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Windbruch - Ostfrieslandkrimi

Elke Bergsma

 

Verlag Lago, 2014

ISBN 9783957620095 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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3,99 EUR

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4


Ihren Mittagsschlaf ließen sich seine Eltern nicht nehmen. Auch nicht, wenn der verlorene Sohn nach Jahren der Abwesenheit gerade heimgekehrt war. Und so beschloss Maarten, einen längeren Spaziergang zu machen und zu schauen, was seine Schwester Swaantje so trieb. Aber zunächst schälte er sich aus seinen nicht mehr ganz frischen Klamotten, nahm eine ausgiebige Dusche und zog sich dann eine leichte, helle Sommerhose an, dazu ein blaues T-Shirt. Als er sich im Spiegel sah, strich er sich unwillkürlich durch sein volles dunkles Haar. Es könnte mal wieder einen Friseur gebrauchen. Und müde sah er aus und blass. Keine Spur von Sommerbräune war zu sehen, obwohl schon August war. Er hatte wohl doch zu viel Zeit im Büro und in Konferenzsälen verbracht. Um seine blauen Augen herum hatten sich dunkle Ringe gebildet, und er meinte zu sehen, dass auch die Falten auf seiner Stirn tiefer geworden waren. Hm. In New York hatte er sich in solchen Fällen schon mal in die Hände einer professionellen Kosmetikerin begeben. Aber das konnte er sich hier in der Krummhörn schlecht vorstellen. Bestenfalls würde er das eine oder andere Kopfschütteln ernten. Schlimmstenfalls aber war er am nächsten Tag das Gesprächsthema in der Nachbarschaft, weil irgendein Bekannter ihn erkannt hatte. Das konnte er zum einen seinen Eltern nicht antun, und zum anderen wollte er hier nicht als eitler Gockel verschrien sein. Nicht in Ostfriesland, da war man ganz einfach kein eitler Gockel. Für so etwas hatten die Ostfriesen keinen Sinn.

Maarten ließ sich Zeit. Bis nach Pewsum, wo Swaantje wohnte, würde er einige Kilometer zurücklegen müssen, aber ihn hetzte ja keiner. Und so lief er über die Feldwege, die er noch aus seiner Kindheit kannte. Hier hatte er schon mit seinen Freunden aus Groß Midlum gespielt, meistens Cowboy und Indianer. Gleich in der Nähe sah Maarten den großen, erhabenen Gulfhof von Bauer Langhoff. Hier hatten die Kälberboxen den Cowboys immer als Gefängniszellen gedient. Außerdem hatte es im Stall einen kleinen, abschließbaren Holzverschlag gegeben. Der war so eng gewesen, dass gerade eine Person aufrecht darin stehen konnte. Hier kamen die Schwerverbrecher rein. Nur seine Schwester Wiebke hatte sich das nicht gefallen lassen, sondern lautstark gekreischt und um sich geschlagen, wenn jemand versucht hatte, sie da einzusperren. Sie hatte wohl Platzangst, was die Kinder damals natürlich nicht wussten. Für sie war Wiebke dann einfach eine Spielverderberin gewesen.

Der jüngere Sohn der Familie Langhoff war bis zum Abitur sein bester Freund gewesen, danach hatten sie sich aus den Augen verloren. Hauke. Was er heute wohl machte?

Maarten erkannte viele Stellen wieder, an denen sich kaum etwas verändert hatte. Verträumt ließ er seinen Blick in die Ferne schweifen, über die endlos weiten Wiesen und Ackerflächen, bis hin zum weiten Horizont, über dem der blaue Himmel wohl nirgends so hoch war wie in Ostfriesland. Es war gerade Heuernte, über den von der heißen Sommersonne ausgedörrten Wiesen hingen mächtige Staubwolken, die hinter den Traktoren aufstiegen. Maarten genoss es, den Duft des getrockneten Grases tief in sich einzusaugen. Früher hatte sein Freund Hauke Bauer Langhoff zur Erntezeit immer Wurstbrote und eine Thermoskanne Kaffee aufs Feld bringen müssen. An diesen glühend heißen Sommertagen hatte Maarten ihn oft begleitet und es genossen, barfuß durch das duftende Heu zu laufen oder über die bereits gepressten Ballen zu springen. Hinterher waren sie dann mit den Fahrrädern an den Kanal gefahren und hatten sich ein erfrischendes Bad gegönnt.

In den am Wegesrand entlanglaufenden Abwassergräben hatten sie als Kinder im Sommer, wenn sie ausgetrocknet waren, oft inmitten von Rohrkolben gesessen und versucht, diese zu rauchen. Als Zigarrenersatz. Es grenzte nahezu an ein Wunder, dass das ganze Gestrüpp dabei nicht einer weitgreifenden Brand­rodung zum Opfer gefallen war. Manchmal war er mit seinen Freunden auch auf die Jagd nach Bisamratten gegangen. Die armen Tiere, sie hatten sie nicht geschont.

Eines aber hatte es damals noch nicht gegeben und Maarten war erstaunt, wie viel sich hier in den letzten Jahren getan hatte: Windkraftanlagen. Den ganzen Weg entlang standen sie in kleineren Gruppen, und die Rotorblätter durchschnitten die Luft, mal mehr, mal weniger schnell. Die schlicht gestalteten modernen Windmühlen mit ihrem hohen Mast und den drei Rotorblättern sahen nicht besonders beeindruckend aus. Aber als studierter Aerodynamiker wusste Maarten, wie viel Erfindungsreichtum und Technik sich in diesen Anlagen verbarg. Er blieb stehen und hörte dem leisen Surren der modernen Windmühlen für eine Weile zu. Für ostfriesische Verhältnisse gab es an diesem Tag nicht besonders viel Wind. Stärke vier vielleicht, schätzte er. Wie viel Strom wohl an einem solchen Tag von einer Mühle erzeugt wurde? Er nahm sich vor, sich in den kommenden Tagen intensiver mit dieser Technik auseinanderzusetzen. Vielleicht lohnte es sich ja, mal in das eine oder andere Projekt mit einzusteigen. Denn wie viele Menschen, die ein wenig oder auch mehr Geld übrig hatten, hatte auch Maarten in den Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise das Vertrauen in herkömmliche und riskante Anlageprodukte weitgehend verloren und war auf der Suche nach Alternativen. Vielleicht lohnte sich für ihn ja der Markt der erneuerbaren Energien.

Als er das kleine Städtchen Pewsum erreicht hatte, beschloss Maarten, nach so langer Zeit nicht mit leeren Händen vor seine Schwester zu treten. Und so kaufte er zunächst ein paar Teestangen ein. Von diesem Blätterteiggebäck hatte Swaantje in einer ihrer seltenen Mails mal geschwärmt, und ihr Bruder hatte sich gefragt, was an diesen Teestangen wohl so Besonderes sei. Nun, heute würde er sie mal probieren. Als er aus der Bäckerei trat, fiel sein Blick auf einen kleinen Blumenladen. Er trat ein und schaute sich um. Die Auswahl war riesig. Wo sollte er da anfangen? »Kann ich Ihnen behilflich sein, junger Mann?«, sprach ihn eine ältere Frau in Kittelschürze an und lächelte dabei freundlich.

»Ja, sehr gerne. Ich hätte gerne einen bunten Strauß für meine Schwester.«

»Wie heißt Ihre Schwester denn?«

»Ähm … wieso? Ich meine …«, stammelte Maarten. Wieso tat der Name seiner Schwester hier etwas zur Sache? Irritiert blickte er die Verkäuferin an, die aber schaute ihm nur abwartend ins Gesicht. »Ähm … sie heißt Swaantje … ähm … Sieverts. Swaantje Sieverts.«

»Ach, Swaantje. Ja, die mag gerne weiße Freesien und gelbe Rosen. Und ein bischen was Blaues darf auch dabei sein. Aber nicht so viel.« Sofort begann die Verkäuferin, einzelne Blumen aus den zahlreich herumstehenden Vasen zu zupfen. »So, dann musst du wohl Maarten sein, junger Mann.«

»Ähm … ja, ganz recht. Maarten. Maarten Sieverts.«

»Ja, hab schon gehört, dass du wieder im Land bist. Warst ja lang nich da.«

»Ähm … woher wissen Sie …«

»Ach, hier spricht sich alles schnell rum. Und Swaantje is ja die Freundin von meiner Heike. Sind ja zusammen im Boßelverein. Is ’ne gute Boßlerin, unsere Swaantje.«

Maarten zog die Augenbrauen in die Höhe. Swaantje boßelte? Davon hatte er ja noch gar nichts gewusst.

»So, Maarten, ist es so recht?« Nur wenig später hielt ihm die Frau in Kittelschürze einen ausladenden, herrlich farbenfrohen Blumenstrauß unter die Nase.

»Ja, prima. Und so … groß!« Was mochte der wohl kosten? Bestimmt ein Vermögen. Aber der Strauß war es auf jeden Fall wert. »Was macht das dann?«

»Genau zwanzig Euro.«

»Zwanzig Euro?« Maarten glaubte, sich verhört zu haben. Er erinnerte sich, erst kürzlich in München einen viel kleineren Strauß gekauft zu haben. Für die Frau eines Geschäftspartners. Und der hatte doch schon dreißig Euro gekostet.

»Zwanzig Euro. Oder findest du das zu teuer?« Die Verkäuferin sah ihn fragend, aber keineswegs unfreundlich an.

»Nein, äh, nein, ganz im Gegenteil. Ich wundere mich gerade, dass ein so schöner Strauß so günstig ist. Da bin ich ganz andere Preise gewöhnt«, beeilte sich Maarten zu antworten und reichte ihr einen 20-Euro-Schein über den Tresen.

»Ja, so ist das wohl woanners.« Die Frau zuckte mit den Schultern und nahm das Geld entgegen. »Dann wünsch ich viel Spaß damit, er wird Swaantje bestimmt gefallen. Und schönen Gruß.«

Maarten dankte und wollte gerade zur Tür hinaus, als die Frau hinter ihm herrief: »Ach ja, Maarten, und sach deiner Schwester, dass wir Samstach gegen Osteel boßeln. Freundschaftsspiel. Dann muss ich sie nich noch anrufen. Tschüß!«

»Ja, äh, klar, äh, mach ich. Samstag gegen Osteel. Tschüß!«

Kopfschüttelnd ging Maarten seines Weges. Er hatte ganz vergessen, wie familiär es hier in Ostfriesland zuging. Früher war es ihm immer furchtbar auf die Nerven gegangen, dass jeder sich kannte und immer alles über den anderen wusste. Aber, gestand er sich nun ein, so eine persönliche Ansprache im Blumengeschäft, das hatte auch was. Da fühlte man sich gleich gut aufgehoben. Da …

»Maarten?«, hörte er in seine Gedanken hinein jemanden sagen und drehte sich zur Seite. »Maarten! Mensch, du bist es ja wirklich!« Ehe er sich’s versah, klopfte ihm sein Gegenüber mit voller Wucht auf die Schulter. Fast wären ihm dabei die Blumen aus der Hand gefallen. »Mensch, Maarten, erkennst du mich nicht? Ich bin’s, Hauke!«

»Hauke! Mensch, hast mir ja gar keine Möglichkeit gelassen, dich zu erkennen. Bist ja gleich auf mich los, wie ein Berserker.« Maarten strahlte...