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Das Rennen zum Mars - Roman

Gregory Benford

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641126599

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

KAPITEL 1


11. Januar 2018

 

»Willkommen daheim auf dem Mars!«

Sie eröffnete diese öffentlichen Sendungen immer auf die gleiche Art. Prononciert, freundlich, aufgeschlossen.

»Viktor und ich befinden uns in der Nähe des Nordrands des Gusev-Kraters und führen letzte Vermessungsarbeiten durch.«

In Wirklichkeit mussten wir das Habitat ein letztes Mal verlassen. Um uns ein letztes Mal umzusehen und noch ein wenig Zeit miteinander zu verbringen, bevor wir uns wieder in dieses Mutterschiff von der Größe eines Schuhkartons quetschen.

»Die meisten von Ihnen werden den wunderschönen Anblick bereits kennen.«

Ich hoffe, ihr langweilt euch nicht jetzt schon und geht an den Kühlschrank.

»Und doch ist es immer wieder ein schönes Bild, wie die hohen Wälle von der Nachmittagssonne angestrahlt werden. Sie sind einen Kilometer hoch.«

Hoffe, sie erinnern sich nicht mehr daran, dass ich fast dasselbe Gelände vor einem Jahr schon einmal abgehandelt habe. Die Vervollständigung eines Koordinatensystems ist nicht aufregend, doch vielleicht sollten wir das Publikum nicht zu sehr verwöhnen. Zumal Axelrods Medienfritzen diesen Teil sowieso einfach rausschneiden würden.

»Wir suchen hier nach außergewöhnlichen vulkanischen Aktivitäten, ob fossile Funde oder sogar aktuelle Emissionen. Und auch nach biologischen Hinweisen – ich habe noch Hoffnung. Wir müssen die Augen offenhalten. Der Mars verbirgt nämlich viele seiner Geheimnisse im Staub! Wir haben zwar noch nichts gefunden, aber ein paar von Ihnen werden sich vielleicht erinnern – Viktor, würdest du die Kamera bitte nach Osten schwenken? –, dass wir dort drüben ein paar Lavaröhren ausgemacht haben, die so groß sind, dass man aufrecht in ihnen stehen könnte. Das war vielleicht spannend! Marc hat mit der Radiokarbonmethode ermittelt, dass die Lava vor fast einer Milliarde Jahren durch die Röhren geflossen ist.«

Genau, und es gibt auch keinerlei Anzeichen für spätere Aktivitäten. Ich wette, Axelrods PR-Manager werden den ganzen Abschnitt rausschneiden.

Nicht, dass ich mir etwas daraus machen würde. Ich muss inzwischen über dreihundert dieser Infotainment-Sendungen moderiert und jedes Mal Begeisterung geheuchelt haben. Zumindest in diesem Beitrag gibt's was fürs Auge. Der Rückflug wird noch schlimmer werden als diese laaaangen sechs Monate, die wir für den Hinflug gebraucht haben. Nichts zu melden außer wissenschaftlichen Details. Es wird uns nicht mehr möglich sein, die Gefahren der Landung zu dramatisieren oder über sensationelle Funde zu spekulieren wie auf dem Hinweg. Vielleicht ein paar Anmerkungen zu den Risiken der Atmosphärenbremsung, doch das sind Kinkerlitzchen. Unsere unbeschadete Rückkehr steht wohl jetzt schon fest, so dass die Buchmacher nicht einmal mehr Wetten dagegen annehmen.

»Also bleiben wir dran. Noch eine Nacht hier draußen, und dann zurück zur Basis, um die Startvorbereitungen zu treffen. Wird sicher spannend!«

Mein Lächeln muss inzwischen gefroren sein …

Mein Lächeln muss inzwischen gefroren sein …

»›Auf Wiedersehen‹, sagt Julia vom Mars.«

 

* * *

 

Sie streckte die Zunge heraus. »Arrrgh! Ich mach das nun schon seit zwei Jahren, und ich weiß noch immer nicht, was ich sagen soll.«

Viktor nahm die Kamera herunter. »Sei spontan. Besser ist das.«

»Mein Gott, wenn es im Vertrag nicht so festgelegt wäre …«

»… hättest du nicht mal ein Dutzend Sendungen gemacht. Ich weiß. Das hast du vielleicht schon tausendmal gesagt.«

»Marc kann das viel besser als ich.«

»Marc ist aber nicht hier. Willst du deine Eltern kurz grüßen?«

Das hob ihre Stimmung. »Klar, lass laufen.«

Julia nahm eine nicht mehr ganz so heroische Haltung ein und verlagerte den Körperschwerpunkt aufs andere Bein. Sie steckte im Druckanzug, durch den sie kompakt und massig wirkte, und als Viktor das Bild heranzoomte, sah man auch, dass der Anzug verschrammt und verblichen war. Die Farbe war einmal ein schmuckes Königsblau gewesen, die wohl geschmackvollste Farbe der vier Anzüge, doch unter der UV-Strahlung und den Peroxiden auf dem Mars hatte der Raumanzug arg gelitten. Nun wirkte Viktors Gelb frischer und vorteilhafter.

Viktor winkte, und sie sagte: »Hallo, Mums und Dad. Ich bin mal wieder unterwegs. Hat's euch denn gefallen auf der Känguru-Insel? Fällt mir schwer, die alten Adleraugen offenzuhalten, wo ich weiß, dass wir in ein paar Wochen den Rückflug antreten. Mensch, ich krieche bald auf dem Zahnfleisch! Viktor gönnt mir mal 'ne Pause, 'ne Sause für die Frischvermählten.«

Hups, was rede ich wieder für ein dummes Zeug … ich sollte lieber das Thema wechseln.

»Es ist irgendwie schwierig mit Marc und Raoul. Nichts Grundsätzliches, nur empfindlich und reizbar. Die beiden, meine ich. Ich bin eine Seele von Mensch; wie immer.«

Sie grinste, legte eine Pause ein und ließ den Blick schweifen, wobei sie sich fragte, wie ihren Eltern die Landschaft wohl gefiel. Viktor folgte mit der Kamera ihrem Blick; er beherrschte das inzwischen wirklich gut.

»Seht ihr diesen Auswuchs dort drüben? Ich glaube, er wurde von dem Meteor aufgeworfen, der den Thera-Krater geschlagen hat. Spritzeffekt-Signatur, radial nach außen gerichtet. Also schaute ich mich um und versuchte zu ermitteln, wie viel Wasser es hier einmal gegeben hat. Außerdem habe ich ein paar Gesteinsbrocken zertrümmert und den Gehalt an Mineralien bestimmt. Routinearbeit, in anderen Worten. Damit niemand mir vorwerfen kann, ich hätte in meiner Eigenschaft als Hilfskraft das ganze Projekt verzögert!«

Sie seufzte und spürte, wie die alte emotionale Blockade wieder einsetzte: sie war einfach nicht imstande, auf Kommando von »wahrer Befindlichkeit« auf »aufgesetzte Fröhlichkeit« umzuschalten. Sie hätte etwas von dem Thera-Kram in der Sendung bringen sollen. Neuer Versuch.

»Ich vermisse euch. Hoffe, du hast deine Viro-Behandlung gut überstanden, Dad. Auf dem letzten Bild, das ich bekommen habe, hast du großartig ausgesehen. Wir hatten Probleme mit dem Signal im oberen Frequenzbereich. Vielleicht haben wir deine letzten Bilder vor zwei Tagen verloren. Hoffe, es wartet eins auf mich, wenn ich zur Basis zurückkomme. Vergangene Nacht habe ich geträumt, ich würde ein Bad nehmen. Schlicht und einfach ein Bad nehmen. Da seht ihr mal, welche sinnlichen Freuden ich vermisse, was? Eine große Bürste in einer großen Wanne, wie wir sie im alten Haus hatten; wisst ihr noch? Liebe Grüße an den Rest der Familie!«

Sie hatte sich kurz gefasst, denn wenn sie noch mehr gesagt hätte, wäre sie in eine gestelzte Ausdrucksweise verfallen. Vielleicht war es sogar schon passiert. In den ersten Monaten hatte sie die Aufnahmen – die öffentlichen und die privaten – noch einmal abgespielt und geschnitten, bevor die Hochleistungsantenne sie zur Erde abstrahlte. Nun »zensierte« sie die Aufnahmen nicht mehr. Wenn sie die Erde erreichten, waren sie eh schon Geschichte. Und wenn sie sich vor der Kamera kratzte – sei's drum.

»War gut«, sagte Viktor und schaltete mit einer lässigen Handbewegung die Kamera aus.

»Gehen wir.«

Sie setzte sich in Richtung des Rovers in Bewegung, dessen schwefelgelber Anstrich einen schrillen Kontrast zum pinkfarbenen Sand und Gestein darstellte. Gegen Mittag war der Mars eher orange als rot, denn das fast senkrecht einfallende Licht wurde nicht so stark vom feinen Staub gestreut, der ständig in der Luft hing.

In der Ferne wanderte eine der allgegenwärtigen Mars-Windhosen aus Staub über die öde Ebene. Sie hatte schon Hunderte gesehen, fast an jedem Tag eine. Die einen Kilometer hohen Erscheinungen schleuderten die rostigen Sandkörner der Oberfläche wie ein Sandstrahlgebläse in die dünne Atmosphäre.

Sie hatte es schon lang aufgegeben, sich nach grünen Hügeln und weiten Meeren zu sehnen. Nun begnügte sie sich mit der schlichten, aber variantenreichen Palette des Mars, seinen bedeutungsschweren Braun- und Rosatönen. Das Bewusstsein war anpassungsfähig. Dennoch waren Eisenoxide nur ein bescheidenes Ergebnis vom Wirken der Naturkräfte. Der Bildschirmschoner des Notebooks in ihrer Unterkunft zeigte einen Hügel in einer grünen irischen Landschaft, der sanft zur stürmischen See hin abfiel. Wenn sie wieder zu Hause war, würde sie dieses idyllische Fleckchen Erde suchen und dort für eine Weile leben. Vielleicht für immer. Und sich eine Echtzeit-Abbildung des Gusev-Kraters an die Wand hängen.

 

* * *

 

»Was ist das?«

Viktor schaute aus dem Sichtfenster und bremste den Rover ab. »Wolken. Ganz in der Nähe.«

Der dünne weiße Nebel lichtete sich. »Wie weit?« Ihr Herz klopfte, und plötzlich waren die Sinne als Biologin wieder geschärft. Wasserdampf zu dieser Tageszeit deutete auf eine Fumarole oder einen Geysir hin.

»Schwer zu sagen. Am Horizont. Jedenfalls in weiter Ferne.«

»Oder in der Nähe. Verdammt, sie ist verschwunden.« Sie hatte den Dunst aus dem Augenwinkel erspäht, und er hatte nur für ein paar Sekunden Bestand gehabt.

»Ist aufgestiegen.«

»Ja, den Eindruck hatte ich auch.«

Sie hatten ein paar kleine Hügel umfahren. Um Zeit zu sparen, fuhr Viktor auf dem kürzesten Weg zur Basis zurück. Die Route führte einen langen sandigen Abhang hinab. Die Wolke hatte über den Hügeln im Osten gehangen; einem Gebiet, das sie wegen der komplexen Topographie noch nicht lückenlos vermessen hatten.

»Schweres Gelände.«

Einen letzten...