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Natürlich mit links - Zurück zur Linkshändigkeit - Befreiter leben mit der starken Hand

Marina Neumann

 

Verlag Ariston, 2014

ISBN 9783641141820 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

13,99 EUR


 

Kapitel 2

Zu Tode betrübt: Das umerzogene linkshändige Kind

Bei jedem Linkshänder wirkt sich die Umschulung auf rechts anders aus, aber es gibt kaum einen Betroffenen, der nicht schon als Kind mit den vielfältigen Folgen der unterdrückten Linkshändigkeit zu kämpfen hatte.

Die gewaltsame Umerziehung auf die rechte Schreibhand ist ein massiver Eingriff in Persönlichkeit, Freiheit und Natur eines Kindes. Sein Wille wird dadurch frühzeitig angeknackst. Aus solchen Kindern werden häufig unendlich traurige oder aggressive Erwachsene mit wenig Selbstbewusstsein.

Die Umerziehung führt fast immer dazu, dass sich das Leben zum Negativen verändert und im Laufe der Jahre immer anstrengender, schwieriger und freudloser wird. Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht und finde sie jedes Mal bestätigt, wenn ich Schulkinder teste, die Lern- und Leistungsprobleme haben und deren Händigkeit unklar ist.

Viele dieser Kinder wirken auf mich wie gestresste kleine Erwachsene. Sie sind ungewöhnlich ernst und haben ihre kindliche Unbeschwertheit weitgehend verloren. Eltern, die beim Test dabei sind, berichten mir oftmals, dass mit dem Schuleintritt für ihren Sohn oder ihre Tochter alles anders geworden sei. Ihr bis dahin interessiertes und fröhliches Kind habe sich nach wenigen Monaten zu einem ängstlichen, introvertierten oder auch aggressiven Schulkind entwickelt. Seine Lernprobleme seien völlig unerklärlich, das Kind sei nicht wiederzuerkennen.

Bei mir selbst hat die Umerziehung auf rechts dazu geführt, dass ich in den ersten beiden Schuljahren meine Unbeschwertheit und Kreativität verloren habe. Auch mit links zu zeichnen oder zu malen machte mir keine Freude mehr. Im Alter von sieben Jahren bekam ich ungewöhnlich schweren Keuchhusten, war viele Wochen lang krank und danach sehr geschwächt. Mit acht Jahren fühlte ich mich so unwohl und erschöpft, dass ich bereits in diesem kindlichen Alter zum ersten Mal daran dachte, mich umzubringen. Es gab nichts, das mich erfreut hätte, mein Leben bestand nur noch aus Arbeit und Qual. Im Innern war ich einfach nur traurig und resigniert, und diese Befindlichkeit wurde während meiner Gymnasialzeit noch stärker.

Feinmotorische Probleme

Die konkreten Schwierigkeiten beginnen für viele umerzogene Linkshänder, wenn sie mit der für sie falschen Hand schreiben lernen müssen. Die meisten von ihnen drücken mit rechts unwillkürlich sehr stark auf und halten den Stift verkrampft. Vielen dieser Kinder sieht man die Kraftanstrengung regelrecht an.

Sie erfassen intellektuell, was sie aufs Papier bringen sollen. Aber schon bei einzelnen Buchstaben kann die Umsetzung schwierig werden: Die einen haben Mühe, überhaupt die Linie im Heft zu treffen, anderen gelingt es nicht, einen Buchstaben ordentlich und schön hinzuschreiben, auch wenn sie noch so viel üben. Jedes intelligente und lernwillige Kind hat eine klare Vorstellung von dem, was es schreiben oder malen will. Die Frustration darüber, dass die rechte Hand die Idee nicht umsetzen kann, wird immer größer, je öfter sich diese Erfahrungen wiederholen.

Ein typisches Beispiel ist ein 6-jähriger Junge, den ich kurz vor der Einschulung auf seine Händigkeit getestet habe. Er hatte viele Ideen im Kopf und wollte mir mit rechts ein kompliziertes Labyrinth aufmalen – dabei war er eindeutig ein unterdrückter Linkshänder. Er fing fröhlich an, aber nach wenigen Minuten wurde sein Dilemma sichtbar: Seine rechte Hand konnte die Linien einfach nicht so hinbekommen, wie er sich das vorgestellt hatte. Die Enttäuschung über sein Unvermögen wuchs und entlud sich schließlich fast in einem Tobsuchtsanfall. Seine Mutter und ich mussten ihn festhalten, sonst hätte er Teile meiner Praxiseinrichtung zerstört. Dann weinte er nur noch bitterlich.

Ich konnte seine Wut und Enttäuschung gut nachempfinden. An ähnliche Situationen und Befindlichkeiten erinnern sich viele erwachsene umerzogene Linkshänder aus ihrer eigenen Kindheit. Die feinmotorischen Probleme und die extremen Gefühlsausbrüche können sich meist weder Lehrer noch Eltern erklären. Und natürlich kann sich auch das Kind selbst dazu nicht äußern und einen Zusammenhang zu seiner Umerziehung herstellen.

Das Schreiben mit rechts bleibt immer eine feinmotorische Überforderung. Die meisten erwachsenen umgeschulten Linkshänder schreiben höchst ungern mit der Hand und sind froh, wenn sie auf den Computer ausweichen können.

Hausaufgaben mit rechts

Auch nach dem Unterricht bleiben die betroffenen Kinder von den feinmotorischen Schwierigkeiten und Umsetzungsproblemen nicht verschont. Nun müssen ja die Hausaufgaben gemacht werden, und auch diese können zu fast unlösbaren Aufgaben werden. Immer wieder berichten mir Eltern, wie verzweifelt sie über diese »unerklärlichen« Schwierigkeiten ihrer Kinder sind. Teilweise kämpfen sie seit Jahren gegen den täglichen Hausaufgabenstreik an und können ihre Kinder nur mit größter Mühe dazu bewegen, überhaupt das Heft aufzuschlagen.

Ich erinnere mich, dass auch ich ab der ersten Klasse nachmittags immer lange an meinem Tisch saß, bevor ich überhaupt ein Wort zu Papier brachte. Die Vorstellung, jetzt gleich schreiben zu müssen, war für mich emotional so unerträglich, dass ich den Beginn der Hausaufgaben so weit wie möglich hinausschob. Das Schreiben mit rechts war für mich einfach nur anstrengend und machte mich müde und lustlos. Nach der Schule schmerzten mir häufig die rechte Hand und der rechte Arm.

In der gymnasialen Oberstufe verlegte ich meine Hausaufgaben oft auf die späten Abend- oder sogar Nachtstunden. Ich brauchte einfach den Abstand und die Erholungspause nach einem langen, anstrengenden Schulvormittag.

Extreme Lernbehinderungen

Manche betroffenen Erwachsenen, die ich kennengelernt habe, hatten nach eigenen Angaben bereits in der ersten Schulklasse so große Schwierigkeiten, dass sie von den Lehrern als lernbehindert eingestuft und nach wenigen Monaten auf die Sonderschule abgeschoben wurden.

Ein besonders tragischer Fall war ein 59-jähriger umgeschulter Linkshänder, der mich vor einigen Jahren in meiner Praxis aufsuchte. Der Mann war hochintelligent, vielseitig interessiert und ein begeisterter Leser. Er war schon im Kindergarten wegen seiner Ungeschicklichkeit aufgefallen und hatte in der ersten Klasse so große Mühe mit dem Schreibenlernen, dass er schnell in eine Sonderschule abgeschoben wurde. Noch im Erwachsenenalter versuchte er mehrfach, den Hauptschulabschluss zu machen, leider vergeblich. Als umerzogener Linkshänder scheiterte er immer wieder und hat bis heute nur einen Sonderschulabschluss.

Sehr berührt hat mich auch das Schicksal einer 60-jährigen Frau, mit der ich einen Händigkeitstest durchführte und die sich eindeutig als unterdrückte Linkshänderin entpuppte. Sie war ebenfalls in der ersten Klasse der Grundschule an den Leistungsanforderungen und am Schreiben mit rechts gescheitert und daraufhin in ein sonderpädagogisches Internat abgeschoben worden. Ihre Freizeit dort hatte sie nach eigenen Angaben hauptsächlich in der Schulbibliothek verbracht und dort zahlreiche Kinderbücher gelesen. Offenbar fiel keinem der Lehrer und Erzieher im Internat ihr starkes Interesse für Bücher auf. Niemand von ihnen schien sich darüber zu wundern, dass ein als lernbehindert eingestuftes Kind so eifrig las. Auch diese Frau hat bis heute keinen Hauptschulabschluss und fühlt sich deswegen minderwertig.

Einen jungen Mann, den ich vor einigen Jahren auf seine Händigkeit getestet habe, hat die Umerziehung auf rechts in seiner Lernfähigkeit so stark blockiert, dass er die Schule als funktionaler Analphabet verließ. Als ich ihn kennenlernte, schlug er sich mit Hilfsjobs durch. Er hatte niemals Hartz IV beantragen können, da er nicht lesen und somit die erforderlichen Anträge nicht ausfüllen konnte.

Auch er war eindeutig ein umerzogener Linkshänder. Nicht lange danach begann er mit der Umstellung auf links. Als er einzelne Buchstaben mit links schreiben konnte, besuchte er einen Alphabetisierungskurs, machte seinen Hauptschulabschluss nach und absolvierte dann erfolgreich eine kaufmännische Ausbildung. Nach einigen Jahren war er nicht mehr wiederzuerkennen, so positiv hatte er sich entwickelt!

Ich bin mir ziemlich sicher, dass unter erwachsenen Analphabeten umerzogene Linkshänder zu finden sind.

Beeinträchtigte Lern- und Leistungsfähigkeit

Nicht alle umerzogenen Linkshänder haben massive feinmotorische Probleme. Dafür leiden sie jedoch meist noch im Erwachsenenalter unter anderen Beeinträchtigungen ihrer Lernfähigkeit, vor allem unter Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Andere haben Lese- und Rechtschreibprobleme oder eine Rechenschwäche; auch diese Beeinträchtigungen bleiben meist bis ins Erwachsenenalter bestehen.

Immer mehr Kinder und auch Erwachsene geraten heutzutage in den Verdacht, ADS oder ADHS zu haben. Manche nehmen dann Medikamente. Bisher hat es die Forschung versäumt, unterdrückte Linkshändigkeit als mögliche Ursache für dieses Störungsbild in Betracht zu ziehen.

Ich habe etliche Kinder und Erwachsene, bei denen dieser Verdacht nahelag oder denen bereits ADS oder ADHS bescheinigt worden war, auf ihre Händigkeit getestet. Die meisten von ihnen waren umerzogene Linkshänder. So auch ein 8-jähriger Junge, der überdurchschnittlich musikalisch war und im Kinderchor seiner Grundschule sang. Bei den Proben mussten die Kinder meistens stehen; jedes hatte sein eigenes Notenblatt. Dieser Junge war kaum in der Lage, ruhig zu stehen und sich auf seine Noten zu konzentrieren. Er hampelte nur herum und konnte das Blatt nicht ruhig...