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Im Herzen der Galaxis - Contact-Zyklus Band 5 - Roman

Gregory Benford

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641126643

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

6,99 EUR


 

Prolog – Das wahre Zentrum


 

Toby sah, wie sein Vater über die Hülle des Schiffs ging. Killeen erschien als eine silbrige Gestalt. Sein Anzug war so eingestellt, dass er so viel Strahlung wie möglich reflektierte. Ein Spiegelmann. Bei jeder Bewegung spielte Licht über ihn, das durch die phosphoreszierenden Sterne und die galaktischen Gase funkelte. Toby nahm Killeens langsame Fortbewegung als eine wellenförmige Verzerrung des feurigen Hintergrunds wahr.

– Papa! – rief Toby über den Interkom des Hautanzugs.

– Was? Ach … – Trotz des statischen Rauschens des Interkoms hörte er die Überraschung in Killeens Stimme. – Was tust du denn hier draußen? –

– Die Besatzung fragt sich, was du so lange hier draußen tust. –

Als Käpt'n der »Argo« war Killeen natürlich niemandem Rechenschaft schuldig. Doch Toby hatte die zunehmende Unsicherheit der Offiziere gespürt. Jemand musste etwas sagen, etwas tun – also hatte er sich den hautengen Anzug übergestreift und war nach draußen gegangen. In letzter Zeit hatte Käpt'n Killeen sich von der Besatzung isoliert und war über die üppigen Rundungen der Schiffswandung gewandert, wobei er oft sogar den Interkom abschaltete.

– Ich navigiere und spähe –, sagte Killeen entrückt. Das verschwommene Bild des großen Mannes floss wie eine Lichtgestalt, während Killeen über den stumpfen Bug der »Argo« auf Toby zukam. Für einen Moment reflektierte sein Anzug die schwarzen Tiefen einer nahen molekularen Wolke, so dass er vor dem trüben organgefarbenen Glühen des sternengesprenkelten Gases wie ein unheimlicher Schatten-Mann auf Toby wirkte.

– Das kannst du doch auch von der Brücke aus tun –, sagte Toby.

– Hier draußen habe ich aber ein besseres Gefühl dafür –, sagte Killeen und trat so dicht an Toby heran, dass dieser durch den Sehschlitz des Anzugs das ernste Gesicht seines Vaters sah.

Toby wusste, in welcher Stimmung sein Vater sich mit diesem verkniffenen Gesichtsausdruck befand und beschloss deshalb, gleich zur Sache zu kommen. – Es haben sich schon wieder fast ein Dutzend Leute krankgemeldet. –

Killeen presste den Mund zu einem Strich zusammen, sagte aber nichts. Nach anfänglichem Zögern fasste Toby sich ein Herz und sagte: – Papa, wir verhungern! In den Gärten, die wir verloren haben, gedeiht nichts mehr. Du musst dich den Realitäten stellen! –

Mit choreographischer Präzision wirbelte Killeen in der Schwerelosigkeit mit den Magnetstiefeln über die Hülle und wandte sich Toby zu.

– Ich stelle mich den Realitäten! Wir haben keine Techtricks mehr auf Lager. Nicht einmal den Spezialisten, den Leuten mit dem grünen Daumen, gelingt es, die Schiffsgärten wieder fruchtbar zu machen. Sie sind uns auch keine Hilfe. Also denke ich nach, ist das klar? –

Bei Killeens Zornausbruch wich Toby unwillkürlich zurück. Er atmete durch und sagte zögernd: – Sollten wir nicht … können wir nicht … etwas anderes versuchen? –

– Was denn? – fragte Killeen unwirsch.

– Diese Objekte anfliegen? – sagte Toby und wies zaghaft in die entsprechende Richtung.

Weit vor der »Argo« schwebten matte metallische Kleckse aus Licht. Weder Wolken noch leuchtender Staub. Künstlich.

– Wir wissen nicht, was sie darstellen. Handelt sich vielleicht um Maschinen. Ist sogar wahrscheinlich. Die Mechanos haben viel in der Nähe des Wahren Zentrums gebaut. – Killeen zuckte die Achseln.

– Vielleicht sind es doch Menschen, Papa. –

– Das bezweifle ich. Es ist verdammt lang her, seit Menschen im Weltraum lebten. –

– Das sagen die Historiker. Wir werden es aber erst wissen, wenn wir uns selbst davon überzeugen. Wir haben eine Tradition als Pioniere, Papa! Die Sippe brennt darauf, das Schiff zu verlassen und sich einmal die Füße zu vertreten. –

Nachdenklich schaute Killeen auf das Lodern im Zentrum der Galaxis. – Als Käpt'n lernt man unter anderem, die Nase nicht in einen Bienenkorb zu stecken, nur um den Honig zu riechen. Es handelt sich wahrscheinlich um feindliche Objekte, auch wenn sie nicht mechano sind. Es scheint hier alles feindlich zu sein. –

Toby nahm diese Bemerkung ohne Kommentar zur Kenntnis. Es war schon über ein Jahr her, doch Killeen hatte den Tod seiner Frau Shibo noch immer nicht verwunden. Er kam zwar seinen Pflichten als Käpt'n nach, war jedoch oft abweisend und schlecht gelaunt. Bei einem Mannschaftsdienstgrad wäre das noch verzeihlich gewesen, nicht aber bei einem Käpt'n. Die Moral litt stark darunter.

Dennoch sagte Toby sich, dass Killeen wahrscheinlich recht hatte. Sie nahmen Kurs auf das Zentrum der Galaxis, wo gewaltige Energien wirkten. Riesige, lodernde Sonnen. Leuchtende Staub- und Gaswolken. Kräfte, die bei weitem alles übertrafen, was Menschen zu bändigen vermochten. Und irgendwo gab es hier Intelligenzen, die den wilden Reigen der Sterne beherrschten.

Seine Geschichtskenntnisse waren immerhin so fundiert, dass er wusste, die Menschen hatten sich in der Nähe eines Sterns entwickelt, der sich auf zwei Dritteln der Strecke zwischen Zentrum und Rand der galaktischen Spirale befand. Die Galaxis war eine rotierende Scheibe – wie ein Kreisel –, nur dass ihre Größe das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem überstieg. Dort draußen auf der Alten Erde, weit entfernt von den Kataklysmen des Wahren Zentrums, war das Leben angenehm und beschaulich gewesen.

In der Ausbildung sollte er sich einmal einen Würfel mit einer Kantenlänge von einem Lichtjahr vorstellen, die Entfernung, die das Licht in einem Jahr zurücklegt. Dort draußen, in der Nähe der legendären Erde, würde dieser Würfel im Durchschnitt nur einen Stern enthalten.

Hier, im galaktischen Zentrum, enthielt ein solcher Würfel eine Million Sterne.

Sonnen drängten sich wie glühende Murmeln am Himmel und wurden von Luftschlangen aus rotem Gas drapiert. Sterne schwärmten wie emsige Bienen um die Zentralachse – den in weißblauem Licht erstrahlenden exakten Mittelpunkt.

– Wir könnten doch an einem von ihnen längsseits gehen und nachschauen –, sagte Toby leise.

Killeen schüttelte den Kopf. – Damit geraten wir vielleicht vom Regen in die Traufe. –

– Wir verhungern, Papa. Wir müssen etwas unternehmen.

Verärgert wandte Killeen sich ab und ging über die verschrammte Hülle. Die Magnetstiefel klackten bei jedem Schritt und regten die Hülle zu Schwingungen an, die sich auf Tobys Stiefel übertrugen. Er folgte seinem Vater und hüpfte dabei wie ein Känguru über die Schiffswandung, wobei der Stiefel gerade so lange an der Hülle haftete, bis er genug Drehmoment für den nächsten Hüpfer hatte. Dann riss er den Stiefel los, stieß sich ab und ging wieder in den Gleitflug. Toby beherrschte die Technik zwar recht gut, vermochte jedoch nicht mit seinem Vater Schritt zu halten.

Die »Argo« hatte sie mit hoher Unterlichtgeschwindigkeit hierhergebracht und dabei Plasma in rauen Mengen durch die Ansaugstutzen gezogen. Je näher sie dem Zentrum kamen, desto reichlicher wurden die Brennstoffvorräte. Die Hülle des Schiffs war unterwegs von vereinzelten Meteoriten eingedellt worden. Nun hatten sie die Geschwindigkeit gedrosselt, und Killeen nutzte die Gelegenheit zu einem halbwegs sicheren Spaziergang über die Hülle. Die »Argo« war nun Teil des Materiereigens, der mit einem Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit um das Wahre Zentrum wirbelte.

Killeen erreichte einen Buckel in der komplexen Hülle der »Argo« und blieb stehen; als ob er auf dem Grat eines Bergs auf dem Heimatplaneten stünde. Dieses Schiff, groß wie ein Berg, war die letzte große Konstruktion ihrer Vorfahren. Hinter ihm dräute eine riesige Dunkelwolke wie ein Tintenklecks vor den lodernden Sternen.

Killeen drehte sich zu seinem Sohn um. Beim Näherkommen sah Toby, dass Killeen einen Ausdruck der Sehnsucht auf dem Gesicht hatte.

– Wenn es hier nur Planeten gäbe … –

– Gibt's nicht, habe ich mir sagen lassen –, sagte Toby nüchtern, um seinen Vater wieder mit der Realität zu konfrontieren.

– Wieso nicht? – fragte Killeen barsch.

– Sieh dir doch diese Sterne an! Sie fliegen so dicht aneinander vorbei, dass sie die Planeten vom Zentralgestirn wegreißen würden. –

– Gut, dann würden die Planeten eben frei driften. Na und? – sagte Killeen stur.

– Genau, frei. Und gefroren. Zu weit von einer Sonne entfernt. Kein Pflanzenleben. Keine Nahrung. –

Killeen spähte sehnsüchtig in die Ferne. – Dann gibt es an diesem großartigen Ort keinen Platz zum Leben? –

– Jasag. Jedenfalls keinen für uns –, erwiderte Toby in schonungsloser Offenheit, um seinem Vater die Illusionen zu rauben und ihn im Idealfall zu veranlassen, diesen irren Flug ins Wahre Zentrum noch einmal zu überdenken.

Killeen sah ihn ernüchtert, fast traurig an. – Wir müssen weiter. –

– Wieso denn? Die Strahlungswerte sind doch jetzt schon so hoch, dass die »Argo« sie kaum noch abzuschirmen vermag. Allein dadurch, dass du nach draußen gegangen bist, setzt du dich einer hohen Strahlenbelastung aus. –

– Ich sage dir, es ist unsere Pflicht. –

– Papa, in erster Linie bist du der »Argo« und der Besatzung verpflichtet. –

– Da ist etwas in der Nähe des galaktischen Zentrums. Wir müssen herausfinden, was es ist....