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Im Herzen die Gier (Furien-Trilogie Band 3)

Elizabeth Miles

 

Verlag Loewe Verlag, 2014

ISBN 9783732001910 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

Kapitel 1

Es passierte so schnell. Ein kleiner Funkenregen sprühte aus der Fassung. JD zog rasch die Hand weg, allerdings nicht rasch genug; Schmerz durchzuckte seine Finger und die Hitze jagte ihm eine Gänsehaut den Arm hinauf. Verflixt. Er pustete sich auf die Hand und schüttelte sie vor der Brust. Das gibt bestimmt eine Narbe.

Er starrte auf die Stelle zwischen Motorhaube und Scheinwerfer und prägte sich ein, wie er die neue Glühlampe drehen musste, um sie richtig einzusetzen – idealerweise ohne sich dabei die Fingerspitzen zu verbrennen. Diese Birnchen waren empfindlich und man hantierte besser nicht allzu lange damit herum, bevor man sie einschraubte, sonst waren sie innerhalb weniger Tage schon wieder durchgebrannt. In letzter Zeit fiel es ihm schwer, vorsichtig zu sein; er hatte das Gefühl, alles, was er anfasste, kaputt zu machen.

Heute Morgen war es besonders schlimm. Schon seit einer Stunde stand er über den Mustang gebeugt und friemelte unter der Motorhaube an dieser Halterung herum, doch in Wirklichkeit genoss er einfach die Stille beim Schrauben. Ungeachtet des feuchtkalten Frühlingsmorgens hatte er nackte Arme und seine Jeans war mit schwarzen Flecken übersät. Er wusste, dass er bald hineingehen und sich umziehen musste. So ölverschmiert konnte man schließlich nicht auf einer Beerdigung erscheinen. Aber er schob es auf, so lange er konnte.

»JD? JD, mein Schatz, meinst du nicht, es ist an der Zeit hereinzukommen?« Die sanfte Stimme seiner Mutter schwebte zögerlich hinaus auf die Einfahrt. Er blickte nach unten und merkte, dass er schon wer weiß wie lange reglos den Schraubenzieher umklammerte. Er warf ihn mit Wucht in den Werkzeugkasten, wo er mit einem lauten Scheppern landete. Während er die Hand abwechselnd zur Faust ballte und wieder öffnete, steuerte er auf das Haus zu. Offensichtlich ließ es sich nicht länger hinauszögern.

Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben war er unzufrieden mit der Kleiderauswahl in seinem Schrank: zu viele Farben und Muster, viel zu viel verrücktes Zeug. Nicht ein einziges ordentliches Hemd, nicht eine Krawatte, auf der keine Sonnenbrillen, Schildkröten oder sonst etwas Albernes prangten. Besaß er denn wirklich gar nichts, das er zu Drea Feiffers Trauerfeier anziehen konnte?

Er würde sich etwas aus dem Kleiderschrank seines Vaters borgen müssen. Sein Dad war viel größer als er und JD würde aussehen wie ein kleiner Junge, der sich verkleidet hatte. Dabei fühlte er sich ohnehin schon, als spielte er eine Rolle – ungefähr so, als versuchte er, das Leben eines anderen zu führen. Jede Sekunde rechnete er damit, aufzuwachen und festzustellen, dass die Woche seit dem Frühjahrsfest und dem Feuer, das die Turnhalle der Ascension Highschool verschlungen hatte, ebenso Einbildung war wie Dreas Tod.

Eine Woche. Eine Woche im Schwebezustand, voller Albträume und Schuldgefühle. Eine Woche, seit er Em aus Rauch und Flammen gerettet hatte – und Drea dabei zurücklassen musste. Ein Schauer schlechten Gewissens lief ihm den Rücken hinunter. Er riss die Schranktür auf und versuchte, sich auf die Seidenkrawatten seines Dads – in sämtlichen Varianten von Schwarz, Blau, Braun und Grau – zu konzentrieren.

Nach dem Unglück war die Schule zwei Tage lang geschlossen geblieben, und auch als sie wieder aufgemacht hatte, war Em nicht zum Unterricht zurückgekehrt. »Sie wird sich den Rest der Woche Zeit nehmen und dann mal sehen, wie sie sich fühlt«, hörte JD Ems Mom, Susan Winters, eines Abends zu seinen Eltern sagen. In der Schule grassierten die wildesten Gerüchte: Ems Lunge sei durch die Rauchvergiftung dauerhaft geschädigt. Sie hätte sich in dem Feuer schreckliche Brandverletzungen zugezogen und bliebe für immer entstellt. Die Ärzte hätten Ems schöne lange Haare abschneiden müssen, um die Brandblasen auf ihrem Kopf und an ihrem Hals behandeln zu können.

JD wusste, dass nichts davon stimmte. Ems Verletzungen waren seelischer Art; die rasch aufeinanderfolgenden Tode von Sasha Bowlder und Chase Singer im letzten Jahr hatten sie schwer getroffen. Und jetzt … Drea und Em hatten sich zwar erst vor Kurzem angefreundet, aber die beiden Mädchen hatten sich gleich gut verstanden und JD spürte, dass Drea Em wirklich wichtig gewesen war. Was JD, offen gesagt, überraschte. Noch vorige Weihnachten, als sie zusammen im Kino gewesen waren, hatte Em Witze über Dreas Aufzug gemacht.

Doch seitdem hatte Em sich verändert. Ascension hatte sich verändert.

Und er hatte seit einer Woche nicht mehr mit Em gesprochen. Nur einmal hatte er sie ganz flüchtig gesehen: eine schemenhafte Gestalt, die an ihrem Zimmerfenster vorbeihuschte, das seinem direkt gegenüberlag. Sie hatte ausgesehen wie ein Geist. Ohne ihre langen braunen Haare hätte er womöglich nicht einmal erkannt, dass sie es war. Er war sich allerdings ziemlich sicher, sie heute in der Kirche zu sehen, wo sie ihrer Freundin Drea die letzte Ehre erweisen würde. Drea mit dem Undercut, dem schwarzen Nagellack, dem Nelkenzigarettengeruch und dem beißenden Spott.

Es schnürte ihm die Kehle zu. Gott. Er würde sie vermissen.

Er musste später unbedingt mit Em reden, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Er würde es nicht ertragen, sie auch noch zu verlieren.

JD wählte die marineblaue Krawatte zu dem grauen Anzug, den er im Schrank seines Dads ausgegraben hatte. Klassisch mit Nadelstreifen, aber nicht übertrieben. Während er sich vor dem Spiegel seiner Eltern mit dem Knoten abmühte, betrachtete er sich von oben bis unten. In den Kleidern seines Vaters erkannte er sich kaum wieder. Das da im Spiegel hätte genauso gut ein Fremder sein können: mit nach hinten gegelten Haaren, Brille im Fünfzigerjahre-Stil und schwarz polierten Schuhen. Wie einer dieser Typen aus Mad Men. JD fragte sich unwillkürlich, ob Em sich diese Serie wohl auch ansah und ob er ihr im Anzug gefallen würde, ärgerte sich dann jedoch sofort darüber, wie oberflächlich er war.

Er atmete tief durch, steuerte die Treppe hinunter und lief dabei so langsam wie möglich, als könnte er die Beerdigung damit aufschieben.

»Der arme Walt«, sagte JDs Mom, als sie in den Familienkombi stiegen. »Zuerst seine Frau … und jetzt Drea.«

»Das gibt ihm sicher den Rest«, stellte sein Dad nüchtern fest. »Er hat ja schon die letzten Jahre nur knapp überstanden.« Mr Fount und Mr Feiffer kannten sich von der Arbeit. JDs Dad kaufte den Fisch für sein Restaurant in Walt Feiffers Fischmarkthalle am Hafen in Portland. Im Laufe der Jahre hatte Mr Fount ab und zu Bemerkungen darüber gemacht, dass Dreas Dad frühmorgens nach Schnaps roch oder dass er ihn einmal dabei beobachtet hatte, wie er über einem Eimer Muscheln weinte.

»Es ist schon ein furchtbarer Zufall …« JDs Mom verstummte und fingerte an ihrem Sicherheitsgurt herum.

»Was denn?«, meldete Melissa sich vom Rücksitz aus zu Wort.

»Na ja … Vor ein paar Jahren hat er mal einen Brand verursacht. Und Drea wäre dabei fast verletzt worden. Damals hatte er auch getrunken. Aber jetzt …«

»Lass gut sein, Mom«, sagte JD.

Er beobachtete vom Rücksitz aus, wie die Landschaft mit dem schmelzenden Schnee am Fenster vorbeisauste. Alles verändert sich.

Im Grunde hätte jeder von ihnen in der Turnhalle umkommen können. Heute hätte seine Beerdigung sein können und das Einzige, was er mit seinen knapp siebzehn Jahren vorzuweisen gehabt hätte, wären ein Stapel herausragender Schulzeugnisse, ein paar Verdienste als Beleuchter beim Schultheater und jahrelanger Liebeskummer gewesen. Wegen einer einzigen Person.

Em. Er kannte sie schon sein ganzes Leben lang und doch schien er sie seltsamerweise immer weniger zu verstehen. Er war sich sicher, sie in jener Nacht im Shopping-Monster zusammen mit einem anderen Kerl gesehen zu haben. In der Nacht, als sie sich bei der Feier am Lagerfeuer verabredet hatten, in der Nacht, als er sie über ihn lachen hörte. Und nicht nur mit irgendeinem Kerl, sondern mit Crow, dem angehenden Arschloch des Jahres.

Em hatte sich von einem Idioten (Zach) direkt in die Arme des nächsten (Crow) geworfen, und das genau in dem Moment, als JD geglaubt hatte, er hätte vielleicht eine Chance. Es war zum Verrücktwerden und total demütigend und doch …

Er musste das alles hinter sich lassen. Denn es führte absolut kein Weg daran vorbei: JD liebte Em. Schon immer. Ewig.

Was auch passiert war.

Sie waren Tür an Tür aufgewachsen, ihre Eltern waren schon seit ihrer Collegezeit befreundet. Von Urlauben über Fahrgemeinschaften bis hin zu gemeinsamen Abendessen: Ihre Familien machten alles zusammen. Und als Kinder waren JD und Emily unzertrennlich gewesen. Allerdings anders als Bruder und Schwester.

Das lag vielleicht daran, dass er schon eine Schwester hatte.

Er warf einen Blick auf die dreizehnjährige Melissa, die neben ihm saß und gerade eine SMS schrieb. Sie hatte diesen typischen selig-entrückten Ausdruck im Gesicht, der darauf hindeutete, dass sie wahrscheinlich noch den ganzen restlichen Abend simsen, chatten oder sonst etwas in der Art tun würde. Seine jüngere Schwester hatte ohne Zweifel hundert Prozent der Fount’schen Kontaktfreudigkeit geerbt.

Mel hatte Drea gar nicht gekannt, abgesehen davon, dass sie ihr ein paarmal über den Weg gelaufen war, wenn sie zum Lernen vorbeikam. Aber JD hatte darauf bestanden, dass seine gesamte Familie mit zur Beerdigung kam, und seine Eltern hatten das ebenfalls für das Beste gehalten. Sie schienen zu spüren, wann man sie brauchte und wann nicht. Wenn Drea in der Nähe gewesen war, hatten sie dieses...