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Michael Schumacher - Die Biografie

Karin Sturm

 

Verlag Herbig, 2016

ISBN 9783776681987 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

1. SCHICKSALSTAG IM SCHNEE

29. Dezember 2013

Es ist ein Tag wie jeder andere, eigentlich sogar ein besonders schöner Tag: jener Sonntag, der 29. Dezember 2013, der für Michael Schumacher zum Schicksalstag wird. Strahlender Sonnenschein begrüßt ihn, seinen Sohn Mick und ein paar Freunde, als sie in den französischen Alpen im Skigebiet Les Trois Vallées zur Piste aufbrechen. Schumacher hat sich dort, im Skiort Meribel, schon vor vielen Jahren ein großes Ferienhaus gekauft, verbringt dort gern vor allem die Zeit zwischen den Jahren mit Familie und Freunden.

Es ist das Leben, das ihm gefällt, das er sucht, gerade jetzt, nach den vielen Jahren im Rampenlicht. Privat, umgeben von Menschen, denen er hundertprozentig vertraut, entspannt, locker. Die Bedingungen stimmen: Über Nacht hat es ein bisschen geschneit, jetzt scheint die Sonne, angenehme Temperaturen um die null Grad … Der fatale Sturz passiert kurz nach 11 Uhr vormittags, in einem nicht präparierten Pistenbereich, aber nicht in wirklich schwierigem Gelände. Das gibt es in Les Trois Vallées zwar auch, bis hin zur Olympia-Abfahrt von 1992, aber dort fährt Schumacher nicht entlang, sondern am Westhang des Saulire-Massivs, dort, wo auch tagtäglich unzählige Freizeitsportler unterwegs sind.

Schumacher hat das Skifahren nicht schon als Kind gelernt, für solche »Extravaganzen« gab es in seiner Familie keine Möglichkeiten. Im Flachland von Kerpen lag diese Art von Freizeitbetätigung ja sowieso nicht besonders nahe. Aber er ist ein guter Skifahrer. In seiner Ferrari-Zeit macht er beim traditionellen Winter-Event der Italiener in Madonna di Campiglio stets eine gute Figur, steht sehr sicher auf den Brettern und hat auch mit dem dort alljährlich ausgeflaggten Riesenslalomkurs keine Probleme.

Das Problem an diesem Sonntag, fünf Tage vor »Schumis« 45. Geburtstag, ist wohl eher ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände: Es liegt weniger Schnee als normal in Meribel, dadurch sind Felsen in dem unpräparierten Gelände nur knapp von einer Schneeauflage bedeckt. Andere, größere stehen sogar weit heraus. Die Kombination aus beidem wird Schumacher wohl zum Verhängnis.

Die allerersten Meldungen klingen nicht einmal so dramatisch. Die Retter, die Schumacher an der Unfallstelle erstversorgen, erzählen, sie hätten ihn bei Bewusstsein, halb sitzend, halb stehend, angetroffen, er sei allerdings sehr aufgeregt gewesen und habe etwas verwirrt gewirkt. Der Chef der Skistation in Meribel lässt verlauten, der siebenmalige Formel-1-Weltmeister sei zwar mit dem Helikopter abtransportiert worden, habe aber wohl nur eine Gehirnerschütterung erlitten. Auch Sebastian Vettel schickt noch eine kurze SMS an sein früheres großes Vorbild, das in den gemeinsamen Formel-1-Zeiten immer mehr zum Freund geworden ist: »Habe gehört, du bist gestürzt. Hoffe, es ist nichts Schlimmes. Gute Besserung.«

Erst gegen Abend dringen die Nachrichten durch, wird der extreme Ernst der Lage klar: Schon bei seiner Einlieferung per Rettungshubschrauber in die Uniklinik Grenoble, etwa eineinhalb Stunden nach dem Sturz, war Schumacher bewusstlos. Die Ärzte diagnostizierten ein sehr schweres Schädel-Hirn-Trauma, eine sofortige Notoperation war nötig. Durch das Ansteigen des Hirndrucks, ausgelöst durch massive Blutungen, bestand absolute Lebensgefahr. Zur Entlastung musste die Schädeldecke geöffnet werden, ein großes subdurales Hämatom wurde entfernt. Danach wird Schumacher in ein künstliches Koma versetzt, der Körper auf 34 bis 35 Grad heruntergekühlt, um den Stoffwechsel zu verlangsamen und den im Gehirn ankommenden Sauerstoff dadurch besser nutzbar zu machen.

Einige Tage später folgt noch eine zweite Operation, nachdem sich seine Gesamtverfassung stabilisiert hat. Zwischenzeitlich hatten die Ärzte in Grenoble nach Auswertung einer weiteren Computertomografie nur noch geringe Hoffnungen, befürchteten das Schlimmste. Die zweite Operation sorgt für eine leichte Verbesserung, allerdings müssen die Ärzte zugeben, dass nicht alle Blutansammlungen entfernt werden konnten – einige sind durch ihre Lage im Gehirn von außen nicht zugänglich. Auf Prognosen kann und will sich niemand einlassen. Abwarten und hoffen, mehr bleibt auch Michaels Frau Corinna und den Kindern Gina-Maria und Mick nicht übrig …

Während Schumacher in der Klinik um sein Leben kämpft, passiert draußen vor dem Krankenhaus das, was in der heutigen Medienwelt in so einem Fall anscheinend unvermeidbar ist. Das persönliche Drama eines Einzelnen wird zum Anlass für ein Medienspektakel von unglaublichem Ausmaß. 40 bis 50 Fernsehteams aus aller Welt, insgesamt an die 200 Journalisten, halten sich tagelang vor dem Klinikgebäude auf, versuchen auf der Jagd nach Neuigkeiten wirklich alles, um an Informationen zu gelangen. Ein Sicherheitsmann erzählt Schumachers Managerin und Pressesprecherin Sabine Kehm, die im Urlaub von der Tragödie erfuhr und sofort nach Grenoble gereist ist, dass ein Journalist versucht habe, sich als Priester verkleidet in die Klinik einzuschleichen.

Sabine Kehm, die seit 1999 für Schumacher arbeitet, hat die schwierige Aufgabe, zwischen zwei Welten zu stehen – in einer auch für sie persönlich schwierigen Situation. Da ist auf der einen Seite die Öffentlichkeit, die nach Informationen lechzt, und auf der anderen die Familie eines Weltstars, der über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg wie kaum ein anderer Wert darauf legte, sein Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.

Dies gelang in all den Erfolgsjahren, über sieben Formel-1-WM-Titel hinweg, auch weitgehend. Zum Teil mithilfe von massivem juristischem Druck, Unterlassungserklärungen und Klageandrohungen, etwa bei der Veröffentlichung von Fotos der Kinder. Selbst als Sohn Mick anfing, offizielle Kart-Rennen zu fahren, durfte darüber nicht weiter berichtet werden – alles zum Schutz der Familie, der Privatsphäre. Homestorys aus seinem großen Anwesen am Genfer See – ein absolutes Tabu, undenkbar, selbst für »befreundete«, sehr wichtige Medien. Maximal auf der benachbarten Pferderanch seiner Frau Corinna gewährte Schumacher ausgewählten Journalisten in der späteren Phase seiner Karriere hin und wieder einmal Zutritt.

Und jetzt, gut ein Jahr nach dem endgültigen Rückzug ins Privatleben, steht er stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit als je zuvor, mit dem Privatesten, das es eigentlich gibt: dem eigenen Überleben, der eigenen Gesundheit. Der Mann, der seit Beginn seiner Karriere immer Boris Becker als »warnendes Beispiel« vor Augen hatte, der mehr als einmal betonte, »so wie Becker will ich es nicht machen, so will ich nicht leben, so, dass alles Private sofort zum öffentlichen Ereignis wird«.

Sofort kommen natürlich Fragen nach Schuld und Verantwortung auf. Ganz schnell schießen auch die Spekulationen über die Unfallursache in die Höhe: Schumacher sei viel zu schnell unterwegs gewesen, verbreiten einige Medien. Auch die durchaus seriöse britische Times spricht von bis zu 100 Stundenkilometern und beruft sich dabei auf »Ermittlerkreise«. Klar – es passt ja auch so schön ins Klischee: Formel-1-Fahrer sind Geschwindigkeits-Junkies, brauchen das Risiko und das damit verbundene Adrenalin. Und jetzt hat es der Risikofreund Schumacher eben einmal übertrieben und musste dafür teuer bezahlen. Simpel und einfach, in schlau klingende Kommentare verpackt.

Eines stimmt: Formel-1-Fahrer, nicht nur Schumacher, haben grundsätzlich wohl eine etwas andere Einschätzung von Risiko und Risiko-Beherrschung als ein Normalbürger, sonst könnten sie im Rennsport auch keinen Erfolg haben. Was sich natürlich ab und an auch neben der Rennstrecke zeigt: Michael Schumacher fährt nach seinem ersten Rücktritt begeistert am Limit Motorrad, geht Fallschirmspringen, Drachenfliegen und Tauchen. Der kolumbianische Rennfahrer Juan Pablo Montoya holte sich vor einigen Jahren einmal beim wilden Motocross-Fahren eine Schulterverletzung. Bruno Senna erzählt grinsend davon, wie er als Jugendlicher mit ein paar Kumpels aus gut 25 Meter Höhe aus einem Hubschrauber ins Meer gesprungen sei. An die Jet-Ski-Rennen, die sich sein Onkel Ayrton Anfang der 90er-Jahre mit Freunden lieferte, zum Teil unter einem niedrigen Bootssteg hindurch, kann Senna sich auch noch gut erinnern.

Trotzdem, in diesem Fall ist sie eben dennoch falsch, die Theorie vom übertriebenen Risiko: Schon ein Blick auf Schumachers Unfallstelle, eine relativ flache Tiefschneepassage zwischen einer blauen (leichten) und einer roten (mittelschweren) Piste macht klar: Hohe Geschwindigkeit scheint an dieser Stelle kaum möglich. Und als die ermittelnde französische Staatsanwaltschaft am 8. Januar 2014 auf einer Pressekonferenz die ersten Untersuchungsergebnisse bekannt gibt, betont sie: Schumacher sei zwar außerhalb der markierten Piste, aber mit durchaus angemessener Geschwindigkeit unterwegs gewesen. Aufschluss darüber gibt vor allem die Helmkamera, mit der Schumacher bei seiner Schicksalsfahrt zufällig unterwegs ist und die unter anderem etwa die letzten zwei Minuten vor dem Sturz aufgezeichnet hat. Die Kamera wurde der Staatsanwaltschaft von Schumachers Familie übergeben, »die, wie wir betonen möchten, sehr kooperativ mit uns zusammengearbeitet hat«.

Die Aufzeichnung zeigt auch ziemlich genau den Unfallablauf: Schumacher fährt ein paar Meter außerhalb der markierten Piste, als er bei einem Schwungansatz an einem unter etwas Schnee verborgenen Felsen hängen bleibt, ausgehoben wird und kopfüber auf einen etwa dreieinhalb Meter tiefer gelegenen Felsen stürzt. Womit es auch eine plausible Erklärung für die vorher immer wieder gestellte Frage gibt, wie es denn sein könne, dass bei einem Sturz mit relativ...