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Die Magie der tausend Welten - Die Begabte - Roman

Trudi Canavan

 

Verlag Penhaligon, 2014

ISBN 9783641123291 , 672 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

2 Tyen

Es war ein erhebendes Gefühl, mit einem steten Rückenwind durch die klare, schöne Nacht zu fliegen. Die leuchtenden Rot- und Orangetöne des Sonnenuntergangs hatten dem Geplänkel zwischen Miko und Neel ein Ende gemacht, und seither war jeder an Bord mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Tyen hatte das Gefühl, dass der Luftwagen eine Bugwelle vor sich her schob. Aber im Gegensatz zu einem Boot im Wasser wurde die Welle nicht durch Verdrängung, sondern durch Verbrauch verursacht – durch Verbrauch von Magie. An ihrer Stelle blieb der dunkle Schatten von Ruß zurück, der hinter ihnen her wehte wie eine Rauchfahne. Ruß war schwer zu beschreiben für jemanden, der ihn nicht spüren konnte. Eigentlich war er lediglich die Abwesenheit von Magie, aber wenn er frisch war, hatte er Textur, als sei irgendetwas an der Stelle der Magie verblieben. Er veränderte sich auch – er schrumpfte, während Magie langsam zurückströmte, um die Leere auszufüllen.

Während Tyen mehr Magie in sich hineinzog, um die Propeller anzutreiben und die Luft in der Kapsel zu erwärmen, kostete er die Möglichkeit aus, Magie ganz hemmungslos und ohne jede Zurückhaltung benutzen zu können. Ihre Benutzung war wohltuend, überlegte er, aber es war kein körperliches Vergnügen. Eher wie das Glücksgefühl, das man empfand, wenn etwas, das man machte, genau so gelang, wie man es geplant hatte. Wie die Befriedigung, die er verspürt hatte, als er Käfer geschaffen hatte und die anderen kleinen mechanischen Erfindungen, die er verkaufte, um seine Ausbildung zu finanzieren.

Obwohl es nicht schwierig war, den Luftwagen zu steuern, verlangte es doch Konzentration. Tyen wusste, dass seine magischen Fähigkeiten ihm einen Platz bei der Expedition gesichert hatten. Ohne ihn hätte Professor Hofkrazner den Luftwagen die ganze Strecke allein lenken müssen.

»Es wird langsam kühl«, bemerkte Drem zu niemand Bestimmtem. Hofkrazners Kammerdiener hatte eine Weile zuvor im Gepäck herumgestöbert und ihre Fliegerjacken, ihre Hauben, Schals und Handschuhe herausgeholt. Tyen war froh gewesen, auf diese Weise zu erfahren, dass seine Tasche mit an Bord sein musste und bei ihrer überstürzten Abreise aus Maienland nicht zurückgeblieben war.

Jemand berührte ihn an der Schulter, und als er aufschaute, sah er den Professor, der ihm zunickte.

»Ruht Euch aus, Tyen. Bis Palga werde ich übernehmen.«

Tyen ließ den Sog abflauen, den er auf die Magie ausübte, stand auf, hielt sich an der Reling fest und zwängte sich an Hofkrazner vorbei, damit der Mann sich auf den Fahrersitz setzen konnte. Dann hielt er inne; er erwog zu fragen, warum Hofkrazner ihn an einer Stelle hatte graben lassen, an der die Maienländer sie nicht hatten haben wollen, aber er sagte nichts. Er kannte die Antwort. Hofkrazner scherte sich nicht um die Gefühle oder Traditionen der Maienländer. Die Akademie erwartete von ihm und seinen Studenten, dass sie Schätze heimbrachten, und das war ihm wichtiger. In jeder anderen Hinsicht bewunderte Tyen den Mann und wollte ihm ähnlicher sein, aber auf dieser Reise hatte er erkannt, dass der Professor seine Fehler hatte. Er nahm an, die hatte jeder. Wahrscheinlich hatte er selbst einige. Miko sagte ihm immer, er benehme sich so gut, dass es schon langweilig sei. Das bedeutete nicht, dass er oder Hofkrazner nicht liebenswert gewesen wären. Oder zumindest hoffte er das.

Miko und Neel saßen im mittleren Teil der Gondel, wo sie am breitesten war, an der Reling und ließen die Beine über Bord baumeln, während Drem im Schneidersitz auf der gegenüberliegenden Seite hockte, damit das Gleichgewicht gewahrt blieb. Für einen Mann seines Alters war er überraschend beweglich. Tyen ließ sich auf der gleichen Seite wie der Diener nieder, aber mit etwas Abstand zu ihm. Dann zog er sich die Handschuhe aus, steckte sie sich in die Jackentasche und holte das Buch unter seinem Hemd hervor. Es war immer noch warm. Vielleicht hatte er es sich früher nur eingebildet, und jetzt verströmte es lediglich die Wärme seines Körpers, die es von Tyen selbst gesammelt hatte. In den vergangenen Stunden hatte er sich beinahe selbst davon überzeugt, dass er sich das Gespräch mit dem Buch nur eingebildet hatte. Obwohl er natürlich hoffte, dass dem nicht so war.

Er sollte es jetzt Hofkrazner übergeben, aber der Mann war beschäftigt, und Tyen wollte zuerst herausfinden, was genau er entdeckt hatte.

»Also, Tyen«, sagte Neel. »Miko meint, du hättest in dem Grab einen Sarkophag gefunden. Waren irgendwelche Schätze darin?«

Tyen blickte auf das Buch hinab. »Keine Schätze«, antwortete er unwillkürlich.

»Kein Schmuck? Nichts von dem Tand, den wir in den anderen Höhlen gefunden haben?«

»Nichts in der Art. Der Mann, der dort begraben lag, muss arm gewesen sein, als er starb. Der Deckel des Sarges hatte nicht einmal Verzierungen.«

»Niemand begräbt arme Männer in Steinsärgen. Vermutlich sind Räuber dort hineingelangt. Das muss ärgerlich sein, nachdem man all die Zeit verschwendet hat herauszufinden, wo ein Grab sein könnte.«

»Dann waren es sehr rücksichtsvolle Räuber«, erwiderte Tyen, und jetzt ließ er ein wenig von seinem Ärger in seiner Stimme durchschimmern. »Sie haben den Deckel wieder auf den Sarg gelegt.«

Miko lachte. »Wahrscheinlicher ist, dass sie Sinn für Humor hatten. Oder befürchteten, die Leiche würde hinter ihnen herkommen, wenn sie es nicht taten.«

Tyen schüttelte den Kopf. »An den Wänden waren einige interessante Gemälde. Falls wir je dorthin zurückkehren …«

»Ich weiß nicht, ob in absehbarer Zeit irgendjemand dorthin zurückkehren wird. Die Maienländer haben versucht, uns zu töten.«

Tyen schüttelte erneut den Kopf. »Die Akademie wird es regeln. Außerdem werden die Dorfbewohner vielleicht nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ich nur die Bilder an den Wänden abmale und nichts wegnehme.«

»Nichts wegnehme? Vielleicht wenn du einmal reich bist und deine eigenen Expeditionen bezahlen kannst.« Nach Neels Ton zu urteilen erwartete er nicht, dass Tyen jemals Reichtum erlangen würde.

Er hat gut reden. Dumm wie Bohnenstroh, aber eine Familie so wohlhabend und wichtig, dass er bestehen wird, ganz gleich, wie seine Zensuren ausfallen oder wie wenig Arbeit er auf sein Studium verwendet. Trotzdem, Neel war ehrlich an Geschichte interessiert und lernte angestrengt. Er idealisierte die berühmten Entdecker und war entschlossen, eines Tages, falls sich die Gelegenheit bot, ein Gespräch mit einem von ihnen zu führen.

Seufzend schlug Tyen das Buch auf. Es war zu dunkel, um die Seite sehen zu können, daher schuf er eine winzige Flamme und ließ sie über seinen Händen schweben. Eine Flamme zu machen bedeutete, dass er ein winziges bisschen Luft so schnell bewegen musste, dass es heiß wurde und zu glühen anfing. Es kostete Konzentration, die Magie auf einen so kleinen Effekt zu beschränken, aber wie bei einem monotonen Tanzschritt konnte er sich, sobald das Licht brannte, auf etwas anderes konzentrieren. Als er die Seiten durchblätterte, sah er zu seiner Enttäuschung, dass der Text, der zuvor erschienen war, sich aufgelöst hatte. Er schüttelte den Kopf und wollte das Buch gerade wieder schließen, als eine Zeile erschien, sich in die Länge zog und über eine Seite schlängelte. Er öffnete das Buch, um den neuen Text zu lesen.

Du hast gelogen und nicht erzählt, dass du mich gefunden hast.

Er blinzelte, aber die Worte blieben.

Du bist nicht das, was sie als »Schatz« ansehen würden. Moment mal … woher hast du das gewusst? Ich hatte dich noch gar nicht geöffnet.

Ich brauche nur jemanden, der mich berührt. Wenn er das tut, kann ich eine Verbindung zu seinem Geist finden.

Du kannst meine Gedanken lesen?

Ja. Wie sonst könnte ich Worte in deiner Sprache formen?

Kannst du dort irgendetwas ändern?

Nein.

Ich hoffe, du lügst nicht darüber, dass du außerstande bist zu lügen.

Das tue ich nicht. Ich bin außerdem ebenso offen für dich, wie du es für mich bist. Was immer du an Informationen von mir erbittest, muss ich dir geben. Aber du musst natürlich zuerst wissen, dass eine Information existiert und dass ich sie besitze.

Tyen runzelte die Stirn. Ich nehme an, dass es einen Preis hat, dich benutzen zu dürfen, wie es bei allen magischen Gegenständen der Fall ist.

Der Preis ist das Wissen, das ich schnell und ehrlich sammle.

Dann habe ich die bessere Seite des Handels erwischt. Du kannst viel mehr Wissen ansammeln als ich, obwohl es natürlich davon abhängen wird, was die Menschen, die dich gehalten haben, wussten. Also, was kannst du mir erzählen?

Du studierst Geschichte und Magie. Offensichtlich kann ich dir nichts über die letzten sechshundert Jahre erzählen, weil ich die in dem Grab verbracht habe, aber ich habe davor schon viele Jahrhunderte existiert. Mich haben große Zauberer und Historiker in der Hand gehalten, außerdem Philosophen, Astronomen, Wissenschaftler, Heiler und Strategen.

Tyens Herzschlag beschleunigte sich. Wie viel einfacher würde es sein, zu lernen und seine Lehrer zu beeindrucken, wenn er ein Buch wie dieses zu seiner Verfügung hatte? Kein Suchen mehr in der Bibliothek, kein Lernen mehr bis spät in die Nacht.

Nun, jedenfalls nicht viel. Ihr Wissen war mindestens sechshundert...