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Mörderischer Mistral - Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc

Cay Rademacher

 

Verlag DuMont Buchverlag , 2014

ISBN 9783832187972 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Anzeige gegen einen Toten

Blanc winkte die Spurensicherer heran und deutete auf das Schmuckstück. Dann zog er sich zurück und ließ die Spezialisten ihre Arbeit machen. »Scheint ein ziemlich seltenes Stück zu sein, wenn du den Toten damit identifizieren kannst«, flüsterte er Tonon zu.

Sein Kollege nickte zerstreut und blickte sich auf dem Parkplatz um. »Wenn er der ist, von dem ich glaube, dass er es ist, steht hier ein Motorrad. Er war immer mit seiner Enduro unterwegs.« Tonon rief einige Brigadiers zusammen. Es dauerte weniger als eine Minute, bis ein Uniformierter den Arm hob und sie heranwinkte. Am Rande eines anderen Containers stand halb versteckt eine alte Yamaha, die Blanc für Schrott gehalten hätte: abgerissenes Rücklicht, Beule im Tank, verbogene Lenkstange, zersplitterter Frontscheinwerfer, der linke Rückspiegel fehlte, nur noch die Stange ragte nutzlos vom Lenker.

Der Lieutenant deutete auf das halb nach oben gebogene Nummernschild mit der »13«: »Seine Karre. Die Nummer kenne ich auswendig.« Er gab einem Mann der Spurensicherung ein Zeichen, der sich seufzend wieder seine Maske vors Gesicht schob und anfing, das Motorrad auf Fingerabdrücke zu untersuchen.

»Wer ist es?«, fragte Blanc.

»Charles Moréas. Die Provence ist ein schönerer Ort ohne ihn.«

»Ein Kunde von dir?«

»Ich wünschte, es wäre so gewesen.« Tonon seufzte. »Ich habe Jahre drangegeben, um den Kerl zu erwischen. Ein einziges Mal hatten wir etwas gegen ihn in der Hand, er ist mit seiner Yamaha viel zu schnell an einem Blitzgerät vorbeigerast. Aber nicht einmal diese Strafe hat er bezahlt. Keine Ahnung, was daraus geworden ist. Das Verfahren schmort wahrscheinlich noch immer in irgendeinem Gerichtsschrank.«

»Aber du wolltest ihn nicht fassen, weil er über Landstraßen raste.«

»Nein.« Der Lieutenant schloss die Augen. »Wegen Mord. Oder zumindest Totschlag.« Er schwieg lange. »Moréas war ein Einzelgänger. Und jeder, der ihn kannte, wünschte sich, es wäre nicht so. Lebte in einem heruntergekommenen Haus auf dem Land, das zur Gemeinde Caillouteaux gehört.«

»Unser Gebiet?«

»ZGN. Moréas ist 38 Jahre alt, wenn ich mich recht erinnere. War es. Keiner weiß genau, wovon er lebt.«

»Hat er eine Frau? Kinder? Angehörige?«

Tonon lachte bloß. »Er hat ein paar Grundstücke. Hier und da in der Region, Felder, Waldstücke, eine cabane für die Jagd. Seine Eltern waren Bauern, aber die sind längst tot.«

»Das Land hier soll teuer sein, habe ich gehört. Vielleicht hat er es verkauft und lebt seit Jahren vom Geld?«

»Moréas? Niemals. Der ist manchmal mit seiner Yamaha auf seine Grundstücke gefahren und hat dort im Freien übernachtet. Und Wanderer, die sich dorthin verirrten, hat er so verscheucht, dass sie nie wieder diese Wege gingen.«

»Mit Waffen?«

»Jagdgewehre.«

»Reicht, um ihn vorzuladen.«

»Das habe ich getan. Mehr war nicht drin.« Tonon deutete mit verächtlicher Geste auf den verkohlten Körper, der gerade von zwei Leichenträgern, die mit ihrem grauen Kombi angekommen waren, auf eine Bahre gebettet wurde. »Vor zwanzig Jahren, als ich noch ein guter Flic war, gehörte Moréas zu einer Clique, die sich auf Straßenraub spezialisiert hatte: zwei frisierte Autos, nachts, eine wenig befahrene Route départementale. Die Kerle warteten auf Wagen mit ausländischen Kennzeichen. Entdeckten sie Touristen, überholte das erste Auto deren Wagen, bremste ihn brutal aus und zwang ihn zum Stopp. Oft gab es einen Blechschaden. Die Touristen waren empört, verwirrt, verängstigt. Doch bevor sie richtig reagieren konnten, kam das zweite Auto heran, diesmal von hinten. Die Kerle liefen von beiden Seiten auf ihre Opfer zu, zerrten sie aus dem Auto, räumten alles aus – und fort waren sie. Lief über Wochen so ab. Nie haben wir sie geschnappt. Dann ging einmal etwas schief: Bei der Flucht erwischten sie eine ausländische Touristin, die in Panik auf die Straße gelaufen war. Sie schleiften die Frau einige Meter mit. Sie war sofort tot. Ich habe die Blutspur auf dem Asphalt gesehen. Die Kerle bekamen einen Schock und setzten das Auto ein paar Kurven weiter gegen eine Pinie. Einige sind mit dem zweiten Wagen davon, ein paar mussten zurückbleiben. Die haben wir sofort gekriegt. Und diesmal hatten wir das Nummernschild des Autowracks. So haben wir die meisten anderen auch überführt. Bis auf einen.«

»Charles Moréas?«

»Einer seiner Kumpane hat damals ausgesagt, dass Moréas dabei war. Er soll sogar der Kopf der Bande gewesen sein. Und er soll am Steuer des Unfallwagens gesessen haben. Einige Kollegen sind ein paar Stunden später in seiner cabane aufgekreuzt und haben ihn festgenommen. Moréas leugnete alles. Und die anderen Kerle, die wir geschnappt hatten, sagten aus, sie hätten Moréas noch nie gesehen.«

»Klingt nach einer abgesprochenen Sache.«

»Tja. Der Typ, der gegen Moréas ausgesagt hatte, ist nur wenig später in der Haft gestorben. Hofgang, Messer zwischen den Rippen, Durcheinander, Täter nie gefasst. Wir hatten sonst nichts gegen Moréas in der Hand. Keine Fingerabdrücke in einem der beiden Autos. Und es war noch vor der Zeit der DNA-Spuren. Wir mussten ihn laufen lassen. Seither habe ich versucht, ihn zu schnappen. Mir geht die Blutspur der Touristin auf dem Asphalt nicht aus dem Kopf.«

»Jemand ist dir zuvorgekommen.«

»Ein Kerl wie Moréas wird viele Feinde haben. Eigentlich schade, dass wir seinen Mörder fangen müssen.«

Als sie endlich zur Gendarmeriestation zurückfuhren, war es schon später Vormittag. Blanc fingerte am Radio herum. Alles, was ihn länger wach halten würde, war gut. Er erwischte Radio Nostalgie. Bevor er erneut die Tasten drücken konnte, sang Tonon den Refrain mit: »Les amants de Paris«. Blanc starrte durch die Windschutzscheibe. Er hatte eine verbrannte Leiche an den Hacken und einen Edith-Piaf-Chansons singenden Kollegen neben sich. Er hoffte, irgendwann aufzuwachen, in seinem Bett in Paris, Geneviève an seiner Seite. Das kann nur ein verrückter Traum sein, sagte er sich, bloß ein Traum, ein Traum, ein Traum, merde. Doch er fuhr die Route départementale entlang und kam in Gadet vor der Station an und er wusste, dass er nicht träumte.

Nkoulou sah aus, als hätte er Magenkoliken. »Ich habe die Funkmeldungen gehört. Das sollte ein Routinefall werden«, eröffnete er ihnen, als hätten sie die Sache schon verbockt.

»Es hat Moréas erwischt«, erwiderte Tonon, in der Hoffnung, seinen Chef aufzumuntern.

Blanc schwieg. Der Commandant hatte die Beamten, denen er am wenigsten zutraute, auf die spektakulärste Ermittlung der letzten Wochen angesetzt. Dumm gelaufen. Nkoulou konnte sie jetzt schlecht wieder abziehen, nachdem er sie gerade erst höchstpersönlich mit dem Fall betraut hatte.

»Sie waren schon jahrelang vergebens hinter diesem Moréas her«, zischte der Commandant. »Ich hoffe, Sie werden die nächsten zwanzig Jahre nicht vergebens seinen Mörder jagen.«

»Moréas war ein Dreckskerl«, warf Blanc ein, um seinem Kollegen beizuspringen. »Wenigstens wird uns die Presse nicht die Hölle heiß machen, wenn wir den Täter nicht nach vierundzwanzig Stunden in Handschellen präsentieren.«

»Ihr Pariser seid vielleicht dicke mit den Journalisten, aber mich interessiert das nicht.«

»Politiker interessiert das«, erwiderte der Capitaine sanft.

Nkoulou lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er hatte verstanden: Wenn die Presse und somit die Politiker dieser Fall nicht interessierte, dann bedeutete das, dass keine Gefahr herrschte. Keine Gefahr für die Karriere. Kein Staatssekretär, schon gar kein Minister, der Mails schrieb oder zum Hörer griff und irgendwann fragte, was zum Teufel denn da im Midi los sei und wer dafür die Verantwortung trage. »Kümmern Sie sich darum«, sagte er und entließ sie mit einem Kopfnicken.

»Danke, dass du das Feuer ausgetreten hast, bevor es mir den Arsch verbrannt hat«, flüsterte Tonon, als sie den Gang hinuntergingen.

»Stehen bleiben oder ich schieße!«, rief jemand hinter ihnen. Die junge Braunhaarige mit dem iPad. Blanc hatte ihren Namen vergessen.

»Ma chérie«, sagte der Lieutenant, »seit wann sprichst du Männer an? Sous-Lieutenant Fabienne Souillard«, stellte er sie Blanc vor, ganz so, als habe Nkoulou das nicht schon vor einigen Stunden getan. »Wir rufen sie immer, wenn unsere Computer abstürzen.«

»Marius schaltet den Drucker ein, bevor sein antiker Rechner hochgefahren ist. Crasht jedes Mal. Er kapiert es nicht.« Fabienne Souillard war etwa Ende zwanzig, sportlich, elegant. Sie trug zwar Uniform, doch umwehte sie der Hauch eines teuren Parfums. Sie reichte Blanc die Hand.

»In Paris tragen die Computerspezialisten Brillen, die aussehen, als habe sie jemand mit einer Axt aus einem Kunststoffklumpen gehauen.«

»Das sind ja auch Männer.« Fabienne deutete auf ihr Büro. »Ich habe etwas für euch.«

»Du hast schon von unserem Fall gehört?«, fragte Tonon.

»Alle Kollegen sind ja so froh, dass ihr euch um die Sache kümmert.«

»Hängen Sie sich freiwillig mit rein?«

»Du. Nicht einmal der Polizeihund siezt mich hier.«

»Sie ist eine von den Guten«, erklärte der Lieutenant und setzte sich ächzend auf einen Stuhl vor Souillards Schreibtisch. »Also?«

»Da ist noch ein Fall für euch Helden: ein Einbruch«, sagte sie und deutete auf ein ausgefülltes Anzeigenformular, das neben ihrem Computer lag.

»Nkoulou hat uns für die andere Sache freie Hand gegeben. Der Einbruch ist nicht unser Fall«, erwiderte Tonon.

 »Ein...