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Die Tore nach Thulien - 3. Episode - Ferner Donner - Wilderland

Jörg Kohlmeyer

 

Verlag Null Papier Frisch, 2015

ISBN 9783954184224 , 143 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz frei

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1,99 EUR


 

Rand des Reichs


Der Wagen ratterte gleichmäßig und monoton über die schlecht erhaltene, alte Reichsstraße. Das verwitterte Pflaster war nur noch an manchen Stellen vorhanden und vielerorts zwängte sich Gras und Unkraut wuchernd zwischen dessen steinerne Reste. An den Rändern verlief sich die schroffe Kante weitestgehend im Heidekraut und teilweise überdeckte das Grün sogar eine ganze Straßenhälfte. Von den Meilensteinen, die in regelmäßigen Abständen an allen Straßen des Königs angebracht waren und im Herzen des Reichs oftmals reich verziert und gut in Stand gehalten wurden, war hier kaum mehr etwas zu sehen. Oftmals fehlten sie ganz, und nur ab und an zeugten noch zerbrochene und von Flechten überwucherte Stümpfe von den alten Wegmarkierungen. Die Reichsstraße war nicht überall in solch schlechtem Zustand, doch je weiter man sich von den großen Zentren des Reiches entfernte, umso erfolgreicher waren die Versuche der Natur, sich zurückzuholen, was ihr gehörte.

Die Straße verlief von Leuenburg aus zunächst in Richtung Norden, schlängelte sich dann in einiger Entfernung an der Leue entlang nach Nordosten und führte schließlich über eine Brücke in das Leuenburger Becken. Bereits hier war der vernachlässigte Unterhalt deutlich zu spüren, und spätestens hinter der Bergfeste Schwarzenfels, einer alten Zollburg, verwandelte sich die Reichsstraße von einem befestigten, steinernen Damm in einen ausgetretenen und verwilderten Pfad. Dort war vom Glanz und der Stärke des Reichs nicht mehr viel zu erkennen und ein jeder Reisende wusste, dass er am äußersten Rand der menschlichen Zivilisation angekommen war. Es war das nördlichste Ende des Leuenburger Beckens und somit gleichzeitig die Grenze des Einflussbereichs der Kirche und des Königs. Dahinter, wild und ungezähmt, erstreckten sich über viele hundert Meilen die Nordmarken und das Wilderland. Malerische Landschaften und ungebändigte Natur vereinten sich dort zu rauen und zugleich wunderschönen Weiten. Ein ursprünglicher Landstrich, unwirtlich und voller Gefahren, und nur die Wenigsten hatten dort lohnendes Tagewerk zu verrichten.

 

Berenghor saß, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Beine von sich gestreckt, ausgelassen auf dem Kutschbock und besah sich die Landschaft. In aller Seelenruhe kaute er auf einem Stückchen Heidegras herum, und sein Kopf schaukelte dabei im Rhythmus des Wagens sachte hin und her. Vor einer Woche waren sie von Leuenburg aus aufgebrochen und vorgestern hatte es endlich aufgehört zu regnen. Die dunklen, schweren Gewitterwolken waren über Nacht verschwunden und die Sonne strich nun mit ihren wärmenden Strahlen zaghaft über das Land. Die Brücke über die Leue lag mehrere Wegstunden hinter ihnen und noch zeugte die Landschaft von der schaffenden Hand des Menschen. Noch wechselten sich Felder und kleine Weiler in regelmäßigen Abständen ab, und trotzdem, schon jetzt sah man der Natur ihre beginnende Wildheit an. Die Wälder wirkten größer und dunkler, die Ebenen freier und rauer. Der Norden des Reichs war das Tor ins Wilderland und niemand konnte sich hier oben dessen drohender und gleichzeitig faszinierender Nähe entziehen. Man konnte es nicht wirklich greifen oder nur schwer in Worte fassen, aber es war da. Und Berenghor gefiel es.

Er war froh, endlich wieder dem Trubel einer großen Stadt entronnen zu sein, und auch wenn sein letzter Besuch in Leuenburg eine Menge Fragen aufgeworfen hatte, so genoss er dennoch die ruhige Kutschfahrt und die Schönheit des Landes. Er wollte sich die beschaulichen Tage nicht verderben lassen und Dank der, wider Erwarten, doch ganz passablen Mitglieder der Reise, gelang ihm das bisher auch recht gut. Tristan, der Anführer der Truppe, ging meistens an der Spitze der kleinen Kolonne und die beiden Wachen aus Leuenburg lenkten entweder den Wagen oder machten sich anderweitig nützlich. Berenghors selbst auferlegte Pflicht bestand eigentlich nur darin, den Platz auf dem Kutschbock zu hüten und die Herrin eine feine Dame sein zu lassen.

Von Shachin sah er unter Tags nicht viel. Die Schattenkriegerin machte sich sehr rar, wobei das wohl auch an der ihr zugedachten Aufgabe lag, den Weg weit im Voraus zu erkunden und mögliche Gefahren zu entdecken. Berenghor störte das nicht, eher im Gegenteil. Er konnte die wortkarge, ganz in Schwarz gekleidete Einzelgängerin nicht sonderlich leiden. Außerdem hatte er die warnenden Worte Asenfrieds in der Schmiede nicht vergessen, und auch wenn Shachin am Abend der Kämpfe im Lagerhaus auf der richtigen Seite gestanden hatte, so änderte das nichts an ihrer Herkunft. Sie war eine Schattenkriegerin, genau wie die Skorpione, und somit von ihrer Art. Ihre wahren Beweggründe kannte niemand, und inwieweit sie sich der Reise in den Norden nur aus Eigennutz angeschlossen hatte, wusste Berenghor auch nicht. Natürlich hatte jedes der Mitglieder, mal abgesehen von den Leuenburger Wachen und Tristan, seine ganz persönlichen Gründe für die Teilnahme, aber dennoch, bei Shachin war sich Berenghor nicht sicher. Er konnte sich auf ihre Anwesenheit einfach keinen Reim machen. Was für ein Interesse konnte jemand wie sie an einem Unternehmen wie diesem haben? Gab es für Schattenkrieger nicht weitaus bessere und vor allem finanziell lohnendere Aufträge? Das alles wollte in Berenghors Augen nicht wirklich zu Shachin passen, und er war gespannt, was in diesem Zusammenhang noch ans Tageslicht kommen würde.

Und dann war da noch Linwen, die Priesterin der Herrin. Sie hatte sich erst kurz vor Abmarsch bei der Wache gemeldet und sich im letzten Moment der Reise in den Norden angeschlossen. Berenghor hatte zwar grundsätzlich keine Probleme mit Religionsvertretern, aber die Gruppe wäre sicher auch ohne geistigen Beistand ausgekommen. Nur gut, dass dieser wenigstens freundlich und zurückhaltend war, und, noch dazu, üppige, reife Kurven besaß. Sie war ungefähr sein Alter und trug ihr schwarzes Haar lang, bis weit über die Schultern. Kaum mehr als den kleinen Lederbeutel, der an einem Kordelgürtel hing, nannte sie nicht ihr Eigen und die braune Mönchskutte war trotz ihrer Robustheit zerschlissen und an vielen Stellen löchrig. Berenghor musste beim Gedanken an Linwen grinsen. Er wusste nichts über sie, aber auf irgendeine Art gefiel sie ihm. Sie war eine Priesterin, keine Frage, aber seltsamerweise fehlte ihr die, für verstaubte Kuttenträger sonst so typische, dogmatische und herrische Haltung. Linwen war anders als die anderen Pfaffen und das mochte Berenghor. Sie ging oft abseits der Straße, in Sichtweite über die Felder und Wiesen, und sammelte Kräuter. Die meisten Vertreter der Herrin verließen sich bei ihrem Wirken einzig und allein auf die Kraft der Worte und Gebete, und vernachlässigten dabei das Wissen um die Welt und ihre Geheimnisse. Linwen hingegen schien auf beiden Pfaden zu wandeln, und Berenghor war sich sicher, dass sie alle noch davon profitieren würden.

Im Großen und Ganzen also mit der Situation zufrieden, streckte er sich und das Holz des Kutschbocks knarrte verdächtig. Die Wache, sein Name war Odoak, blickte ihn daraufhin flehentlich an. »Schau mich nicht so an! Ich hab das Ding nicht gebaut!« In gespielter Empörung schlug er Odoak so heftig auf die Schulter, dass der sich verschluckte und zu husten anfing. Berenghor lachte laut auf und grinste selbstgefällig. Nachdem sich Odoak wieder einigermaßen gefangen hatte, stimmte der sogar mit ein. Obwohl Berenghor, nicht zuletzt Dank seiner gewaltigen Statur, eine Furcht und Respekt einflößende Erscheinung war, hatten alle schnell gemerkt, dass er sein Herz am rechten Fleck trug und trotz seiner grobschlächtigen Art ein netter Kerl war.

»Gute Laune ist ein gutes Zeichen«, erklang plötzlich eine Stimme und Berenghor sah zur Seite. Sie gehörte Tristan, dem Anführer der Gruppe. Er hatte sich etwas zurückfallen lassen und lief nun auf Höhe des Kutschbocks neben dem Wagen her.

»Lass dich anstecken! Wir machen uns gerade über das Wägelchen lustig«, antwortete Berenghor mit einem schiefen Grinsen und schlug mit der Faust auf die Sitzfläche. Wieder knackte es im Holz. Beinahe hätte er vergessen, dass es eigentlich immer etwas gab, woran er etwas auszusetzen hatte, und er wollte seinen bei Tristan erst kürzlich erworbenen Ruf auf keinen Fall vernachlässigen.

»Wir konnten ja nicht ahnen, dass uns ein dreihundert Pfund schwerer Dickschädel begleiten würde«, bekam er zur Antwort.

Odoak musste lachen, und nachdem ihn Berenghor mit einem besonders bösen Blick bedacht hatte, lachte auch er.

»Dieser Dickschädel wird euch alle noch aus der größten Scheiße holen. Denkt an meine Worte!«, rief Berenghor daraufhin und tippte sich mahnend mit einem Finger an die Stirn.

»Ach? Etwa genauso wie in Leuenburg? Wenn ich mich recht erinnere, dann war schon alles vorbei, als du schwer atmend am Lagerhaus eingetroffen bist.«

Berenghor biss sich auf die Lippen. Er kannte die Stimme in seinem Rücken nur zu gut. Verdammt, musste dieses Weib ausgerechnet jetzt auftauchen? Seine gute Laune war mit einem Mal verflogen. Shachin stand hinter Odoak auf dem Kutschbock und balancierte auf der hölzernen Einfassung. Sie hielt sich dabei lässig mit einer Hand am Dach des Wagens fest. Wie sie unbemerkt dahin gekommen war, wusste Berenghor nicht, es war ihm aber auch egal. Die schwarze Lady war da und das reichte. Seine Miene verfinsterte sich, und aus dem Lachen der anderen wurde ein verschämtes Schmunzeln. Der Söldner nahm den Grashalm aus dem Mund und stöhnte. »Hast du nicht irgendwas zu erkunden oder zu entdecken?« Ihm passten derartige Auftritte Shachins gar nicht. Den ganzen Tag über sah man sie kaum, und genau dann, wenn man es am wenigsten erwartete, tauchte sie unversehens auf. Er konnte ihr...