Homepage einbetten? Titel: US-Präsident unter Attack…«

Aufgeregte Rufe im Maschinenraum bringen ihn zum Schweigen. Auf wackligen Bildern aus einer hell erleuchteten Garage erkennt Cyn die zwei Geländefahrzeuge. Angespannt verlassen der Präsident, seine Familie und ihre Beschützer die Wagen. Dabei haben sie die eingedrungene Drohne noch gar nicht bemerkt. Bis ein Kind kreischt. Und das Gerenne von vorn losgeht. Als wären sie mit einem Schwarm Hornissen eingeschlossen, denkt Cyn und schaudert.

Im Schutz der Leibwächter erreicht die Präsidentenfamilie den Ausgang der Garage, während zwei zurückgebliebene Wachmänner hilflos mit ihren Waffen in der Luft herumfuchteln. Hinter ihnen schwirrt ein faustgroßer Schatten durch den Raum.

»Fuck! Wie sind die hier hereingekommen?«, poltert einer und richtet den Lauf seiner Waffe auf die Kamera. Die Bilder auf der Videowall lösen sich auf in verwischte Muster von Wänden, Fahrzeugen, Personen, begleitet von ohrenbetäubenden Schüssen. Dann werden die Monitore schwarz und lassen hektisch durcheinanderredende Moderatoren zurück.

Durch den Maschinenraum zieht ein kollektives Seufzen. Cyn fragt sich, ob aus Erleichterung oder Enttäuschung.

»Scheiße!«, ruft Jeff, als die Bilder zurückkehren. »Die haben noch eine Kamera da drin!«

Froschperspektive, ein Durcheinander laufender Beinpaare. Irgendwo hockt diese versteckte Kamera wie ein Tierchen, dem Jäger den Garaus machen wollen. Cyn merkt, dass sie unwillkürlich mit dem Tierchen mitfiebert. Obwohl es womöglich gerade den US-Präsidenten ermorden will.

»Da sind noch welche, Chuck!«, bellt Stabschef Erben Pennicott ins Telefon. Seine freie Hand ballt sich vor Anspannung zur Faust. Auf den Bildschirmen der Computer und Fernseher in Erbens Arbeitszimmer erreichen Präsidentenfamilie und Leibwächter den Ausgang des nächsten Raums. Nur zwei Paar schwere schwarze Schuhe bleiben im Bild. Plötzlich rast die Kamera an ihnen vorbei, hinter dem Präsidenten her. Schüsse krachen. Schreie gellen. Für einen unendlich wirkenden Augenblick fängt die Kamera die angstgeweiteten Augen des mächtigsten Mannes der Welt ein, die dunkle Öffnung seines schreienden Mundes.

Verdammt!, und noch einmal verdammt!, denkt Erben und verzieht das Gesicht. Diese Bilder gehen um die ganze Welt. Und sie werfen kein gutes Licht auf den Präsidenten. Von Souveränität keine Spur!

Nach einer neuen Feuersalve wird der Monitor schwarz. Mit dem Telefonhörer am Ohr starrt Erben auf die Bildschirme. Er weiß nicht, wer die Schüsse abgab. Ihre Leute oder die Drohnen? Die Stimmen der Fernsehkommentatoren überschlagen sich. Was, wenn der Präsident oder jemand aus seiner Familie getroffen wurde? Er rennt los.

Mühelos sprintet er durch die Flure und Zimmerfluchten des weitläufigen Gebäudekomplexes. Erneut krachen Schüsse. Noch ein Raum, in dem allein zehn Leute wohnen könnten, die Flügeltür an der gegenüberliegenden Wand steht offen. Wie panisch schreiende Zwerge laufen die Kinder des Präsidenten im Schutz dreier mächtiger Leibwächter auf ihn zu, dahinter die First Lady, der Präsident und mehrere Personenschützer. Aus den Augenwinkeln sieht Erben einen Schatten zwischen ihren Füßen huschen. Der Tross rauscht an ihm vorbei, die Sicherheitsmänner feuern ziellos Richtung Boden.

»Seid ihr verrückt?«, schreit er die Männer an. »Wo ist das Scheißding?«, flucht er, während sein Blick zwischen der Video-Übertragung auf seinem Smartphone und verschiedenen Punkten im Raum hin und her fliegt.

»Dort!«, ruft ein Leibwächter neben ihm und zielt unter eines der Sofas.

Erben schlägt ihm den Arm hoch. Die Geschosssalve donnert in die Zimmerdecke, eine Wolke Verputzsplitter regnet auf sie nieder.

»Hör auf herumzuballern!«, bellt er. Er hat den kleinen Laufroboter entdeckt. Rasch windet er sich aus seinem Sakko und stürzt auf die metallene Spinne zu. Wie ein Hundefänger sein Netz schleudert er das Jackett über das Gerät und wirft sich darauf.

»Oh!«, stoßen mehrere Anwesende im Newsfloor enttäuscht aus, als die Bilder von den Monitoren verschwinden. Doch das Bedauern währt nur kurz. Ein Johlen begleitet den Wechsel zur Froschperspektive einer weiteren Kamera. Sie zeigt Erben Pennicott, der mit einer Hand in seiner zusammengeknüllten Jacke sucht, bis er...