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Kommunikation - Eine interdisziplinäre Einführung

Mathias Blanz, Arnd Florack, Ursula Piontkowski

 

Verlag Kohlhammer Verlag, 2013

ISBN 9783170247932 , 292 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

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2          Sprachliche Kommunikation: Psycholinguistische Grundlagen


Monika Schwarz-Friesel und Konstanze Marx


Sprachliche Kommunikation ist Grundlage jeder Gesellschaft. Die Möglichkeit, mittels Sprache Gedanken und Gefühle auszudrücken, gehört zu den wichtigsten geistigen und sozialen Fähigkeiten des Menschen. Alle wesentlichen sozialen Interaktionen, Strukturen und Institutionen basieren auf sprachlichen Prozessen. Sprachliche Äußerungen vermitteln allgemeine und individuelle Kenntnisse, speichern kollektives Wissen, ermöglichen komplexe Denkprozesse, Gedankenaustausch und Bezugnahme auf die Welt. Die Sprache ist in einer Gemeinschaft das bei allen individuellen Unterschieden und subjektiven Ausrichtungen menschlicher Existenzen von allen gemeinsam benutzte, überindividuell verstandene Kenntnis- und Kodierungssystem. Sowohl im privaten wie auch im sozialen Leben wäre ein Miteinander ohne Sprache nicht vorstellbar.

Wenn wir uns mit der Sprache beschäftigen, stellen wir Fragen nach uns selbst, unserem Geist, unseren Fähigkeiten, unserer Wesensart, unserer Interaktion mit anderen Menschen, unserer Onto- und Phylogenese.

Sprache ist somit immer ein Fenster zur Welt, weil wir durch Sprache etwas über die äußere Realität erfahren. Sprache ist zugleich eine Straße in den Geist, da sprachliche Äußerungen immer auch Einblick in Denk- und Meinungsprozesse, Einstellungen oder Motive geben – sie sind also Spuren unserer kognitiven Aktivität.

2.1       Sprache als geistiges Kenntnissystem


2.1.1     Linguistik als Disziplin: zur Relevanz von Sprache


Die Beschäftigung mit der Sprache hat eine lange Tradition. Wenngleich es die Sprachwissenschaft als Disziplin erst seit ca. einhundert Jahren gibt, haben sich Philosophen und Dichter seit der Antike über die Jahrhunderte hinweg mit Sprache beschäftigt, so z. B. Platon in seinem sprachphilosophischen Dialog »Kratylos«. Sprachliche Fähigkeiten sind heute Gegenstand der modernen Sprachwissenschaft (Linguistik), die als wissenschaftliche Disziplin die Struktur, die Repräsentation, den Erwerb und die Verwendung von Sprache untersucht. Dabei wird die Sprache aus kognitiver Perspektive als ein Kenntnis- und Regelsystem verstanden, das in unserem Gedächtnis mental und in unserem Gehirn neuronal gespeichert ist. Der Begriff Sprache hat (auch als Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft) die folgenden Auslegungsmöglichkeiten:

•  Sprache als allgemeine menschliche Fähigkeit (vgl. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch die Sprache.),

•  Sprache als spezifisches Kenntnis- und Regelsystem einer Gesellschaft (vgl. Im Seminar beschäftigen wir uns mit der deutschen Sprache.),

•  Sprache als individuelle Fähigkeit eines Menschen, zu sprechen und zu verstehen (vgl. Herr Müller hat durch einen Schlaganfall seine Sprache verloren.),

•  Sprache als konkrete Anwendungsvariante (vgl. Was ist das für eine klare Sprache in diesem Aufsatz!).

Je nach linguistischem Ansatz (beispielsweise Angewandte oder Theoretische Linguistik) steht die eine oder andere Variante im Vordergrund des Forschungsinteresses. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Beschreibung, was Sprache genau ist, ergeben sich die folgenden Charakteristika: Sprache ist natürlich. Sie ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung und eine evolutionäre Errungenschaft. Phylogenetisch betrachtet ist die Sprachfähigkeit relativ jung: Man vermutet, dass sie sich aufgrund spezifischer Gehirnentwicklung (u. a. Volumenzuwachs und neuronale Vernetzung) vor ca. 150 000 Jahren ausprägte. Da nur die Spezies Mensch über Sprache bzw. über das Sprachlernvermögen verfügt, ist Sprache humanspezifisch. Tiere können zwar kommunizieren, erreichen jedoch nie die Fähigkeiten des sprachbegabten Menschen. Sprachfähigkeit gehört zum Genom der Spezies Mensch, d. h., ihr Entwicklungspotential ist angeboren. Alle Menschen, unabhängig von ihrer Ethnie, ihrer Kultur, besitzen die Fähigkeit, eine oder mehrere Sprachen zu erwerben.

In seiner wichtigen Arbeit zum Ursprung der Sprache nennt Hockett (1960, 1966) als die wichtigsten Merkmale, die die menschliche Sprache von der Tierkommunikation unterscheiden, insbesondere die Raum-Zeit-Unabhängigkeit und die Produktivität. So können wir auf Entitäten referieren, die imaginiert sind, z. B. den Osterhasen, die gar nicht wahrnehmbar (Abstrakta) oder nicht unmittelbar in der Sprechsituation präsent sind. Sprache ermöglicht es uns, auf Ereignisse in der Vergangenheit oder Zukunft zu referieren (Raum-Zeit-Unabhängigkeit). Sprecher können kreativ Sätze produzieren, die ein Hörer noch nie zuvor gehört hat und trotzdem verstehen kann (Produktivität). Dies entspricht auch dem Kompetenz-Begriff der Generativen Grammatiktheorie (vgl. Grewendorf, Hamm & Sternefeld, 1999), wonach aus einer finiten Regelmenge eine infinite Menge von Sätzen gebildet werden kann. Zudem verweist Hockett auf die Dualität der Merkmalsbildung als Spezifikum. Lautsegmente (Phoneme) bestehen demnach aus mehreren gleichzeitigen diskreten Bewegungsabläufen im Mund und erst Lautverkettungen (Morpheme) haben Bedeutung. Eine weitere Besonderheit der menschlichen Sprache ist nach Hockett die volle Übermittlung durch Tradition, d. h., dass Kinder ihre Erstsprache von anderen Sprechern ihrer Umgebung erlernen.

Eine spezifische Sprache entwickelt sich aus der Interaktion von Natur und Kultur. Sprache kann oral (artikulatorisch-auditiv), schriftlich oder gebärdensprachlich (motorisch-visuell) realisiert werden. Sprache ist vielfältig: Es gibt ca. 6 000 Sprachen, die z. T. große Unterschiede hinsichtlich ihrer Einheiten und Regeln aufweisen. So benutzt man im Deutschen beispielsweise kleine grammatische Elemente (Flexionsmorpheme), um bestimmte Relationen anzuzeigen: der Vater – des Vaters – die Väter – den Vätern. Manche Sprachen kommen ohne grammatische Markierungen dieser Art aus, Informationen werden hier über die Wortstellung vermittelt. Andere Sprachen kombinieren Zeichenelemente zu komplexen Strukturen. In polysynthetischen Sprachen (Thai, Ewe, Yoruba) etwa treffen grammatische Funktionen in einem Stamm zusammen, so dass der Satz wie aus einem einzigen Wort bestehend erscheint (Ineichen, 1991, S. 50 f.). Wenngleich manche Sprachen extrem komplizierte Regeln und andere einfache haben, gibt es keine »primitiven Sprachen«. Denn ein weiteres allgemeines Merkmal von Sprache(n) ist ihre Komplexität. Zu jeder Sprache gehören immer unterschiedliche Kenntnissysteme – Wortschatz (Lexikon), Laut- und Wortbildung (Morphophonologie), Grammatik (Syntax), Bedeutung (Semantik) –, die aufeinander aufbauen und miteinander verknüpft sind. Inwieweit die spezifischen lexikalischen und grammatischen Charakteristika einer Sprache Einfluss auf unsere Denk- und Wahrnehmungsprozesse nehmen, also u. U. unsere Sicht auf die Welt prägen können, wird vor dem Hintergrund der »sprachlichen Relativitätstheorie« (Sapir-Whorf-Hypothese, s. Whorf, 2008, die Erstauflage erschien 1963; vgl. Kap. 3 in diesem Band) bzw. des Sprachdeterminismus (Hypothese: Sprache bestimmt und formt das Denken) im Rahmen von Sprachkritik, Psycholinguistik und anthropologischer Linguistik diskutiert und untersucht.

Die moderne Linguistik analysiert auf der Grundlage der oben beschriebenen Merkmale von Sprache diachrone und synchrone Aspekte, strukturell-repräsentationale und prozedurale Phänomene sowie Schnittstellen zu anderen Kenntnissystemen (z. B. dem visuellen und konzeptuellen System) der menschlichen Kognition.

2.1.2     Zeichen als Basiselemente


Sprachliche Kommunikation wird als Austausch von Informationen durch Zeichen verstanden. Diese Zeichen fungieren als Symbole, d. h., sie können uns etwas präsent machen, ohne selbst dieses etwas zu sein. Jedes Wort unserer Sprache ist ein sprachliches Zeichen. Wörter bestehen aus zwei Komponenten: Ausdruck (Form) und Inhalt (Bedeutung). Diese stehen in einem arbiträren, d. h. willkürlichen, nicht naturgegebenen Verhältnis zueinander (de Saussure, 1916). Die Ausdrucksrepräsentation kann je nach Modalität entweder eine phonologische Laut- oder eine graphematische Schriftrepräsentation sein. Der (geistige, nicht beobachtbare) Inhalt lässt sich als die konventionell dazugehörige Bedeutung mittels semantischer Merkmale paraphrasieren (z. B. BAUM mittels PFLANZE, HAT STAMM, HAT ÄSTE). Jedes Wort hat im mentalen Lexikon (unserem Wortspeicher im Langzeitgedächtnis) eine Grundbedeutung (die Denotation), die das Referenzpotential des Zeichens festlegt, also die Menge der Gegenstände oder Sachverhalte in der außersprachlichen Welt, auf die mit diesem Wort Bezug genommen werden kann. Da das Wort Baum mental im Gedächtnis gespeichert ist, kann prinzipiell auf alle Bäume...