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Flammenwüste - Das Geheimnis der goldenen Stadt

Akram El-Bahay

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN 9783838759845 , 100 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,49 EUR

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1. Tod und Asche


Zieht nicht den Korken heraus!« Kadim, der Führer der kleinen Karawane, griff nach der Flasche, die der Einäugige im Wüstensand gefunden hatte.

Der Alte aber drehte sich zur Seite, ehe Kadim sie ihm aus der Hand schlagen konnte. Er zog den Korken aus der Flasche und lugte mit seinem gesunden Auge in sie hinein, als wollte er die Sandkörner an ihrem Boden zählen.

»Ist eh nichts drin«, kicherte der Alte wie ein Ziegenbock und warf sie Kadim vor die Füße. »Wovor hast du so eine Angst, Junge? Glaubst du, ein Geist kommt aus der Flasche und stiehlt dir das Leben?« Der Alte hob die Hände über den Kopf und fuchtelte mit ihnen herum, als würde er einen unsichtbaren Angreifer abwehren. Dann lachte er wieder. »Das sind doch nur dumme Geschichten.«

»Geschichten sind mir gleich«, sagte Kadim düster und warf dem Alten einen bösen Blick zu. »Aber es bringt Unglück, sich am Besitz der Toten zu vergreifen.«

Und Tote musste es hier zuhauf gegeben haben, dachte Kadim, als er seinen Blick über die rauchenden Ruinen der Karawanserei gleiten ließ. Obwohl es kaum Spuren von ihnen gab. Das meiste ihrer Körper schien zu Asche verbrannt zu sein. Dann bückte er sich und hob die Flasche auf. Als der Alte nicht hinsah, warf auch Kadim einen schnellen Blick hinein, bevor er sie so weit wegschleuderte, wie er konnte. Dumpf landete sie hinter einem der schwelenden Mauerreste im Sand.

Der Karawanenhof, der sich, seit Kadim denken konnte, an dieser Stelle inmitten eines Hains aus Dattelpalmen und Kameldornbäumen befunden hatte, war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Auch von dem Hain war nicht mehr übrig als ein paar verkohlte Stämme. Nie wieder würden hier die gelben Blüten in der Mittagssonne funkeln, die der Karawanserei einst ihren Namen gegeben hatten: Goldhof.

Kadim hatte schon viel gesehen. Beinahe dreißig Jahre war er schon auf der Welt und die meiste Zeit davon hatte er in der Wüste verbracht. Seit etlichen Generationen führte seine Familie Karawanen aus den Ländern der Kaffeedynastien im Norden in den Süden, vorbei an der großen Stadt Nabija und dann weiter am Roten See vorbei, auf dem die Stadt Hambar schwamm, bis zu den Seefahrern von Nubiéd. Immer der alten Gewürzstraße folgend, von einer Karawanserei zur nächsten. Doch so etwas wie das hier hatte selbst er noch nicht erlebt. Ein Feuer, das so hungrig gewesen war, dass es bis auf ein paar wenige Ausnahmen nicht einmal die Knochen der Toten übrig gelassen hatte. Einige der Mauerreste waren geschmolzen, und der Stein strahlte immer noch Hitze wie ein Lagerfeuer ab. Das Feuer hatte den Boden schwarz gefärbt. Kadim hatte eines der auf dem Boden herumliegenden Trümmerstücke angefasst, um es zu untersuchen. Es hatte geglüht, und Kadims Haut schmerzte dort, wo er den heißen Stein berührt hatte. Was für ein Feuer konnte bloß Stein zum Schmelzen bringen?

»Was machen wir nun?«, fragte der einäugige Alte und spuckte auf den Boden. »Rasten wir oder reiten wir weiter?« Beiläufig zog er eine Karte aus einer Falte seines Kapuzengewandes, das ebenso blau wie der Abendhimmel war, der sich über ihnen spannte.

Schon wieder. Kadim sah ständig, wie er das Papier anstarrte. Wie oft hatte es der Alte heute schon herausgezogen? Tausendundeinmal? Die seltsame Karte würde ihm sicher auch diesmal nicht mehr verraten als die Male zuvor.

Kadim kniff die Augen zusammen. Die Sonne stand schon tief. Sie ließ Schatten wachsen und das Meer aus Sand leuchten, als würde das Feuer in ihm nisten. Die Nacht kam, und selbst er war müde vom Weg, der hinter ihnen lag. Aber bleiben? Kadim glaubte, den Tod in der Luft dieses Ortes schmecken zu können. Wenn ihm doch noch ein paar Stunden mehr vergönnt wären. Dann würde er es wagen und weiterziehen. So lange, bis nur noch die Sterne die Welt erhellten. Aber er führte eine Karawane voller Stadtleute, die das Reiten ebenso wenig gewöhnt waren wie er das Schlafen in einem Bett. Die Erschöpfung stand Kadims Begleitern ins Gesicht geschrieben – genau wie die Furcht. Kadim seufzte schwer. »Errichtet das Lager. Wir bleiben hier.«

Der Alte sah von der Karte auf und betrachtete Kadim fragend mit seinem gesunden Auge. »Wir bleiben? An diesem Ort? Sonst treibst du uns doch immer zur Eile. Als ob uns ein Ifrit auf den Fersen wäre.«

Kadim zuckte mit den Schultern und machte sich an einer der Satteltaschen zu schaffen. »Es ist zu spät, um weiterzuziehen.«

»Ich hoffe, du glaubst nicht, ich hätte uns aufgehalten, Junge«, meinte der Alte und ließ die Karte wieder in seinem Gewand verschwinden. »Nur weil ich gelegentlich links und rechts des Weges schaue.«

Kadim warf dem Einäugigen einen düsteren Blick zu. Erst wenige Tage war er mit Faris unterwegs und doch konnte er die Male schon nicht mehr zählen, die der Alte sein Kamel plötzlich von der Karawane weg und in die Wüste gelenkt hatte, um nach Spuren zu suchen, wie er sagte. Um das, wonach er Ausschau hielt, machte er dabei ein ebenso großes Geheimnis wie um die Karte, auf die er niemanden einen Blick werfen ließ. Kadim presste ärgerlich die Lippen zusammen. Nie wieder würde er jemanden mitnehmen, dem das Wort Schatzjäger so deutlich auf der Stirn geschrieben stand wie dem Alten.

Anders als die Einäugigen, die bettelnd die Marktplätze säumten, hatte er sein blindes Auge nicht verhüllt. Er trug es offen. Beinahe schien er stolz darauf zu sein. Kein schöner Anblick, fand Kadim. Eine lange Narbe lief quer über die braune Haut seines Gesichts, die aussah wie gegerbtes Leder. Von der Stirn über den milchigen Augapfel an der Nase, die einem Falkenschnabel glich, entlang bis zur Spitze seines Kinns. Kadim hätte sich einen Mann, der den Namen Faris trug, anders vorgestellt. Faris. Der Ritter. Doch vielleicht waren echte Ritter nicht strahlend wie im Märchen, sondern vernarbt und gezeichnet.

»Die Haschirim sind abergläubisch. Sie werden nicht an diesen Ort zurückkehren. Sie meiden die Toten, deren Zorn sie auf sich gezogen haben. Und ich will ihnen in der Nacht nicht in die Arme laufen.«

»Du glaubst, die Wüstenkrieger hätten diese Zerstörung gebracht? Seit wann sind die Haschirim unter die Brandstifter gegangen? Warum sollten sie die Häuser anzünden, die sie ausgeraubt haben?«

Kadim antwortete nicht. Er ging stattdessen zu den anderen hinüber, die in einem engen Kreis bei den Kamelen standen, als müssten sie sich gegenseitig schützen. Kadim klopfte seinem Cousin Ahmed aufmunternd auf die Schulter. Der große Mann, der stark wie ein Ochse, aber gutmütig wie ein Kalb war, streichelte gedankenverloren eines der Kamele. Wie üblich trugen sie die Säcke mit den hellgrünen, noch ungerösteten Bohnen, die in den Kaffeehäusern der großen Städte immer sehnlichst erwartet wurden. Morgen würde er die Ware an seinen Bruder Agali übergeben. Er sollte sie nach Nabija bringen, während Kadim nach einem kurzen Abstecher in eine nahe Karawanserei wieder nach Norden reiten würde. Neben ihm starrte Ra’ouf, der Abgesandte der Kaffeeherren, auf die qualmende Ruine. Er kaute den ganzen Tag auf Qat-Blättern herum, die einen Menschen in einen Rausch versetzten, wie es sonst nur Wein tat. Getrocknet verloren sie einiges an Wirkung, und diesmal musste er sich wohl ein ganzes Bündel von ihnen in den Mund geschoben haben, so dick wie seine Backe war. Nüchtern mochte er ebenso herrisch und aufbrausend sein, wie man es seinen Herren nachsagte. Aber dank der Blätter, die er sich nimmersatt in seine Backentasche stopfte, war sein Blick stets so vernebelt wie die Wüste am frühen Morgen. Doch selbst in den sonst so glasigen Augen erkannte Kadim Angst.

»Es war ein Überfall«, sagte er laut, als müsste er die anderen davon überzeugen. Er griff nach einem der Wasserbeutel am Sattel eines Kamels und gab ihn Ahmed. »Die passieren immer wieder, egal, wie viele Soldaten der Sultan die Gewürzstraße entlangschickt.«

»Ein Überfall?« Ahmed klang alles andere als überzeugt und zog den Stopfen aus dem Beutel. Hastig setzte er ihn an die Lippen, als könnte das Wasser ihm den Geschmack des Todes von den Lippen waschen.

»Es gibt Gerüchte.«

Kadim sah zu dem Jungen hinüber, der die Worte gesprochen hatte. Kaum siebzehn Jahre alt mochte er sein, das Gesicht noch so unbeschrieben wie ein leeres Blatt. Sicher hatte er im Gegensatz zu Kadim, der in diesem Alter schon für eine Karawane verantwortlich gewesen war, noch keinen Tag um sein Leben fürchten müssen. Kadim erkannte in dem Jungen eine Unbekümmertheit, selbst inmitten des allgegenwärtigen Todes, die nur bei denen zu finden war, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten. Die noch nie an ihre Grenzen gestoßen waren und glaubten, die Welt könnte ihnen keine setzen. Für einen Moment beneidete Kadim den Jungen darum. Ihm selbst schien diese Zeit endlos weit entfernt.

Anûr hieß der Junge, der seinen Großvater Nûr ed-Din nach Nabija begleitete. Kadim hatte noch nie von ihm gehört, doch Ahmeds Augen hatten bei dem Namen aufgeleuchtet. Nûr war ein berühmter Märchenerzähler. Einer, der Dschinnen und Ifriten mit seinen Worten zum Leben erweckte. Dessen Stimme riesenhafte Vögel in den Himmel und menschenfressende Ghoulas in die Nacht malen konnte. Ahmed hatte einmal in der Wasserstadt gelebt, in der sich die beiden Erzähler der Karawane angeschlossen hatten. Dort hatte wohl jedes Kind einmal eine Geschichte von Nûr erzählt bekommen, in denen die Helden die Wüste bereisen und dort sagenhafte Abenteuer erleben. Reiten konnten aber weder er noch der Junge. Kadim schmerzte der Rücken schon, wenn er ihnen nur zusah.

»Gerüchte?...