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Artefakt - Roman

Gregory Benford

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641126568

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

8,99 EUR


 

1

 

Tief im Innern der Grabkammer war das Motorengeräusch des näherkommenden Fahrzeugs nur schwach zu hören.

»Das wird Kontos sein«, sagte George und legte den Greifzirkel aus der Hand.

»Hört sich aber nicht nach seinem Wagen an.« Aber Claire drückte vorsichtshalber auf die Speichertaste des Eingabegeräts für ihr Computerinventar.

»Wer sonst würde hier herauskommen? Dieser Schwachsinnige von der Gewerkschaft?«

»Möglich.«

»Kann ich mir nicht denken. Ich wette, es ist Kontos.«

»Warte einen Augenblick!«

Claire schaltete das Inventurprogramm aus. Sie verglich die letzten Katalognummern von Keramikscherben mit dem Ausdruck, ein mühsames Geschäft. Das Feldinventar war ein Wunderding – ein zylindrisches Magazin mit Mikrodisketten, das in den tragbaren Datenanschluss eingesetzt werden konnte. Knapp von der Größe eines Wasserglases, enthielt es die archäologischen Daten von sechs Monaten Arbeit.

Sie wischte sich die Hände ab und ging hinaus auf die Schwelle des hohen steinernen Eingangs, wo die Vormittagssonne schien. Jeder Tag war jetzt ein wenig kühler als der vorausgegangene, und sie dachte in Liebe der grünen Lauben entlang den Ufern des Charles River, des stillen, glasigen Wassers und des frischen Rotes der Backsteinmauern. Sie war der Farben Griechenlands überdrüssig, so klar und durchsichtig sie auch sein mochten. Landeinwärts spießten junge Zypressen den blassen Herbsthimmel auf. Der Hitzedunst des Sommers war gewichen, und sie konnte die fernen Schluchten ausmachen, die das Bergland zerrissen und zur Ägäis hin abfielen. Trockene Bachbetten schlängelten sich in knochenbleichen Windungen am Grund jeder Schlucht dahin und schimmerten wie abgestreifte Schlangenhäute.

Hoch oben kreiste ein Bussard ohne einen Flügelschlag in der Thermik über der Küste. Claire beschirmte die Augen gegen das grelle Licht und überlegte, wie unbedeutend das enge kleine Tal von dort oben aussehen musste – gelbbraune Hügel, ausgedörrt von der Sonne und den Winden, ein graues Schachbrettmuster, wo die griechisch-amerikanische Ausgrabung im Gange war, die braungrauen, staubigen und ausgefahrenen Zufahrtswege, alles eingegrenzt von einem weiten Blick über die stahlblaue See. Oder vielleicht glitt der Bussard mit absoluter Gleichgültigkeit über solche Zeichen menschlicher Tätigkeit hin, gerade so wie damals, als die längst eingefallenen Steinmauern pulsierendes Leben beherbergt hatten. Die Begleitgeräusche menschlichen Strebens würden sich von dort oben wie bloßes Hintergrundgeräusch ausnehmen, verglichen mit dem leisen Piepsen und Rascheln der Beute.

Der Bussard legte sich auf die Seite und zog einen engeren, absinkenden Kreis, konzentriert auf das Wesentliche.

Sie gingen den steinigen Weg hinunter. Mehrere hundert Meter entfernt, wo die ungeteerte Straße das Lager erreichte, bremste geräuschvoll ein Jeep. Eine gelbbraune Staubwolke hüllte ihn ein.

»Sieh an«, sagte sie. »Hat sich einen schmucken kleinen Jeep zugelegt.«

»Sehr modebewusst, der Oberst.«

Als sie sich dem Lager näherten, hörten sie schnelles, aufgeregtes Reden. Am Tonfall erkannte sie Dr. Alexander Kontos, den griechischen Kodirektor der Ausgrabung, ehe sie ihn neben dem Jeep stehen sah. Er sprach zornig auf eine wettergegerbte braune Gestalt ein – den Verwalter des Lagers, der den Wortschwall ohne Wimpernzucken über sich ergehen ließ.

Kontos blickte nicht zu Claire und George auf, als sie die Kehren des Weges zu den wenigen verbliebenen Zelten des Lagers herabkamen und auf den Jeep zugingen. Claire war es unmöglich, den Schwall von umgangssprachlichen Wendungen und Jargon zu verstehen, der Kontos über die Lippen ging, aber es schien sich darum zu handeln, dass er den Verwalter für die Abwesenheit der Arbeiter verantwortlich machte. Sein Gegenüber zuckte bloß die Achseln und erklärte, dass die Männer entweder an den sich ausbreitenden politischen Versammlungen und Demonstrationen teilnähmen oder sich fürchteten, für die Amerikaner zu arbeiten, weil sie mit der Missbilligung ihrer Freunde rechnen müssten.

Kontos schlug mit der flachen Hand auf den Jeep. »Sorgen Sie dafür, dass die Leute zurückkommen!«, rief er auf griechisch. Dann sah er Claire, und seine Miene wie seine Haltung wandelten sich von einem Augenblick zum nächsten.

»Ah! Die wunderschöne Claire. Ich hoffe, die Abwesenheit dieser unwissenden Bauern hat Sie nicht beunruhigt.«

»Nicht im mindesten. Wir hatten nicht mehr viel zu tun, als …«

»Ausgezeichnet. In Athen bereitet sich Großes vor, und ich werde nicht viel Zeit für diese Ausgrabung erübrigen können. Es ist gut, dass die Arbeiten weit fortgeschritten sind.«

»Was geht in Athen vor?«, fragte George.

Kontos' Miene wurde wieder etwas unfreundlicher, als er sich zu George wandte und das kräftige Kinn vorschob. »Nichts, was Sie billigen würden, des bin ich sicher.«

George zeigte ein schiefes Lächeln. »Vielleicht nicht.«

»Die Zeiten der Zwietracht und Zerrissenheit haben ein Ende. Die Parteien der Mitte sind auf unsere Seite getreten.«

»Wohin wird das führen? Zu einem Einparteienstaat?«

»Zum wahren Sozialismus.«

»Und die anderen Parteien?«

»Sie werden mit der Zeit folgen.«

Kontos trug eine maßgeschneiderte Armeeuniform, die seine dicken Oberarmmuskeln und die breite, kräftig gewölbte Brust gut zur Geltung brachte. Seine mit schimmernder Goldlitze verzierte Schirmmütze saß auf einer schwarzglänzenden Haarmähne. Das lange, schmale Gesicht wurde durch die Unterbrechung eines buschigen Schnurrbarts vor Hagerkeit bewahrt. Seine Sonnenbräune versteckte das feine Geflecht von Fältchen um die Augen, das sein Alter – Mitte vierzig, vermutete Claire – besser verriet als alles andere.

George nickte mit nüchterner Miene. »Kein Zweifel.«

»Darum muss ich meinen Aufenthalt hier bei Ihnen abbrechen.« Er wandte sich zu Claire, und seine Miene hellte sich wieder auf. »Es wird traurig sein. Abschied zu nehmen. Sehr traurig.«

Claire sagte: »Aber es gibt noch einiges zu tun!«

»Ich werde die Arbeiter zurückholen. Diese Eidechse …« – er zeigte mit dem Daumen zum Verwalter – »wird aufhören, in der Sonne zu liegen. Er wird ins Dorf gehen und die Leute zusammentrommeln.«

»Es sind noch chemische Analysen vorzunehmen, Bodenuntersuchungen, die restliche Inventarisierung …«

»Oichi, oichi.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Das erledigen wir in Athen.«

»Wer soll das übernehmen? Labortechniker der Hochschule oder des Ministeriums? Diese Leute kennen den Grabungsort nicht, wissen nicht alles richtig zu deuten.« Claire stemmte trotzig die Hände in die Hüften.

»Sie werden Instruktionen schreiben, wo dies nötig sein sollte.«

»Es gibt immer Merkmale, die den Uneingeweihten zu Irrtümern verleiten, Proben, die individuell behandelt werden müssen. Es gibt keinen Ersatz für die Anschauung …«

»Ihr Griechisch ist ausgezeichnet«, versicherte ihr Kontos auf griechisch und lächelte. »Man wird verstehen.«

»Hören Sie«, warf George ein, »die Bodenanalyse ist im Plan, Sie können selbst nachsehen.«

»Der Grabungsplan ist jetzt eine sekundäre Überlegung.«

»Es war vereinbart«, sagte Claire. »Und wir haben noch annähernd einen Monat Zeit.«

»Oichi!« Kontos kniff die Augen zusammen, und Claire sah, dass die von den schweren Lidern ausgehenden Krähenfüße, die fast bis an seine Ohren reichten, von diesem Ausdruck herrührten. »Dieser Grabungsplan ist kein Vertrag«, sagte er mit einiger Schärfe. »Er kann abgeändert werden.«

»Die Bodenuntersuchung ist …«, fing Claire an.

»Ich persönlich habe dafür nie viel übrig gehabt. An Grabungsstätten wie dieser erbringen sie selten etwas.«

»Nun, das mag richtig sein«, sagte George, »aber hier gibt es vieles, was Sie nicht …«

»Ich kann nicht verstehen, Alexandros, warum wir es auf einmal so eilig haben sollten?« Claire unterbrach Georges mit erhobener Stimme vorgebrachten Einwand in einem Versuch, die Diskussion in Grenzen zu halten. Zum Beispiel half es immer, wenn sie ihn mit seinem vollen Vornamen anredete; Griechen waren da ganz merkwürdig.

Kontos lehnte sich gegen den Jeep und nahm wieder Notiz vom Verwalter, den er mit einer Handbewegung entließ. »Wir versuchen – wie sagen Sie? – von solchen Dingen kein Aufhebens zu machen.«

»Von welchen Dingen? Archäologie?«

»Nein, nein. Von gemeinsamen Unternehmungen.«

George nickte verdrießlich. »Verstehe. Also setzt das Ministerium die Franzosen unten in Kreta und die Deutschen oben im Norden genauso unter Druck?«

Kontos schenkte ihm einen undurchdringlichen Blick. »Nicht genauso.«

»Dann gilt diese Politik speziell uns Amerikanern?«, sagte Claire.

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber darauf läuft es hinaus!«, sagte George hitzig.

»Das Ministerium hat ein tilegraphima, ein Kabel an die Universität Boston gesandt …«

»Was?« Claire wich unwillkürlich zurück.

»Darin wird versucht, diese Ausgrabung so rasch wie möglich zum Abschluss zu bringen.«

»Ich frage mich, wer das Ministerium dazu veranlasst hat«, sagte George sarkastisch.

Kontos errötete, aber nicht vor Verlegenheit, wie Claire sah, sondern vor Zorn. »Entscheidungen werden gemeinsam getroffen.«

»Gewiss. Wer entschied, dass Sie mit einem Jeep zurückkommen würden?«, fragte George.

»Er wurde mir zur Verfügung gestellt. Ich bin Offizier des Heeres und habe Anspruch darauf.«

»Interessant, wie...