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Der Sündenfall - ein Glücksfall? - Alte Geschichten aus der Bibel neu erzählt

Meir Shalev

 

Verlag Diogenes, 2014

ISBN 9783257606058 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

[35] Mafia-Methoden in Karmel

Die Geschichte von David

»Als David hörte, daß Nabal5 gestorben war, sagte er: ›Gepriesen sei der Ewige, der den Streit meiner Beschimpfung geführt hat gegen Nabal und seinen Knecht zurückgehalten hat vom Bösen; Nabals Schlechtigkeit aber hat der Ewige auf sein Haupt zurückfallen lassen.‹«

Samuel I 25,39

Es waren einmal ein charismatischer Bandenführer, eine schöne und kluge Frau und ihr reicher und hitzköpfiger Mann. Die Sache begann mit der Erpressung von Schutzgeld und endete mit Mord. Die Geschichte ist immer dieselbe – Geld, Gewalt und Liebe –, doch der Schauplatz war nicht Chicago, sondern die Kleinstadt Ha-Karmel in den Hügeln von Hebron vor dreitausend Jahren.

Der charmante Bandit war ein politischer Emporkömmling namens David, Sohn des Isai, der sich mit König Saul, dem damaligen Regenten, überworfen hatte. Dieser David sammelte sich eine Gang von Hunderten von Männern zusammen; dazu gehörten Verwandte und »jeder, der bedrängt, und jeder, der verschuldet, und jeder, der verbittert war« Samuel I 22,2 – kurz, eine ganz üble Gesellschaft. Zunächst lungerten sie im Grenzland der Philister und im [36] Landstrich Adullam herum, später ließen sie sich in der Wüste Judäa südlich von Hebron nieder. Dies war ein schwieriges und wildes Gelände, ein ideales Schlupfloch für Banditen und Revoluzzer. Für David hatte die Gegend einen weiteren Vorzug: Hier war er um die Ecke von zu Hause, in der Nähe von Bethlehem, wo sein Vater Isai wohnte.

Auch ohne maoistische Vorkenntnisse war David schlau genug, um zu begreifen, daß ein König nur mit Hilfe des kleinen Mannes gestürzt werden konnte. Aber genau daran haperte es – leider –, obwohl doch so viel für ihn sprach: der strahlende Sieg über den Riesen Goliath, die Nähe zum Königshaus (er war mit Sauls Tochter Michal verheiratet), die Errettung der Stadt Kegila aus der Hand der Philister. Ein Song von seinen Heldentaten, »Drein schlug Saul mit seinen Tausenden, David mit seinen Zehntausenden« Samuel I 8,7; 21,12; 29,5 war sogar Spitzenreiter der damaligen Charts. Doch all dies schien ihm nichts zu nützen. Zweimal versuchte die Bevölkerung, ihn an König Saul auszuliefern – erst die undankbaren Einwohner von Kegila, dann die Siphiter. Mit anderen Worten: David wollte hoch hinaus, aber seine Aktien standen nicht hoch im Kurs. Da er kein geregeltes Einkommen hatte, mußte er andere Mittel finden, um seine Anhängerschar zu finanzieren. Robin Hood zu spielen war nicht seine Sache, und so kam er auf die Idee, sich in der Schutzgeldbranche einen Namen zu machen. Und damit wären wir schon mitten in der Geschichte um Nabal, die viele Züge des modernen Verbrechens trägt. Darüber hinaus zeigt sie die vielschichtige Persönlichkeit des Schöngeistes David einmal in einem anderen Licht.

[37] »Und es gab einen Mann in Maon, und seine Tätigkeit war in Karmel. Und der Mann war sehr reich; er hatte dreitausend Schafe und eintausend Ziegen. Und es war zur Schur seiner Schafe in Karmel. Der Name des Mannes war Nabal, und der Name seiner Frau Abigail; sie war von gutem Verstand und schönem Aussehen, aber der Mann war hart und böse in seinem Tun. Und er war ein Kalebiter.« Samuel I 25,2  3 Während der Schur in Karmel verdienten sich die Schafzüchter eine goldene Nase und hatten entsprechend viel zu feiern. Für ein Verbrechen der ideale Schauplatz. Aber das war noch nicht alles. Nabal war, wie gesagt, ein Kalebiter – ein Nachfahre des berühmten Kaleb, Sohn des Jephune, Fürst des Stammes Juda und einer der zwölf Männer, die Mose zum Spionieren nach Kanaan eingeschleust hatte. Ein alteingesessener Adliger also, den der wachsende Ruhm des jungen Umstürzlers aus Bethlehem ausgesprochen kalt ließ.

Zu Beginn der Schur schickte David zehn seiner Leute mit einer einfachen Botschaft zu Nabal: »[…] Friede dir und Friede deinem Haus, Friede allem, was dir gehört. Und nun habe ich vernommen, daß bei dir geschoren wird. Soeben waren deine Hirten bei uns, nichts haben wir ihnen zuleide getan, und nichts hat ihnen gefehlt, all die Tage, die sie in Karmel waren. Frage deine Burschen, sie werden dir berichten, und mögen die Burschen Gunst finden in deinen Augen, denn zu einem Festtag sind wir gekommen, gib ihnen doch, was deine Hand findet, deinen Knechten und deinem Sohn David.« Samuel I 25,6  8 Wie gesagt, eine einfache Botschaft, die jedem Barkeeper in Brooklyn, jedem Schafzüchter in Sizilien und jedem [38] Nachtclubbesitzer überall auf der Welt wohlvertraut ist. Eine glasklare Drohung, verpackt in gewählte Worte von ausgesuchter Höflichkeit: »[…] nichts haben wir ihnen zuleide getan« (soll heißen: obwohl wir das problemlos hätten tun können) und: »[…] nun habe ich vernommen, daß bei dir geschoren wird […] zu einem Festtag sind wir gekommen« (soll heißen: ein paar Prozent Beteiligung am Gewinn, und deine Party bleibt ein Erfolg). Die Burschen überbrachten Nabal also die Nachricht von ihrem Boss »und warteten«. Samuel I 25,9 Zeit hatten sie ja zur Genüge.

Wem diese Cosa-nostra-Interpretation zu sehr an die Nieren geht, kann sich bei der Lektüre von Raschi, dem berühmten französischen Bibelexegeten aus dem elften Jahrhundert, erholen. Seiner Auffassung nach waren Davids Männer arme, brave Burschen, die an Rosch ha-Schana bei Nabal vorbeikamen wie Sternsinger an Weihnachten beim Junker, um ein Almosen für ihr bescheidenes Festmahl zu erbitten. Die Fortsetzung der Geschichte mag eine solche Interpretation nahelegen; dennoch würde ich die Sache eher als Vorspiel zu Jom Kippur6 deuten. Doch von dieser unterschiedlichen Auffassung einmal abgesehen, läßt Raschis Wissen über Schafzucht einiges zu wünschen übrig: Ein Züchter, der seine Schafe um Rosch ha-Schana, also im Herbst, scheren läßt, verdient kein Mitleid, wenn die Herde sich eine kollektive Lungenentzündung zuzieht und bis zum Winter krepiert ist.

Anscheinend hatte Nabal die Botschaft nicht verstanden. Er begriff nicht, daß dies ein Angebot war, das er nicht ausschlagen durfte. Man fragt sich, ob er den [39] Namen ›Schuft‹ tatsächlich verdient hat; sicherlich kommen in der Geschichte größere Schufte vor. Doch selbst wenn er seinem Namen nicht genügend Ehre machte, so war er doch ein phantasieloser Tor, als er die Bitte mit dieser herablassenden Antwort abschlug: »Wer ist David, und wer der Sohn des Isai? Heutzutage gibt es viele Knechte, die ausreißen, jeder von seinem Herrn. Und ich soll mein Brot und mein Wasser und mein Fleisch nehmen, das ich für meine Scherer geschlachtet habe, und es Männern geben, von denen ich nicht weiß, woher sie sind?!« Samuel I 25,10  11

Das war eine dreifache Beleidigung. Er bezeichnete David als Knecht, der vor seinem Herrn Reißaus genommen hatte – eine Anspielung auf dessen Flucht vor König Saul. Und er verspottete seine Familie und Abstammung. Am allerschlimmsten aber war, daß er so tat, als habe er nie etwas von David oder seinen Heldentaten vernommen. Kurz, es war, als hätte er gesagt: »David? Nie gehört!«

Die Gang blieb cool und erstattete ihrem Boss Bericht. Nabal hatte einen großen Fehler gemacht, und nun blieb David praktisch nichts anderes übrig, als zu einem verheerenden Schlag auszuholen. Er war schließlich nicht irgendein Provinzkaliber, sondern ein hochangesehener Revoluzzer; außerdem war er von dem kürzlich verstorbenen Hohepriester Samuel gesalbt worden und galt somit als legitimierter Anwärter auf die Krone. Seine Glaubwürdigkeit als Führungspersönlichkeit stand auf dem Spiel.

Mit vierhundert Mann im Schlepptau zog David los – für damalige Verhältnisse ein großes Heer –, um Nabal [40] (und jedem weiteren Lernwilligen) eine Lektion zu erteilen. Nabal wußte es noch nicht, aber er saß tief in der Tinte. Die einzige, die es bereits wußte, war Nabals hübsche Frau »von gutem Verstand«, Samuel I 25,3 Abigail. Sie griff ein, und die Geschichte, die binnen weniger Stunden mit einer Kombination aus Massaker und Plünderung hätte abgehakt sein können, nahm eine überraschende Wendung. Abigail hatte durch einen Schäfer Wind von der Angelegenheit bekommen. Unverzüglich stellte sie eine Palette feinster Delikatessen zusammen, lud das großzügige Präsent auf ein paar Esel und machte sich auf, um David zu besänftigen. Allerdings ohne ihrem Mann Bescheid zu sagen. Erstens kannte sie sein ungezügeltes Temperament. Zweitens – und das war eher, worum es ihr ging – feilte sie bereits an einem weit ausgekochteren Plan. Wer nun denkt, die Gute sei bemüht gewesen, ihren Mann vor Davids Zorn zu bewahren, den erwartet eine böse Überraschung. Nabal erwartete eine ebensolche – allerdings in einer weit schlimmeren Ausführung. Wie sich bald herausstellte, war Abigail gefährlicher als die beiden feinen Herren zusammen.

In der Zwischenzeit war David an der Spitze seiner Mannen auf dem Vormarsch zu Nabals Schafställen. Bis an die Zähne bewaffnet und kochend vor Wut stieg er in die Bergschlucht hinab. »Nur für Lug habe ich alles, was dem da gehört, in der Wüste gehütet […], und er hat mir Gutes mit Bösem vergolten; so tue Gott den Feinden Davids an, so und noch mehr, wenn ich von allem, was ihm gehört, bis zum Morgen auch nur einen Wandpisser7 übriglasse.« Samuel I...