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OPUS - Die Bücherjäger

Andreas Gößling

 

Verlag Baumhaus, 2010

ISBN 9783838706726 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR

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1


LEGT AMOS VON HOHENSTEIN in Ketten! Verbindet seine Augen und knebelt ihn! Und was auch geschehen mag – ihr dürft ihm die Fesseln auf keinen Fall lösen. Hast du das verstanden, Waldo?«

»Jawohl, Euer Gnaden.«

»Und du, Franz – was ist mit dir?«

»Wie befohlen, Herr.«

»Ihr seid meine treuesten Soldaten«, sagte der, den die beiden anderen »Herr« und »Euer Gnaden« genannt hatten, und stieß mit lautem Pusten die Atemluft aus. »Ich vertraue euch voll und ganz. Ihr bringt den Gefangenen auf sicheren Nebenwegen nach Nürnberg, wie wir es besprochen haben. Und kein Wort zu irgendwem!«

»Jawohl, Euer Gnaden.«

Amos hatte diesen Wortwechsel wie durch eine Nebelwand mit angehört. Die drei Männer mussten irgendwo da draußen in dem dunklen Gang sein – jenseits der beiden Pechfackeln, die bei Tag und Nacht vor seiner Kerkertür brannten. Die Stimmen kamen ihm allesamt bekannt vor, aber hier unten im Felsverlies konnte man sich seiner Sinneseindrücke selten sicher sein.

Das Fauchen der Flammen verfolgte ihn bis in den Schlaf. Der schwarze Qualm brannte ihm in den Augen, sodass er ständig wie durch einen Tränenschleier sah. Die kleinsten Geräusche, selbst Räuspern oder Hüsteln, wurden hier unten durch vielerlei Echos verfremdet. Vor allem aber war es im immerwährenden Halbdunkel schwer, Einbildungen und wirkliche Geschehnisse auseinanderzuhalten. Wie lange er schon in diesem Verlies unter der Bamberger Bischofsburg festsaß, hätte Amos gar nicht sagen können. Drei Tage oder genauso viele Ewigkeiten. Längst hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Hunger und Durst quälten ihn unaufhörlich. Er fühlte sich matt und schwindlig, doch schlimmer als alles andere war die Hoffnungslosigkeit.

Der kurzatmige Herr da draußen schien noch immer nicht ganz beruhigt. »Lasst euch von dem harmlosen Aussehen dieses Jünglings nicht täuschen«, sagte er in beschwörendem Tonfall. »Amos von Hohenstein ist wie ein gefräßiger Wolf, der die wehrlosen Lämmer zerfleischt – vergesst es niemals!« Er unterbrach sich, um neuerlich pustend auszuatmen. »Schwört mir – Waldo, Franz«, fuhr er fort, »dass ihr euren Gefangenen zur Heiligen Inquisition in Nürnberg bringen werdet – und wenn sich die Hölle vor euren Füßen auftut, um euch daran zu hindern.«

»Wir schwören es!«, riefen die beiden Wächter aus.

»So ist es gut, meine Kinder«, sagte »Euer Gnaden« daraufhin. »Brecht jetzt unverzüglich auf.«

»Wie befohlen«, erhielt er neuerlich zur Antwort – und gerade in diesem Moment erwachte Amos aus seiner Erstarrung.

»Bitte, Herr!«, rief er und seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren zittrig und schwach. Der anscheinend wohlbeleibte Mann, der bei jedem Aus- und Einatmen wie ein Blasebalg pustete und keuchte – das konnte ja niemand anderes als Fürstbischof Georg sein, dem er vor seiner Verhaftung Das Buch der Geister hatte überbringen wollen. Aber aus welchem Grund bemühte sich der Herrscher höchstselbst in diese modrige Unterwelt hinab? Und die beiden Soldaten, denen Fürstbischof Georg eben seine Befehle erteilt hatte – waren das nicht dieselben Burgwächter, die Amos bei jenem unseligen Zusammentreffen überwältigt hatten? Wie eigenartig, dachte er – bisher hatte er hier unten außer einem greisen Kerkerwärter keine Menschenseele zu sehen bekommen. Anfangs hatte er den Alten immer angefleht, ihn zum Herrn Fürstbischof zu bringen, aber schließlich war ihm klar geworden, dass der Wärter taub und mit Blödigkeit geschlagen war.

Amos sprang auf und taumelte zur Zellentür. »Bitte, hört mich an!« Er umfasste zwei der rostigen Gitterstäbe mit seinen Händen. »Herr Fürstbischof, so glaubt mir doch – ich wurde genauso wie Ihr selbst getäuscht!«

Anstelle einer Antwort vernahm er unverständliches Gemurmel. Gleich darauf entfernte sich mit schweren Schritten einer der Männer. Das konnte nur der Fürstbischof sein – offenbar hatte er nicht die Absicht, seinen Gefangenen noch einmal anzuhören. Ganz im Gegenteil: Er wollte sich Amos so schnell wie irgend möglich vom Hals schaffen, und er hatte seine Soldaten angewiesen, den Häftling zu knebeln, damit er an niemanden auch nur ein einziges Wort richten konnte. Jedenfalls so lange, bis ihn die Inquisitoren in Nürnberg in ihrem Folterverlies befragen würden.

Amos ließ die Eisenstäbe los und tappte zurück zu der Steinbank, die als Bett, Tisch und Stuhl in einem diente. Er ließ sich wieder darauf fallen, lehnte sich mit dem Rücken gegen die kalte Felswand und schloss die Augen. Es machte kaum einen Unterschied, ob er seine Lider öffnete oder schloss. So wie es wohl auch keinen Unterschied machte, ob er um Gnade winselte oder sich in sein Schicksal ergab. Wen die Inquisition erst einmal in ihren Fängen hatte, dessen Leben war verwirkt. Wie oft hatte er früher von Unglücklichen erzählen gehört, die von den Hexen- und Ketzerjägern verhaftet worden waren! Solche Geschichten wurden stets nur mit ängstlich gedämpfter Stimme weitergegeben und sie gingen ausnahmslos grässlich aus.

Die beiden Soldaten, die der Fürstbischof mit Waldo und Franz angeredet hatte, traten in den Fackelschein vor seiner Kerkertür. Erstaunt sah Amos vom einen zum andern. Kein Wunder, dass ihre Stimmen ihm so bekannt vorgekommen waren – es waren wahrhaftig die Gardisten, die das Tor der Bischofsburg bewacht hatten, als Klara und er Einlass begehrt hatten. Warum hatte der Herr Georg gerade diese beiden beauftragt, ihn nach Nürnberg zu bringen? Schließlich hatte Amos mit eigenen Augen gesehen, dass hier in der Burg auch ein Trupp Kirchenkrieger stationiert war. Wenn ihn der Fürstbischof doch nach Nürnberg schaffen lassen wollte – warum nicht durch diese päpstlichen Soldaten in den purpurroten Uniformen, die dem Inquisitor direkt unterstellt waren? Sonderbar, dachte Amos. Doch weit mehr noch erstaunte ihn, dass die beiden Torwächter wie fahrende Händler gekleidet waren. Anstelle ihrer Uniformen trugen sie eng anliegende Hosen, darüber weite Hemden und Umhänge, unter denen allerdings ihre Kurzschwerter hervorblitzten.

Der Jüngere der beiden nestelte einen Schlüssel aus der Gürteltasche und stieß ihn ins Türschloss. Das musste Waldo sein, der schnauzbärtige, hochgewachsene Wachsoldat, der Klara und Amos bei ihrer Ankunft so grimmig gemustert hatte. »Kein Wort, sonst …«, sagte Waldo in drohendem Tonfall und zeigte Amos seine Faust.

Amos nickte ihm zu. Er wusste genau, wovor die beiden Wächter sich fürchteten, und er konnte es ihnen wahrlich nicht verdenken. Ihm selbst erging es ja kaum anders – wenn er daran dachte, wie er bei jenem Treffen alle Versammelten in die magisch beschworene Vergangenheit zurückgerissen hatte, dann wurde auch ihm noch immer ganz unheimlich zumute.

»Und sieh auf den Boden!«, fuhr ihn Franz an – der ältere Wächter, der Klara und ihn damals zu den Gemächern des Hofkaplans gebracht hatte.

Franz war von stämmiger Gestalt und nicht mehr ganz jung an Jahren – das Haupthaar gelichtet, das runde Gesicht wie von einem geheimen Kummer zerfurcht. Während sie dem Wachsoldaten durch das Burggelände gefolgt waren, hatte Amos noch geglaubt, dass sie ihm vertrauen dürften und er vielleicht sogar selbst der Bruderschaft Opus Spiritus angehörte. Allerdings hatte derselbe Franz ihn bei seinem missglückten Fluchtversuch unerbittlich festgehalten, während Waldo ihm von hinten seinen Knüppel auf den Kopf geschlagen hatte. Und gerade in dem Sekundenbruchteil, bevor Amos in den Abgrund der Ohnmacht hinabgestürzt war, hatte ihn eine Erkenntnis durchzuckt, die ihn immer noch tief erschreckte, sobald er auch nur flüchtig daran dachte.

Bei dem ganzen mörderischen Verwirrspiel, in das die Bruderschaft Opus Spiritus sie alle verwickelt hatte, musste es um etwas sehr viel Mächtigeres und sehr viel Gefährlicheres gehen, als er bisher geglaubt hatte. Um die Erweckung magischer Kräfte weit jenseits jener Fähigkeiten, die in ihm selbst und in Klara durch die ersten beiden Geschichten aus dem Buch der Geister bereits wach geworden waren. Gefühlsmagie und Gedankensprache – das waren nur die allerersten Stufen auf einer Treppe, die bis in schwindelnde Höhen führte. Oder bis in höllische Tiefen – je nachdem.

Woher ihm diese Erleuchtung gekommen war, hätte Amos nicht sagen können, aber er spürte genau, dass es die reinste Wahrheit war. Seitdem fürchtete er sich vor den magischen Kräften, die durch das Buch der Geister in ihnen erweckt worden waren – und er verspürte sogar zuweilen ein leises Unbehagen, wenn er Klara Gefühls- und Gedankenbotschaften schickte oder von ihr auf dem gleichen Weg Nachrichten erhielt. Welche Fähigkeiten die dritte und die vierte Geschichte zusätzlich in ihren Lesern erwecken konnten, hatte Valentin Kronus ihm niemals verraten wollen – und manchmal fragte sich Amos, ob der alte Mann sich in diesem Punkt vielleicht deshalb so hartnäckig ausgeschwiegen hatte, weil es dunkle, zerstörerische Gaben waren. »Ein wenig wie die Engel« werde Amos sein, wenn er erst das ganze Buch der Geister gelesen und zuinnerst verstanden hätte – das hatte Kronus einmal zu ihm gesagt. Aber »wie die Engel« konnte mancherlei bedeuten – schließlich kamen in der Bibel auch Engel der Verheerung vor, die Menschen töten oder zu Steinsäulen verwandeln konnten.

»Du sollst uns nicht anstarren, Teufelsbursche!«, schnauzte Waldo.

Folgsam senkte Amos den Kopf....