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Ein Weihnachtskuss für Clementine - Roman

Karen Swan

 

Verlag Goldmann, 2014

ISBN 9783641145484 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1. Kapitel

Das Handy in der roten Lederhülle summte und ließ Clem aufschrecken, die gedankenverloren aus dem Fenster schaute und dem Regen zusah. Seufzend las sie die Textnachricht.

Wo steckst du? Wenn du in fünf Minuten nicht da bist, komm ich dich holen!

Einen Absender gab es nicht, aber das war auch nicht nötig, denn Stella und sie schrieben einander pausenlos. Ihr Blick fiel auf den Beutel aus Seide, den sie im Schoß hielt, dann wieder hinaus in die dunkle, regnerische Nacht. Es war schon halb zehn, und sie hatte hoch und heilig versprochen, um acht Uhr da zu sein. Sie liebte Partys, aber Silvester hasste sie. Was sie betraf, war es die zweitschlimmste Nacht des Jahres.

Weiß nicht, was ich anziehen soll, textete sie.

Die Antwort kam umgehend. Unsinn! Den Paillettenrock und den Mohairpulli, das hatten wir doch ausgemacht! Jetzt aber dalli!

Clem musterte ihren bronzefarbenen Minirock, in dem ihre noch braun gebrannten Beine extralang wirkten, und den wollweißen Mohairpulli, der ihr lasziv von einer gebräunten Schulter hing. Stella wusste immer, wenn sie schwindelte.

Ja, aber was für Schuhe …, simste sie lahm, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Sie trug die zum Rock passenden bronzefarbenen High Heels, in denen sie mit ihren knapp eins achtzig jetzt jeden durchschnittlichen Mann überragte. Abermals fiel ihr Blick aus dem Fenster und auf die Pfützen, die sich draußen auf dem Pflaster bildeten. Es goss wie aus Kübeln. Stella wohnte zwar nur ein paar Straßen weiter, aber bei dem Wetter wäre sie trotzdem durchnässt, wenn sie zu Fuß hinginge. Und an Silvester ein Taxi zu kriegen – vor allem in Notting Hill –, war so gut wie unmöglich.

Wieder summte das Handy. Die Schlangenlederpumps. Übrigens, Josh ist gerade aufgetaucht, und eine vollbusige Blondine in einem knappen roten Kleid hat sich an ihn rangemacht.

»Was?«, kreischte Clem, dass es nur so durch die leere Wohnung hallte. Mit einer Geschwindigkeit, die einen unsichtbaren Beobachter verblüfft hätte, sprintete sie in ihr Schlafzimmer und watete suchend über den mit Klamotten bedeckten Fußboden, der ihr als Schmutzwäschekorb diente. Wo war ihre Handtasche? Und welche Jacke sollte sie nehmen? Die mit dem Hasenfell? (Oder »Lapin«, wie Stella es bezeichnete, was in Clems Ohren wie ein exotischer Tee klang.) Grübelnd hielt sie sie hoch. Sie hatte sie letzte Woche spontan auf dem Flohmarkt in der Portobello Road erstanden, aber kurz darauf im Regen angehabt, und das Fell sah nun aus, als ob das arme Karnickel an Myxomatose eingegangen wäre. Hm.

Und es wollte nicht aufhören zu regnen. Sie rannte ins Wohnzimmer zurück und nahm die ungefütterte Lederjacke vom Haken an der Haustür. Sie hatte ein Schweinegeld gekostet, und sie konnte sich nicht genau erinnern, ob sie sie schon wasserfest gemacht hatte. Aber darüber konnte sie sich später Gedanken machen, jetzt war keine Zeit dazu. Josh war auf der Party. Er war dort und sie nicht. Und ein Vamp mit einem Riesenbusen hatte sich an ihn rangemacht – Clem wollte verdammt sein, wenn sie sich die zwei Monate und neunzehn Tage Mühe, die sie in Joshs Eroberung gesteckt hatte, durch so eine kaputt machen ließ. Es war ihr gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass sie mehr war als ein oberflächliches Partygirl.

Sie steckte Schlüssel und Handy ein und knallte die Tür hinter sich zu. Doch sofort kehrte sie wieder um und schloss erneut auf. Verblüffend schnell – wenn man bedachte, dass sie Zehn-Zentimeter-Absätze trug – rannte sie zum Kühlschrank. Der Billecart-Salmon-Champagner hatte jetzt genau die richtige Temperatur. Zumindest in diesem Fall kam ihr unterwegs die arktische Außentemperatur entgegen. Schade bloß, dass bei dem Regen ihre Wimperntusche verschmieren, die Lederjacke Flecken bekommen und ihr die Haare feucht am Kopf kleben würden.

O Mann, ja, ihre Haare. Was sie brauchte, war ein Hut! Sie rannte in Toms Zimmer und schnappte sich den Akubra, der immer oben auf seinem Kleiderschrank lag. Sie warf einen abschließenden Blick in den Spiegel, und dabei bemerkte sie das Fahrrad in der Ecke seines Zimmers. Ihre Gedanken rasten. Nein, das war eine blöde Idee, selbst für eine wie sie. Tom würde sie umbringen. Sie an den Ohrringen aufhängen und …

… wirft ihr Haar über die Schulter und streckt ihren Busen raus.

Clem kreischte erneut auf, und Shambles, ihr Hauspapagei, fiel prompt von der Stange. Sie machte einen Hechtsprung auf das Rad zu. Zur Hölle mit Tom. Dies war ein Notfall.

Die Straßen lagen verlassen da, die Geschäfte hatten längst geschlossen, und die Leute feierten entweder zu Hause oder im Pub, wo’s warm und trocken war. Der Asphalt glänzte im Schein der Straßenlampen, als ob er sich eine nasse Haut übergestreift hätte. Clem lachte entzückt auf, während sie, die Beine hochgezogen, durch eine Pfütze radelte, dass es nur so spritzte.

Das Fahrrad war – trotz Stange – perfekt für sie. Ihre schon legendären langen Beine fanden mühelos die Pedale, und selbst einhändig ließ es sich leicht lenken. So eins wollte sie auch haben. Damit konnte man sich ganz leicht durch den Flohmarkt schlängeln, und auch im Hyde Park wäre sie in wenigen Minuten. Vielleicht sollte sie es anstatt mit Joggen ja mal mit Fahrradfahren versuchen?

Sie bog rechts in die Ladbroke Grove ein und nahm die Dritte links zu den Oxford Gardens. Dort hüpfte sie auf den Gehsteig und hätte dabei beinahe einen Fußgänger über den Haufen gefahren, der nichtsahnend durch den Regen hetzte. Er fluchte ihr auf Französisch hinterher. Aber Clem hatte weder Zeit noch Lust, sich zu entschuldigen. »Was haben Sie auch hier draußen zu suchen!«, rief sie ihm empört über die Schulter zu. »Haben Sie keine Freunde? Ihretwegen hätte ich fast meine Flasche fallen lassen!«

Eine Minute später hatte sie Stellas Wohnung erreicht und schwang anmutig das Bein vom Sattel, als würde sie von einem Pferd steigen. Dann kramte sie rasch ihren Schminkspiegel hervor und überprüfte ihr ruiniertes Make-up. Hm. Gar nicht so schlimm. Die Wimperntusche war zwar ein wenig verwischt, doch das war ihr ohnehin lieber. Sie mochte den Flittchenlook. Ihre Wangen waren vom Wind gerötet, und auch das Aquamarin in ihren blaugrünen Augen stach hervor, was sonst nur der Fall war, wenn sie weinte. Aber weinen wollte sie heute Abend bestimmt nicht, o nein.

Die Tür war unverschlossen, aber sie musste sich dennoch dagegenstemmen, weil der Gang voll von trinkenden, lachenden und schwatzenden Partygästen war. Es gab nicht genug Platz, um das Fahrrad dort an die Wand zu lehnen, ihr Blick fiel allerdings auf die gebogenen Haken der Wandleuchter, an denen sich ein Rennrad perfekt aufhängen ließe …

»He, hallo!«, rief sie einem Typen in einem grauen T-Shirt über die laut hämmernde Musik hinweg zu. »Könnten Sie …?«, flehte sie mit ihrer sinnlich-heiseren Stimme und deutete auf die Wandlüster. Seine Miene und der Blick, mit dem er ihre nackte Schulter musterte, die aus dem wollweißen Mohairpulli hervorragte, verrieten, dass er sogar einen Traktor für sie aufgehängt hätte, wenn sie es von ihm verlangt hätte.

Mit einem dankbar-neckischen Lächeln wandte sie sich von ihm ab und drängte sich durch die Gäste zum lang gestreckten, schmalen Wohnzimmer, wo die beste Stimmung herrschte. Auch hier war es derart voll, dass man sich kaum rühren konnte. Doch als sie auftauchte, teilte sich die Menschenmenge wie von selbst. Interessierte Blicke richteten sich auf sie, denn sie sah in ihrem tropfenden Hut und mit der leicht zerzausten Erscheinung immer noch besser aus als jede andere Frau im Zimmer. Sie entdeckte Stella beim Kamin, wo sie beschwipst Wodka in kleine Gläser füllte.

»Wo ist er?«, fragte Clem anstelle einer Begrüßung. Sie nahm sich ein Glas und kippte es in einem Zug herunter.

Stella tat ungerührt dasselbe. Beide nahmen sofort ein zweites zur Hand. »In der Küche. Du hast dir ja vielleicht Zeit gelassen.« Stella verbarg ihre Besorgnis hinter einer misstrauischen Schnute. Ihre grünen Augen musterten die Freundin durchdringend.

Clem kümmerte sich nicht darum. »Und wer ist diese Tussi?«

»Keine Ahnung. Sie tanzt, als ob sie was eingeworfen hätte, und flirtet ohne Rücksicht auf Verluste.« Sie stießen klirrend an und tranken ihre Gläser in einem Zug aus.

»Hm. Wie sehe ich aus?«

Stella musterte sie mit einem raschen Blick von Kopf bis Fuß. Immerhin war sie ihre Modeberaterin und zeichnete für den heutigen Look verantwortlich. Beide waren sich einig, dass Stella das Auge, Clem jedoch die Beine hatte.

»Einfach umwerfend. Ich hasse dich. Der Hut ist gut, den lass mal auf. Du kriegst einen Bonuspunkt fürs Styling«, antwortete sie und zupfte Clems nussbraune Locken zurecht, die sich an ihre Schultern schmiegten. Clem sah sich um. Die meisten Gesichter kannte sie. Fünf Meter entfernt entdeckte sie ihren Bruder Tom mit seiner Freundin Clover. Er lehnte am Sofarücken, ein Bier in der Hand und sein übliches freundliches Grinsen auf dem gut aussehenden Gesicht, und unterhielt sich angeregt mit seinen Rugby-Kumpeln. Clover streichelte gewinnend seinen Nacken. Clem duckte sich unwillkürlich. Gewöhnlich war es Clover, der sie aus dem Weg ging, aber diesmal war sie nicht scharf darauf, ihrem Bruder allzu schnell über den Weg zu laufen.

Stella reichte ihr ein Glas Grey Goose. »Du hast was aufzuholen«, sagte sie streng. Clem trank und wischte sich dann mit dem Handrücken den Mund ab. Dabei beobachtete sie, wie sich...