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Glanz und Elend der Kurtisanen (Roman)

Honoré de Balzac

 

Verlag e-artnow, 2014

ISBN 9788026813248 , 632 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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1,99 EUR


 

»Liebes Kind, ich habe versucht, Sie dem Himmel zu schenken, aber die reuige Dirne wird für die Kirche stets eine Mystifikation bleiben; wenn sich je eine fände, so würde sie im Paradies wieder zur Kurtisane werden ... Sie haben das dabei gewonnen, daß man Sie vergessen hat und daß Sie einer anständigen Frau ähnlich sehen; denn Sie haben da unten gelernt, was Sie in der ehrlosen Sphäre, in der Sie lebten, nie hätten lernen können ... Sie schulden mir nichts,« sagte er, als er auf Esthers Gesicht einen entzückenden Ausdruck des Dankes sah, »ich habe alles für ihn getan ...« und er zeigte auf Lucien. »Sie sind eine Dirne, Sie werden Dirne bleiben und als Dirne sterben; denn trotz der verführerischen Theorien der Tierzüchter kann man hier unten nur werden, was man ist. Der Mann mit den Schädelwölbungen hat recht. Sie haben die Schädelwölbung der Liebe.«

Der Spanier war, wie man sieht, Fatalist, ebenso wie Napoleon, Mohammed und viele große Politiker. Seltsam, fast alle Menschen der Tat neigen zum Fatalismus, genau wie die meisten Denker zum Glauben an die Vorsehung neigen.

»Ich weiß nicht, was ich bin,« erwiderte Esther mit der Sanftmut eines Engels, »aber ich liebe Lucien, und noch mit meinem letzten Atemzug werd ich ihn anbeten.« »Kommen Sie zum Frühstück,« sagte der Spanier schroff, »und beten Sie zu Gott, daß Lucien sich nicht zu schnell verheiratet, denn dann würden Sie ihn nicht wiedersehen.« »Seine Heirat wäre mein Tod,« sagte sie.

Sie ließ den Priester vortreten, um sich ungesehen zu Luciens Ohr emporheben zu können. »Ist es dein Wille,« sagte sie, »daß ich unter der Gewalt dieses Menschen bleibe, der mich von diesen beiden Hyänen bewachen läßt?«

Lucien neigte den Kopf. Das arme Mädchen unterdrückte ihre Trauer und schien lustig, aber sie fühlte sich furchtbar bedrückt. Es bedurfte mehr als eines Jahres beständiger und ergebener Pflege, damit sie sich an diese beiden furchtbaren Geschöpfe gewöhnte, die Carlos Herrera ›die beiden Wachhunde‹ nannte.

Luciens Verhalten trug seit seiner Rückkehr nach Paris das Gepräge einer so tiefen Politik, daß er die Eifersucht all seiner alten Freunde wecken mußte und weckte; er übte ihnen gegenüber keine andere Rache als die, daß er sie durch seine Erfolge, seine einwandfreie Haltung und seine Art, die Leute von sich fernzuhalten, wütend machte. Dieser so mitteilsame, so überströmende Dichter wurde kühl und zurückhaltend. De Marsay, jener von der Pariser Jugend nachgeahmte Typus, hielt in seinen Reden und Handlungen nicht mehr Maß als Lucien. Was den Geist angeht, so hatte der Journalist schon ehedem seine Proben geliefert. De Marsay, dem viele Leute schadenfroh Lucien entgegenhielten, indem sie dem Dichter den Vorzug gaben, war klein genug, sich darüber zu ärgern. Lucien stand in hoher Gunst bei denen, die im geheimen die Macht hatten, und er gab jeden Gedanken an literarischen Ruhm so vollständig auf, daß er unempfänglich blieb für den Erfolg seines Romans, der unter seinem ersten Titel ›Der Bogenschütze Karls IX.‹ neu herausgegeben wurde, und gegen das Aufsehen, das seine Sonettensammlung, die ›Margueriten‹, erregte; Dauriat verkaufte die Auflage in einer einzigen Woche. »Das ist ein posthumer Erfolg,« erwiderte er lachend, als Fräulein Des Touches ihn beglückwünschte.

Der furchtbare Spanier hielt sein Geschöpf mit ehernem Arm auf der Linie fest, an deren Ende die Fanfaren und die Beute des Sieges auf die geduldigen Politiker warten. Lucien hatte, um der Rue Taitbout näher zu sein, die Junggesellenwohnung Beaudenords am Quai Malaquais genommen, und sein Ratgeber hatte sich in drei Zimmern desselben Hauses, im vierten Stock eingemietet. Lucien hatte nur noch ein Reit- und Wagenpferd, einen Diener und einen Stallknecht. Wenn er nicht in der Stadt speiste, speiste er bei Esther. Carlos Herrera überwachte die Leute am Quai Malaquais so genau, daß Lucien im Jahr noch keine zehntausend Franken ausgab. Auch für Esther genügten, dank der beständigen unerklärlichen Ergebenheit Europas und Asiens, zehntausend Franken. Lucien wandte die größte Vorsicht auf, wenn er in die Rue Taitbout ging oder aus ihr kam. Er fuhr stets nur im Wagen hin, hatte die Vorhänge heruntergelassen und ließ den Kutscher stets in die Einfahrt hineinfahren. Daher schadeten auch seine Leidenschaft für Esther und die Existenz des Haushalts der Rue Taitbout, die der Welt völlig unbekannt blieben, keiner seiner Unternehmungen oder Beziehungen; nie entschlüpfte ihm ein unvorsichtiges Wort über diesen heiklen Gegenstand. Die Fehler, die er in dieser Hinsicht zur Zeit seines ersten Aufenthaltes in Paris mit Coralie begangen hatte, machten ihn klug. Sein Leben zeigte zunächst jene Regelmäßigkeit des guten Tons, unter der man viele Geheimnisse verbergen kann: er blieb jede Nacht bis ein Uhr in der Gesellschaft; man fand ihn von zehn bis ein Uhr nachmittags zu Hause; dann fuhr er ins Bois de Boulogne und machte bis fünf Uhr Besuche. Man sah ihn selten zu Fuß, und so vermied er seine alten Bekannten. Wenn ihn irgendein Journalist oder einer seiner alten Kameraden grüßte, antwortete er vorläufig mit einer Kopfneigung, die gerade höflich genug war, damit man sich nicht ärgern konnte, durch die aber doch jene tiefe Geringschätzung hindurchblickte, die die französische Vertraulichkeit tötet. Auf diese Weise entledigte er sich schnell der Leute, die er nicht mehr gekannt haben wollte. Ein alter Haß hinderte ihn, zu Frau d'Espard zu gehen, obwohl sie ihn mehrmals hatte bei sich sehen wollen. Wenn er ihr bei der Herzogin von Maufrigneuse begegnete oder bei Fräulein Des Touches, bei der Gräfin von Montcornet oder anderswo, so benahm er sich ihr gegenüber ausgesucht höflich. Dieser Haß, der bei Frau d'Espard ebenso groß war, zwang Lucien zur Vorsicht; denn man wird sehen, wie sehr er ihn belebt hatte, indem er sich eine Rache erlaubte, die ihm übrigens eine starke Predigt Herreras eintrug.

»Du bist noch nicht mächtig genug, um dich an irgend jemandem zu rächen,« hatte der Spanier zu ihm gesagt. »Wenn man bei brennender Sonne unterwegs ist, bleibt man nicht stehen, um die schönste Blume zu pflücken ...«

Lucien hatte zuviel Zukunft und echte Überlegenheit, als daß nicht die jungen Leute, die seine Rückkehr nach Paris und sein unerklärlicher Wohlstand in Schatten stellten, entzückt gewesen wären, ihm einen schlimmen Streich spielen zu können. Lucien, der wußte, daß er viele Feinde hatte, übersah die arge Gesinnung seiner Freunde nicht. Daher warnte denn auch der Abbé seinen Adoptivsohn in ausgezeichneter Weise vor der Verräterei der Welt und der Unvorsichtigkeit, die der Jugend so verhängnisvoll wird. Lucien mußte dem Abbé jeden Abend die kleinsten Ereignisse des Tages erzählen und tat es stets. Dank den Ratschlägen dieses Mentors wich er der geschicktesten Neugier aus, der der Gesellschaft. Geschützt durch einen englischen Ernst, gedeckt durch die Schanzen, die die Umsicht der Diplomaten aufführt, gab er niemandem das Recht oder die Gelegenheit, einen Blick in seine Angelegenheiten zu werfen. Sein junges und schönes Gesicht war schließlich in der Gesellschaft so reglos geworden wie das einer Prinzessin während einer Zeremonie. Gegen Mitte des Jahres 1829 war von seiner Heirat mit der ältesten Tochter der Herzogin von Grandlieu die Rede, die damals nicht weniger als vier Töchter zu versorgen hatte. Niemand zweifelte daran, daß der König bei Gelegenheit dieses Bündnisses Lucien die Gunst erweisen würde, ihm den Titel ›Marquis‹ zu verleihen. Die Heirat sollte Luciens politisches Glück entscheiden, denn wahrscheinlich sollte er an einem deutschen Hofe zum Botschafter ernannt werden. Seit drei Jahren war Luciens Leben unangreifbar vorsichtig gewesen; daher hatte auch de Marsay dieses merkwürdige Wort über ihn gesagt: ›Dieser Bursche muß einen sehr starken Menschen hinter sich haben.‹

So war Lucien fast zu einer Persönlichkeit geworden. Seine Leidenschaft für Esther hatte ihm übrigens viel dabei geholfen, seine Rolle eines ernsten Mannes zu spielen. Eine derartige Gewöhnung schützt die Ehrgeizigen vor sehr vielen Dummheiten; da sie an keiner Frau festhalten, so lassen sie sich nicht durch die Reaktionen des Körperlichen auf das Geistige fangen. Was das Glück angeht, das Lucien genoß, so war es die Verwirklichung der Träume aller armen Dichter, die in einer Bodenkammer fasten. Esther, das Ideal der verliebten Kurtisane, erinnerte Lucien an Coralie, die Schauspielerin, mit der er ein Jahr lang gelebt hatte; aber sie löschte sie vollständig aus. Alle liebenden und hingebenden Frauen erfinden von neuem die Abschließung, das Inkognito, das Leben der Perle auf dem Meeresboden; aber bei den meisten unter ihnen ist es nur eine jener reizenden Launen, die einen Gesprächsgegenstand bilden, einen Beweis der Liebe, von dem sie nur träumen und den sie nicht geben; während Esther, die sich immer wie am Morgen nach ihrem ersten Glück bot und jederzeit wie unter Luciens erstem Liebesblick lebte, in vier Jahren keine Regung der Neugier empfand. Ihren ganzen Geist verwandte sie darauf, in den Grenzen des von der Schicksalshand des Spaniers vorgezeichneten Programms zu bleiben. Ja, noch mehr, mitten unter den berauschendsten Entzückungen mißbrauchte sie nicht die unbegrenzte Macht, die geliebten Frauen die wiedererwachenden Begierden eines Liebhabers geben, um Lucien eine Frage über Herrera zu stellen, der sie übrigens immer noch beängstigte: sie wagte nicht an ihn zu denken. Die klugen Wohltaten dieses Mannes, dem Esther auf jeden Fall ihre Klosterzöglingsanmut, ihr Benehmen als anständige Frau und ihre moralische Wiedergeburt verdankte, erschienen dem armen Mädchen als Vorschüsse der Hölle. »Ich werde für all das eines Tages zahlen,« sagte sie...