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Nur der Tod vergisst - Roman

Peter Hakenjos

 

Verlag Der Kleine Buch Verlag, 2014

ISBN 9783765021084 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,49 EUR


 

4


Elsass, Reservelazarett Drei Ähren, August 1944

Der stechende Schmerz in seinem Kopf pochte unter dem breiten Verband. Schweißgebadet war er aufgewacht. Es war immer der gleiche Traum. Sie schaute ihn mit großen, dunklen Augen an. Er versuchte zu sprechen, doch aus seinen geöffneten Lippen kam kein Laut, so sehr er sich auch anstrengte. Schließlich ging sie fort, schritt durch ein großes Tor und drehte sich dabei noch einmal zu ihm um. Er wollte schreien, doch es gelang ihm nicht. Das war immer der Moment, in dem er aufwachte. Danach war an Schlaf nicht mehr zu denken. Seine Gedanken kreisten zu sehr um das Bild der jungen Frau. Nachdem er sich in seinen durchgeschwitzten Laken lange herumgewälzt hatte, schleppte er sich hinaus. Vor der Tür des Schlafraumes hörte er schon den Höllenlärm der Grillen, die die nahe gelegenen Wiesen bevölkerten. Ulf schlurfte auf die Terrasse des Lazaretts Drei Ähren.

Das Elsass keuchte unter der Last der heißen Augusttage. Er war nicht der Einzige, der in dieser Sommernacht keinen Schlaf gefunden hatte. Im Vorbeigehen grüßte er die Nachtschwester, die einsam in ihrer Zelle hinter einer großen Scheibe saß, beleuchtet von einer funzeligen Schreibtischlampe. Sie nickte ihm müde zu. Auf der Terrasse saßen vereinzelt ein paar Männer. Der Vollmond stand über dem nahen Wald. Er gab den Verwundeten das Aussehen, als wären sie längst Leichen, gestorben auf einem der über ganz Europa und Afrika verstreuten Schlachtfelder. Ulf schob sich einen Liegestuhl vorsichtig zurecht und stellte seine Lehne aufrecht. Die Luft war hier kühler als in dem stickigen Krankenzimmer, das er sich mit sieben Kameraden teilen musste. Als er vor einem Monat im Lazarett ankam, schlief er fast den ganzen Tag. Vielleicht war es eine Folge des Morphiums, vielleicht auch nur seine Erschöpfung, die ihn wie in einer Ohnmacht leben ließ. Unterbrochen wurde sein Schlaf nur von Untersuchungen, Krankenappellen und den Mahlzeiten, zu denen er erbarmungslos von den Schwestern geweckt wurde. Jetzt war sein Schlafbedürfnis gedeckt und seine Albträume ließen immer seltener einen ruhigen Schlaf zu.

Kaum hatte er sich in den Liegestuhl gelegt, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Ein Kamerad, den er am Vormittag schon in der Kantine des Lazaretts als Neuzugang wahrgenommen hatte, stand gähnend neben ihm. Ulf wusste, er war Oberscharführer und hatte schon den ersten russischen Kriegswinter hinter sich. Bei seiner Einlieferung trug er dafür den Gefrierfleischorden. Anders als Ulf entsprach er nicht dem Bild des groß gewachsenen, »arischen« Mannes. Er war untersetzt, hatte bullige breite Schultern und buschige, schwarze Augenbrauen. Seine streng nach hinten gekämmten, schwarzen Haare begannen sich, obwohl er erst Anfang dreißig war, an der Stirn zu lichten. Seine Augen schienen nie an einer Stelle zu verharren.

„Hallo Kamerad, kannst du auch nicht schlafen? Ich bin Hans. Du bist doch der, der als Schlips die drei Panzer im Alleingang flach gemacht hat? Bist du schon länger hier?“

„SS-Grenadier Ulf Lahner“, stellte er sich vor, indem er sich aus dem Liegestuhl hochkämpfte. Doch da gab ihm der Oberschar mit der Hand ein Zeichen, sich wieder hinzulegen, rückte einen Liegestuhl an seine Seite und ließ sich mit einem leichten Stöhnen hineinfallen.

„Wie man es nimmt Herr Oberscharführer, seit ungefähr einem Monat bin ich hier und so wie es aussieht, bleibe ich noch eine Weile. Im Feld können die nichts mit mir anfangen, solange mein Schädel mir hin und wieder wegzufliegen droht“, fuhr Ulf fort und versuchte trotz der liegenden Stellung, Haltung zu bewahren und den Oscha anzusehen.

„Wohl tüchtig was abbekommen, oder?“

„Nur der Kopf. Mein Schädel hat einige Splitter verdauen müssen. Ich hab’ auf einen Sherman nicht richtig aufgepasst.“

„Ja, das habe ich mir bei deinem Kopfschmuck schon gedacht. Die Kameraden haben gemeint, du hast dafür, dass du die Normandie fast von unten gesehen hättest, das Eiserne Kreuz bekommen. Für einen Schlips nicht gerade einfach. Zumindest nicht für die, die es überleben. Noch ein paar Monate und du hättest dich in den Orden der Ritterkreuzträger einreihen dürfen oder du wärst tot gewesen. Bist ein ganz Strammer, was?“, grinste ihn Hans an.

„Bei allem Respekt, Oberscharführer, das muss ich doch wohl nicht erklären, oder?“, antwortete Ulf und verzog sein Gesicht.

„Mann, sei nicht beleidigt. Bei den Pfadfindern war ich auch nicht. Mich kannst du hier ruhig duzen. Ich bin Hans. Der Krieg ist sowieso bald vorbei“, dabei stockte Hans und schaute sich um. Sofort fügte er hinzu: „Der Endsieg kann nicht lange auf sich warten lassen. Die Wunderwaffe wird demnächst eingesetzt.“

„Ja, die Wunderwaffe, die wird uns retten, ganz sicher. Und dann geht es gemeinsam mit den Tommies gegen den Iwan“, antwortete Ulf und glaubte, auf dem Gesicht von Hans in der Dunkelheit ein spöttisches Grinsen zu sehen. Nachdem Ulf schwieg und die Wipfel der nahen Tannen beobachtete, die sich schemenhaft gegen den Nachthimmel abhoben, fuhr Hans fort: „Ich war bei der 25., auch in der Normandie. Wir sind bei Caen gelegen. Da waren noch mehr wie du. Die sind rangegangen wie Blücher. Vor allem die von der HJ haben den Tommies ganz schön den Arsch aufgerissen. Wir Alte haben die kaum gebremst gebracht. Wo warst du denn? Doch nicht bei uns, oder?“

„Nein, ich war bei der Panzerdivision »Das Reich«.“

„Aber doch nicht beim »Führer«, oder?“

„Warum nicht? Doch!“

„Ach du Sch..., von der hab’ ich gehört. Hätte der Führer die Generäle nicht zurückgepfiffen, wären da einige vor dem Kriegsgericht gelandet. Die haben doch irgendwo auf dem Marsch ein Dorf, ich meine es hieß Oradour, flach gemacht, alle umgebracht. Frauen, Kinder, alte Männer, einfach alle. Dem Diekmann ist wohl ’ne Sicherung durchgebrannt, weil ihm die Partisanen auf den Pelz gerückt sind. Es ist eine Sache, eine klare Front vor sich zu haben, und eine andere, wenn Leute hinter der Front plötzlich unter dem Mantel eine Flinte hervorziehen oder sich ins Gebüsch legen und wehrlose Soldaten auf dem Gang ins nächste Städtchen umlegen.“

„Keine Ahnung, was in Oradour los war. Ich war nicht dabei. Damit hatte ich nichts zu schaffen“, antwortete Ulf nervös und schaute zu einem Verwundeten, der gerade versuchte, seinen drückenden Kopfverband dadurch zu lockern, dass er mit dem Daumen unter die blutige Binde fuhr.

„Besser so. Wenn die Franzosen die in die Hände bekommen, die dabeiwaren, dann sehen sie alt aus. Die geben uns nicht einfach den Fangschuss, wie wir ihnen. Die wollen haben, dass man es auch spürt. In Tullee haben sie Kameraden vom Heer gefunden. Die armen Schweine wurden von Partisanen vorher in ihre Einzelteile zerlegt. Ich wollte nicht meinen Schwanz abgeschnitten und ins Maul gestopft bekommen. Ich bin sicher, unsere Jungs waren froh, als sie den Schuss bekamen. Danach haben wir einige von den Schweinen in die Finger bekommen. Sie haben hundert von denen aufgeknöpft. Da wäre ich gerne dabei gewesen.“

„Genau hundert? Meinst du, alle hundert, die sie aufgeknöpft haben, waren auch Partisanen?“

„Unschuldig war keiner. Die haben alle gewusst, worum es ging.“ Er zögerte einen Moment, um dann fortzufahren. „Nein, vielleicht der eine oder andere nicht, aber das Pack muss auch wissen, dass man nicht so einfach aus dem Hinterhalt auf Soldaten schießt, auch dann nicht, wenn sie zum Feind gehören. Und schon gar nicht hat so ein Pack deutsche Soldaten zu foltern.“

„Ich bin noch nicht so lange im Feld, aber sag’ mal, wir haben doch auch keine Gefangenen gemacht?“

„Was willst du denn machen? Da hast du keine Leute, um sie zu bewachen, und zum Zurückschicken fehlen dir auch noch die Mannschaftstransporter. Vorne knallt es und der Iwan ist in der absoluten Überzahl. Sollen wir da, wo jeder Einzelne vorne gebraucht wird, welche nach hinten schikken? Wie soll das denn gehen? Wir machen doch keinen Sonntagsspaziergang.“

Es wurde Ulf bewusst, dass er vorsichtig sein musste. Er drehte sich Hans zu und fuhr fort: „Sag' mal, und du, bist du noch lange hier?“ Es war sinnlos und gefährlich, weiter über den Krieg zu sprechen.

„Keine Ahnung. War ein glatter Durchschuss. Ich liege auf dem Bauch, die Knarre friedlich an meiner Seite, da sitzt so eine Sau von Scharfschützen auf dem Baum vor mir und zielt auf meinen Kopf. In die Backe hinten rein und im Oberschenkel wieder raus. Hab’ es erst nicht gespürt. Dann hab’ ich in den Baum reingehalten. Der war so was wie Fallobst. Er kam runter, auch ohne dass ich Scharfschütze bin. Blöderweise hat sich der Schuss entzündet. Das dauert etwas länger. Hier versuchen sie, es wieder hin zu bekommen. Es war...