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Inspector Swanson und der Fluch des Hope-Diamanten - Ein viktorianischer Krimi

Robert C. Marley

 

Verlag Dryas Verlag, 2014

ISBN 9783941408654 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

ERSTER TEIL


Morgenstund‘ hat Gold im Mund

Der Himmel über London war klar. Die nebelige Dunstglocke des Vortages hatte sich aufgelöst, und es versprach ein warmer und sonniger Morgen Mitte September zu werden. Es war das Jahr 1893. Jenes Jahr, in welchem die Welt ihr Augenmerk skeptisch auf Neuseeland gerichtet hatte. Man sprach vom Verfall der Moral, man sah sich einer unglaublichen Bedrohung ausgesetzt, man zitterte und schauderte bei dem Gedanken daran, eine Welle weiblicher Gewalt könne amazonenhaft und feministisch auf die heilen Kontinente männlicher Herrschaft schwappen und sie überspülen. Kurzum, die Erde war in ihren Grundfesten erschüttert worden, weil ein abtrünniges Land kapituliert und den Frauen das Wahlrecht zugesprochen hatte. Was dabei herauskam, wenn man dem schwachen Geschlecht zu viele Freiheiten gestattete, war der Kirche seit Adam und Eva hinlänglich bekannt, und als Murray’s Magazine in der Montagsausgabe einen Artikel über den steigenden Obstkonsum der britischen Damenwelt (mit dem Titel „Die Vertreibung aus dem Paradies“) veröffentlichte, sahen gelehrte Geistliche und bibelfeste Aristokraten bereits den Tag des Jüngsten Gerichts am Horizont heraufdämmern.

Mr Archibald Horne, dem es niemals in den Sinn gekommen wäre, sich als besonders gottesfürchtig zu bezeichnen, faltete, immer noch schläfrig, Murray’s Magazine zusammen und sah mit leisem Schrecken zur Obstschale auf dem Frühstückstisch hinüber. Er war viel zu spät aufgewacht, und in seinem Schädel schien ein Sturm zu tosen.

Catherine, seine Frau, die seit gut zwei Jahren ein mehr oder weniger strenges Regiment im Hause Horne führte, wog den Apfel wie ein Wurfgeschoss in der Hand, ehe sie hineinbiss. Zaghaft kauend sah sie Archibald an und lächelte. „Habe ich irgendeinen Ausschlag im Gesicht?“ Ihr Lächeln wurde breiter.

„Bitte was?“ Ihm wurde plötzlich klar, dass er sie mit großen Augen angestarrt hatte, und er blinzelte hektisch. „Nein, nein. Ich dachte nur gerade an diesen bemerkenswerten Artikel. Frauen seien gefährlich, schreiben sie da. Was meinst du?“ Trotz seiner pochenden Kopfschmerzen grinste er verschmitzt.

„Natürlich sind wir gefährlich. Sehr sogar. Und grins nur nicht so.“ Catherine lächelte und zog die Augenbrauen hoch. „Wir werden ziemlich unterschätzt, weil man uns für schwach und schutzbedürftig hält.“

Archibald dachte darüber nach und stimmte ihr zu. „Also dich, Liebes, halte ich sogar für außerordentlich gefährlich. Vielleicht fühle ich mich auch deshalb so hundeelend, weil du mir gestern irgend so ein Gift ins Abendessen gemischt hast.“

Begeistert entgegnete sie: „Oh ja! Ich nahm Laudanum und mischte es unter die Erbsen.“

„Hoffentlich vergisst du nicht, das Rezept deiner Stiefmutter zu geben, ich glaube, sie kennt es noch nicht.“ Er warf ihr einen Kuss zu. Vor drei Tagen erst war sie aus den Ferien bei ihr zurückgekommen.

„Ach, mach sie nicht immer so schlecht, Archie. Ich habe sie wirklich sehr gern.“ Sie schüttelte den Kopf. „Hauptsache, du vergisst nicht, Mr Wigfield um eine Gehaltserhöhung zu bitten. Du weißt, wie sehr wir das Geld brauchen.“ Jetzt blinzelte sie ihn mädchenhaft an. „Es ist übrigens bereits zwanzig vor acht, mein Lieber.“

„Was? Großer Gott!“ Archibald warf einen verzweifelten Blick auf seine Taschenuhr, schleuderte die Zeitung auf den Tisch und sprang wie von Nadeln gestochen auf. „Catherine, oh Gott, warum sagst du denn nichts? Ich komme zu spät!“ Eine halbe Sekunde später war er in seinen leichten Mantel geschlüpft und band sich, auf einem Fuß stehend, die Schnürsenkel zu.

„Ich liebe dich, Archie.“ Catherine umschlang ihn mit den Armen und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Liebst du mich auch?“

„Verdammt!“ Bei dem Versuch, eine doppelte Schleife zu binden, fiel er beinahe um. „Aber natürlich doch. Ich liebe dich. Aber jetzt muss ich wirklich los. Habe ich Sandwiches?“

Sie reichte ihm seine Tasche und klopfte mit der flachen Hand darauf. „Alles da drin. Bis heute Abend.“ Als sie ihm die Haustür öffnete, weil er im Flur nach seinem Hut suchte, sagte sie: „Pass auf dich auf, und renn um Gottes willen nicht unter den Bus.“

Archibald verdrehte die Augen und nickte. „Ich werd’s beherzigen, Schatz. Bis heute Abend.“ Er hastete auf den Gehsteig hinaus und spurtete davon. Der Mantel wehte in der Morgenluft.

„Die Schlüssel, Archie!“, rief sie ihm hinterher, wobei sie den klimpernden Bund hoch über ihren Kopf hielt und damit herumfuchtelte. „Du hast die Schlüssel vergessen!“

Er blieb stehen, wandte sich um und sah sie winken. „Ja, ich liebe dich auch!“, rief er zurück. Dann rannte er am Rinnstein entlang und bog nach rechts in die Ave Maria Lane ein.

 

Als Archibald Horne bei Somerset House aus dem Bus auf die Straße sprang und sich das Knie schmerzhaft an der Strebe eines Geländers prellte, drang von irgendwoher der schwere Klang einer Kirchenglocke an seine Ohren. Viertel nach acht. Zu Fuß wäre er wahrscheinlich schneller gewesen. Zu seinem Unglück stellte er außerdem fest, dass er sich auf der falschen Straßenseite befand.

Was für ein Tag! Er spähte über die Straße und suchte nach einer Lücke im Verkehr. Er wich einem heranpolternden Viehwagen aus, bahnte sich einen Weg durch wartende Droschken und erreichte vollkommen außer Atem die Nordseite des Strand, wo er zu allem Überfluss einen Haufen Hundefäkalien übersah und ausglitt. Fluchend taumelte Archibald vorwärts, direkt in die Arme einer ihm entgegenkommenden Passantin. Wenn das so weiterging, würde er vermutlich doch noch unter einem verdammten Pferdehuf enden.

„Passen Sie doch auf, wo Sie hinlaufen, Sie Sittenstrolch“, zischte die junge Lady. Sie machte sich aus seiner Umklammerung los und eilte kopfschüttelnd und murmelnd davon. Ihr roter Hut schimmerte in der Morgensonne leicht violett. Ihre Schuhe klapperten auf dem Pflaster.

Ein herrlicher Morgen, um im Boden zu versinken, fand Archibald. Halbherzig strich er den Kot von seinem Schuh an einem Fahrradständer ab und setzte seinen strapaziösen Marsch zur Arbeit im Eiltempo fort.

Es war fast halb neun, als er das kleine Ladenlokal der Messrs Greenland, Grand & Wigfield erreichte. Sein Haar war zerzaust, ein Zipfel seines Hemdes lugte zerknittert über den Hosenbund, und die ungewohnte Geschwindigkeit hatte ihn ins Schwitzen gebracht. Ehe Archibald zum Messingknauf der Ladentür griff, blieb er noch kurz vor den Auslagen des Schaufensters stehen und überprüfte sein Spiegelbild in den Scheiben.

Er stopfte das Hemd in die Hose und schüttelte den Kopf. Alles in allem sah er wie jemand aus, der einen langen Tag harter Arbeit hinter sich gebracht hatte.

Die Glocke schlug zur halben Stunde.

Der Verkaufsraum lag im Dunkeln. Keine der zahlreichen Lampen brannte. Das war merkwürdig, zumal das Geschäft seit acht Uhr geöffnet war und Mr Wigfields Pedanterie einem ausgewachsenen Fetisch gleichkam. Archibald erinnerte sich an einen Tag im letzten Frühjahr, kurz nachdem man ihn eingestellt hatte. Wigfield hatte ihm aufgetragen, den Laden zu schließen, während er selbst mit Hingabe die Zahnräder der Goldwalze eingeölt und die Feilung aus den Fellen unter den Werkbrettern zusammengefegt hatte. Er hatte gerade die Lichter gelöscht und war im Begriff gewesen, die Tür zu verriegeln, als der Werkstattleiter ihm seinen spitzen Finger in den Rücken gebohrt und Archibald mit anklagenden Blicken bedacht hatte. „Niemals, hören Sie“, hatte er gemahnt, „niemals die Lampen aus, solange das Geschäft nicht geschlossen ist, Mr Horne. Niemals! Wir wollen unserer Kundschaft doch Gelegenheit geben, die erlesenen Juwelenarbeiten in der Auslage bei Licht betrachten zu können, nicht wahr, Mr Horne? Erst wenn die Gitter vorgelegt sind, haben wir offiziell geschlossen. Aber das nur am Rande; für die Zukunft wissen Sie ja dann Bescheid.“ Und Archibald hatte genickt und geschluckt.

Jetzt waren die Lampen aus.

„Na, endlich rührt sich was.“ Die schrille, zittrige Stimme einer Frau, gefolgt vom heiseren Bellen eines Hundes, riss ihn aus seinen Überlegungen. „Was ist denn hier los? Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich warten lässt.“ Es war Miss Lydia Rose, eine exzentrische alte Jungfer, die sich augenblicklich aus dem Ledersofa links von ihm schälte und ihren Pudel auf den Boden setzte.

„Guten Morgen, Miss Rose. Wie schön, dass Sie uns mal wieder beehren.“ Lieber Gott, die hatte ihm gerade noch gefehlt. Er lächelte sie verbindlich an. „Sie werden bereits bedient?“

„Nichts werde ich!“ Der Griff ihres Stockes schoss hoch. „Man lässt mich warten, junger Mann. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich warten lässt.“ Die alte Lady war ganz nahe an ihn herangerückt. Ein Paar harter, von Falten und Tränensäcken eingerahmter Augen blinzelte Archibald argwöhnisch von unten her an. Dann rümpfte Miss Rose die Nase und wandte ihr spitzes Gesicht mit dem fliehenden Kinn und der immerfort arbeitenden Kiefermuskulatur ihrem grässlichen Pudel zu. Der hatte sich in Archibalds linken Hosenaufschlag verbissen und war hartnäckig damit beschäftigt, ihn zu zerstören. „Verbrannter Speck.“

„Wie meinen?“ Mr Horne hatte sich, das quiekende und knurrende Etwas immer noch wie einen Klotz am Bein, bis zu den Lichtschaltern hinter dem Ladentisch vorgearbeitet.

Surrend sprangen die Lampen an.

„Dieser Gestank, junger Mann“, sagte Miss Rose. „Mr Wigfield hat sein Frühstück anbrennen lassen.“

„Oh, ich glaube, ich bin da vorhin in...